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Victor Vasarely

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Victor Vasarely

Notizen für ein Manifest (1955)

Ich zähle nun die wesentlichen Fakten der Vergangenheit auf und verbinde sie miteinander, Fakten, die uns in der Masse der Ereignisse besonders auffallen: das "Plastische", das den Sieg über die Anekdote davonträgt (Manet)

— die erstmalige Geometrisierung der Außenwelt (Cezanne)
— die Eroberung der reinen Farbe (Matisse)
— das Aufbrechen der Figuration (Picasso)
— das Übergehen von der äußeren zur inneren Vision (Kandinsky)
— das Eingehen eines Zweiges der Malerei in die Architektur und deren Polychromie (Mondrian)
— die Entstehung der großen plastischen Synthesen (Le Corbusier)
— und neuer plastischer Alphabete (Arp, Taeuber, Magnelli, Herbin) und das Aufgeben des Volumens zugunsten des RAUMES (Calder) ...

Die allgemeine Sehnsucht nach neuen Erkenntnissen hat sich in der nahen Vergangenheit in der Erfindung der REINEN KOMPOSITION und in der Wahl einer EINHEIT, auf die wir später noch zurückkommen werden, ausgedrückt. Parallel zu dem raschen Niedergang der alten Maltechniken verläuft das Erproben neuer Materialien (Nutzanwendung chemischer Erzeugnisse) und die Verwendung neuer Instrumente (Benutzung physikalischer Entdeckungen) ... Wir sind auf dem Weg dazu, jeder Routine ganz abzuschwören, wir streben nach der Integration der Skulptur und der Eroberung der jenseits der Fläche befindlichen Dimensionen.

Von Anfang an hat die Abstraktion ihre Kompositionselemente Verringert und im einzelnen vergrößert. Bald wird die Form-Farbe die gesamte zweidimensionale Fläche einnehmen; das Bild als Objekt bietet sich dieser Metamorphose an, und diese führt es über die Architektur ins räumliche Universum der Polychromie. Inzwischen aber gibt es für uns eine außerarchitektonische Lösung, und wir brechen bewußt das neoplastische Gesetz. Die REINE KOMPOSITION ist immer noch eine ebene Plastizität, wo einige, nicht sehr zahlreiche, genau umrissene abstrakte Elemente in wenigen Farben (matt oder glänzend und flächig aufgetragen) auf der gesamten Bildfläche die gleiche plastische Eigenschaft besitzen: sie sind POSITIV-NEGATIV. Durch die Wirkung einander entgegengesetzter Perspektiven aber lassen diese Elemente ein .räumliches Gefühl' abwechselnd entstehen und wieder vergehen, sie erwecken also die Illusion von Bewegung und Dauer. FORM UND FARBE SIND EINS. Eine Form gibt es nur, wenn eine farbige Präsenz sie bezeichnet und eine Farbe nur, wenn eine Form sie umreißt. Der Strich (Zeichnung, Kontur) ist eine Fiktion und gehört nicht zu einer, sondern zu zwei Form-Farben zugleich. Er bewirkt nicht etwa die Form-Farben, er geht vielmehr aus ihrem Zusammentreffen hervor. Zwei kontrastierende Form-Farben bilden die PLASTISCHE EINHEIT, d. h. die EINHEIT jeder künstlerischen Schöpfung: und die immerwährende, allesbestimmende Dualität wird nun endlich als untrennbar erkannt. Sie konstituiert die Vereinigung von Bejahung und Verneinung. Die Einheit, sei sie nun meßbar oder nicht, ist zugleich Physik und Metaphysik. Sie begreift die materielle, mathematische Struktur des Universums wie auch seine geistige Überstruktur. Die Einheit ist die abstrakte Essenz des SCHÖNEN, die erste Erscheinungsform der Sensibilität. Künstlerisch ersonnen, konstituiert sie das Werk, das poetische Ebenbild der Welt, die es darstellt. Das einfachste Beispiel für die plastische Einheit ist das Quadrat (oder das Rechteck) mit seiner Ergänzung .Kontrast' oder die zweidimensionale Fläche mit ihrer Ergänzung ‚umgebender Raum'.

Nach diesen kurzen Erläuterungen schlagen wir nun folgende Definition vor: jede schöpferische Überlegung beruht auf der geraden - horizontalen und vertikalen - Linie ... Vier Senkrechte bilden den Rahmen und grenzen damit die Fläche ab oder schneiden einen Teil aus dem Raum. EINRAHMEN HEISST, NEUES SCHAFFEN UND DIE KUNST DER VERGANGENHEIT NACH-SCHAFFEN. In der von nun an viel umfassenderen Technik des Plastikers bleibt die Fläche der Ort erster Konzeption. Die kleinformatige reine Komposition ist Ausgangspunkt für die Nach-Schaffung der verschiedenen zweidimensionalen Formen (Großformat, Fresko, Tapisserie, Druckmappen).

Schon aber entdecken wir eine neue Richtung. Das DIAPOSITIV soll für die Malerei sein, was die Schallplatte für die Musik ist: handlich, getreu in der Wiedergabe und vielseitig, ein Dokument, eine Art Handwerkszeug, ein Kunstwerk. Es hat eine neuartige, nur kurzlebige Funktion, es steht zwischen dem unbewegten und dem zukünftigen bewegten Bild. DIE LEINWAND IST FLÄCHE, ABER AUCH RAUM, WEIL SIE BEWEGUNG ERMÖGLICHT. Sie hat demnach nicht zwei, sondern vier Dimensionen. Das der reinen Komposition eigene illusorische Moment "Bewegung-Zeit" wird durch die auf der Leinwand mögliche neue Dimension und dank der plastischen Einheit zu einer wirklichen Bewegung. Der Rhombus ist ein weiterer Ausdruck der "Einheit Quadrat-Fläche" und entspricht Quadrat + Raum + Bewegung + Dauer. Die Ellipse, ein Beispiel für "Einheit Kreis-Fläche" entspricht Kreis + Raum + Bewegung + Dauer. Unzählige andere vielförmige und vielfarbige Einheiten bilden die unendliche Tonleiter des künstlerisch-formalen Ausdrucks. Die "Tiefe" gibt uns den relativen Maßstab. "Ferne" preßt zusammen, "Nähe" dehnt, Ursache dafür ist das Zusammenspiel FARBE-LICHT. Damit haben wir sowohl das Instrument als auch die Technik und vor allem die nötige Erkenntnis, um nun das plastischkinetische Abenteuer antreten zu können.

Die Geometrie (Quadrat, Kreis, Dreieck usw.), die Chemie (Kadmium, Chrom, Kobalt usw.) und die Physik (Koordinaten, Spektren, Kolorimetrie usw.) bilden die Konstanten. Wir betrachten sie als Quantitäten, unsere Wertmaßstäbe, unsere Sensibilität und unsere Kunst aber machen sie zu Qualitäten (es handelt sich dabei nicht um "Euklidisches", sondern um die Künstlereigene Geometrie, die auch ohne genaue Kenntnisse wunderbar funktioniert). Die Belebung des Plastischen geht heute auf drei verschiedene Weisen vor sich:

1. als Bewegung in einer architektonischen Synthese, wo ein räumliches und monumentales plastisches Werk so konzipiert ist, daß sich gemäß des jeweils veränderten Standortes des Betrachters Veränderungen ergeben,
2. in Form von selbsttätigen plastischen Kunstobjekten, die - obwohl sie auch innere Qualitäten besitzen - vor allem als Mittel zur Belebung im Moment des Aufnehmens dienen. - Und schließlich
3. mittels methodischer Einkreisung des KINEMATOGRAPHISCHEN BEREICHS durch die abstrakte Kunst.

Wir befinden uns am Beginn einer großen Epoche. ES BEGINNT DIE ÄRA, WO PLASTISCHE PROJEKTIONEN AUF ZWEI- UND DREIDIMENSIONALE BILDSCHIRME TAGS UND NACHTS MÖGLICH SIND.

Die Bedeutung des Kunstproduktes geht vom "hübschen Gebrauchsgegenstand" bis zum "l'art pour l'art", vom "guten Geschmack" bis zum "Transzendenten". Und alle künstlerischen Tätigkeiten sind Teil eines genau abgestuften Gesamtkomplexes: Kunstgewerbe - Mode - Reklame und Propaganda in Form von Bildern - Ausstattung von großen Industrieausstellungen, von Sport- und anderen Festen - Bühnendekors - polychrome Modellfabriken - Signalisierungen und Urbanismus - dokumentarische Kunstfilme - Museum als Ort des Nach-Schaffens - Kunsteditionen - Synthese der plastischen Künste - und schließlich die Forschungen der echten Avantgarde. Innerhalb dieser verschiedenen Bereiche ist persönliche Originalität nicht unbedingt mit Echtheit gleichzusetzen. Und wir sind außerdem heute noch nicht befähigt, zu bestimmen, welche dieser verschiedenen Kunstbereiche bedeutend und welche unwichtig sind. Es gibt Talente in der Nachhut und Versager in der Vorhut. Für die Nachwelt aber zählt weder das bedeutende, aber immobile und rückwärts gerichtete, noch das fortschrittliche, aber mittelmäßige Werk. Die Wirkung eines Kunsterzeugnisses reicht (in verschiedenen Intensitäts- und Qualitätsgraden) vom geringfügigen Vergnügen zum s c h o c k a r t i g e n Empfinden des Schönen, und diese verschiedenartigen Empfindungen spielen sich zunächst in unserem emotionalen W e s e n s b e re i c h ab, wo sie ein Gefühl des Wohlbefindens oder der Tragik hervorrufen. Damit hat die Kunst eigentlich schon ihr Ziel erreicht. Denn die Analyse und das Verstehen einer Botschaft hängen von unserem Wissen und unserer Bildung ab. Und weil nur die Kunstströmungen der Vergangenheit allgemein verständlich sind, und nicht ein jeder die Kunst der Gegenwart studieren kann, soll sie, statt "verstanden" zu werden, einfach "präsent "s ei n. Da Sensibilität allen Menschen zueigen ist, erreichen unsere Botschaften sie sicher auf dem natürlichen Weg ihrer emotionalen Aufnahmefähigkeit. Wir können ja den Kunstgenuß nicht auf ewig allein einer Elite von Kennern überlassen. Die Gegenwartskunst will großzügige, wenn möglich nach-schaffbare Formen erfinden; die Kunst von morgen wird Gemeingut sein oder gar nicht existieren. Die traditionellen Konzepte entarten, die gewohnten Formen verkommen auf ausweglosen Bahnen. Die Zeit richtet und scheidet aus, Erneuerung setzt Bruch voraus, und das Authentische tut sich auf unstete Weise und unerwartet kund. Das Aufgeben alter Werte ist schmerzlich, aber unerläßlich, will man neue gewinnen. Unsere Lebensbedingungen haben sich geändert, und deshalb müssen sich auch Ethik und Ästhetik ändern. Bisher war die Konzeption vom Kunstwerk mit der Vorstellung vom handwerklichen Verfahren, mit dem Mythos des "einzigartigen Stücks" verbunden, heute rechnet sie mit der Möglichkeit der NACHSCHÖPFUNG, der VERVIELFÄLTIGUNG UND DER AUSDEHNUNG. Schadet die ungeheure Verbreitung der musikalischen und literarischen Werke ihrer Einzigartigkeit und ihrem Wert? Die hoheitsvolle Linie des unbewegten zweidimensionalen Gemäldes reicht von Lascaux bis zu den Abstrakten ... die Zukunft aber verheißt uns das Glück in Form der neuartigen sich selbst und den Betrachter bewegenden plastischen Schönheit.

zitiert nach: Jean-Louis Ferrier, Gespräche mit Vasarely, "Spiegelschrift 8", Köln 1971


Notizen (1948 - 1969)

1948 Keinerlei erzwungene Vorbereitung; ich warte ab, bis ich die Vision eines Bildes habe. Formen und Farben entstehen gemeinsam. Ich habe nicht die geringste Vorstellung des für das Bild in Frage kommenden Formates: die erste Konkretisierung meines Einfalls hat unweigerlich kleine Ausmaße. Danach taste ich mich in unzähligen Skizzen und Versuchen vorwärts und Sie können sich das folgende Spiel mit seinen Komplikationen und Vereinfachungen sicher selbst vorstellen.

1952 Durch die Loslösung vom Figurativen haben wir das Anekdotische ausgeschaltet: die reine Plastizität bricht mit dem Literarischen. Eine Annäherung an die mathematischen Wissenschaften zeichnet sich ab ... Eine parallele Erscheinung zur Musik.

1952 Im Grunde ist mir selbst das wahrhaft Abstrakte erst 1947 klar geworden, als ich erkannte, daß reine Form und reine Farbe die Welt bedeuten können. Seither entstehen meine Kompositionen aus der Aktion der Form-Farb-Einheiten im "Plastischen Raum" (espace plastique).

1953 Jedes für die breite Öffentlichkeit bestimmte Kunstwerk muß notwendigerweise vergrößert werden: 1) vergrößert im eigentlichen Wortsinn in der Architektur (Fresken, Tapisserien, Glasmalerei, Mosaik, Integrationen usw.); 2) vergrößert im quantitativen Sinn in der Edition (Bücher, Zeitschriften, Illustrationen, Sammelmappen); 3) vergrößert durch Lichtbildprojektion oder Kinematographie (Diapositive, Filme, Fernsehen). Die quantitative Vergrößerung oder das "In-Funktion-Setzen" ist in allen Fällen eine zweite Schöpfung (Nach-Schöpfung), gezeichnet vom Schöpfer oder Nach-Schöpfer. Er zeichnet! Und darauf kommt es an!

1953 Ich träume von einer sozialen Kunst. Ich setze ein tiefes Verlangen des Menschen nach Plastik voraus, genau so wie er ein Verlangen nach Melodie, Rhythmus oder Poesie hat. Ich glaube, daß jetzt die Voraussetzungen dafür gegeben sind, um dieses natürliche Verlangen des Menschen nach sinnlichen Freuden zu befriedigen.

1953 Bei der Arbeit leite ich alle Gegebenheiten meiner Schöpfung auf Konstanten zurück, damit sie im Augenblick der Nach-Schöpfung als identische wiederzufinden sind. Kadmium, Kobalt, Ultramarin oder die Farben des Mars sind meßbare chemische Konstanten. Geraden, Krümmungen und Winkel sind meßbare geometrische Konstanten. Format, Beziehung, Maßstab sind meßbare mathematische Konstanten. Lichtintensität ist eine meßbare physikalische Konstante. Das "Maß des Künstlers" bringt die Qualität hervor und überträgt das Element des Genialen auf die Maße der Allgemeinheit und die Materie.


1953 ... Mangels der Möglichkeit sofortiger Expansion habe ich mir eine "tableautheque" - eine "Bilderei", eine "Imagothek" - meiner kleinformatigen Entwürfe eingerichtet, die später zu entwickeln sind. Ich besitze so die Gesamtheit meiner Schöpfungen.

1953 Die Kunst ist artifiziell, das Eigentliche der Kreativität ist es, sich von der Natur zu trennen, und nicht, sich mit ihr zu verbinden.

1953 Durch Überlegungen bin ich zu folgender Hypothese gekommen: Die proportionale Vergrößerung des "Motivs" ist notwendig geworden durch die Vergrößerung der Geschwindigkeit in allen Bereichen unseres Lebens. Diese Geschwindigkeit zwingt uns, ungeduldig und hastig zu sein. Wir geben uns keinen langen Kontemplationen mehr hin, wir haben die Liebe zum Detail verloren. Unsere Existenz ist kompliziert geworden ... Wir verlieren enorm viel Zeit... Wir wollen daher schneller aufnehmen, wir suchen den direkten, kraftvollen momentanen Schock. Große Formen, krasse Lokal-Farben kommen diesem neuen menschlichen Verlangen entgegen.

1954 Aus der unübersehbaren Komplexität früherer Schöpfungen habe ich den Dualismus Form-Farbe als Essenz abgeleitet. Ich werde sie im Weiteren "l'Unite Plastique", "Plastische Einheit" oder nur "l'Unite", "Einheit", nennen. In ihrer leuchtenden Einfachheit ist sie die Essenz der Dinge, aber zugleich auch von einer extremen Vielschichtigkeit, wie chemische Elemente.

1954 Die Formen-Farben und die abstrakten Strukturen sichtbar machen, plastische Äquivalente unseres emotionellen und intellektuellen Reichtums. Der Mensch von heute muß das Gleichgewicht zwischen seinem Wissen und seiner Sensibilität wiederfinden.

1954 Die "Unite" ist schon in sich schön. Sie repräsentiert die erste Sensibilitätsstufe. Aber durch Zuschnitt und Proportionen ihrer Erscheinungsform, durch die Wahl und Intensität ihrer Färbung, schließlich durch cfe Kombinierung mit anderen Unites, bekommt sie einen Gehalt und wirkt damit zunächst auf unsere Sinne, dann auf unseren Intellekt. Nachdem sie einmal herausgeschält und definiert wurde, hat nun sie allein es erlaubt, alle der Malerei fremden Elemente abzustoßen, vom Vielteiligen zum Essentiellen, von der Fläche zum Raum, vom Bewegungslosen zur Bewegung vorzustoßen.

1954 Die kinetischen Bilder schaffen ein humanistisches und philosophisches Konzept der plastischen Künste, das zugleich ihren ästhetischen, ethischen, soziologischen und wirtschaftlichen Aspekt betrifft. Dieses Konzept ist eine Synthese des physischen Kinetismus und der Bewegungen des Intellekts: es verkündet das ständige Übersichhinauswachsen in einer Welt in Bewegung, es begünstigt die Weiterentwicklung der Technik, der Funktionen und der Kunst-Ideen.

1954 Es muß ein Bild gemacht werden, dem der Magier Zeit nichts mehr hinzufügen und nichts mehr wegnehmen kann.

1954 Nichts ist weniger naturalistisch als ein Vinci oder Cezanne; nichts ist näher dem Abstrakten als ein Piero oder Vermeer. Ein Kunstwerk, das der Natur gleicht, ist unnütz. Kunst ist artifiziell und keineswegs natürlich; schaffen heißt nicht, die Natur imitieren sondern ihr gleichkommen und sie sogar übertreffen durch eine Erfindung, deren unter allen Lebewesen nur der Mensch fähig ist.

1956 Warum "schwarz-weiße" Bilder? Um die Werke in Zeitung, Zeitschrift, Fernsehfunk und Film besser wiederzugeben. Also informieren mit dem Minimum an Entropie (Verwechslungsmöglichkeit). Aber das geht noch weiter: Schwarz und Weiß, Punkt und Linie, Schwarz und Weiß, Ja und Nein; das in einer Elektronenmaschine konservierbare Werk.

1958 Die "Synthese der bildenden Künste" ist ein Köder, der allenfalls eine neue "Renaissance" hervorlocken kann, die aber beträchtlich schlimmer ist als die erste. Es ist absurd, eine bestimmte Stelle der Wand für einen Schmuck vorherzubestimmen, selbst wenn dieser abstrakt sein soll. Der einzig richtige Weg ist der der Integration, der Schmuck muß zugleich mit dem Bau entstehen, die Plastizität ist dem Baumaterial und der Architekturform inhärent.

1958 In meinen Arbeiten glaube ich, die Existenz einer abstrakten architektonischen Kunst zu zeigen, eine Art universeller Folklore, deren Ausdruck sich leicht an die hochentwickelte Technik der urbanen Konstruktion anpaßt.

1959 Mit dem wachsenden Bedürfnis, meine auf dem Gebiet abstrakter plastischer Ausdrucksformen gemachten Entdeckungen in die diskursive Sprache zu übersetzen, stellte ich eine erstaunliche Übereinstimmung zwischen meinen Funden und den bereits großartig formulierten Fakten der Wissenschaft fest. Es ging mir nicht darum, in die Rechte anderer, esoterischer Disziplinen einzugreifen, die mir ohnehin versagt bleiben mußten, weil es für einen Einzelnen einfach unmöglich ist, sich die notwendigen umfassenden Kenntnisse anzueignen. Aber wird nicht Kunst aus eben dem Grunde geschaffen, um eine intuitiv begriffene Entsprechung zu den Erkenntnissen zu liefern, die einem auf ewig verschlossen bleiben?

1959 Die Einsicht lehrt uns, nachsichtig gegenüber anderen, unnachsichtig aber uns selbst gegenüber zu sein. Wenn wir aber den Regungen des Herzens zu sehr nachgeben, finden wir uns selbst bald in der Lage des Schwachen und zum Rückzug gezwungen. Der Einsiedler in der Wüste hat noch niemals der Menschheit genützt.

1959 Wenn die Künste nur den Satten als poetische Nahrung dienen - wer wird sich damit befassen, Kunstformen für die Habenichtse unserer Tage zu schaffen?

1959 Was ist die Lebensdauer eines Kunstwerks, selbst wenn sie Jahrtausende zählt, verglichen mit den Zeiträumen der Geologie oder der Astronomie? Aber dennoch ist wohl das Licht oder die Wärme, die der Mensch zu verströmen fähig ist, um sich aufzuheitern oder sich rühren zu lassen (und sei es nur für ein paar Augenblicke), alle Mühen wert. Da es die Kontinuität gibt, dürfen wir optimistisch sein.

1959 Wenn das Kunstprodukt nicht den Rahmen der Elite der "Kenner" sprengt, ist die Kunst zum Erstickungstod verurteilt.

1959 Diejenigen, die Wissenschaft gemeinverständlich darzustellen versuchen, können das große Verdienst für sich in Anspruch nehmen, eine "allgemein verständliche Sprache" geschaffen zu haben, die uns die Welt und das Universum wenn nicht "exakt", so doch "intuitiv" verständlich nahezubringen vermag. Auf eine angemessene Weise die Dinge zu "fühlen", bedeutet sie ein wenig auch schon zu "verstehen". Ist es nicht von großer Wichtigkeit, in einer notwendigerweise durch Scheidewände getrennten Welt die Möglichkeit der Osmose zu schaffen, die Hermetik aufzubrechen, um eine in allen Bereichen des menschlichen Tätigseins fast identische Bewegung durchzusetzen? Die Durchmusterung des Wissens und der Kulturen aller Orte und Zeiten macht große Fortschritte. Dank der Elektronik werden unsere Kinder deren Wesentliches frei zur Verfügung haben. In der Zwischenzeit scheint es mir unerläßlich, eine doppelte Anstrengung zu unternehmen: Kunst zu schaffen, sie zu lesen und dann in eine allgemeinverständliche Sprache zu übersetzen. Denn wenn das stumme Universum der Formen-Farben auch genügt, um die Dinge in Bewegung zu halten, fordert der Verstand doch mehr. In dem Augenblick, wo man über ein Gemälde anfängt zu reden, kann man, muß man das Höchste über es sagen. Die Äußerungen und Schriften der Künstler tragen nachdrücklich zur Schaffung einer "Wissenschaft von den Künsten" und ihres Vokabulars bei, denn es sind ja schließlich die wissenden Künstler, die zunächst an der Quelle sitzen.

1959 In der Entwicklung der Plastizität hat sich das Thema des Figurativ-Privaten ins Abstrakt-Essentielle verwandelt. Aus der handwerklichen wurde die industrielle Technik, aus der persönlichen wurde eine universelle Sprache, und die egozentrische Ethik verwandelte sich in eine Gemeinschaftsethik.

1959 Das Format jeder abstrakten Komposition ist gleichzeitig dehnbar und zusammenpreßbar, sie hat so viele Größen, wie es ideale Entfernungen zwischen dem Auge des Betrachters und dem Kunstwerk, dessen jeweiliger Funktion entsprechend, gibt.

1960 Im Leben eines jeden Schaffenden tritt eine Periode der Vor-Gewißheit ein, in der Eroberungen und Niederlagen einander abwechseln. Der Weg bis dahin ist schon lang und wechselhaft. Mit Bestimmtheit ist aber gerade dies eine sehr fruchtbare Periode. Denn wenn der Weg einmal gefunden ist, läßt die Riesenarbeit der Ausarbeitung, der Klärung, der Festigung und schließlich der Verbreitung des vollendeten Kunstwerks keine Zeit mehr für gewagte Forschungsunternehmen. Von da an schöpft der Künstler aus seinem Werk, nicht mehr aus sich selbst. Melancholie, aber auch Gerechtigkeit des Schicksals: denn um ihn herum ist inzwischen bereits die nächste Generation tätig geworden und dabei, die neue Kunst ihrer Zeit zu schaffen.

1960 Es herrscht das Wunschdenken, daß der Künstler unpolitisch, reaktionär oder schlimmeres sein solle, daß er sich nicht zu informieren brauche und die technischen und sozialen Errungenschaften ruhig verachten könne, daß er - mit einem Wort - am Rande des Lebens in seinem Elfenbeinturm zu leben habe. Ein solcher Künstler (und die meisten sind solche) wird nicht die Kunst seiner Zeit schaffen. Für einen, der sich seiner selbst wirklich bewußt ist, ist es unvorstellbar, nicht von allem, was um ihn herum passiert, betroffen zu sein. Kunst ist vom Leben untrennbar, und jede authentische Schöpfung kann nichts anderes sein als ein Akt der Revolution.

1960 Wir sollten niemals die Tatsache aus den Augen verlieren, daß die wahrhaften Neuerer immer in der kleinen Minderheit gewesen sind. Ihre Äußerungen und Taten sind um so schwieriger zu entdecken, zu erklären und anzuerkennen, weil noch keine geläufige Formel für ihre Erklärung und die Einordnung dessen existiert, was sie sagen und machen.

1960 Die Entstehung der plastischen Kunst bewirkt Aggressionen und Vibrationen im Nervenzentrum unseres Gehirns. Stimulierende oder harmo-nisierende Effekte, die so unentbehrlich sind wie Sauerstoff oder Licht für das organische Leben.

1960 Die Geburt einer neuen Kunstform bedeutet nicht notwendigerweise das Todesurteil für alle bereits existierenden Kunstformen.

1962 Die "Einheit" setzt sich aus zwei Konstanten zusammen: dem Ausgangselement "Form" und dem Komplement, das diese umgibt, das Quadrat, das Sechseck, das Achteck "Grund". Neben ihrem Aspekt "Zwieform" besitzt die Einheit notwendigerweise einen harmonisierenden oder kontrastierenden und gleichzeitig positiv-negativen Aspekt "Zwiefarbe". Mit einem Alphabet von dreißig Formen und dreißig Farben, alle im Bereich der Einheit, verfügen wir bei simpler Permutation der Doppel bereits über mehrere Tausend praktischer Möglichkeiten.

1964 Jede große bildende Kunst war, ist und wird avantgardistisch sein. Alles übrige, und das ist bei weitem der größere Teil, ist bloßer Bodensatz, aus dem die Gipfel der wahrhaft großen Werke herausragen.

1965 Das Kunstdenken und die Philosophie des Künstlers werden sich unter dem Einfluß der dialektischen Maschine - Presse, Radio, Fernsehen - von Grund aus ändern. Der in seinem Elfenbeinturm eingeschlossene Künstler wird einem Wesen Platz machen, das informiert oder sogar gelehrt, aber zumindest den Vorgängen offen ist, die sich um ihn herum ereignen. Er verwandelt sich von einem inspirierten Zuschauer in einen wissenden Teilnehmer, der fähig ist, Synthesen zu bewerkstelligen.

1965 Das plastische Alphabet und die Methode der unbedingten Permu-tierbarkeit, die ich anbiete, werden mit ihren unbegrenzten Kombinationsmöglichkeiten die Individualität im großen Rahmen der Gesellschaft wieder ermöglichen.

1967 Die "Multiples" sind heute Wirklichkeit. Es handelt sich bei ihnen um "originale" Sammelmappen, Bilder, Reliefs, Objekte und Plastiken, die die Eigenart haben, nicht in einem einzigen Exemplar, sondern in fünfzehn, fünfzig oder tausend Exemplaren zu existieren, dem Künstler unserer Tage ist es gelungen, die Qualität in der Vielzahl zu bewahren und damit jedermann den Erwerb wertvoller Kunstwerke zu annehmbaren Preisen zu ermöglichen.

1967 Die enge Zusammenarbeit von Unternehmern, Industriellen, Städtebauern, Architekten und Ingenieuren mit Malern, Bildhauern, Farbgestaltern und Plastikern wird unentbehrlich ... Man sollte einen Ort der Zusammenkunft planen für den Austausch und die Kommunikation von Ideen ... Nichts erscheint mir wichtiger, als der Bau von polychromen Städten des Glücks.

1969 Nach-Schöpfung bedeutet die dauernde Verbesserung in Technik und Haltbarkeit eines vorhandenen Prototyps, sei es durch Monumentalisierung oder Vervielfältigung. Ich habe wiederholt gesagt: die Kunst der Privilegierten muß die Kunst aller werden. Wichtig ist, technisch und plastisch diesen Wechsel entschlossen durchzuführen.