Emil Nolde
Emil Nolde (1867 - 1956):
Äußerungen (1924 - 1934)
1. Jahre der Kämpfe. Berlin 1934
2. Briefe aus den Jahren 1894 - 1926. Hgb. M. Sauerlandt. Berlin 1927
3. Aus Leben und Werkstatt Emil Noldes. In: Künstlerbekenntnisse. Berlin o. J. (1924)
Das Urwesenhafte
Die Werke von VAN GOGH und MUNCH hatte ich kennengelernt, begeistert verehrend und liebend . . . Versuchend arbeitete ich dauernd immer weiter, zuweilen einige leuchtend verbundene Farben ein wenig mir genügten, und dann wieder war alles dunkel. - Mit den Mitteln des Impressionismus schien mir ein Weg beschritten, kein Ziel, das mir genügte - anderes und mehr als bisher, das Tiefstliegende zu fassen. (1) Ich möchte so gern, dass meine Bilder mehr sind, keine zufällige schöne Unterhaltung, nein, dass sie heben und bewegen und dem Beschauer einen Vollklang vom Leben und menschlichen Sein geben. - Die Urmenschen leben in ihrer Natur, sind eins mit ihr und Teil vom ganzen All... Ich male und zeichne und suche einiges vom Urwesen festzuhalten. Die künstlerischen Erzeugnisse der Naturvölker sind ein letztes Überbleibsel einer Urkunst. (2) Die Kunstäußerungen der Naturvölker sind unwirklich, rhythmisch, ornamental, wie wohl immer die primitive Kunst aller Völker es war - inklusive die des germanischen Volkes in seinen Uranfängen. - Das Absolute, Reine, Starke war meine Freude, wo ich es fand, von primitiver Ur- und Volkskunst an bis zur höchsten Trägerin freier Schönheit. - Die Bilder, welche ich auf den Südseeinseln malte, entstanden künstlerisch unbeeinflusst von exotischer Art zu bilden, . . . blieben in Empfindung und Darstellung so heimatlich nordisch deutsch, wie alte deutsche Plastiken es waren - und ich selbst es bin. - Alles Ur- und Urwesenhafte immer wieder fesselte meine Sinne. Das große tosende Meer ist noch im Urzustand, der Wind, die Sonne, ja der Sternenhimmel wohl fast auch noch so, wie er vor fünftausend Jahren war. (1)
Wie die Natur ihre Gebilde schafft
Ich will so gern, dass mein Werk aus dem Material hervorwachse. - Feste ästhetische Regeln gibt es nicht. Der Künstler schafft seiner Natur, seinem Instinkt folgend das Werk. Er selbst steht überrascht davor, andere mit ihm. (2) Ich wollte im Malen immer gern, dass die Farben durch mich als Maler auf der Leinwand sich so folgerichtig auswirkten, wie die Natur selbst ihre Gebilde schafft, wie Erz und Kristallisierungen sich bilden, wie Moos und Algen wachsen, wie unter den Strahlen der Sonne die Blume sich entfalten und blühen muss. - Farben werden vom Maler getötet oder lebend gelassen, zu höherem Sein gesteigert. - Wollen und Willen, Überlegung und Denken, alles war wie ausgeschaltet, ich war nur Maler. Und dabei entstanden immer noch meine schönsten Bilder. Die Not- und Angstschreie der Tiere folgten dem Ohr des Malers, und früh schon verdichteten sie sich zu Farben, in gellendes Gelb die Schreie, in dunkle violette Töne das Heulen der Eulen. - Sind nicht Träume wie Töne und Töne wie Farben und Farben wie Musik? Ich liebe die Musik der Farben. - Mit- oder gegeneinander: Mann und Weib, Lust und Leid, Gottheit und Teufel. Auch die Farben wurden einander entgegengestellt: kalt und warm, hell und dunkel, matt und stark. Meistens aber doch, nachdem eine Farbe oder ein Akkord wie selbstverständlich angeschlagen war, bestimmte eine Farbe die andere, ganz gefühlsmäßig und gedankenlos tastend in der ganzen herrlichen Farbenreihe der Palette, in reiner sinnlicher Hingabe und Gegenstandsfreude. Die Form war fast immer in wenigen Strukturlinien festgelegt, bevor die Farbe weiterbildend in sicherer Empfindung gestaltend sich auswirkte. Farben, das Material des Malers: Farben in ihrem Eigenleben, weinend und lachend, Traum und Glück, heiß und heilig, wie Liebeslieder und Erotik, wie Gesänge und herrliche Choräle! Farben sind Schwingungen wie Silberglockenklänge und Bronzegeläute, kündend Glück, Leidenschaft und Liebe, Seele, Blut und Tod. Schön ist es, wenn der Maler unter instinktiver Führung so zielsicher malen kann, wie er atmet, wie er geht . . . Alle meine freien und phantastischen Bilder entstanden ohne irgendwelches Vorbild oder Modell, auch ohne festumrissene Vorstellung. Ich mied alles Sinnen vorher, eine vage Vorstellung in Glut und Farbe genügte mir . . .
Phantastisch sein im Werk ist schön, phantastisch sein wollen ist blöd. Wenn die Bodennähe im romantisch phantastischen Schaffen mir zu verschwinden schien, stand ich suchend wieder vor der Natur, Wurzeln in die Erde versenkend und demütig in vertieftem Sehen. (1)
Die Auswertung von Säuren und Metall [bei der Radierung] hatte vor mir noch keiner in dieser Weise getan. - Ich legte die gezeichnete und mehr oder weniger zugedeckte blanke Kupferplatte in das Giftbad, nuancenreiche mich selbst überraschende Wirkungen erzielend. - Technik ist nur Technik und an sich nichts als ein Mittel. Technik kann unkünstlerisch sein, wenn sie brilliert. (1) Die Radierungen nun sind voller Leben, ein Rausch, ein Tanz, ein Wiegen und Wogen in Tönen. Sie gehören nicht zu der Kunst, welche gemächlich im Lehnstuhl genossen werden kann, sie verlangen, dass der Beschauer im Rausch mitspringt. (3)
Äußerer Eindruck und inneres Bild
Einige Male bin ich gefragt worden, ob denn ich gar kein Interesse an Menschen nähme, weil anscheinend ich so wenig hinschaue. "Doch sehr", sagte ich, "vielleicht nur anders als üblich." In einer zwölftel Sekunde soll das Auge den Eindruck aufnehmen können, und weiteres Verweilen am Objekt ist Privatvergnügen. Aber auch, wenn man Menschen nur halb ansieht, dann werden sie einfacher und größer. Die Freunde, die Feinde und auch die Indifferenten, sie alle sind meine Helfer, wenn aus dem Unterbewussten sie hervorsteigend sich wieder melden. Sie sind meine Bilder. Lachet, jubelt, weinet oder seid glücklich, ihr seid meine Bilder, und der Klang eurer Stimmen, das Wesen eurer Charaktere in aller Verschiedenheit, ihr seid dem Maler Farben. (1)