Mittelmäßige Künstler

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"Während Käthe sich in trübes Träumen verlor, stand der, auf den sie wartete, ruhig vor seiner Staffelei, behaglich mit seinem Collegen und Freunde, Lorenz von Hellbach, plaudernd. Hellbachs Atelier lag auf demselben Corridor, unmittelbar neben dem Atelier Michaels.

 

   Beide waren positive, genußsüchtige Naturen. Was etwa unsterblich in ihnen war, entzündete sich an dem Feuer ihrer Kunstbegeisterung. Diese Begeisterung war echt. Sie hielten das Künstlerthum für die Achse, um die die Welt sich dreht. Gleichartiges in ihren Lebensschicksalen und in ihren künstlerischen Bestrebungen hatte sie zu einander geführt. Beide hatten, um die Arbeit mühsamen Emporklimmens zu sparen, reiche Frauen geheirathet. Beide stimmten darin überein, es müsse in der Malerei etwas Neues, noch nie Dagewesenes gemacht werden. Hellbach hatte es anfangs mit dem Ultra-Naturalismus versucht und mit Vorliebe alte Weiber und zerlumpte Bettler gemalt. Modelle dazu fanden nur in seinem Atelier Einlaß, wenn sie der Verpflichtung, sich acht Tage nicht zu waschen, nachgekommen waren. Er behauptete, es so weit in seinem Hypernaturalimus gebracht zu haben, daß man an einem Brotkrümchen im Bart seines Bettlers oder an einem Fleck auf seinem Rock unterscheiden könne, ob das Krümchen von Schwarz- oder Weißbrot, oder ob der Fleck von Obst oder Fett herrühre.

 

   Er hatte einige Erfolge zu verzeichnen gehabt, aber er wollte elektrisiren. Die Concurrenz auf diesem Gebiet war zu groß, und Größere als er errangen die Palme. »Ein mittelmäßiger Schuster ist erlaubt,« äußerte er einmal, »ein mittelmäßiger Künstler aber ist lächerlich.«"

 

 

[Dohm, Hedwig: "Werde, die du bist!" Wie Frauen werden. Zwei Novellen, 1894.

Neuausgabe: Wie Frauen werden: Zenodot, Berlin 2007]