Malerkunst

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Kapitel XXIV.

                                       

De pictura

oder

Von der Malerkunst

 

 

 

Derohalben ist die Malerei eine recht wunderliche Kunst, welche bestehet in einer fleissigen Nachahmung der natürlichen Sachen, und Darstellung der Lineamenten mit allerhand Farben. Diese ist vor Zeiten in solchem Wert gewesen, dass ihr der erste Grad der freien Künste ist zugeteilet worden, und hat mit der Poesie gleiche Freiheit, wie der Poet Flaccus gesaget:

 

     Pictoribus atque Poetis

     Quaelibet audendi semper fuit aequa Potestas.

 

Das ist: Die Maler und Poeten haben allezeit gleiche Macht gehabt, sich etwas zu unterstehen. Daher wird auch die Malerei eine stillschweigende Erdichterkunst, die Erdichterkunst aber eine redende Malerei genennet, also sind sie miteinander verwandt. Denn gleich wie die Poeten also auch die Maler erdichten Historien und Fabeln, und exprimieren alle Sachen durch Ähnlichkeit, Schatten und Licht. Überdieses hat die Malerkunst auch dieses aus der Optica, dass sie das Gesicht betrüget und dass sie in einem Bilde unterschiedene Entfernungen nach dem Standpunkt für Augen stellet, und was die Bildhauerkunst nicht verrichtet, dazu kann diese kommen.

 

Sie malet das Feuer, Strahlen, Licht, Donner, Hagel und Blitz, den Untergang, Morgenröte, Dämmerung, Nebel und repräsentiert der Menschen Gemütsbewegungen und Affekten, ja bald die Stimme selbsten und stellt mit ihren erdichteten Ausmessungen und Gleichförmigkeiten die Sachen, die da nicht sind als wären sie, und die da sind als wären sie nicht, uns für Augen; wie von dem Maler Zeuxi und Parrhasio die Historienschreiber erzählen, welche, als sie miteinander wegen des Vorzugs gestritten, und der erste so ähnliche Weintrauben, dass die Vögel davon zu fressen dazu geflogen, der andere aber einen Vorhang gemalt; als nun der, so die Vögel hierzu fliegend gemacht, begehrte, man sollte das Tuch wegnehmen, dass man das Gemälde sehen könnte, so ist dieser gezwungen worden, jenem den Vorzug zu lassen, weil er die Vögel, jener aber den Künstler selber betrogen hätte. Und Plinius erzählet, dass in des Claudii Gemache ein solch admirabel Bild gewesen, dass die Raben wären zugeflogen und betrogen worden. So hat man auch zur Zeit des berühmten Triumvirats erfahren, wie eben Plinius schreibt, dass man durch einen gemachten Drachen den Vögeln den Gesang hat verbieten können.

 

Überdieses hat die Malerkunst auch dieses an sich, dass mehr unter derselben verstanden als gesehen wird, wie solches der Plutarchus fleissig in seinen

»Bildern« erforschet und gesaget hat: obgleich diese Kunst gross ist, so ist doch das Judicium darüber noch grösser.