Eichendorff - Zitate

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"Mein unruhiges und doch immer in sich selbst verschlossenes Gemüt bekam nun auf einmal die erste entschiedene Richtung nach außen. Ich warf mich mit einem unerhörten Fleiße auf die Malerei und streifte mit dem Gelde, das ich mir dadurch erwarb, in Italien herum. Ich glaubte damals, die Kunst werde mein Gemüt ganz befriedigen und ausfüllen. Aber es war nicht so. Es blieb immer ein dunkler, harter Fleck in mir, der keine Farben annahm und doch mein eigentlicher, innerster Kern war. Ich glaube, wenn ich in meiner Angst einen neuen Münster hätte aus mir herausbauen können, mir wäre wohler geworden, so felsengroß lag immer meine Entzückung auf mir. Meine Skizzen waren immer besser als die Gemälde, weil ihre Ausführung meistens unmöglich war. Gar oft in guten Stunden ist mir wohl eine solche Glorie von nie gesehenen Farben und unbeschreiblich himmlischer Schönheit vorgekommen, daß ich mich kaum zu fassen wußte. Aber dann war's auch wieder aus und ich konnte sie niemals ausdrücken. - So schmückt sich wohl jede tüchtige Seele einmal ihren Kerker mit Künsten aus, ohne deswegen zum Künstler berufen zu sein. Und überhaupt ist es am Ende doch nur Putz und eitel Spielerei. Oder würdet ihr den nicht für töricht halten, der sich im Wirtshause, wo er übernachtet, eifrig auszieren wollte? Und wir machen so viel Umstände mit dem Leben und wissen nicht, ob wir noch eine Stunde bleiben!"

 

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"So durchstreifte ich fast ganz Italien nach allen Richtungen, ich fand sie nimmermehr. Als ich endlich, erschöpft von den vielen Zügen, auf den letzten Gipfeln der Schweiz ankam, schauderte mir, als ich da auf einmal aus dem italienischen Glanze nach Deutschland hinabsah, wie das so ganz anders, still und ernsthaft mit seinen dunklen Wäldern, Bergen und dem königlichen Rheine dalag. - Ich hatte keine Sehnsucht mehr nach der Ferne und versank in eine öde Einsamkeit. Mit meiner Kunst war es aus.

 

   Dagegen lockte mich nun bald die Philosophie unwiderstehlich in ihre wunderbaren Tiefen. Die Welt lag wie ein großes Rätsel vor mir, die vollen Ströme des Lebens rauschten geheimnisvoll, aber vernehmlich, an mir vorüber, mich dürstete unendlich nach ihren heiligen, unbekannten Quellen. Der kühnere Hang zum Tiefsinn war eigentlich mein angebornes Naturell. Schon als Kind hatte ich oft meinen Hofmeister durch seltsame, ungewöhnliche Fragen in Verwirrung gebracht, und selbst meine ganze Malerei war im Grunde nur ein falsches Streben, das Unaussprechliche auszusprechen, das Undarstellbare darzustellen. Besonders verspürte ich schon damals dieses Gelüst vor manchen Bildern des großen Albrecht Dürer und Michelangelo. Ich studierte nun mit eisernem, unausgesetztem Fleiß alle Philosopheme, was die Alten ahneten und die Neuen grübelten oder phantasierten. Aber alle Systeme führten mich entweder von Gott ab, oder zu einem falschen Gott.

 

   Alles aufgebend und verzweifelt, daß ich auf keine Weise die Schranken durchbrechen und aus mir selber herauskommen konnte, stürzt ich mich nun watend, mit wenigen lichten Augenblicken schrecklicher Reue, in den flimmernden Abgrund aller sinnlichen Ausschweifungen und Greuel, als wollt ich mein eigenes Bild aus meinem Andenken verwischen. Dabei wurde ich niemals fröhlich, denn mitten im Genuß mußte ich die Menschen verhöhnen, die, als wären sie meinesgleichen, halb schlecht und halb furchtsam, nach der Weltlust haschten und dabei wirklich und in allem Ernst zufrieden und glücklich waren. Niemals ist mir das Hantieren und Treiben der Welt so erbärmlich vorgekommen, als damals, da ich mich selber darin untertauchte."

 

[Eichendorff: Ahnung und Gegenwart, 1815]

 


 

"Die sogenannte klassische Poesie der Alten verhält sich zu der romantischen ungefähr wie die Plastik zur Malerei. Dort die Schönheit der menschlichen Gestalt versteinert und das tote Auge; hier das rätselhafte Spiel des Lichts in wunderbaren Farben und das lebendige Auge, durch das man in die geheimnisvollen Abgründe der Seele schaut. Wahrheit ist in der alten wie in der romantischen Poesie, aber dort die sinnliche, endliche, hier eine übersinnliche, überirdische Wahrheit. Daher macht die praktische Sicherheit, heitere Genüge und abgeschlossene Vollendung jener alten Poesie überall den befriedigenden Eindruck eines in ihrem beschränkten und klar umschriebenen Kreise fertigen Ganzen, wie denn auch wirklich seit den Griechen weder in der Plastik noch in der antiken Dichtung, trotz aller Vorliebe und Anstrengung, etwas Besseres oder auch nur Neues erfunden worden ist. Das eigentliche Wesen aller romantischen Kunst dagegen ist das tiefe Gefühl der Wehmut über die Unzulänglichkeit und Vergänglichkeit der irdischen Schönheit und daher eine stets unbefriedigte ahnungsreiche Sehnsucht und unendliche Perfektibilität. Ihr ernster Geist ist, wie schon oft bemerkt, am deutlichsten in der sogenannten gotischen Baukunst ausgeprägt, wo die Gedanken mit allem irdischen Blütenschmuck aus der Tiefe sehnsüchtig zum Kreuze emporpfeilern in kühnen Bogen und Münstern, die fast niemals fertig geworden."

 

[Eichendorff: Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands. Paderborn 1857]