Wassily Kandinsky - Meine Holzschnitte 1938

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Meine Holzschnitte

 

In No 3/1938 druckte X Xe Siècle, Paris, einige farbige Holzschnitte nach, die Kandinsky 25 Jahre vorher, hauptsächlich für Klänge, gemacht hatte. Sein Begleittext gibt Aufschluß über die Entstehungsgeschichte seiner Holzschnitte und den Sinn seiner poetischen Texte.

 

 

 

 

Schon während vieler Jahre schreibe ich von Zeit zu Zeit «Gedichte in Prosa» und manchmal sogar «Verse».

 

Dies ist für mich ein «Wechsel des Instruments» – zur Seite die Palette und an ihrem Platz die Schreibmaschine. Ich sage «Instrument», weil die Kraft, die mich zur Arbeit treibt, immer dieselbe bleibt, das heißt ein «innerer Druck». Und diese Kraft ist es, die von mir einen Wechsel des Instruments verlangt.

 

Oh! ich erinnere mich gut: als ich anfing «Poesie zu machen», da wußte ich, daß ich als Maler verdächtig werden würde.

 

Einst schaute man den Maler «schief» an, der schrieb – selbst wenn es Briefe waren. Man wollte fast, daß er nicht mit der Gabel, sondern mit dem Pinsel essen würde.

 

Das war eine strenge Zeit, voll von genauen «Einteilungen» und sehr einfach in ihrer Logik. Wenn der Theoretiker denkt, ohne malen zu können, dann soll der Maler malen, ohne denken zu können.

Das war die Zeit der «analytischen» Welt, der definitiv abgegrenzten Spezialgebiete, deren «Grenzen» zu überschreiten man kein Recht besaß. Ein Zustand, der heute zwischen den verschiedenen Nationen und Ländern besteht. Die strenge Teilung ist vom Bereich des «Geistes» auf den der «Realitäten» übergegangen.

 

Diese «analytische Welt» in der Kunst, der Wissenschaft undsoweiter, ist seither tieferschüttert worden; man hat heute diese Standpunkte beinahe verlassen. Es ist unvorsichtig und ein Unglück, die Augen zu schließen vor einigen Tatsachen (man könnte sagen «Ereignissen»), die uns umgeben und die uns gegen die Freiheit der Synthese treiben. Um so schlimmer für die, die den Weg verriegeln wollen.

 

Es wäre jedoch übertrieben optimistisch, zu glauben, daß die analytische Zeit verschwunden wäre und definitiv ersetzt wäre durch die Synthese. Es ist noch weit bis zu ihrem Verschwinden, und sie macht alles, um die Entwicklung der kleinen Wurzel der Synthese zu verhindern. Meinetwegen! Alle «Taten», und vor allem die «Ereignisse», entwickeln sich langsam – die Wurzel braucht ihre Zeit, um recht in die Tiefe vorzustoßen und die nötigen Kräfte zu gewinnen, um ihre Pflanze ernähren zu können. Kurze Wurzel – kurzes Leben der Pflanze. Und es gibt gar keinen Unterschied zwischen der Pflanze der «Natur» und der der Natur im umfassenden Sinn.

Mein Buch Klänge, erschienen in München im Jahr 1913 (Verlag R. Piper & Cie). Das war ein kleines Beispiel synthetischer Arbeit. Ich habe die Gedichte geschrieben und habe sie «geschmückt» mit zahlreichen farbigen und Schwarzweiß-Holzschnitten. Mein Verleger war ziemlich skeptisch, aber er hatte dennoch den Mut, eine Luxusausgabe zu machen; mit besonderen Anfangsbuchstaben, handgemachtes holländisches Papier, durchsichtig, ein kostbarer Einband mit Golddruck undsoweiter. Kurz, eine Luxusausgabe von 300 Exemplaren, signiert und numeriert durch den Autor. Aber sein Mut gab ihm eine vollständige Befriedigung. Das Buch war schnell vergriffen.

 

Gemäß unserem Kontrakt hatte weder er noch ich das Recht, eine neue Auflage herauszugeben. So kann ich nur Fragmente des Buches veröffentlichen.

 

Hier also sechs Holzschnitte. In diesen Holzschnitten wie in den übrigen – Holzschnitten und Gedichten – findet man die Spuren meiner Entwicklung vom «Figurativen» zum «Abstrakten» («Konkreten» nach meiner Terminologie – exakter und ausdrucksvoller als der ge- wöhnliche Ausdruck – wenigstens meiner Meinung nach).

 

Der größte der drei Farbholzschnitte ist nicht im Buch erschienen. Er stammt aus dem Jahr 1908.

25 Jahre: das ist nach der Statistik eine Zeit, die genügt, damit eine neue Generation auf die Welt kommt und reift.

 

Es ist mir eine Freude, Ihnen meine ehemaligen Anstrengungen zu zeigen.