23 Über deutsche Malerei

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Ein Vortrag für die Freie Studentenschaft in Berlin,

ehrfurchtsvoll gewidmet dem deutschesten Künstler Max Klinger in Leipzig.

 

Über deutsche Malerei

 

 

 

Zum 30. Januar hatte ich, auf Ersuchen der Freien Studentenschaft in Berlin, einen Vortrag angenommen. Ich habe bereits schon vor einigen Jahren mehrere Vorträge in dieser jugendlichen Vereinigung gehalten. Da mich die fortwährende Koketterie der deutschen Künstler mit den ausländischen Moderichtungen und selbst mit solchen, welche zu keinem Ziele führen konnten, tief betrübte, so entschloß ich mich, in dem verlangten Vortrag den Hörern einen Spiegel vorzuhalten, und wählte das Thema: »Über das Wesen der Malerei resp. der modernen Malerei«. Tatsache ist, daß mein Vortrag sehr günstig eingeschlagen hat, und es scheint, als wenn gerade eine Aussprache über diese Fragen in meinem Vortrag zur rechten Zeit gekommen wäre.

 

Es waren zirka siebenhundert Zuhörer aller Stände anwesend; die Zeitungen schrieben insgesamt sehr günstig, und es sei erlaubt, die Notiz des Lokalanzeigers vom 31. Januar 1914 an dieser Stelle abzudrucken, um ein momentanes Bild von jenem Vortragsabend zu geben. Ich will es nicht verbergen, daß meine literarische Eitelkeit über die wohlwollende Kritik vollständig befriedigt worden ist. Die Kritik lautet:

 

»Lovis Corinth bei den Studenten. Die Kunstabteilung der Berliner Freien Studentenschaft hatte auf gestern (Freitag) abend nach der Dorotheenstraße 6 eingeladen. Der Zulauf war so enorm, daß die Türen gesperrt werden mußten. Corinth redete über das Wesen der Malerei. Der Mensch und der Redner Corinth sind nicht, wie so oft, zwei völlig verschiedene Wesen. Anspruchslos verlas er das Manuskript, das er mitgebracht hatte; er überließ es bescheiden den Hörern, in die Worte, die er sprach, die Bedeutung zu legen, die sie für ihn hatten: ein war mer, teilnahmsvoller Herzenston schwang mit und sorgte von Anfang an für die richtige Wirkung. Im Grunde war der Vortrag ein höchst persönlicher Kampfvortrag gegen die Ausländerei in der heutigen Kunst, gegen die übertriebene Nachäfferei des Französischen in der Kunst. Er versandte einen ganzen Köcher voll scharfer Pfeile, sprach sich die eigene Bewunderung für das Vortreffliche an Manet und Cézanne von der Seele herunter und mahnte immer wieder zur Selbständigkeit im Verarbeiten der gewonnenen Kunsteindrücke. Auch die Deutschen hätten doch Künstler, in denen wir uns verlieren könnten. Warum muß es immer die neueste Mode aus dem Westen sein? Wie Corinth die Auswüchse lächerlich machte, geschah oft mit so drastischem, trockenem Humor, daß wahre Lachsalven erdröhnten. Als er die letzten Pariser Götter Matisse, Picasso und Marinetti herbeizitierte und den Expressionismus, den Kubismus und Futurismus durch eigene Belege der Heerführer für sich sprechen ließ, hatte die lustige Stimmung den Höhepunkt erklommen. Die Jugend lachte und lachte – und schien ganz auf der Seite Corinths zu stehen .... Zum Schluß schrieb er ihr noch ins Stammbuch: sie solle für ihren Teil dafür sorgen, daß das Selbstbewußtsein der Deutschen gestärkt werde. ›Arbeiten und es besser machen‹, heiße der Wahlspruch allem Fremden gegenüber. Die deutsche Künstlerju gend solle die Tradition im eigenen Lande pflegen und die [98] Kräfte an sich in strengster Selbstzucht und Freiheit entwickeln. Dann werde auch schon etwas Ordentliches zustande kommen. – Mit diesen beiden guten Geistern, mit der Ermahnung, der sich die Hoffnung zugesellte, wurden die Studenten und Studentinnen entlassen.« –

 

Grade in unsrer Zeit wird jeder Kunstfreund empfinden, daß durch die verschiedensten Arten der Malereien auch die verschiedensten Ansichten und Meinungen über Kunst durcheinander geworfen werden.

 

Bei der Überfülle von Ausstellungen ist es wie in den Schaubuden auf dem Jahrmarkt: Hier hört man die moderne Kunst, dort die modernste – dort wieder die allermodernste Kunst preisen, und das liebe Publikum lauft kopflos hin und her, aber es sammelt sich doch schließlich dort am allermeisten, wo der Ausrufer am lautesten schreit.

 

In den Zeitungen lesen wir dann auch häufig, daß nun endlich selbst in Deutschland der Fortschritt und die wahre Kunst von den Wanden leuchten.

 

Diese Abhandlung aber widme ich heute der deutschen Jugend, der Jugend, welche mir stets sehr sympathisch gewesen ist, weil sie für das Gute kämpft und für das Schöne eintritt. Kämpfen müssen wir wohl alle um die Kunst, denn ein Künstler, welcher etwas erreichen will, muß mit seiner Kunst ringen wie Jakob mit dem Engel.

 

»Herr, ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.« Wie oft mag dieser Bibelvers in den Ateliers mit inbrünstigster Seele gebetet sein. Wenn ich von mir selbst sprechen soll, so kann ich wohl beteuern, daß ich weder die Manieren anderer, geschweige denn von Ausländern angenommen noch nachgemacht habe, sondern ich habe wohl alles geprüft und das zur Vervollkommnung meiner individuellen Kunst benutzt, was ich für richtig hielt.

 

Ich habe mich auch niemals geniert, meine persönliche Meinung zu sagen; gilt es doch, für die deutsche Kunst einzutreten, und es würde falsch sein, hier zu schweigen, wo ein paar Worte vom größesten Nutzen für Deutschlands Kunst sein würden. Deshalb möchte ich einiges über das Wesen der Malerei und hauptsächlich über das Wesen der »modernen« deutschen Malerei sagen. Weil ich nun alles von allen Seiten wohl überlegt und wohl beobachtet habe, hoffe ich, manches im Sinne vieler auszusprechen, was viele gedacht haben, ohne es aber laut werden zu lassen. Dennoch aber möchte ich immer wiederholen, daß meine Gedanken als rein persönliche Anschauungen aufgefaßt werden sollen. Wenn mich jemand überzeugend widerlegte? Nun so würde ich mich freuen, unrecht zu haben.

 

Man kann in der Kunstgeschichte – und die Ge schichte der italienischen Malerei ist uns dafür grade mustergültig – genau verfolgen, wie sich der eine Meister aus den vorhergehenden entwickelt hat. Wie viele Generationen Maler gehörten z.B. dazu, um ein Abendmahl auf die Höhe zu bringen, wie es Lionardo da Vinci schuf. Sein Genie hat nicht mehr Verdienst daran wie das Talent seiner Vorgänger, welche das herkömmliche Motiv vor ihm erdachten, von allen Seiten betrachteten und bearbeiteten. Gelten ist einer aus der gewohnten Bahn herausgetreten und hat Kunstwerke hingestellt, die in keine Überlieferung einzureihen möglich gewesen wäre. Eine ähnliche Sitte war noch am Anfang des vorigen Jahrhunderts. Bei der größeren Ausdehnung der Malerei dann später und bei dem leichter gewordenen Verkehr mit allen Ländern, wie es die Zeit mit sich brachte, wurde den strebenden Malern Gelegenheit gegeben, Meisterwerke nach den Originalen selbst zu studieren. Es suchte dann auch bald ein jeder seine Lieblinge und Vorbilder aus allen Ländern zusammen, und so arbeitete man in holländischer, italienischer, spanischer Manier und wie die Länder alle heißen mögen, welche sich einer besonderen Schule rühmen konnten. Allmählich wurde Paris, welches Victor Hugo das Hirn der Welt nennt, auch die Zentrale für die Malerei. Es blühte dort seit Nicolaus Poussins Zeiten ein wahrhaft wunderbarer Reichtum an Talenten auf. Paris be herrschte die ganze Welt mit seinen tonangebenden Moden, und leider ließen auch die Maler sich zu sehr und über die Maßen von den begabteren französischen Kollegen beeinflussen, und zwar so weit, daß sie diese nicht nur als Vorbilder nahmen, sondern selbst, namentlich in unsrer Zeit, glatt nachahmten. Was ein Mann vermag, wenn er von edlen Meistern sich leiten läßt und dennoch seine Eigenart behalt, zeigen der Italiener Segantini und der Holländer Israels, denn sie sind beide ohne Millet kaum zu denken. Dagegen zeigen sich die Deutschen weniger glücklich oder geschickt in der Wahl ihrer Vorbilder. Die deutsche Kleinstaaterei ließ sich zu sehr vom mächtigen Frankreich imponieren, und grade in dem heutigen Erstarken des Deutschen Reiches scheint die Schwäche der deutschen Maler um so mehr aufzufallen, weil dieselben sich vor allem in Gefolgschaft der französischen Künstler gebracht haben.

 

Je nach dem Charakter, welcher den deutschen Künstlern eigen ist, artet diese Gefolgschaft direkt in Nachahmung so aus, daß sie die heiligsten Überzeugungen der jeweiligen Mode aufopfern; es gibt sogar solche, welche ihre Ansichten verändern von Tag zu Tag, und sie wechseln ihre Malweise wie ein Paar Handschuhe. Selbstverständlich sind derartige Menschen keine Persönlichkeiten, aber bekämpfen will ich eine allgemeine unklare Sucht der Nachäfferei, die heute in Deutschland überhandgenommen hat. Sehen wir einmal, wieviel vorübergehende Moden im Verhältnis einer kurzen Spanne Zeit entstanden sind, dann beinahe vergessen und wieder begraben sind.

 

Als ich nach Berlin kam, es mögen mehrere Jahrzehnte her sein, war grade der Naturalismus in der Mode. In Berlin hinkte man immer hinter Paris nach, so daß die Mode eine geraume Zeit schon in Paris florierte, ehe sie in Berlin »kreiert« wurde.

 

Nach dem Naturalismus kamen die »Symbolisten« heran, bald darauf der »Japanismus«, und alle wurden vereinigt in dem »Impressionismus«; von dem Impressionismus gingen nun die Abstufungen weiter, und die Richtungen nannten sich »Neoimpressionismus« und »Expressionismus« und schließlich jetzt das Neueste »Futurismus« und »Kubismus«. Bei allen Richtungen war auch das jeweilige System mit dem Namen eines berühmten Malers verknüpft, welcher dasselbe gewissermaßen repräsentierte. So hatte der Naturalismus den großen Courbet zum Begründer, der Symbolismus hauptsächlich den malayischen Holländer Jan Toorop, der Japanismus den vornehmen Whistler. Mit Whistler waren befreundet und verbunden der geniale Eduard Manet, Claude Monet, Sisley, Pissarro usw. Diese stolzen Namen bedeuten zugleich die großen Maler des Impressionismus. Die weiteren Talente sind dann bekannt geworden in der heutigen Zeit: Seurat, Matisse, der Spanier Picasso. Sie lebten alle in Paris und waren mit geringer Ausnahme: Franzosen.

 

Ich würde nichts einzuwenden haben, wenn ein Deutscher in seinem künstlerischen Drange und Streben nach Vervollkommnung irgendeiner Methode – ob gut oder schlecht wäre gleichgültig – nur eine künstlerische Betätigung von diesen vielgenannten Arten selbst gefunden hätte. Dem aber ist leider nicht so, denn bis auf den totgebornen Futurismus, welcher nur durch die arrogantesten Pronunziamientos von seinen Bekennern künstlich am Leben gehalten werden kann und eine italienische Erzeugung ist, sind die Erreger der anderen Arten, wie ich schon vorher bereits gesagt habe, immer, außer Picasso, Franzosen gewesen.

 

Natürlich bin ich ein großer Bewunderer französischer Kunst; deshalb aber braucht man nicht blindlings und urteilslos alles nachzuahmen, was von Frankreich geboten wird.

 

Über den Ausdruck »modern« ließen sich noch einige Worte reden:

 

Nach meiner Meinung ist dieser Ausdruck »modern« zwiefach zu deuten: moderne Bilder sind solche, die durch alle Zeiten hindurch modern wirken, d.h. immer frisch und verständlich auf ein Publikum und den Anschein erwecken, als ob sie heute gemalt seien, trotz ihres Alters – oft von vielen hundert Jahren. Dafür sind Beispiele die Bilder von Rembrandt, Franz Hals und Velasquez. Deshalb wäre die Bezeichnung »ein modernes Bild« in diesem Sinne ein allerhöchstes Lob auf das Kunstwerk. Im andern Falle nennt man auch ein Werk »modern«, wenn es für die Zeit Interesse erweckt, in welcher es geschaffen ist, und von der auffallenden Moderichtung begünstigt wird.

 

Diese Art Bilder sind von denen geschaffen, welche heute mit Lorbeeren und Zeitungsreklamen bedacht werden und morgen vergessen sind. Während diese Modebilder der Zeit unrettbar verfallen, werden jene »modernen Bilder« bester Qualität, von denen ich vorher sprach, zuerst zwar unscheinbar, aber dann mit der Zeit immer mehr von Geschlecht zu Geschlecht bis in alle Ewigkeit hin, solange sie in gutem Zustande bleiben, wirken.

 

Seitdem die deutschen Diminutiv-Fürsten in einem imitierten Versailles die schlechten Eigenschaften der letzten französischen Könige sich nachzuahmen abmühten, war der deutsche Michel als Abklatsch seiner Fürsten schon sprichwörtlich geworden, daß er besonders schwach von eigner Überzeugung sei und deshalb die Sitten des Auslandes besonders gern anzunehmen gewillt wäre. Wir finden in den Witzblattern immer Spottverse und Karikaturen auf diese Huldi gungen auf die Fremde. Die Maler haben ebenfalls ein gut Teil abgefärbt. Schon vor mehreren Menschenaltern liebte man in München, die tonangebenden Richtungen aus Paris zu üben – nicht daraus Nutzen zu ziehen. Namentlich auf einen Maler, welcher durch sein Absehen und Imitieren fremder Bilder, bald nach Bastien-Lepage, bald nach dem Bilde »van der Goes« von Wauters, bekannt war, verfaßte ein Spötter den bissigen Vers:

 

»Und gibt es ein neues Manierle,

Gleich hat es am Schnürle

Der usw.«

 

In dieser letzten Strophe wurde der Name des Nachahmers genannt, welcher sich auf die beiden Endsilben reimte.

 

Wie ist es nur möglich, daß unsere Stadt Berlin, vor etwa fünfzig Jahren noch ein Botokudendorf in bezug auf bildende Kunst und Literatur, vor hundert Jahren und darüber, namentlich in der Zeit der politischen Schmach Preußens, den glänzendsten Dichter und die besten Maler besaß! Vor hundert Jahren dichtete Heinrich v. Kleist aus Frankfurt a.O. gegen Napoleon die »Hermannsschlacht«. Von Künstlern lebte in Berlin der geniale Schadow, der Pferdemaler Krüger, auch der junge Menzel wäre bereits zu diesen zu zählen, der große Landschaftsmaler Carl Blechen aus Rottbus. Ich hebe mit Absicht diese kleinen märkischen Städte als Heimat dieser größten Preußen hervor. Wenn wir uns im damaligen Deutschland umsehen, waren die anderen Hauptstädte, selbst München, in künstlerischer Beziehung hinter Berlin weit zurück. Vielleicht noch Wien hatte den größeren Reichtum an Musikern; die Früchte jener großen Zeit können wir, die späteren Nachkommen, noch als Sehenswürdigkeiten Berlins bewundern: das Denkmal des Großen Kurfürsten und das Zeughaus von Schlüter; das Museumsgebäude von Schinkel; auf dem Wilhelmsplatz die Standbilder der Helden des Siebenjährigen Krieges von Schadow. Eine für Berlin charakteristische und reiche Zeit, genial und künstlerisch veranlagt, und, wie es sich geziemt, sind diese herrlichen Kunstwerke, welche sich mit allen in der Welt messen können, mit einem lütten Schuß Preußentum verquickt. Sollte es denn nicht möglich sein, daß wir uns an diese Altvorderen anschließen und in ihre Spuren treten?

 

Wenn die Kunst reformiert werden soll, so ist es immer charakteristisch gewesen, daß man auf die Primitiven einer Kunstepoche zurückgriff. Aber wohl verstanden, man benutzte die Werke der Vergangenheit nur als anregende Vorbilder, nach denen jeder Mann nach seiner Fasson das Beste herausholte und für sein Werk benutzte. Also eine durchaus richtige Art.

 

Die erste Umwälzung der Kunstrichtung entstand wohl am Anfang des vorigen Jahrhunderts. Es war die Richtung der »Nazarener«. Zum größten Teil waren es Deutsche in Rom, welche für sich die italienischen Primitiven in Anspruch nahmen. Diese Deutschen waren sogar noch so ehrlich, daß sie ganz in ihrer altchristlichen Überzeugung leben wollten und sogar vom Luthertum zum Katholizismus übertraten. Ihre Individualität hielten sie aber dennoch aufrecht; zwei deutsche Künstler gibt es, verschieden wie Tag und Nacht, die zu den »Nazarenern« gezählt wurden, das waren Cornelius und Overbeck.

 

Unter ähnlichen Tendenzen benutzten die Engländer eine Umwandlung ihrer Malerei. Dante Rossetti und Burne Jones schufen als erste eine spezifisch englische Malerei und tauften sich »Präraffaeliten«. Wenn es schon dieselben Ziele waren, welche diese beiden großen Engländer verfolgten, so waren sie doch nach ihrer Individualität himmelweit voneinander verschieden.

 

Mir scheint diese englische Bewegung in der Malerei der Schotten auszuklingen, welche wieder in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in München eine Mode zum soundsovielsten Male neu erweckten. Von den Präraffaeliten an war Botticelli – ein Vorgänger Raffaels – ihr Gott gewesen. Aber wenigstens war Botticelli, wenn nicht ein Gott, so doch ein Halbgott, und so konnte es nichts schaden, daß dieses große Vorbild auch der deutschen Kunst in der letzten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts voranleuchtete, und in der Tat sind deutsche Künstler entstanden, welche den Engländern ebenbürtig oder sogar noch bedeutender zur Seite standen. Ich nenne vor allem Hans v. Marées, – in gewissem Sinne Feuerbach, – ferner Arnold Böcklin und Moritz v. Schwind.

 

Aber heutzutage kommen wir auf das kindische Stammeln der verächtlichsten Naturvölker zurück: die Anpinseleien der Zelte von Indianern und die Tongefäße der Hottentotten und Kaffern. Diese Vorbilder wurden Ideale, denen man nacheifern wollte. Kunsthändler bewiesen ihren modernen Geschmack, indem sie auf Plakaten mit großen Buchstaben »Negerkunst« aufdrucken ließen.

 

Der Philosoph Schopenhauer sagt:

 

»Eine Wissenschaft kann jeder erlernen, wenn auch der eine mit mehr, der andere mit weniger Mühe, aber von der Kunst erhält jeder nur so viel, als er unentwickelt mitbringt. Denn die Kunst hat es nicht wie die Wissenschaft bloß mit der Vernunft zu tun, sondern mit dem innersten Wesen des Menschen, und da gilt jeder nur so viel, als er wirklich ist.«

 

Ferner spricht er von dem Menschen mit Genie:

 

»Es ist ein Instinkt eigner Art, vermöge dessen das geniale Individuum getrieben wird, sein Schauen und Fühlen in dauernden Werken auszudrücken, ohne sich dabei eines ferneren Motivs bewußt zu sein.«

 

Nun, verehrte Leser! Die Spielereien mit der Indianer- oder Negerkultur schlagen den Ausführungen des klugen Schopenhauer mitten in das Gesicht.

 

Das Spielen mit dem Naiven der Naturmenschen ist nicht der Instinkt des Genies, noch hat es mit dem innersten Wesen des Menschen von heutzutage irgend etwas zu tun, sondern es ist eine Klügelei mit der Vernunft eines ganz blasierten Modemenschen, welcher auf dem Sofa lebt und mit den raffiniertesten Luxusgegenständen umgeben ist. Was einst eine gefühlvolle unbeholfene Ausdrucksform war, wird jetzt von gefühllosen blasierten Menschen ausgenutzt und zu einer Geschmacksrichtung gestempelt. Deshalb ist der Künstler, welcher eine derartige Naivität kultiviert, nach Schopenhauerschem Ausspruch im besten Falle ein unmoralischer Wissenschaftler. Sollte der Deutsche in der Tat von neuem anfangen und alles, was er gelernt hat, vergessen und dagegen kindliche Einfalt eintauschen, so gedenkt man unwillkürlich der Bibelworte Christi: »Wenn ihr nicht werdet wie die Rinder, so ist euer nicht das Himmelreich.« Es sollte jedoch denen, welche die Einfalt posieren, wohl weidlich schwer fallen, den Worten Christi zu folgen. Denn heute ist die Klügelei und die spitzfindige Spekulation Trumpf geworden. Da wird von dem goldenen Schnitt erzählt, von den Komplementärfarben und von den modernen Gesetzen, unter denen ein Kunstwerk jenseits der Vogesen entstanden sein soll. Durch diese Schablone wird das eine Bild genau wie das andere, und diese Ähnlichkeit untereinander ist das Hauptmerkmal aller modernen Bilder überhaupt; denn sie werden über denselben Leisten geschlagen, und jede charakteristische Individualität geht hierbei verloren. In den Kunstwerken muß aber die Persönlichkeit des Künstlers zutage treten: wenn zwei Maler denselben Gegenstand sehen, schon ist er in der Auffassung beider verschieden auf die Leinwand gebracht. Deshalb ist die Schablone- und Rezeptmalerei, die nur Ähnliches als Ziel anstrebt, zu verwerfen.

 

Für den Durchschnitt und für die Mittelmäßigkeit der kleinen Köpfe mag diese Erziehungspresse eventuell brauchbar sein; aber freuen würde ich mich, wenn unsre Zeit einen Mann hervorbrächte, der mit einem Fußtritt diese mathematischen Klügeleien über den Haufen schmeißt und wieder herrscht durch seine instinktive malerische Schaffenskraft.

 

Der Instinkt und das Gefühl werden erstickt, und niemals wird die deutsche Kunst wieder erweckt werden, solange man auf die Parole des westlich liegen den Auslandes wartet.

 

Man streitet und hört behaupten, die Kunst sei international. Einige wenige, darunter ich auch bin, sagen, daß die Kunst im höchsten Grade national wäre. Ich denke, daß, wie Sprachen und die Menschen an und für sich von jeder Rasse verschieden wären, ebenso auch die edelste Beschäftigung des Menschen – und das ist doch ohne Zweifel die Kunst – je nach der Nation charakteristisch sein müßte. Beileibe will ich aber nicht, daß deutsche Kunst das Gemüt gepachtet habe: ein krähender Hahn auf dem Misthaufen oder ein Geiger bei [103] Vollmond ist noch lange keine deutsche Malerei. Wie deutsche Kunst entstehen soll? Darum ist mir nicht bange. Sie kommt ohne unser Gebet: durch strengste Arbeit und Ausbildung der eignen Persönlichkeit. Freilich gehört eine jahrhundertlange Kultur dazu, wie sie z.B. Frankreich besitzt. Aber kommen wird sie, die Wahrheit ist stärker als alles. Ich möchte der nationalen Kunst nur die Wege bereiten.

 

Seit einiger Zeit ist eine neue Bewegung in der Malerei durch die ganze Welt gegangen. Der Vater aller modernen Richtungen, der Urheber, welcher alle Künstler fasziniert hat, war der Franzose Cézanne.

 

Vielleicht entsinnt sich die Freie Studentenschaft, daß ich im alten Sezessionshause für ihn eine Lanze brach. Cézanne ist in der Tat ein großes Genie, auf den sein Vaterland mit Recht stolz sein kann.

 

Bei uns in Berlin trat er zuerst – es war um 1900 – mit einer größeren Kollektion auf. Wie bei allen Genies, wurde er zuerst als etwas ganz Fremdartiges vom Publikum abgewiesen. Erst durch den Schriftsteller Zola, welchen wir nun auch überwunden haben, wurde das Publikum aufmerksam, und durch eine Richtigstellung, die ich später anführen werde, noch interessanter gemacht, war Cézanne die letzten Jahre in Paris schon längst anerkannt, als er für Berlin als ein ganz Neuer auftrat. Die Zeit des Naturalismus hatte aus Zola den berühmtesten Romanzier gemacht. Damals kannten wir alle seine Romane der Geschichte der Familie Rougon et Macquart, vor allen Dingen verschlangen wir seinen Künstlerroman: »Das Oeuvre«. Den Helden im Oeuvre nannte Zola einen Maler »Claude Hantier«. Er hat in diesem Roman den ersten Salon der Refüsierten beschrieben, und namentlich schildert er ein Bild so deutlich, daß alle Welt das berühmt gewordene »Dejeuner sur les herbes« von Manet erkannte. Also mußte wohl das Modell des Claude Hantier der berühmte Manet sein, welcher damals ganz Paris mit seinen Bildern auf den Kopf stellte. Aber bald wurde man belehrt, daß der Südfranzose Cézanne das Modell des Helden im Roman war; denn in dem vorhergehenden Romane: »Ventre de Paris«, war er ebenfalls mit demselben Namen Claude Han tier noch ähnlicher grade mit seinen bekannteren Stilleben geschildert. Dieses mag dazu beigetragen haben, seinen Namen bekannt zu machen. Ich füge ausdrücklich hinzu, daß Cézanne mit seinem Genie diese Art nicht nötig hatte. Dafür sorgen schon seine Werke. Wenn nun ein deutscher Maler schon so spucken und sich räuspern will, so soll er nicht vergessen, daß Cézanne als Südfranzose seine Landschaften und seine Menschen gemalt hat; und die Sonne scheint doch wohl anders auf die Provence als auf die Mark Brandenburg.

 

Aber seine Stilleben könnte man doch mit denselben Gegenständen zusammenstellen wie er? Natürlich! der deutsche Maler verwendet genau dieselben Früchte: Melonen, Bananen, Apfel oder Birnen, umzieht sie mit blauen Konturen, nicht zu vergessen den schiefgezeichneten Topf mit allzu großer Aufsicht und vor allen Dingen die spitze – gegen alle Gesetze der Perspektive Hohn sprechende – Tischecke, und der Cézanne ist fertig. Durch die besagte Tischecke ist er so gut wie signiert. Aber wehe dem Imitator, welcher leichtsinnigerweise einen Gegenstand wählt, der nicht in dem Verzeichnis Cézannischer Stilleben vorkommt! Er wird in keine geringe Verlegenheit geraten, da er dann nicht weiß, in welcher Art wohl Cézanne diesen unbekannten Gegenstand gemalt hätte.

 

Es ist wohl kein Zufall, daß Gauguin und von Gogh, welche mit Cézanne kongenial waren, ebenfalls nach Südfrankreich gegangen waren, um ihre Kunstwerke in demselben Sinne zu schaffen wie Cézanne.

 

Gauguin geriet sogar bis zu den Südseeinseln und verwies auf diese praktische Weise, indem er selbst mit den Bewohnern der Südsee verkehrte, nächst Matisse später auf die primitive Richtung der naiven Naturvölker.

 

Cézanne aber starb, ohne die geringste Ahnung gehabt zu haben, welchen Eindruck er auf die moderne Malerei erzeugt hatte. Er war ein zu großer Charakter, daß er sich noch sonst um etwas anderes gekümmert hätte als um seine Bilder. Er malte, was er sah, nach seiner individuellen Empfindung; die Natur war ihm das höchste Ziel. Dem Kunstpublikum und den flacheren Malern war dieser fürchterliche Ernst zu unheimlich, als daß seine Art noch lange zur Nachahmung angespornt hätte. Er konnte noch lange leben, ohne daß er den weit geschickteren und meinetwegen eleganteren Manet besiegt hätte. – »Der geschickte und elegante Manet.« – Mir tut es immer leid, diese glänzenden Männer mit derartigen trivialen Eigenschaftswörtern bezeichnen zu müssen.

 

Vielleicht wäre durch die Schwierigkeit, Cézanne zu verstehen und nachzuahmen, diese moderne Note Deutschland erspart geblieben, wenn nicht ein viel ge wandterer, die Welt besser kennender Künstler an seine Stelle getreten und der Dolmetsch für Cézanne geworden wäre. Dieser Künstler heißt Matisse. Matisse ist ebenfalls ein begabter französischer Künstler, so begabt, wie es nur ein Franzose sein kann; aber trotz seines Talentes war er doch nur ein Epigone Cézannes. Viele Lorbeeren konnte er wohl nicht in der Art Cézannes ernten, denn Cézanne war alt genug geworden, und seine Bilder waren dem allgemeinen Publikum doch nicht angenehm oder verständlich genug. So erfand er ein zugkräftigeres System, woran wir immer noch in der Modemalerei leiden: »den Negerstil« – ich wüßte wenigstens keinen andern zutreffenderen Namen für dieses System zu finden.

 

Mit dieser neuen Lehre hatte Matisse den größten Erfolg, welchen ein Mensch in verhältnismäßig jungen Jahren erringen konnte. Die Schüler strömten ihm nur so zu. Neben den Rumänen, aus welchen sein Hauptkontingent bestand, waren ebenso viele Deutsche seine Schüler. Er hatte als Lehrer den größten Ruhm und wirkte auf seine Schüler geradezu dämonisch. Wollte ein dreißigjähriger deutscher Jüngling, mit allen Kenntnissen ausgerüstet, bei Matisse noch den letzten Schliff aus Paris holen, so geschah ein Wunder: zur Verwunderung all seiner Bekannten kehrte er nach kaum dreimonatiger Abwesenheit als ein ganz andrer heim, als er ausgegangen war. Als blonder rosiger »allemand« ging er hin, als Kongoneger kam er zurück, in der Mappe nur einige Kurvenstudien, wie von Negerknaben gemacht. – Der Lehrer machte sich aber recht lustig über die schnelle Charakteränderung seiner deutschen Schüler.

 

Nicht allein die geistige Art kopierten seine Schüler auf das genaueste, sondern auch sein äußeres Gehaben. Zum Beispiel pflegte er seine Zeichnungen auf doppelte Blätter zu unterkleben, so daß das untere Blatt das obere um mehere Millimeter ringsherum überragte und es quasi als eine Einrahmung anzusehen war. Auf allen Ausstellungen erkannte man bereits an diesem Papier die Schule von Matisse. Und dennoch möchte ich tausend gegen eins wetten: Gesetzt den Fall, es käme aus Paris eine Zeitungsnotiz: »mir seiner Kunst ginge es zu Ende«, es würde ihn niemand bei uns vertreten, sondern alle, seine Schüler in erster Linie, würden ihn vielmehr verleugnen.

 

Von Matisse spricht man heute nicht mehr soviel wie noch etwa vor zwei Jahren. Das Auftauchen und Verschwinden einer Pariser Mode geht noch schneller dort als bei uns in Berlin.

 

Es wäre zu befürchten gewesen, wenn Matisse allein in Paris die Mode regiert hätte, daß er seinen verdienten Lohn erhalten hätte, denn schließlich gewöhnt man sich auch an das Bizarrste, und Gewohnheit macht uninteressant. So hätte ihn der Kunstjournalis mus zum Akademiker oder Klassiker ernannt; das heißt auf gut deutsch: seine geistige Todeserklärung. Zu seinem Glück trat mit einer neuen Lehre Picasso auf. Ähnlich seinem Vorgänger Matisse birgt auch Picasso zwei Seelen in seiner Brust. Es würde scheinen, als wenn diese Doppelseele für unsere Zeit notwendig sein müsse. Sowohl Matisse als auch Picasso sind in ihrer wahren Art Epigonen gewesen. Matisse von Cézanne und Picasso von Puvis de Chavanne; daneben läuft ihre selbständige Erfindung des Systems: Matisse fand den Stil der Naturvölker und Picasso den Kubismus. Beide sind berühmter durch diese Spekulation als eigenste Erfindung geworden als durch ihre ureigene Art zu malen, wie sie es im Sinne ihrer Vorbilder getan hatten. Der Kubismus hat wohl niemals Gegenliebe gefunden. Jeder hohnlächelt über seine unverständliche Methode. Jedermann sucht das Bild wie ein Vexierbild nach seinem Titel zu enträtseln, und dennoch ist das gerade das Bewundernswerteste, daß die ganze Welt zugunsten des Kubismus eingeschworen zu sein scheint. Vielleicht haben wir in unsrer Zeit einen besseren Nährboden für all dieses absonderliche, aber auffallende Getue. Aber vielleicht ist es ein anderes »Vielleicht« : nämlich daß unsere Zeit ähnlich der Verfallzeit der alten Roma war, als jener Römer seinen moralischen Katzenjammer in die Welt schrie: »mundus vult decipi!«

 

Der Kubismus ist jedenfalls als System genommen das charakteristischste und subjektivste aller Systeme, und deshalb tötet er von vornherein die Individualität aller derer, die ihm anhangen. In der Öffentlichkeit zeigen sich diese Anhängerschaften bei uns Gott sei Dank noch nicht, aber ich zweifle nicht daran, oder der Deutsche wäre kein Deutscher, wenn nicht mancher im stillen Kämmerlein sich abstrapaziert, um auch das Würfelsystem mitzumachen. Deshalb sind wir, weil die letzte Mode des Kubismus noch nicht so auffallend, in die Augen springend kultiviert wird, noch nicht befreit von dieser Methode, und die moderne deutsche Malerei ist trotzdem von Matisse und Picasso abhängig.

 

»Die italienische Kunst«, sagt der große Michel Angelo, »die italienische Kunst stammt vom Himmel ab«; leider können wir von unserer deutschen Kunst eine so edle Abstammung nicht rühmen. Wir müssen eher sagen: »Die deutsche Kunst stammt von einem Paar Französlingen ab.«

 

Sollte ein Unterschied gemacht werden zwischen den drei Manieren: der Matisseschen Manier, dem Kubismus von Picasso und dem Futurismus der Italiener Marinetti und Boccioni, so muß unstreitig die Palme dem Futurismus zuerteilt werden, weil die Futuristen durch ihre Pronunziamientos jedem, der es mit der Kunst ernst meint, in ihrer zynischsten Weise zeigen, daß sie auf alles, ausgenommen auf sich selbst, spucken. Die Futuristen betreiben nur zum Teil die Kunst; sie sind »Allerwelts-Anarchisten«, »Gernegroße«. Bei ihnen ist Diebstahl eine Heldentat, und deshalb kann man ruhig sagen, ihre Glaubensbekenntnisse haben sie von unsern großen Deutschen Max Stirner und Nietzsche »entliehen«. Sie leiden unter dem Fluch, eine große Erbschaft ihrer Ahnen schlecht angewandt zu haben. Wie alle Verschwender, rühmen sie sich noch damit einer großen Tat.

 

In der futuristischen Zeitung »Lacerba«, Firenze, vom 15. September 1913 lesen wir ihre Bekenntnisse, welche mir ein bekannter Kollege übersetzt hat. Ich füge noch vorher hinzu, daß ihre Ausdrücke so mittelalterlich deutlich sind, daß unsere keusche und prüde Polizei kaum eine derartige Sprache erlauben würde. Also die Futuristen schreiben über ihre Gegner:

 

»Wir nennen Euch durch Worte, durch Andeutungen, durch Erklärungen das, was Ihr seid: Trottels, Idioten, Cretins, Verblödete, Gehirnerweichte« usw.

 

»Zu gleicher Zeit geben wir Euch zu verstehen das, was wir sind: Höhere Intelligenzen, höhere Menschen, voll von Talent und selbst von Genie.«

 

»Ihr seid die Dummen und wir die Intelligenten. Wir nennen Euch immer Idioten, während Ihr uns fast nie Idioten nennt, höchstens Verrückte oder Verbrecher – aber Idioten höchst selten, es sei denn im ge heimen.«

 

»Auf dem Gebiet der Kunst ist es nötig, mit Revolvern zu knallen auf alle die Künstler, welche heute in Italien Ruhm genießen. Man muß in Italien die Einheit der Gehirne schaffen und die beständigen Antithest zerstören zwischen Vergangenem und der Gegenwart, zwischen Gedanken und Handlungen, zwischen den Rückwärtsblickern und uns gesunden Futuristen!«

 

Schließlich: über italienische Verhältnisse können sie sagen, was sie wollen, denn sie sind, wie Fritz Reuter sagt, »die Nächsten dazu«. Aber sie begeifern auch das Ausland und die darin Lebenden.

 

In dem »Almanacco purgativo 1914« (einer Art Kalender) stehen einige Biographien über die eingebildeten Toten des Jahres, z.B. über Auguste Rodin: »Auguste Rodin, geboren zu Knogge in Belgien. Einige Historiker behaupten 1597, andere 1837. War erst Angestellter in einer Trompetenfabrik, aber mit seinem fünfzigsten Jahre fühlte er sich zur Kunst hingezogen, trat dann in eine Zementdekorationen-Werft ein, wo er die ersten Erfolge als Bildhauer hatte. Nach einigen Jahren hatte er den Prozeß wegen heimlicher Naturabgüsse. Er beschloß dann, nach Paris zu gehen, um sich der großen Kunst zu ergeben, kaufte einen Abguß der Dämmerung Michel Angelos und studierte danach Anatomie usw. usw.«

 

So sind noch ähnliche Biographien, wie von Stuck und anderen berühmten Künstlern, und ich schließe diese Blütenlese der futuristischen Kunstanschauung, indem ich es jedem ernsten Menschen überlasse, zu denken, was er will.

 

Wir wollen uns wieder in die heutige Zeit und in Berlin hineinversetzen und eine allermodernste deutsche Kunstschau über uns ergehen lassen:

 

Durch alle Räume geht ein durchaus femininer Zug und das Zeichen aller Modernität überhaupt, das ich überall da rüge, wo es mir entgegentritt: Eine fatale Ähnlichkeit aller Bilder untereinander. Nachdem wir nun an allen Wänden vorbeigesehen haben, vermissen wir leider unsre guten Bekannten, welche schon in der vorjährigen Ausstellung niedliche Fortschritte gemacht hatten. Wir können leider die Bilder dieser Bekannten nicht finden, von Schulze oder Müller, von Schwarz oder Weiß, von Voll oder Roll usw. Endlich belehrt ein Katalog uns, daß jene ganz fremdartig modern angehauchten Bilder von jenen Vermißten wären – sie waren über Nacht modern geworden. – Der moderne Maler malt nicht allein in der Art seines modernen Vorbildes, sondern er nimmt auch dieselben Gestalten, welche auf diesen französischen Bildern besonders bevorzugt werden. Daher wird der Leser immer in jeder Ausstellung oder in einem Katalog zu derselben einen Pierrot finden.

 

»Ihr nehmt Eure Ideen und die der andern und selbst die unsern ernst; wir dagegen nehmen weder die unsern noch die der andern ernst, und es kostet uns Mühe, die unsrige ernst zu nehmen.«

 

»Ihr gebt Geld aus, um Euch verhöhnen zu lassen – wir dagegen verdienen etwas, indem wir Euch verhöhnen!«

 

In demselben Blatt Lacerba vom 15. September 1913 standen mit großen Druckbuchstaben zwei Rubriken: das, was mit Rot beworfen werden soll, und das, was mit Rosen bedacht wird. Also in den Kot gezogen: Städte mit Überlieferung wie: Bayreuth, Florenz, Nürnberg, der Montmatre von Paris. Verstorbene wie: Dante, Shakespeare, Tolstoi, Goethe, Äschylos, Wagner, Beethoven, Edgar Poe, Walt Withman, Beaudelaire, Manzoni. Dagegen mit Rosen: Marinetti, Picasso, Boccioni, Apolinaire, Max Jakob, Delonnay, Matisse usw.

 

In der Lacerba vom 1. September 1913, »Gegen die Feigheit der italienischen Malerei«, ist ihr ganzes bejammernswertes Programm enthalten, welches sie uns fast bemitleiden macht: »In jedem italienischen Künstler fühlt man noch den Einfluß des Verbrechers Raffael, wie ihn Cará nennt. Dreiviertel der italienischen Malerei ist von dem Aussatz der venetianischen Malerei verseucht, und jene feierlichen Ofenschirme und religiösen Vorhangfabrikanten, jene Tizian, Tin toretto, Giorgione, Veronese sind dem italienischen Empfinden wie stinkiges Aas auf einem Felde, was blühen will.«

 

»Wir haben genug von diesen Gespenstern der Kultur, die wir ignorieren und verachten. Beethoven, Michel Angelo, Dante machen uns speien (ci rivoltano lo stomaco). Wir wollen heraus aus dieser durch die ›herrliche Antike‹ (di vecchia sublime) verpesteten Atmosphäre. Wir wollen sie umstürzen, diese uralten, wurmstichigen Heldengerippe. Seien sie nun beleuchtet durch die griechisch-lateinische Sonne oder verschleiert durch nordische Nebel. Tristan und Isolde, Siegfried, Paul und Franzeska, Orpheus, Apollo, Christus, Jungfrau von Orleans, Jupiter, Wotan, Prometheus, Lucifer und alle jene Vergewaltiger in den Büschen und alle jene ekelhaften Lüstlinge, Knabenschänder aktiver und inaktiver Art, Blutschänder der Mythologie und der Legende. Wißt ihr, was sie uns verursachen? Ekel. Wißt ihr, wozu sie uns reizen? Zum Brechen. (Stuperatori boscherecci e tutti crapuloni illibidiniti, pederasti attive e passivi e incestuosi della mythologia della legenda etc. etc.)«

 

Der sterbende Pierrot ist besonders beliebt. Weshalb? Ich kann es wirklich nicht sagen, denn ich weiß es auch nicht. Aber wie gesagt: sterbend, tanzend, singend oder springend, in einer von diesen Situationen finden Sie ihn gewiß auf einer modernen Ausstel lung.

 

Ich weiß beim besten Willen nicht, aus welchem literarischen Werk dieser französische Hanswurscht auf deutsche Bilder kommen konnte, aber wenn ich daran denken sollte, einen Pojazz – wie er bei uns in Ostpreußen genannt wird – darzustellen, würde ich gewiß und wahrhaftig unsere vortreffliche Figur, den Till Eulenspiegel, nehmen und bin überzeugt, eine neuere, interessantere Figur geschaffen zu haben, wie alle die modernen Künstler mit ihren Pierrots und Pierretten zusammen. Deshalb ist das, was den Italienern des 13. Jahrhunderts Jesus Christus von der Geburt bis zum Kreuzestode gewesen ist, den Allermodernsten der Pierrot in allen seinen Lebensphasen. Sein Kostüm wechselt vom einfachen Weiß bis zu den farbigsten Karos, wie Cézanne ihn so meisterlich in seiner ersten Roilektion in Berlin dargestellt und wohl den ersten Ansporn zur Nachahmung dieser Figur geschaffen hatte.

 

Die Aktmalerei setzt nicht minder in Erstaunen, wenn man die Menschen der Modernen sieht. Ob es weibliche oder männliche Figuren sind, so versetzen sie einen in Verwunderung darüber, daß dieselben unter den Kleidern eine derartig unmögliche anatomische Konstruktion verbergen können. Selbst die kühnsten und ausschweifendsten Phantasien eines Afrikaners können nach meiner Meinung einen Euro päer oder eine Europäerin in ausgezogenem Zustand nicht karikierender darstellen! – Oder sind die Tänzerinnen auf blauem Hintergrund von Matisse etwa was anderes als insularische Phantasien, mit dem scheinbar einfältigen Gemüt eines Malers gearbeitet, welcher jede Minute in seinem Leben die schönsten Pariserinnen als Modelle um sich sehen kann?

 

Viele Eroberungen werden diese fraglichen Damen auf dem Bilde, welches in der letzten Sezessionsausstellung war, nicht gemacht haben. Es ist wohl dieses Bild von Matisse vielen noch in Erinnerung, und man verwunderte sich desto mehr über seine sonderbaren Körperauffassungen, welche er zugunsten des Bewegungsrhythmus im Tanze auf jede lebensfähige Form der einzelnen Körperteile verzichten ließ.

 

Auf derselben Sezessionsausstellung war auch noch ein anderes, weitaus besseres Bild als »Der Tanz« von Matisse. Es stellte ein Variete dar, Musiker spielen zu dem Gesange beinschwingender Engländerinnen oder Pariserinnen. Es hatte den für mich unverständlichen Titel: »Chahut«. Dieses famose Bild war von dem Franzosen Seurat etwa um 1880 gemalt. In der langen Zeit waren die Farben so verschossen wie auf einem alten Gobelin. Das Verschwinden der Farben verursachten wohl die lichtempfindlichen nebeneinandergesetzten Farben von Cadmium, Weiß, Hellgrün und rotem Zinnober. Aber dennoch wirkte die Form, welche der Maler des Bildes so großartig meisterte, so schön, daß sein künstlerischer Geist noch das Werk in der Ruine adelte.

 

Seurat war gleich dem Franzosen Matisse und dem Spanier Picasso der Erfinder einer neuen Richtung gewesen. Es war der »Neoimpressionismus«. Diese fast ganz vergessene Malart existierte in Paris seit 1880. Ich selbst habe sie in einer Konkurrenzausstellung des Salon im Jahre 1884 gesehen. Es ist demnach der Neoimpressionismus eine recht alte und wohlbetagte Mode.

 

Vor jener längst verklungenen Zeit war der Neoimpressionismus neu, als er eine Stufe weiter als der Impressionismus diesen durch sein System an Leuchtkraft und an Farbenglut übertreffen wollte. Für den Augenblick übertrafen vielleicht auch derartig gemalte Bilder an Leuchtkraft die der Impressionisten. Ich möchte aber behaupten, daß heute Bilder von Monet oder von Manet, selbst noch älteren Datums, sich noch viel haltbarer und prächtiger in der Wirkung erhalten haben wie diese der Neoimpressionisten.

 

Vor einer Reihe von Jahren hatte die Sezessionsausstellung einen Saal den Neoimpressionisten eingeräumt.

 

Schon damals, trotzdem diese Manier von allen Manieren entschieden noch das Gesündeste in sich barg, war es auffallend, wie ein Bild dem andern glich. Der Saal hatte das Ansehen, als wenn alle Werke nach ein und demselben Rezept auf das gewissenhafteste verfertigt waren, so sehr ähnlich waren die Bilder unter sich selbst.

 

Aber die deutsche Gefolgschaft verleugnet sich auch nicht in den paar Anhängern des Neoimpressionismus. Es existieren in der Tat in Deutschland noch einige wenige, welche diese Manier auszuüben sich bemühen.

 

Sie malen unentwegt neoimpressionistisch und geben sich dem stillen Glück hin, ein Novum endlich für sich gefunden zu haben. Über die vielen Jahre hinaus, wo dieses System blühte und welkte, sind auch diese Anhänger selbst alt geworden, denn aus der Zeitung konnte man ersehen, daß ein Neoimpressionist bei bester Gesundheit sein sechzigstes Jahr erreicht hatte. Mit einem jungen und feurigen Herzen in der Brust – in deutscher Treue malen diese Anhänger heute noch immer neoimpressionistisch. Uns aber will es nicht anders erscheinen, als wenn ein Bewunderer Friedrichs des Großen noch heutzutage in Berlin mit einem Zopf herumliefe, in dem festen Glauben, daß durch den Zopf die große Zeit des großen Königs dokumentiert werden müßte.

 

Nun würden wir zu Ende sein, wenn ich auf diese Jeremiaden hin nicht die Erklärung schuldig wäre, wie diese demütigende Sucht der deutschen Imitation zu überwinden wäre. Der Dichter Hauff versuchte durch die Erzählung »Der Mann im Monde« und durch eine Vorrede dazu den deutschen Leser von seinem schimpflichen literarischen Unverstand zu befreien. Gleich Hauff möchte auch ich den deutschen Künstler von allem fremdartigen Ballast erlösen.

 

Vor allen Dingen will ich die deutsche Kunst auf dieselbe hohe Stufe gestellt wissen wie die französische. Die Mittel, mit welchen wir danach ringen, wären vollständig gleichgültig. Entweder durch ernstes Studieren guter französischer Vorbilder oder noch lieber, wie es die italienische Malerei lehrt, im Anschluß an unsere großen deutschen Künstler der Vergangenheit, von denen es schon heute eine stattliche Anzahl gibt. Vor drei Jahren ging in München eine Bestrebung von Münchner Künstlern aus, die französische Kunst in Deutschland zu boykottieren, weil Deutschland dasjenige Land war, welches die besten und willfährigsten Abnehmer französischer Kunst hatte. Man beliebte auch ein chauvinistisches Mäntelchen umzuhängen. Es wurde wieder – wie es häufig die Maler machen – das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Ich stehe heute noch auf genau demselben Standpunkt, den ich zu jener Zeit vertrat, auch schrieb ich früher einen längeren Artikel in der Zeitschrift »Pan« darüber, in welchem ich meine Meinung fast mit denselben Worten schilderte wie heute.

 

Wegen niedriger Brotkonkurrenz die französischen Kollegen boykottieren? Nein! Vielmehr ist es meine Behauptung und Meinung, soviel Konkurrenz schaffen wie möglich. Gerade die besten französischen Bilder sollen versucht werden in unsere Ausstellungen gezogen zu werden, im Wettstreit mit guten Kunstwerken kann die eigene Kraft nur gestählt werden. Es müßten auch die allermodernsten Bilder selbst herangezogen werden, daß wir fortwährend von dem Laufenden unterrichtet wären. Wir sollen uns eben daran gewöhnen, das Neueste zu sehen, ohne gleich darauf einzuschnappen und es nachmachen zu wollen. Wer meinen Lehren anhängt, dem schaffe ich keine leichte Position, vielmehr soll er sein Selbstvertrauen und seine Selbsterkenntnis stärken. Die Manieren von Matisse und Picasso sollen recht vielfältig gezeigt werden, mit Ausnahme der Futuristen, denn nach ihren Bekenntnissen sind sie ja doch nicht ernst zu nehmen, das wird uns vollkommen klar sein.

 

Wir müssen uns bemühen, mit allen übrigen Künstlern gleichwertig abgeschätzt zu werden. Einfach mit gebundenen Händen dazustehen und zuzugeben, daß jene Künstler von vornherein ohne jeden Beweis die Besseren wären, scheint mir nicht eines Deutschen und eines Nachkommen von Grünewald, Dürer und Holbein würdig zu sein.

 

Dazu gehört vor allen Dingen die strengste Erzie hung der Jugend. Es ist notwendig, dem jungen Schüler, welcher sich der Kunst widmet, ein höchstes Ziel zu stecken und dieses mit eisernem Fleiß und energischstem Willen erreichen zu lassen. Ist der Schüler in allen Arten seines Handwerks ausgebildet und im Studium und in den elementaren Arbeiten genügend gefestigt, so wird ihm nichts Fremdartiges mehr imponieren, und selten wird der Wunsch an ihn herantreten: Das da möchte ich auch so können; denn er verfolgt ein anderes Ziel, das ist, sich selbst, seine Persönlichkeit zu dokumentieren. So erstirbt jener Wunsch des Nachmachens anderer Methoden schon im ersten Gedanken der Absicht. Natürlich muß dem Schüler der breiteste Spielraum zur Ausarbeitung seiner eigenen Individualität besonders geboten werden. Dann werden wir endlich wieder ein Bild der Ausstellung haben, wie es vielfältiger nicht gedacht werden könnte. Der Schüler muß zur höchsten Einschätzung seiner eigenen Persönlichkeit gebracht werden. Was die andern können, kann ich auch und noch dazu viel besser; vor allem kann kein anderer das, was ich kann, da mein Rönnen in meiner Individualität begründet liegt. Sobald auf diese Weise ein junger Mensch die Überzeugung hat, durch sein Rönnen und im Besitz aller Mittel, die ihm anerzogen sind, auch die höchsten Aufgaben überwältigen zu können – dieser hohe Wille ist nicht Größenwahn, meine Leser, sondern höchstes Selbstvertrauen.

 

Die höchste Ehrfurcht vor den Meistern der Vergangenheit sollen wir haben, denn es ist noch kein schlechtes Zeichen, wenn wir vor unsern Ahnen noch den Respekt besitzen im Gegensatz zu den Futuristen. Wer keine Vergangenheit ehrt, hat auch keine hoffnungsvolle Aussicht auf die Zukunft, und es wäre dem Verächter seiner eigenen Vorfahren besser, einen Mühlstein zu nehmen und dorthin zu gehen, wo es am tiefsten wäre. Vor allen Dingen muß der Jugend anerzogen werden, die allerhöchste Ehrfurcht vor der Natur zu haben. Sie ist unsere Lehrmeisterin, Leiterin und Trösterin in mancher dunklen Stunde unseres Hebens. Schönere Worte, als mir zu Gebote stehen, will ich aus der »Natur« von Goethe zitieren. Wie Goethe die Natur auffaßte und anbetete:

 

»Natur!« Wir sind von ihr umgeben und umschlungen – unvermögend, aus ihr herauszutreten, und unvermögend, tiefer in sie hineinzukommen.

 

Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tages auf und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arm entfallen. Sie schafft ewig neue Gestalten: was da ist, war noch nie, was war, kommt nicht wieder. Alles ist neu und doch immer das alte. Wir leben mitten in ihr und sind ihr fremd. Sie spricht unaufhörlich mit uns und verrät uns ihr Geheimnis nicht. Wir wirken beständig auf sie und haben doch keine Gewalt über sie. Sie scheint alles auf Individualität angelegt zu haben und macht sich nichts aus den Individuen. Sie baut immer und zerstört immer, und ihre Werkstätte ist unzugänglich. Sie lebt in lauter Rindern, und die Mutter, wo ist sie? Sie ist die einzige Künstlerin aus dem simpelsten Stoffe zu den größten Kontrasten, ohne Schein der Anstrengung zu der größten Vollendung, zur genauesten Bestimmtheit immer mit etwas Weichem überzogen. Jedes ihrer Werke hat ein eigenes Wesen, jede ihrer Erscheinungen den isoliertesten Begriff, und doch macht alles eins aus.

 

Sie spielt ein Schauspiel: ob sie es selbst sieht, wissen wir nicht, und doch spielt sie es für uns, die wir in der Ecke stehen. Es ist ein ewiges Leben, Werden und Bewegen in ihr und doch rückt sie nicht weiter. Sie verwandelt sich ewig, und ist kein Moment Stillstand in ihr. Fürs Bleiben hat sie keinen Begriff und ihren Fluch hat sie am Stillstehen gehängt. Sie ist fest, ihr Tritt ist gemessen, ihre Ausnahmen selten, ihre Gesetze unwandelbar. Gedacht hat sie und sinnt beständig, aber nicht als ein Mensch, sondern als Natur; sie hat sich einen allumfassenden Sinn vorbehalten, den ihr niemand abmerken kann.

 

Die Menschen sind alle in ihr und sie in allen. Mit allen treibt sie ein freundliches Spiel und freut sich, je mehr man ihr abgewinnt. Sie treibt's mit vielen so im Verborgenen, daß sie es zu Ende spielt, ehe sie's merken. Auch das Unnatürlichste ist Natur, auch die plumpste Philisterei hat etwas von ihrem Genie. Wer sie nicht allenthalben steht, sieht sie nirgendwo recht.

 

Sie hüllt den Menschen in Dumpfheit ein und spornt ihn ewig zum Lichte. Sie macht ihn abhängig zur Erde, träge und schwer und rüttelt ihn immer wieder auf.

 

Sie hat mich hereingestellt, sie wird mich auch herausführen, ich vertraue mich ihr. Sie mag mit mir schalten, sie wird ihr Werk nicht hassen. Ich sprach nicht von ihr, nein, was wahr ist und falsch ist, alles hat sie gesprochen. Alles ist ihre Schuld, alles ist ihr Verdienst. –

 

Nun, meine hochverehrten Leser, ich habe es anfänglich absichtlich betont, daß meine Schrift von rein persönlicher Art ist. Es ist Meinung gegen Meinung. Sollte meine Meinung widerlegt werden, so mag es sein; aber das eine ist sicher: ich will den deutschen Künstler von der degradierenden Abhängigkeit des Auslandes befreien, welche um so erniedrigender ist, da niemand diese ihm aufgedrungen hat, vielmehr er selbst sich in diese Abhängigkeit wie ein Knecht begeben hat. Warum sollte nicht Frankreich durch seine jahrhundertlange Kultur und seinen Reichtum an Talenten bewundert werden? Reiner ist ein größerer Bewunderer dieses herrlichen Landes als ich selbst. – Aber Deutschland den Deutschen; wir haben das Selbstbewußtsein, auf genau derselben Stufe zu stehen, deshalb werden wir in absehbarer Zeit ebensolche bedeutenden Künstler unser eigen nennen wie die Franzosen.

 

Heute aber gilt es zuerst, frei von jeder Fessel zu sein, Freiheit ist die erste Bedingung zum Erfolge. Nehmen wir es als gute Vorbedeutung an und als eine gute Hehre, daß die Preußen vor hundert Jahren durch die letzte große Schlacht das Joch endgültig zertrümmerten, welches ihnen der größte Zwingherr, wie die Welt noch keinen seit Cäsars und Alexanders des Großen Zeiten hervorbrachte, aufgezwungen hatte.

 

Unser Wahlspruch sei:

 

»Arbeiten und besser machen!«

 

Dann kann es uns nicht fehlen, und wir müssen dahin kommen, eine hochgeachtete Stellung in der Kunst vor allen einzunehmen, wenn jeder singt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.

 

Selbständigkeit und Individualität müssen uns vollständig gewahrt bleiben! Die Selbständigkeit des Individuums müßte in dem Maße ausgebildet sein, daß niemand daran nur denken könnte: ich schriebe meine Abhandlung zur Erleichterung des eventuell Talentarmen, der nun glaubt, seine Zeit wäre gekommen, oder für die Menge, welche denkt, durch vaterländische Motive für die nationale Kunst etwas getan zu haben.

 

Nein! nichts von alledem!

 

Ich schreibe für denjenigen, der guten Willens ist, sein Alles für die deutsche Kunst einzusetzen, mit all seinem Rönnen, welches er durch gute, ernste Schule gelernt hat.

 

Er soll nun nicht mehr irgendeine Methode aus dem Auslande wählen und diese bis zu seinem sechzigsten Hebensjahr stupide verfolgen, sondern er soll mit seinem Rönnen aus sich selbst herausholen das, was ihn bewegt, und von seiner Überzeugung nicht um einen Finger breit weichen. »Nicht das, was ihr macht, ist die Hauptsache, sondern das, wie ihr's macht«, sagt Anselm Feuerbach und ihm können wir vertrauen, denn er war ein deutscher Maler und der Größten einer.