1925 Europa-Almanach

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GEORGE GROSZ

 

Pariser Eindrücke

 

Quelle: George Grosz, in: Europa-Almanach, hg. von Carl Einstein und Paul Westheim, Potsdam 1925, S. 43-46 (Auszug)

 

 

 

 

[...] Man stellt fest, daß das meiste, was in den Artikeln über Paris berichtet wird - veraltet, erdichtet und abgestanden ist. Kurz: Daß noch mit alten Maßstäben gemessen wird (wie es vielfach auch- in Bezug auf Amerika geschieht). Wenn z. B. Frankreich heute als Land geschildert wird, in dem die Freiheit regiert, und die Demokratie etwa im Gegensatz zu Deutschland Wirklichkeit geworden ist, wo Generäle nichts zu sagen haben und Diplomaten ihrem Volke verantwortlich sind, - so widerspricht dies den Tatsachen.

 

In Wahrheit richtet sich die französische Kulturproduktion wie bei uns nach den Bedürfnissen der bürgerlichen Interessen. Dessen sind sich die Pariser Künstler bis auf verschwindende Ausnahmen (Gruppe Clarté) ebensowenig bewußt, wie ihre deutschen Kollegen. Sie führen ein Atelierdasein, verstrickt in allerlei formale Probleme, aber wesentlichen Einfluß auf die Ereignisse vermögen und versuchen sie garnicht mehr auszuüben. Bis um die Jahrhundertwende heran war ja tatsächlich in Frankreich der Zeichner wie der Dichter eine aktive Kraft sozialer Entwicklung. (Man denke an Victor Hugo, Courbet, Zola, an die »L'assiette au beurre«, an Steinlen und Grandjouau).

 

Heute aber herrscht in Paris dieselbe Stagnatiom, das gleiche justemilieu wie bei uns.

 

Vereinzelte kämpfen ja noch den alten Kampf, etwa Masereel und Barbusse, die Clartéleute, aber als Außenseiter; der Begriff radikal hat seine frühere Schärfe eingebüßt. Romain Rolland, der gerne als der Künder einer besseren Menschheit zitiert wird, ist ein ebenso milder Radikaler, wie etwa Herriot als Politiker (der nicht nur äußerlich Ebert ähnelt).

 

Das uns liebe und vertraute Frankreich des revolutionären Pathos und der unversöhnlichen sozialen Satire gehört der Vergangenheit an. Man vergleiche das Witzblatt »La Charette« mit der alten »Assiette au beurre«. Der gleiche Niedergang wie etwa beim »Simplizissimus«.

 

Es nutzt nichts, sich Träumen hinzugeben - Frankreich ist heute intellektuell und geistig träge, fast abgestorben; und diejenigen, die immer von »Tradition« reden, werden feststellen, wenn sie die einzelnen Säulen der Tradition untersuchen, daß hier eine ähnliche Morschheit und Zerrissenheit vorzufinden ist, wie überall sonst in Europa.

 

Es ist auch unzutreffend, wenn behauptet wird, die französische Kunst habe nun zurückgefunden nach Jahren des Irrens und des Experimentierens zur alten »klassischen« französischen Tradition. Besonders dumm ist diese Weisheit, wenn sie, wie ich wiederholt las, ausgespielt wird gegen den sogenannten deutschen Expressionismus-gegen die dieser Kunstgattung eigenen Verzerrungen und Übertreibungen,-wenn behauptet wird, man sei drüben endgültig damit fertig und zurückgekehrt zum ruhigen Fluß der Kontur, zum edlen Aufbau der Komposition, zum klassisch-idyllischen und mythologischen Genrebild der Poussin, le Nain und Ingres etc. Man ist voll Lobpreisung und verweist dabei gern auf Picasso oder Derain, die bekanntlich schon zurückgefunden haben und nun sanft im Bett der großen französischen Überlieferung schwimmen. Sieht man sich aber solche neuen Bilder von Picasso an, so ist das erste, was auffällt: die Formen, die nicht weniger deformiert sind, als die Köpfe und Körper auf unseren geschmähten Expressionisten-Bildern (für die ich im übrigen keineswegs eintreten will), wenn mir auch die gotisch sein sollende Härte dieser Darstellungen privat besser gefällt, als die gummipuppenartigen aufgeblasenen, an Elefantiasis gemahnenden Formen bei Picasso. Wo ist da die Klassik? Wo die »edle« Linie? Das einzige, was all diese Experimente mit dem »Klassischen« gemein haben, ist ihre Langweiligkeit. Ein großer Quatsch mit der Neuklassik, - heute, wo der gesellschaftliche Boden und die sogenannten ökonomischen Bedingungen tief zerrissen sind, ungemein verschachtelt und verfahren. Heute haben die Bemühungen selbst blendender Talente, einen klassischen Stil zu schaffen, nur untergeordneten Experimentalwert - ändern aber nichts an der allgemeinen schöpferischen Stagnation. Mal ein bißchen andere Walze! Die alten klassischen Maler hatten wenigstens als wichtige Voraussetzung Inhalte. Große Geschehnisse, heroische Motive aus der Menschengeschichte; sie modernisierten Bürgerhelden auf antik, die heutigen Neuklassiker haben nur noch die »Drei Äpfel« von Cézanne - von denen doch weiß Gott schon eine frühere Generation lange genug gelebt hat. Die Klassik der heutigen kann eben nicht weniger harmonielos, ideenfeindlich, verlogen und verzerrt sein, als die übrigen sozialen Auswirkungen der bürgerlichen Klassenkultur. Bleibt letzten Endes eine mißglückte Anleihe am vergangenen großen französischen Bürgertum. Dieses Sichverwandfühlen mit der Klassik mag einen Grund haben in dem Ausruhenwollen nach dem Kriege - im Sicherheitsgefühl des Sieges. Aber eine solche Idylle muß gekünstelt und blutleer bleiben in dieser Welt der unausgetragenen Klassengegensätze, wenn diese auch auf der französischen Oberfläche weniger sichtbar sind als bei uns.