1922 Waldemar George |
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WALDEMAR GEORGE
Willi Baumeister
In den zwanziger Jahren ist Baumeister vorwiegend mit dem Mauerbild und dessen Integration in den umbauten Raum beschäftigt. Diese Problematik interssiert zweifellos auch den Maler Ozenfant und den Architekten Le Corbusier, die die Zeitschrift 'L'Esprit Nouveau• herausgeben. Waldemar George veröffentlicht darin im Jahre 1922 einen Artikel über Baumeister. Er untersucht die Wandmalerei von der Renaissance bis zur Gegenwart und entwickelt daraus bestimmte Gesetzmäßigkeiten.
Quelle: Waldemar George, La peinture an Allemagne, in: >L'Esprit Nouveau<, Nr. 15,1921/1922
Es ist unmöglich, das Werk Willi Baumeisters in der Entwicklung des Expressionismus einzuordnen, dessen Richtlinien und ästhetische Grundlagen in Frankreich völlig ignoriert werden. Dennoch soll dieser Artikel es den Lesern des >L'Esprit Nouveau< ermöglichen, die Bemühungen eines Künstlers anzuerkennen: Willi Baumeister versucht, die künstlerischen Werte zu überprüfen und den literarischen Tendenzen der zeitgenössischen Kunst in Deutschland entgegenzuwirken. Die anderen Maler jenseits des Rheins und ihre redegewandten Befürworter schätzen dagegen die expressionistische Malerei, deren Beitrag man auch nicht leugnen noch deren hohe Zielsetzung man anzweifeln sollte. Der Expressionismus versinnbildlicht eine zweifelhafte und einzigartige Verbindung zwischen der deutschen "diabolischen" Romantik, dem Primitivismus, dem Exotismus und der volkstümlichen Bildkunst. Ausdruckskunst sagt man dazu. Selbst Paul Westheim, dessen Esprit und Intelligenz ich sehr schätze, hat den deutlich mystischen Charakter der modernen Kunst in Deutschland nicht leugnen können. Der kreative Prozeß eines expressionistischen Malers beruht auf Psychologie und Ästhetik. Die sogenannte Befreiung von anatomischen und perspektivischen Regeln, eine Freiheit, die an Anarchie grenzt, die eine Verachtung für das Ursprünglichste der wieder auflebenden Tradition spüren läßt, und der Wunsch, eine imaginäre Welt zu schaffen, deren Bezug zur sichtbaren Realität nur scheinbar sein soll: Das sind die Charakteristika dieses expressionistischen Stils. In den deutsch beeinflußten Ländern ist viel Tinte darüber verschrieben worden, und die Symptome dieses Stils findet man in allen Bereichen der deutschen Kunst wieder.
Die absolute Unvereinbarkeit des französischen Kubismus mit dem Expressionismus ist für alle, die die Richtung unserer modernen Malerei kennen, klar ersichtlich. Zweifellos ist auch der Kubismus eine Ausdruckskunst. Indem aber der Kubist Farbe und Form unterscheidet, unterwirft er sieh den Gesetzen der Malkunst. Er trennt deutlich diese beiden grundlegenden Elemente eines Bildes, da seine Farben über die formalen Grenzen hinausgehen. Ohne jetzt auf den Wert einer solchen Methode einzugehen, möchte ich zumindest deren Entwicklung darlegen. Während also der Franzose nur vom Bild ausgeht und sich Freiheiten im Umgang mit der Natur herausnimmt, um spezifisch bildtechnische Probleme zu lösen, überschreitet der Deutsche seine Rechte als Maler-Arbeiter und gibt sich fast metaphysischen Spekulationen hin. Spekulationen, die er ausdrückt, ohne für sie einen Gegenwert zu finden und ohne sie in eine plastische Form umzusetzen. Von daher ist der illustrative, ausdrucksstarke und suggestive Charakter der deutschen Malerei trotz allem an das "Objekt" gebunden, das als Ausgangspunkt und Basis der künstlerischen Darstellung angesehen wird. Man kann nicht mit einem kurzen Aufsatz dem Mißverständnis, das uns von den Deutschen trennt, ein Ende setzen. Wir können hier nur einige Aspekte des Problems anreißen. Außerdem ist für einen Außenstehenden eine generelle Untersuchung der deutschen Malerei besonders durch die Meinungsverschiedenheiten erschwert, die die Expressionisten untereinander aufspalten. Ich muß mich also auf wenige Fragen beschränken, obwohl sich mir alle Ideen aufdrängen, die zur Bildung der expressionistischen Kunst geführt haben.
Die französischen modernen Maler verzerren ins Flächenhafte; sei es, um ein >Trompe-l'oeil< zu vermeiden und um die flächige Harmonie ihrer Bilder zu bewahren, sei es, um einfach die Leinwand zu füllen, wie Paolo Veronese, der in der Hochzeit zu Kanaa die Regeln der Linearperspektive verletzte, oder sei es, um den physiologischen Besonderheiten der Farben zu gehorchen. Ihre Verzerrung ist immer nur ein technisches Mittel. Die Deutschen dagegen halten diese Deformation für ein Ziel an sich und drücken auf diesem Wege Linien und Farben, Gefühle und Emotionen aus.
Ein Campendonk, der gleichzeitig von Henri Rousseau und Paul Gauguin, vom russischen Bild und von der bayerischen Hinterglasmalerei beeinflußt ist; ein Paul Klee, der mit großer Intensität Kinderzeichnungen nachahmt, oder ein Kokoschka schaffen Stimmungen und Atmosphären. Wenn ein Chagall, den sich Deutschland angeeignet hat und unter dessen Einfluß es steht, behauptet, naiv zu sein, und sich von den naturalistischen Zwängen befreit, dann verbiegt er das senkrechte Glas einer Lampe, um in seinem Bild eine Waagerechte zu erhalten. Ein solches Beispiel ist nennenswert. Die Vorliebe für das Mißgebildete in der Kunst, zu der sich das moderne Deutschland bekennt, findet nur in der Vorliebe für einfache Lösungen ihresgleichen. Kandinsky, ein weiterer Russe, den Deutschland für sich in Anspruch nehmen kann, übt eine 'reine-, gegenstandslose Malerei aus. Aber da lassen sich noch die nicht-plastischen Bedenken spüren. Die blauen Harmonien, die sich Herbst oder Tristesse nennen, bringen uns zu der schon weit zurückliegenden Epoche zurück, in der Morgan-Russel und Mac Donald Wright die synchromistische Malerei propagierten. Man kann jedoch nicht den Sinn erfassen, indem man auf die Fabeln, die ornamentalen Motive und die äußeren Effekte der Künste einer vergangenen Epoche zurückgreift. Die ästhetischen Konzeptionen, Darstellungsweisen und Maßstäbe der alten Meister können uns nur belehren und als Hilfsbrücke dienen.
Wenn das Werk Willi Baumeisters hier eine besondere Erwähnung findet, dann geschieht das, weil dieser Künstler den lobenswerten Versuch einer Läuterung unternimmt. Keine Spur von Sentimentalität in seinen Bildern und auf seinen Wandgemälden. Die Beziehungen von Winkel und Flächen sind die einzigen Ausdrucksmittel, die er verwendet. Er zeichnet sich durch Nüchternheit und Sparsamkeit aus. Von "Sorgen um die Größenordnung" gequält, Sorgen, die übrigens auch den besten französischen Malern und Architekten zu schaffen machen, bemüht er sich, Mauern und Oberflächen zu beleben bzw. leben zu lassen. Eine solche Kunst schließt die Technik vom Hell-Dunkel-Kontrast aus, da der Konflikt zwischen den Effekten des äußeren Lichts und den organischen Schatten auf dem Bild eine Beeinträchtigung des Bild-Gleichgewichts mit sich bringen kann. Der französische Künstler Albert Gleizes verzichtete - lange vor Baumeister, aber aus den gleichen Gründen - darauf, Übergänge wieder zu verdecken.
Schließlich bildet Baumeister neue Organismen. Er lehnt die Darstellung natürlicher Formen ab. Seine Kunst ist ideographisch. Der Symbolismus von Baumeister, ein Symbolismus, der übrigens dem plastischen Charakter seiner Werke nicht nachteilig werden kann, ist vielleicht ^er Tribut, den dieser Maler dem deutschen Geist gezollt hat.
PS - Nachdem der Autor dieses Artikels kürzlich einige Tage in Deutschland war, hat sich sein anfänglicher Standpunkt der deutschen Kunst gegenüber geändert. Es wäre wünschenswert, eines Tages bestimmte Korrekturen an der vorliegenden Studie vorzunehmen. |