1912 Licht und Farbe

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Robert Delaunay

 

Licht und Farbe

 

 

Quelle: Delaunay, Robert: Das Licht 1912. Übersetzt von Paul Klee 1913 für die Zeitschrift „Der Sturm". Aus: Vriesen, Gustavilmdahl, Max: Robert Delaunay — Licht und Farbe. Köln 1967.

 

Robert Delaunay, 1885-1941, französischer Maler, entwickelt ab 1910 den „Orphismus", eine Variante des Kubismus, welche auf die Maler des Blauen Reiter (Marc, Macke, Klee) großen Einfluß ausübte. Delaunay entwickelt seine Bildgedanken vorwiegend in Bildserien: Eiffelturmbilder, Fensterbilder, Kreisformen.

 

 

 

Im Verlauf des Impressionismus wurde in der Malerei das Licht entdeckt, das aus der Tiefe der Empfindung erfaßte Licht als Farben-Organismus aus komplementären Werten, aus zum Paar sich ergänzenden Maßen, aus Kontrasten auf mehreren Seiten zugleich. Man gelangte so über das zufällig Naheliegende hinaus zu einer universalen Wirklichkeit von größter Tiefenwirkung (nous voyons jusqu'aux étoiles). Das Auge vermittelt nun als unser bevorzugter Sinn zwischen dem Gehirn und der durch das Gleichzeitigkeitsverhältnis von Teilung und Vereinigung charakterisierten Vitalität der Welt. Dabei müssen sich Auffassungskraft und Wahrnehmung vereinigen. Man muß sehen wollen.

 

Mit dem Gehörsinn allein wären wir zu keinem so vollkommenen und universalen Wissen vorgedrungen, und ohne die Wahrnehmungsmöglichkeiten des Gesichtssinnes wären wir bei einer Successiv-Bewegung stehengeblieben, sozusagen beim Takt der Uhr. Bei der Parität des Gegenstandes wären wir verblieben, beim projizierten Gegenstand ohne Tiefe.

 

In diesem Gegenstand lebt eine sehr beengte Bewegung, eine simple Folge von Stärkegraden. Im besten Fall kann man, bildlich gesprochen, zu einer Reihe aneinandergehängter Wagen gelangen. Architektur und Plastik müssen sich damit begnügen.

 

Auch die gewaltigsten Gegenstände der Erde kommen über diesen Mangel nicht hinweg, und wäre es auch der Eiffelturm oder der Schienenstrang als Sinnbilder größter Höhe und Länge, wären es die Weltstädte als Sinnbild größter Flächenausdehnung.

 

Solange die Kunst vom Gegenstand nicht loskommt, bleibt sie Beschreibung, Literatur, erniedrigt sie sich in der Verwendung mangelhafter Ausdrucksmittel, verdammt sie sich zur Sklaverei der Imitation. Und dies gilt auch dann, wenn sie die Lichterscheinung eines Gegenstandes oder die Lichtverhältnisse bei mehreren Gegenständen betont, ohne daß das Licht sich dabei zur darstellerischen Selbständigkeit erhebt.

 

Die Natur ist von einer in ihrer Vielfältigkeit nicht zu beengenden Rhythmik durchdrungen. Die Kunst ahme ihr hierin nach, um sich zu gleicher Erhabenheit zu klären, sich zu Gesichten vielfachen Zusammenklangs zu erheben, eines Zusammenklangs von Farben, die sich teilen und in gleicher Aktion wieder zum Ganzen zusammenschließen. Diese synchronische Aktion ist als eigentlicher und einziger Vorwurf (sujet) der Malerei zu betrachten.