18 Jahrhundert-Ausstellung

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Die Deutsche Jahrhundert-Ausstellung in der Nationalgalerie

 

 

Sie soll eine Übersicht über das Schaffen der Maler (Bildhauerarbeiten sind weniger vertreten) geben vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zum Jahre 1875, und zwar, wie es scheint, nur in bezug auf Tafelbilder; sonst – um es vorwegzunehmen – würde man nicht verstehen können, wie Rartons Rethels und größere Werke Steinles als das Beste deutscher Kunst in dieser Ausstellung fehlen konnten. Auch ist wohl der Abschluß von 1875 nicht so genau genommen worden, weil z.B. das Kirchenbild Leibls aus dem Anfang der 80 er Jahre datiert. Man braucht diese Erweite rung nicht als einen Fehler anzurechnen, denn die Gelegenheit zu haben, ein gutes Bild zu sehen, ist immer dankenswert; jedoch kann vielleicht ein oder der andere Künstler dieses als eine Ungerechtigkeit empfinden, falls er dann auch gewähnt hätte, die Berechtigung zu haben, in dieser Elite vertreten zu sein. Ich selbst bin aber nicht unter diesen Gekränkten, da ich noch lange über 1875 hinaus studierte.

 

Die unserer Zeitepoche am nächsten stehende Abteilung dieser allzu großen Zusammenhäufung von Bildern ist im Parterregeschoß untergebracht. Sie enthält Meister, die von den Italienern beeinflußt sind: wie Feuerbach, Hans von Marées, Böcklin, und Meister, die der heutigen Zeit Rechnung tragen: Leibl, Liebermann, Trübner.

 

Die Zusammenstellung der Künstler ist eine rein individuelle. Sie sind nicht gewählt als Koryphäen der einzelnen Kunstzentren: es fehlt zum Beispiel Diez als der bedeutendste Lehrer der Münchener Akademie, ebenso Löfftz, Makart ist mit einer kleinen Skizze da, die nicht der Rede wert ist. Die Künstler, die vertreten sind, haben fast durchgängig kein Lehramt an irgendeiner staatlichen Kunstschule gehabt.

 

Das bedeutendste und interessanteste Kabinett ist ohne Zweifel das Leiblsche. Die Sammlung enthält die kostbarsten Gemälde, welche dieser große Künstler in seinem eng begrenzten Leben geschaffen hat, und niemals wird wohl wieder die Gelegenheit geboten werden, ihn so vollständig bewundern zu können wie hier. Die Glanzleistungen sind: die Kokotte mit der Kalkpfeife, das Gesellschaftsbild, der Schimmelreiter, die Dorfpolitiker, die Dachauerinnen, das Kirchenbild und von Porträten das wenig bekannte Damenbildnis in dem grauen gestreiften Kleide aus den sechziger Jahren.

 

Der Raum war von Menschen überfüllt: dem einen gefiel die lesbare Schrift des Gesangbuches, dem andern der feine, satte Ton der Farben; wieder andere labten ihre Augen an dem fein ausgeführten Silberschmuck der frommen Bauerndirne; da schoben sich noch zwei Backfische hinein: »Hier ist Leibl,« fing die Kleinere an, »der gefallt mir schon gar nicht.« – »Ach ja,« erwiderte die Freundin, »es ist ja nur der Name!«

 

An Leibl reiht sich, was zuerst durch diese Ausstellung bekannt geworden ist, eine ganze Schar der blödesten Nachahmer. Freunde und jüngere Leute scheinen sich um diesen Einsamen genügend zusammengeschart zu haben, und jeder von diesen bringt stumpfsinnig die satte Tonskala des Meisters auf die Leinwand; ja, oft haben sie dasselbe Modell, z.B. den Jungen an dem Flaschenschrank. So haben Leute wie Schuch, Alt, Hirth du Frênes, auch in den ältesten Sachen Trübner, gleich Kopisten ihre Werke über den selben Leisten geschlagen, und kein Unterschied ist zwischen ihnen; [81] nur Trübner hat sich dann emanzipiert und ist seinen eigenen Weg gegangen, der ihn zu einer absoluten Originalität gebracht hat. Auch Sperl, der beste Freund und Wohngenosse des Gewaltigen, ist ein Selbständiger geblieben; seine einfachen Bildmotive sind von einem liebenswürdigem Charme umflossen, der mit der Leiblschen weichen, oft allzu weichen Malerei keine Verwandtschaft hat.

 

Außer Leibl und diesen Nachahmern sind die Münchener recht kärglich bedacht worden. Geringe Sachen von Max, Lindenschmidt – ein guter Defregger. Lenbach, der Münchener Malerfürst, hätte während seiner Lebzeiten nun und nimmer zugegeben, behandelt zu werden, wie es ihm hier geschehen ist. Er, der es seit Dezennien überall nickt anders machte, als daß er einen Separatraum zu seiner Kollektivausstellung erhielt, den er nach Belieben verdunkeln konnte, muß sich hier, mit andern zusammengepfercht, mit einer Wand begnügen, die von dem krassesten Tageslicht beschienen ist.

 

Außer dem guten Porträt eines alten Herrn mit Samtkappe in goldigem Ton ist nur minderwertiges kleines Zeug da, oft sehr geschickt und gut gemalt, wie der rote Schirm bei der Getreideernte, aber dennoch nichts, was ihn hinlänglich repräsentiert. Eines seiner besten Jugendbilder ist leider nicht da: der »schlafende Hirtenknabe« aus der Schackgalerie.

 

Vielleicht ist dieses schon die gerechte Vergeltung der Nachwelt: Der bescheidene, reservierte Leibl, welcher im Leben der rücksichtslosen Draufgängerart Lenbachs so oft weichen mußte – der Ausspruch Lenbachs: »Die weiße Schürze Leibls verdirbt ihm die ganze Stimmung seiner Bilder, drum fort aus seiner Nähe« ist streng historisch –, ist hier offenbar zum ersten Male der Sieger.

 

Noch ein Toter hat hier – wie man sagt – nicht gut abgeschnitten: Arnold Böcklin. Gesetzt, ein böser Dämon wollte dem heute allvergötterten Heros einen Schabernack spielen, so hätte er es nicht schlimmer machen können, als wie hier die Bilder Böcklins zusammengestellt worden sind. Dicht aneinandergereiht hängen die Schöpfungen, ein kalkiger weißer Ton beherrscht das Ganze. Das duftige Frühlingsbild der Dresdner Galerie ist hier gar nicht wiederzuerkennen, die beiden Selbstporträte – das eine mit dem Tod, über das wochenlange Debatten geführt sind – hängen unscheinbar da, schwärzlich und hart, ohne den mystischen Zauber, der gerade diesen beiden Selbstporträten Böcklins nachgerühmt wird. Seine großartigen Werke »Die Kreuzabnahme« und »Meerweib und Triton« bilden ein Anhängsel als Fortsetzung der unzähligen Feuerbachs.

 

Nein, ich bin nicht für die blinde Bewunderung, die heute jedem Böcklin-Werke gezollt wird, aber das Arrangement hätte pietätvoller gehandhabt werden sollen; lieber weniger Bilder – aber die wenigen wirkungsvoll placiert.

 

Der größte Raum ist den Werken Feuerbachs und seines geistigen Verwandten Hans von Marées eingeräumt. Beide sind eminente Talente – aber bahnbrechende Große, Geister, welche der Welt etwas Neues geschenkt haben, sind sie niemals gewesen.

 

Was von ihnen geschaffen ist, ist italienischer Eklektizismus; der Pulsschlag des Lebens fehlt. Ein rechtes Kunstwerk ist ein Spiegel des Lebens; die Technik ist ihm nur Mittel zum Zweck. Das beweist die Liebermann-Kolletion.

 

Wenn wir Leibl und Trübner daraufhin nochmals uns vergegenwärtigen, so finden wir bei ihnen großartige Malerei, aber nur Malerei als Selbstzweck. Bei ihnen bleibt uns kein Pinselstrich [82] geschenkt – jedes Fleckchen Leinwand rühmt uns: So schön sind wir gemalt. Bei Liebermann ist es anders.

 

Es ist dieselbe Beherrschung der technischen Mittel, aber sie sind so untergeordnet, daß man kaum darauf aufmerksam gemacht wird. Hier lebt der Gegenstand. Die Luft weht, die Erde hat ihren festen Charakter, die Menschen leben, bewegen sich und arbeiten wirklich. Der Bauer in blauer Bluse, der die Rüben aus seinem Acker gräbt, ist losgelöst von aller malerischen Tendenz; die Rinderschule zeigt die kleinen Wesen in ihrer tolpatschigen Grazie, und dennoch ist alles und jedes durch künstlerische Erfahrung so wundervoll durchgearbeitet, daß es für den Wissenden keinen Zweifel gibt: hier ist größte Meisterschaft; man vergißt über dem Werke den Schöpfer.

 

Im nächsten Stockwerk sind Werke Menzels aus seiner großen Gedächtnisausstellung zurückbehalten. Bei der pietätvollen Behandlung, die dem Altmeister in seiner letzten Lebenshälfte zuteil wurde, gehört es fast zur Unmöglichkeit, neue, noch unbekannte Arbeiten von ihm zu finden.

 

Dieselbe Entschuldigung ist bei andern Berlinern nicht gültig. Warum sind von Knaus bei derartigen Spezialausstellungen immer dieselben Bilder zu sehen, wie das Porträt des Amateurs Ravené und die beiden Schachspieler. Es wäre doch interessant genug und würde zu einer Hauptanziehungskraft geworden sein, wenn Gemälde von dem Künstler zu sehen wären, die ihm seinerzeit zu seiner hervorragenden Stellung verholfen haben: »Die Taufe« und »Die goldne Hochzeit« oder »Die Rast der Madonna auf der Flucht nach Ägypten« mit den reizenden Engelgruppen, die den kleinen Christus spielend umgaukeln. – Sie sind vielleicht schwer von den Besitzern zu erlangen. Aber auch in den öffentlichen Galerien Deutschlands sind noch Bilder, die der Mühe wert ge wesen wären, hierhergebracht zu werden: »Zigeunerrast« in der Königsberger Galerie und die verschiedenen Spielergemälde.

 

Wie des Knaus' Ravené und die Schachspieler, so ersteht auch immer wieder zu neuer Anschauung bei solchen Berliner Unternehmungen das Selbstporträt von Gustav Richter. Es ist keine Freude, dieses nüchterne Bildnis eines eitlen, schönen Mannes von irgend einer Wand herab die Lebendigen ennuyieren zu sehen. Für eine ernstgemeinte Ausstellung sollte er doch endlich für immer begraben sein, da er im Leben genug Lorbeeren und Gold gesammelt hat und auch für das breitere Publikum in seiner jammervollen »Königin Luise« ein ewiges Scheinleben weiterführen wird. Mit Franz Krüger gelangen wir zu den Malern, welche im ersten Teil des vorigen Jahrhunderts lebten. Er ist der weitaus Bedeutendste und wird als Vorgänger Menzels gefeiert. Von naiver Schönheit ist das Bildnis eines jungen Mädchens. Ein Rind aus dem Volk, rundlich, stupsnäsig, in kariertem Kleide. Von glänzender Charakteristik ist ebenfalls das kleine Porträt in ganzer Figur von Friedrich Wilhelm IV. Es ist ein Gruß aus weiter Ferne, wo selbst dieser prunkliebende Fürst noch nicht die überlieferte militärische Einfachheit der Preußenkönige aufgeben mochte. In simpler, offener Interimsuniform steht er ohne jede Imperatorpose an den Schreibtisch gelehnt.

 

Famos sind die Hasencleverschen Bilder in ihrem Hogarthschen Humor; Spitzweg hat eine ganze Sammlung seiner liebenswürdigen Spießbürgereien in Visitenkartenformat. Auch noch eine Menge Bilder anderer Bekannten tauchen an den Wänden auf.

 

Die ganze Liebe und größte Arbeit des leitenden Vorstandes galt aber der Auffindung Vergessener und Unbekannter. Die Hälfte der Ausstellung ist diesen Auferstandenen gewidmet. Es sind tüchtige Kerls darunter, zum Beispiel sind die charaktervollen Porträtgruppen von dem Hamburger Runge geradezu genial zu nennen, und nicht vergeblich wird diese mühevolle Arbeit gewesen sein.

 

Aber diese Ausgrabung Verstorbener soll auch zugleich eine sogenannte »Rettung« bedeuten, und zwar eine Ehrenrettung der gesamten deutschen Kunst.

 

Im Vorwort des Katalogs heißt es unter anderem: »Das Bild ...... offenbart uns ein stets erneutes Einsetzen, das teils den fremden Einflüssen gegenüber die Eigenart des deutschen Wesens aufrechtzuerhalten sucht.« Man möchte am liebsten mit diesen Künstlern eine Brücke schlagen zu Dürer in die Vergangenheit und zu uns in die Gegenwart herüber. Welche »Eigenart deutschen Wesens« erblickt man aber in diesen Bildern? Soweit man diesen Teil der Ausstellung übersehen kann, findet man neben den Porträten, welche auch meistens einen spießigen Eindruck machen, hauptsächlich Motive aus dem Familienleben.

 

Die Gruppe der Nazarener ist eine schwächliche Verdünnung Raffaelscher Kunst; des Raffael, der sich bereits einen Extrakt zurechtgebraut hatte aus den Schöpfungen seiner Vorgänger. Deshalb können die Overbeck, Cornelius, Roch sich kaum als Ahnenreihe den Dürer und Holbein anschließen. Sollten nun etwa Frömmigkeit und Familienleben die Eigenart deutschen Wesens sein? Zwar gibt es diese Merkmale auch bei den andern Völkern, aber der Deutsche will nun einmal alles, was Gemüt heißt, in ureigenstem Besitz haben. Es hängt diesem spezifisch »deutsch« Benannten immer etwas Anekdotisches an. Dieses erstreckt sich bis auf die Schilderung der Tiere.

 

Ein Hahn, der auf einem Misthaufen nach Körnern scharrt, gehört als Motiv noch aller Welt an; reckt er aber den Hals und kräht, so ist das »deutsche« Malerei. Auf die Menschen übertragen, ist es genau dasselbe: Ein Mensch auf einer Gartenbank im Mondschein ist nichts Besonderes; spielt er aber dazu Violine und ist schlecht gemalt und noch schlechter gezeichnet, so können wir überzeugt sein, daß er »deutsche Empfindung« widerspiegeln soll.

 

Die deutsche Nation ist nach einem Ausspruch Bismarcks die männlichste. Würde man aber den Aussprüchen vieler Schriftgelehrten Glauben schenken müssen und die von ihnen als »deutsch« gekennzeich neten Bilder auch wirklich als solche hinnehmen, so wäre der Deutsche das jammerhafteste Weib, das auf der Erde herumläuft.

 

So ist es auch in dieser Ausstellung. Ich will gern sagen, daß diese Maler tüchtig gewesen sind, auch insofern interessant, wie alle gute Betätigung interessant ist; aber im Geiste sehe ich diese Künstler immer mit Schlafmütze und langer Pfeife bewaffnet und wahrend des Malens ein Rind wiegend.

 

Alle behandeln dasselbe Motiv, ob es nun Oldach ist oder Wasmann oder Friedrich; im kleinsten Teil seiner künstlerischen Vielseitigkeit wiegt sie sämtlich auf der einzige Moritz von Schwind. Unsere vaterländische Kunst steckt in anderem als in der Gefühlsduselei; sie läßt sich nicht schematisieren, sondern tritt in jedem begabten Menschen verschieden zutage. Um so verschiedener, da ja jeder Gottbegnadete einen individuelleren und mannigfaltigeren Charakter hat als die große Masse des Volkes. Die dämonische Kunst Grünewalds hat nichts mit der Dürers oder Chodowieckis zu tun, dennoch sind sie untereinander seelenverwandt, weil eben über jedem wahren Künstler der göttliche Geist schwebt, welcher sie alle zu einer einzigen Adelssippschaft verbindet.

 

So hat sich das Bild deutscher Kunst durch diese Ausstellung in der Nationalgalerie in nichts verschoben; zu den bis jetzt anerkannten Großen ist niemand hinzugekommen. Tadelnswert ist die von den Arrangeuren wahllos angenommene Unzahl wirklich schlechter Sachen. Dadurch, daß mehr auf die Jahreszahl als auf die Qualität gesehen wurde, ist eine Masse von Bildern zusammengekommen, die bei dem Betrachten eine tödliche Langeweile erzeugen, die einen rechten Genuß an den besseren Arbeiten kaum aufkommen läßt.