12 Schlußwort

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Schlußwort.

 

 

Hier bin ich nun am Ende. Zweifel jeglicher Art überkommen mich, Bangen vor der Stillosigkeit der Schreibart, wo es von Wiederholungen des Ausdrucks wimmelt, die ich sogar manchmal wegen der Wichtigkeit mit Absicht gebraucht habe.

 

Je nun: der Sinn des Buches ist auf Wahrhaftigkeit gestellt, und dann wird die mehr oder weniger stolpernde Sprache ziemlich gleichgültig sein. Soll dieses Werk doch ein Lehrbuch und kein Unterhaltungsbuch sein.

 

Ich hege auch nicht den Stolz, in diesem Buch den alleinseligmachenden Weg zur Kunst gezeigt zu haben; viele Wege führen nach Rom.

 

Ich will den Lehrlingen die Arbeit auch nicht erleichtern, indem ich ihnen etwa Rezepte gebe, aus welchen Farben dies und jenes gemischt werden, oder wie am besten Pinsel und Palette gehalten werden soll, wie es die Dilettanten so gerne gelehrt bekommen wollen.

 

Meine Leser sollen die größten Anforderungen an sich stellen und die höchsten Ziele erstreben.

 

Solchen Strebenden gehört vor allen Dingen die Erziehung zur Selbständigkeit. Nichts, was sie Gutes erreicht haben, sollen sie dem Zufall oder der Mithilfe des Lehrers verdanken.

 

Deshalb will ich den Lernenden und Suchenden nur stützend den eigenen Weg gehen lassen; sein Selbstvertrauen pflegen, indem ich ihn ermutige, wenn ihn Enttäuschungen und Zweifel befallen. Er soll getröstet werden durch die Mitteilung, daß vor ihm Menschen, die ans Ziel kamen, ebenso Enttäuschungen und Zweifel haben durchmachen müssen.

 

Er möge nur immer arbeiten und nicht links noch rechts sehen.

 

Auch die Genies sind menschlichem Irren unterworfen; kein Künstler – und wäre er der Größten einer – ist der Hand der Natur so fertig entsprungen, wie Pallas Athene dem Haupte des Allvaters Zeus.

 

Arbeiten ist ihre Devise gewesen. Arbeiten und immer wieder Arbeiten.

 

Aus allen Teilen dieses Buches geht es hervor, daß ich bei den Lesern das teilweise Verständnis für Anatomie, Perspektive, Kunstgeschichte voraussetze.

 

Es schien mir oft nicht anders möglich, klar und präzise meine Meinung ausdrücken zu können. Hauptsächlich bei dem Nennen von Namen einzelner Künstler wollte ich nicht etwa Privatvorlesungen über Kunstgeschichte halten, oder gar Kritik üben, sondern diese Namensaufzeichnungen an den richtigen Stellen ermöglichten es mir, das, was gesagt werden sollte, deutlicher und den Lesern anschaulicher zum Ver ständnis zu bringen.

 

In Bezug auf Reproduktionen habe ich solche von Zeichnungen und Bildern gewählt, die mir geeignet schienen, das Gesagte zu erklären, gleichviel, aus welcher Zeit und von welchem Maler sie stammten.

 

Arbeiten meiner Bekannten und die meinigen waren mir am leichtesten erreichbar, nur der Nutzen und nicht die Ehre sollte dabei in Betracht gezogen werden.

 

Fassen wir noch einmal die Quintessenz der ganzen Malerei in den vier Kardinalpunkten zusammen:

 

1. Die Raumeinteilung (das künstlerische Hineinpassen des Motivs auf die gegebene Tafel).

 

2. Augenblinzeln (Verfolgen der Licht- und Schattenformen).

 

3. Die Proportionen (Vergleichen des Ganzen zu den einzelnen Teilen und dieser unter sich).

 

4. Vergleichen der Lage der einzelnen wichtigen Punkte zu einander durch Senkrechte und Wagrechte.

 

Zum Schluß will ich mir nicht versagen, einzelne Aussprüche Schopenhauers anzuführen, die des Lesens für einen angehenden Kunstbeflissenen gar würdig und wert befunden werden können.

 

»Eine Wissenschaft kann jeder erlernen, wenn auch der eine mit mehr, der andere mit weniger Mühe. Aber von der Kunst erhält jeder nur soviel, als er nur unentwickelt mitbringt. Was sehen die meisten an der Rafaelschen Madonna? Und wieviele schätzen Goethes Faust nicht bloß als Autorität? – Denn die Kunst hat es nicht wie die Wissenschaft bloß mit der Vernunft zu tun, sondern mit dem innersten Wesen des Menschen, und da gilt jeder nur soviel, als er wirklich ist.«

 

»Der mit Genie begabte Mensch opfert sich ganz für das Ganze, eben indem er lebt und schafft.«

 

»Die Triebfeder, welche das Genie zur Ausarbeitung seiner Werke bewegt, ist nicht der Ruhm: der ist zu unsicher und in der Nähe betrachtet von zu geringem Wert –, auch ist es nicht das eigene Ergötzen; denn dieses wird von der großen Anstrengung überwogen. Viel mehr ist es ein Instinkt eigener Art, vermöge dessen das geniale Individuum getrieben wird, sein Schauen und Fühlen in dauernden Werken auszudrücken, ohne sich dabei eines ferneren Motivs bewußt zu sein. –«

 

»Heiligkeit und Genie haben eine Verwandtschaft. Sei ein [200] Heiliger auch noch so einfältig, er wird doch einen genialen Zug haben; und habe ein Genie noch soviel Temperamenz, ja wirkliche Charakterfehler, so wird es doch eine gewisse Erhabenheit der Gesinnung zeigen, wodurch es dem Heiligen verwandt ist.«

 

»Daß dem Genie die Unabhängigkeit seiner Person und freie Muße allen Gütern vorangehen müssen, ist gewiß, denn die Genüsse und Ehren, die man durch Aufopferung seiner Freiheit und Muße erkauft, sind nur auf gewöhnliche Menschen berechnet, dem Genie völlig ungenießbar. Es ist bloß auf sich angewiesen, auf den Genuß seines eigenen Geistes, dessen bloße Abdrücke und mumisierte Anschauungen noch der Nachwelt Genuß geben.«

 

»Wer mit einem Talent geboren ist, findet sein Glück in diesem und bedarf keiner anderen Belohnung: und wer wird sich leichter gegen den Mangel schützen können, als gegen das Heer unberufener Mitbewerber, welche vom Glanz des Goldes wie Maden von der Sonne ausgebrütet werden; wozu noch kommt, daß Midas stets geneigt ist, dem Marsyas den Lorbeer zu reichen.«

 

»Mit einem Kunstwerk muß man sich verhalten, wie mit einem großen Herrn: nämlich sich davor hinstellen und warten, daß es einem etwas sage.«

 

»Jeder Mensch von Genie hat nur einen einzigen Kniff, der ihm aber ausschließlich angehört, und den er in jedem seiner Werke, nur immer unter anderer Anwendung, anbringt. Da der Kniff ihm ausschließlich eigen ist, so ist er durchaus originell; und da der Kniff nicht unmittelbar, sondern bloß mittelbar ist, so hat er nicht zu fürchten, daß einer ihn auslerne, auch nicht, daß er sich (so lange er genial bleibt, d.h. sei nen Kniff besitzt) erschöpfe.

 

Der Kniff ist gleichsam nur ein Loch im Schleier der Natur, ein übermenschliches Stückchen im Menschen. Er ist durchaus der Brennpunkt aller Produktion des jedesmaligen Genies. Er leuchtet aus seinen Augen als geniale Individualität.

 

Seinem reflektierenden Bewußtsein (Vernunft) ist der Kniff so gut als andern ein Rätsel.«