12 das Moderne

Nach oben  Zurück  Weiter

Gedanken über den Ausdruck »das Moderne in der bildenden Kunst«

und was sich daran knüpft.

 

 

Seit einem Jahrzehnt und darüber wird das Wort »modern« in Zusammensetzungen wie: »moderne Malerei«, »moderne Künstler« oder »moderne Auffassung« bis zur Übersättigung angewendet. Sieht man diesen Ausdruck auf seine nackte Bedeutung und für sich an, so will er sagen, daß etwas Neues das Altgewohnte verdrängt, alle Welt es mitmacht und damit zur Mode erhebt.

 

Dem ist aber nicht so. Sonst müßten doch auch die vielen schlechten Kriegsbilder einstens, als sie nach dem Kriege 1870 entstanden und viel Gunst und Nacheiferung bis auf den heutigen Tag ernteten, modern genannt worden sein; oder auch wirklich schöne Bilder von Knaus, Vautier oder Gebhardt. Das ist nie der Fall gewesen. Dagegen sind viele Bilder Menzels schon zur Zeit ihrer Entstehung in den vierziger Jahren und ebendieselben noch heute als moderne Schöpfungen bezeichnet worden. Man denke nur an die »Kirchenpredigt« (Dresdener Galerie) und an das »Théâtre Gymnase«. Lenbach sagte von sich selbst – und zwar mit Recht –, daß er die Tendenzen der Neueren bereits in seinem schlafenden Hirtenjungen (Schack-Galerie) verfolgt hätte.

 

Die Kunstkritik macht aber nicht bei den Künstlern unserer nächsten Zeit Halt, sondern zählt auch in diese Rubrik Werke längst verstorbener Meister wie Watteau, Rubens, Velasquez, Hals, Rembrandt. Von letzterem sagt Muther, einen Satz Burkhards variierend: »Er war der erste moderne Mensch an der Staffelei.« Demnach möchte ich mich so ausdrücken: Modern sind alle die Bilder, welche für alle Zeiten kraft ihres hohen künstlerischen Wertes über alle Strömungen hinaus eine fortwährende lebendige Wirkung auf uns Menschen ausüben und deshalb immer in der Mode bleiben werden.

 

Diese Bedeutung würde also ein höchstes Lob sein, wenn sie als eine allgemeine anerkannt wäre. Leider aber gibt es dabei einen Haken, der arg in das Fleisch reißt. Den größern Teil der Menschheit überläuft ein gelindes Gruseln, sobald er sich mit derartig bekannten Künstlern beschäftigen soll. Das Neue, Fremdartige ist ihm für seine gemütliche Gewohnheit gefahrdrohend, er scheut die Anstrengungen und Meinungsänderungen, denen er sich notgedrungen unterziehen müßte, wenn er die – in seinem Sinne – neue Art Kunst verstehen und empfinden lernen wollte; deshalb verhält er sich ablehnend dieser Kunst gegenüber, und dazu kommt noch der Bannfluch auf diese Gattung Künstler, von einer Stelle geschleudert, wo man sonst gewohnt war, die Gnadensonne scheinen zu sehen über Gute und Böse, ohne Unterschied der Parteien. So läuft nun der »moderne« Künstler, wie ein Kain gebrandmarkt, von allen Guten gemieden, unstät und flüchtig durch die deutschen Lande; die Ammen schrecken mit seinen Bildern ihre Pfleglinge wie früher mit dem Baubau.

 

Das Allermerkwürdigste ist dabei die Tatsache, daß das Publikum wider seinen Willen dennoch den Weg der Neuen mitgezogen ist und mit seiner Erkenntnis des Guten daran zwar langsam, aber sicher nachhinkt.

 

Warum sollte es auch nicht so sein; besteht doch auch das Publikum aus lernbegierigen und sensiblen Menschen. Ein Kunstwerk, das noch vor fünf Jahren ekelhaft und haarsträubend gefunden wurde, genießen die Menschen heute schon mit ruhiger Gleichgültigkeit, und für Arbeiten noch älteren Datums ist ihnen der Abscheu von damals sogar selbst unverständlich geworden.

 

Aber der eigenwillige Haß einiger Hochgestellten und die bornierte Schmeicheldienerei ihrer Trabanten und Günstlinge haben die Werte verändert. Streben nach eigener Persönlichkeit und Ringen nach Vervollkommnung der Arbeit auf eigene Art wird mit Renommisterei und noch schimpflicheren Namen bezeichnet, das Verfolgen aber des alten breiten Weges, wo Kriegs- und Uniformbilder wie auch die Kniehosengenrebilder immer über denselben Leisten geschlagen werden, als das nachstrebenswerteste, teils eigenen Vorteils wegen, teils aus Unverständnis gepriesen. Diese Fabrikanten, vom angesehenen, villabesitzenden Professor bis zum Kunstparia, der mit seinen eigenen Erzeugnissen hausieren geht, sind die Koryphäen unserer heutigen konzessionierten Kunst.

 

In vielen Gemütern herrscht der Glaube, eine künstlerische Arbeit müßte einen nutzbringenden Endzweck haben; manche erwarten von ihr eine belehrende Moral, andere Gewinn für Geist und Gemüt. Die wahre Kunst hat aber keinen praktisch gewinnbringenden Beigeschmack. Sie ist sich Selbstzweck. Egoistisch wie ein Gott steht sie da in ihrer ganzen Schönheit und läßt sich von ihren wahren Priestern anbeten. Welche Freuden die wahrhaft Frommen als Wiedervergeltung genießen, kann ein Scheinheiliger nicht empfinden.

 

Materiellen Gewinn bieten nur Produktionen niederen Grades.

 

Willst du Erhebung für dein Sentimentalität heischendes Gemüt, so geh vor das Bild der Königin Luise oder die Auferweckung Jairi Töchterleins von Gustav Richter. Da findest du dein landläufiges Schönheitsideal und deinen geliebten süßen Schmelz der Farben.

 

Willst du sehen, wie fürstliche Festlichkeiten und Staatsaktionen arrangiert worden sind oder die Geschichte deines Vaterlandes und deines erhabenen Herrscherhauses, so gehe die Schöpfungen der jeweiligen Hofmaler und Bildhauer durch. Aber nein! du wirst doch nicht immer zu deinem erstrebten Profit kommen. Z.B. die allbekannte Kaiserproklamation ist anders komponiert, als die Wirklichkeit sie zeigte. Das Können A.v. Werners reichte nicht aus, die Szene an derjenigen Wand, wo sie sich wirklich abspielte, malerisch zu verwerten.

 

Die Siegesallee soll eine steingewordene Geschichte Brandenburgs unter den verschiedenen Herrscherhäusern versinnbildlichen.

 

Schließlich gehen uns ja die vorsündflutlichen wendischen und bayrischen Regenten nichts an, die kaum selbst wußten, was sie taten; aber die Geschichte der Hohenzollern wäre mir in vieler Beziehung interessant, zumal da die Sonne der Geschichte höher gestiegen ist und hellere Lichter auf die Vorkommnisse jener Zeiten wirft. Da fehlt leider unter all den Hektors und Nestors der bedeutendste der ersten Kurfürsten: Albrecht Achilles. Er wäre wohl einen Stein wert gewesen, schon wegen der Notiz, die Carlyle in seiner Geschichte Friedrichs des Großen anführt: »Nach ihm findet weder Lücke noch Wechsel in der Nachfolge statt usw.«

 

Daß wieder umgekehrt Repräsentationsdarstellungen zu Kunstwerken werden können, sehen wir in den Arbeiten der Menzel und Schlüter.

 

Die große Kunst hat nur ein einiges Vaterland: den Himmel, in dem die göttliche Kraft von Ewigkeit zu Ewigkeit waltet. So baut sie sich auch regelrecht von den Zeiten ihres Anfangs bis zu uns und über uns hinaus in harmonischen Regeln auf. Nichts entsteht plötzlich, alles, auch das scheinbar Neueste, hat einen zurückliegenden Vorläufer. Den charakteristischen Stempel drückt die Persönlichkeit des Künstlers dem Kunstwerk auf.

 

Die ersten großen französischen Landschafter hatten Vorläufer in dem englischen Constable, und wiederum wurden sie dann Vorbilder für Spätere. Auch im Figurenfach waren es die Franzosen, Namen wie Ingres und Delacroix sind hier am Platze, welche das große Vermächtnis der Alten herüberretteten, und so ist es nicht zu verwundern, daß sie gewissermaßen für die ganze Welt tonangebend wurden. Daneben gingen die Engländer, immer mehr eine selbständigere Nation, ihre präraffaelitische Richtung, und in Belgien brachten Gallait und Leys eine historischdekorative. Letzterer war der Intimere, in ihm lebte das Zeitalter des Jan van Eyck wieder auf. Von Gallait und Delaroche hat aber Piloty das unglückselige Geschenk der Braunen-Sauce-Malerei und den Theaterkram nach Deutschland verschleppt, wo es noch lange vegetierte.

 

Heute wirft man den strebenden Malern bei uns vor, daß sie zu sehr bei den Franzosen, hauptsächlich den Impressionisten, in die Schule gingen: das »spezifisch Deutsche« litte darunter. Man will alle Individualitäten in einen Sack werfen und einen Nationalcharakter in die Kunst hineinbringen.

 

Hauptsächlich sollen wir Deutsche vor allen anderen Nationen vom lieben Gott die Einfachheit und das Gemüt in fortwährender Pacht bekommen haben; kommt noch eine gewisse Unbeholfenheit in Zeichnung und Farbe hinzu, so ist der blondgelockte, vollbärtige Musterdeutsche fertig. Deshalb wird Thoma so über den Schellenkönig gelobt. Mondschein, Geigenspiel, Mutterliebe, Familienglück, Hahnenkrähen sind seine germanischen Rennzeichen. Auch Ludwig Richter wird als Nonplusultra reinen Deutschtums gepriesen. In seinen Zeichnungen und Bildern ist alt und jung kerngesund, den Männern schmeckt die Tabakspfeife, und seine Mägde haben strammen Busen und dralle Waden. Ihre Vorzüge in Ehren! Und doch sind sie nicht wert, den Franzosen Puvis de Chavannes an künstlerischer Naivität und Millet an Innerlichkeit die Schuhriemen zu lösen. Als ob Menzel, der doch sogar Autodidakt war, und Leibl, einer der größten Könner aller Zeiten, keine Deutschen wären!

 

Ein Beweis, daß die Individualität alles, die Nationalität nichts bedeutet, wäre die Zusammenstellung der drei großen Maler Manet, Stevens und Leibl. Alle drei haben eine Pariser Kokotte, und zwar in Paris selbst, gemalt.

 

Leibl malt sie ab wie ein Stück Möbel, Stevens mit all dem prickelnden Reiz, durch den sie so berühmt sind. Dabei ist er aber ein Fläme, und diese Rasse ist als eine sehr schwerfällige bekannt. Von Manet, dem Pariser bis in die Fingerspitzen, sagt aber von Tschudi: »Er malt den Pariser Schick ohne allen Schick mit der gesunden Kraft, mit der er den wetterharten Schiffer malt.«

 

Es ist die verschiedene persönliche Auffassung, die hier zutage tritt. Der große Manet malte so ziemlich alles, aber jede seiner Arbeiten war so von seinem Geist und seinem künstlerischen Genie durchdrungen, daß man glauben konnte, er hätte jede Art, die zufällig dem Kunstliebhaber vor Augen kam, zu seinem ganz besonderen Spezialfach erkoren.

 

Anders ist dagegen Stevens: er schildert sein ganzes Heben lang die Grazie des Weibes. Es gibt natürlich viele Franzosen, die sich ebenfalls allein diese Art zur Aufgabe gestellt haben, wie Chaplin oder Gervex; aber wahrend diese durch ihre äußerliche Virtuosität bestechen und ihre Wirkung deshalb auch eine schnell vorübergehende ist, hat er es verstanden, dieses alles mit einem künsterischen Wert zu verbinden, der bleibt und den Beschauer immer von neuem fasziniert. Und nun Leibl: er malt wie Manet vielerlei: Bauernbilder, Interieurs und Porträts. Es ist alles von einer solchen Tonschönheit und liebevollem Studium der Form, daß wenig seinesgleichen ist. Er war der erste, welcher der hohlen Phrase Pilotys den Garaus machte und der Münchner Kunst andere Bahnen wies. Wenn man tadeln wollte, wäre es die zu gleichmäßige Behandlung der Haupt- und Nebensachen in seinen Bildern und das eine: daß seine Werke zu schön gemalt sind. Ein Kopf, eine Hand oder ein Halstuch scheinen jedem zurufen zu wollen: Sieh, wie schön ich gemalt bin! So ist auch seine Pariser Kokotte mit der langen Kalkpfeife von einer altmeisterlichen Schönheit, wie sie Terborch nicht wundervoller gemalt haben könnte. Bei Leibl ist es mir unmöglich, nicht Böcklins zu gedenken. Beide waren die Schwärmerei unserer Jugend. Wir Akademiker in München zogen in hellen Scharen in das kleine Gartenhaus in der Augustenstraße, wo Leibl sein herrliches Kirchenbild (jetzt in der Berliner National-Galerie) kurze Zeit ausgestellt hatte. Wir gingen aber auch gleichwie zum Gottesdienst in die Schack-Galerie, um dort die Böcklins zu bewundern und daneben Feuerbach und Schwind unsere Ehrfurcht zu bezeigen.

 

Leibl und Böcklin waren körperlich einander ähnlich: beides starke Männer; kurzer Vollbart und aufrechtes Haar umrahmten die ausdrucksvollen Gesichter, aus denen scharfe, hellblaue Augen herausleuchteten.

 

Wie verschieden war aber jeder in seiner Kunst!

 

Böcklin lebt und webt in der antiken Fabelwelt. Aber er hat diese Faune, Nymphen, Centauren, Tritonen neu geschaffen; sie sind Rinder seines Geistes, wie auch die Landschaft, welche jedoch ebenfalls im Urbild das sonnige Süd-Italien ist mit seinem blauen Meer, seinen schwarzen Zypressen und phantastischen Inseln.

 

Nikolaus Poussin war sein geistiger Lehrer, Mantegna und Boticelli führten ihn weiter. Er wird jetzt der allerdeutscheste Maler genannt. Ich behaupte, daß seine Arbeiten echt böcklinsch sind: der stärkste Ausdruck seiner starken Persönlichkeit.

 

Iphigenia auf Tauris spiegelt doch den Goethischen Geist wider und nicht deutschen.

 

Es gab eine Zeit, da Böcklin – mit Ausnahme der Maler und einiger Kunstfreunde – vom ganzen Publikum verkannt und übersehen oder gar hämisch behandelt wurde. Seine Bilder wurden in der National-Galerie bekanntlich in einem Schuppen aufbewahrt. Wie aber der Mensch in seiner Abneigung und Hiebe immer ohne Grenzen ist, so auch jetzt. Er wird als der Größeste gepriesen, ja der Spieß wird sogar umgedreht, man will heute behaupten, die Maler selbst verkümmerten ihm seine Bedeutung.

 

Nach seinem Tode tauchen Böcklinbücher in Massen auf wie Pilze aus der Erde. In jedem einzelnen Buch will ein sogenannter guter Freund Malrezepte und Gedanken über Kunst aus seinem eigenen Munde erhalten haben, von ihm, der ein Einsamer war wie wenige. Der praktische Wert dieser Sentenzen ist ein geringer; nur ein Publikum, das nach dem Verbrauch von Druckerschwärze die Größe eines Mannes beurteilt, kommt hierbei auf seine [49] Kosten, und nur so konnte die Möglichkeit auftauchen, daß schweigendes Ablehnen gegen diese Bücher und sonstige exaltierte Lobhudeleien von feiten der Maler als Mißgunst und Verkleinerungssucht gedeutet wurde.

 

Wir von heute haben noch nicht den Abstand, welcher notwendig ist, um die Spitzen unserer Kultur auf das richtige Höhenmaß abschätzen zu können. Hoffen wir aber, daß die Zukunft gerade aus unserer Generation Namen aufzählen wird, die sich würdig an die unserer großen Vergangenheit, welche in Dürer und Holbein kulminierte, anreihen werden. Auch den anderen Nationen gegenüber werden wir nicht die ärmsten sein.

 

Wie der Baum plötzlich in Blüten steht und dann in hundertfältiger Frucht prangt, ohne daß ein Menschenauge jede Phase seines Werdens verfolgen konnte, so wird auch die deutsche Kunst eines Tages als erstarkter, früchtereicher Baum dastehen.

 

Werfen wir diese Einschachtelungen und das Rubrizieren in »Alt« oder »Modern«, »Genre« oder »Historie«, und was sonst noch zur Ausrüstung eines sogenannten Kunstkenners bis jetzt unerläßlich gewesen ist, in die Rumpelkammer, und lassen wir jeden Künstler nach seiner Fasson selig werden und seine eigenen Wege vollenden.