09 Wilhelm Leibls »Wilderer«

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Wilhelm Leibls »Wilderer«

 

 

Im Jahre 1884 fing ich an, in Paris zu studieren. Als ein bescheiden und einsam lebender Mensch, der von niemandem auf den modernen, nur von wenigen gekannten Impressionismus aufmerksam gemacht wurde, mußte ich für mich allein das Gute suchen, gleichgültig wo ich es fand. So besuchte ich auch des öfteren die Ausstellungen in dem Kunstsalon George Petit in der Rue seize. Eine Ausstellung von Meissonier hatte ich hier bewundert, die mir wieder in Erinnerung kam, als ich später den Ausspruch Manets über das Bild »Kürassiere in Paradeaufstellung« las: »Alles in dem Bilde wäre eisern außer den Kürassen.«

 

Ein paar Jahre darauf sah ich auch hier Leibls neuestes Bild »Die Wilderer«. Es erschien mir wie ein Gruß aus München: das Motiv, die Kostüme, die Asphaltmalerei. In den deutschen Zeitungen war viel vorher von dem Bilde geschrieben, und Münchner Maler, die nach Paris gekommen waren, hatten für die Verbreitung der Legende gesorgt, wonach der junge Bauer – das Hauptmodell – Soldat werden mußte, und er kam nach drei Jahren grade recht zur Zeit zurück, als Leibl ihn wieder zur Vollendung der Figur brauchen mußte.

 

Das Bild ist das größte gewesen, das Leibl je gemalt hat, die Figuren fast lebensgroß. Aber es ist auch das dramatischste und bewegteste gewesen. In dem vorhergehenden Bilde »Frauen in der Kirche« sieht man den steifen Haltungen der Bäuerinnen das ungewohnte Modellstehen an; in dem Bilde »Die Wilderer« hat Leibl den Ausdruck der Leidenschaft und Erregung seinen Modellen abgerungen.

 

Nie vorher oder nachher hat Leibl ähnlich bewegte Figuren geschaffen wie diese Wilderer. Straff und steil aufgerichtet sitzt der junge Wilddieb da, um ihn gedrängt die andern drei Genossen, die Flinten von den Fäusten umkrallt, in den Augen den sicheren Entschluß, den Förster niederzuknallen, falls er sie erblickt. Das Kirchenbild war delikat und sorgfältig gemalt, mit den subtilsten Detailschilderungen in Klei dern, Schmuck und Holzwerk, durch die Leibl berühmt geworden war. Bei den Wilderern war auch alles bis aufs kleinste ausgeführt, aber eine merkwürdige Breite beherrschte das ganze Bild. Es war, als wenn der furor teutonicus seine Hand geführt hätte. Ein Vergleich mit dem letzten großartigen Werk des Franz Hals in Haarlem drängte sich mir auf. Auch Verzerrungen in der Zeichnung der Gliedmaßen sind nicht zu übersehen gewesen, ähnlich wie bei jener majestätischen Schöpfung.

 

Er schreibt selbst über die Art Malerei, die er an diesem Bilde ausübte: »Meine Malweise habe ich total geändert und hoffe, damit mehr erreichen zu können wie mit der früheren.«

 

Sein Freund und Biograph Mayr, der dieses vernünftigste existierende Künstlerbuch geschrieben hat, teilt mit, daß das Bild in Paris nicht besonders gefallen hat. Gute Freunde werden Leibl auch ihre unliebsame »offene« Kritik aufgenötigt haben. So bekam er einen Haß auf das Bild und behielt es etwa ein Jahr verhängt in seinem Atelier in Aibling. Es ist eine merkwürdige Tatsache, wie sich in dem Schöpfer ein Haß gegen sein Werk einschleichen kann. Oft tritt dieser moralische Katzenjammer sofort nach Beendigung eines Bildes ein, dann wird es mit Stumpf und Stiel vollständig vernichtet. Vergeht aber eine Zeit darüber, so erregt das Werk grausame Gedanken, wie man es wohl am besten zerteilen könnte, um noch einzelne bessere Stücke daraus zu gewinnen. So schnitt dann Leibl eines guten Tages zwei Stücke aus dem Bild heraus: den Kopf des jungen Mannes mit dem seines Nachbars und den geduckt sitzenden Wildschütz mit der Flinte im Anschlag. Sein Biograph unterläßt natürlich nicht, den üblichen Satz bei solchen Gelegenheiten hinzuzufügen: »Was mag es für ein Seelenkampf gewesen sein, dieses Werk, auf das er so große Hoffnungen gesetzt hatte, zu zerstückeln.« Jedenfalls ist es Leibl nicht einmal daran genug gewesen, sondern er zerteilte den sitzenden Schützen im Wettermantel nochmals, und zwar so, daß jetzt der Kopf allein ist und dann die Hände mit dem Gewehr. Die ganze unzerteilte Figur habe ich in den neunziger Jahren im Glaspalast in München gesehen. Später waren ebenda auch die Hände mit der Flinte allein ausgestellt. Zu derselben Zeit war auch die Hand Menzels mit der Tuschschale dort, die den preis davontrug. Immerhin muß man bedenken, daß Leibls Hände ursprünglich den kleinsten Teil eines Bildes ausmachten, und von diesem Standpunkt ist die Wirkung dieser Hände bewundernswert. Das erste Fragment mit den beiden Köpfen ist in den Besitz der Nationalgalerie übergegangen; der einzelne Kopf ist in der Kunsthalle in Hamburg, und um die Hände bewirbt sich nun wohl Köln, die Geburtsstadt Leibls. Für mich ist es immer ein Trost gewesen, daß ich Leibl mitteilen konnte, wie begeistert ich von diesem Bilde zu jener Zeit gewesen, als es noch unverstümmelt war, und ich glaube, er hat sich darüber gefreut. Wenn auch in der Welt nichts unersetzlich ist, so behaupte ich doch, daß die Welt an diesem zerstörten Kunstwerk einen Schatz verloren hat, wie er nur selten bestanden hat. Für Leibl bedeutet es ein Hauptwerk – vielleicht das großartigste – weniger. Wir haben nur die »politisierenden Bauern« und »die Frauen in der Kirche«, wenn wir seine exzeptionellsten Schöpfungen nennen wollen.

 

Sehen wir uns im allgemeinen diese Art Kunstzertrümmerung an.

 

In den früheren Jahrhunderten fielen die Kunstwerke der Vernichtung anheim durch Naturgewalten oder durch Zerstörungswut aufgeregter Menschenmassen. Unserer Zeit blieb es vorbehalten, daß der Künstler Hand an sein eigenes Werk legt. Im voraus sei gesagt, daß Malereien auf Holz der Zerkleinerung nicht so ausgesetzt sind, da dem Material nicht so einfach beizukommen ist wie der Leinwand, warum gerade heute diese Zerstörungswut grassiert, wird wohl immer ein Rätsel bleiben. Daß die Maler verflossener Jahrhunderte länger und intimer an einem Werke schafften und ihnen dieses darum lieber wurde als uns Modernen, und daß es deshalb vor eigenen Angriffen ge schützter war, ist auch nicht stichhaltig. Gerade Leibl war ein leidenschaftlicher Arbeiter. Er ging in dem Kunstwerk, was unter seinen Händen war, vollkommen auf und) arbeitete, was allgemein bekannt ist, jahrelang daran. Bei dem Abschluß eines jeden Werkes pflegte er zu sagen: »Das ist das Allerbeste, was ich noch gemacht habe.« So drückte sich in ihm das Hochgefühl, die Freude und die Hoffnung aus, wieder einen Fortschritt gemacht zu haben. – Und Leibl war ein virtuose in der Fragmentierung seiner Bilder. Man könnte diese Sucht als Manie bezeichnen, wenn Leibl nicht durch seinen lauteren Charakter zu hoch über solchen Verdächtigungen stände. Nicht allein die Wilderer sind von ihm parzelliert worden, auch andere seiner Bilder haben dasselbe Schicksal gehabt. In vielen Ateliers seiner Freunde konnte man solche Rudimente aus seinen Bildern finden: Trübner hatte ein paar schöne weibliche Hände aus einer Porträtstudie, Grönvold besitzt Stücke aus Miedern mit silbernem Bauernschmuck, ein Stück Schürze, Gesichtsteile usw. In der ersten Ausstellung der Berliner Sezession war eine ganze Kollektion dieser »beaux restes« vereinigt. Leibl hatte wohl die schärfste Selbstkritik und fortwährende Beobachtung seiner selbst. Dazu kam – wie schon oben erwähnt – das »offne« Urteil »wahrhaftiger« Freunde. Es erwuchs daraus die Zweifelsucht und nicht zum geringen Teil jener merkwürdige Haß gegen das eigene Werk. Man findet ein Stück aus solchem angezweifelten Bilde besser als alles übrige herum, der Gedanke wird einem vertrauter, und bald ist die Tat geschehen. Da man nicht mehr aufbauen kann, bricht man die mit soviel Mühe und Leidenschaft geschaffene Arbeit wieder ab.

 

Ist nun, wie ich bereits sagte, in unserm Leben das meiste zu verschmerzen, so ist doch diese eine Tat Leibls, die der Nachwelt »Die Wilderer« raubte, eine ewig beklagenswerte.