Wassily Kandinsky - Grundelemente der Form 1919-23

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Die Grundelemente der Form

 

«Die Grundelemente der Form» erschien im Buch Staatliches Bauhaus in Weimar 1919–23, im Bauhaus-Verlag, Weimar-München, herausgegeben vom Staatlichen Bauhaus in Weimar und Karl Nierendorf in Köln. Kandinsky war 1922 von Walter Gropius als Meister an das Staatliche Bauhaus in Weimar berufen worden und hatte sich in der Folge in die dort zu leistende pädagogische Arbeit eingefügt. Die Abhandlung zeigt Kandinskys Auseinandersetzung mit den Zielen, die sich das Bauhaus zu eigen gemacht hatte.

 

 

Die Arbeit im Bauhaus unterliegt im allgemeinen der endlich beginnenden Einheit verschiedener Gebiete, die noch kürzlich als streng voneinander getrennte aufgefaßt wurden.

 

Diese neuerdings zueinander strebenden Gebiete sind: Kunst überhaupt, in erster Linie die sogenannte bildende Kunst (Architektur, Malerei, Plastik), Wissenschaft (Mathematik, Physik, Chemie, Physiologie undsoweiter) und Industrie, als technische Möglichkeiten und wirtschaftliche Faktoren.

 

Die Arbeit im Bauhaus ist eine synthetische. Die synthetische Methode schließt in sich selbstverständlich die analytische ein. Der Zusammenhang der beiden Methoden ist unumgänglich.

 

Auf dieser Basis muß auch die Lehre über die Grundelemente der Form gebaut werden.

 

Die Formfrage im allgemeinen muß in zwei Teile geteilt werden:

 

1. Die Form im engeren Sinne – Fläche und Raum.

2. Die Form im breiteren Sinne – Farbe und die Beziehung zur Form im engeren Sinne.

 

In beiden Fällen müssen die Arbeiten von einfachsten Gestalten zu komplizierteren planmäßig übergehen.

 

So wird im ersten Teil der Formfrage die Fläche auf drei Grundelemente zurückgeführt – Dreieck, Quadrat und Kreis – und der Raum zu den daraus entstehenden Raumgrundelementen – Pyramide, Kubus und Kugel.

 

Da keine Fläche und kein Raum farblos existieren können, das heißt da die Form im engeren Sinne in Wirklichkeit sofort als Form im breiteren Sinne untersucht werden muß, so kann die Teilung der beiden Formfragen lediglich schematisch betrieben werden und andererseits muß von vornherein die organische Beziehung der beiden Teile festgestellt werden – Beziehung Form zur Farbe und umgekehrt.

 

Die erst entstehende Kunstwissenschaft kann in dieser Fragestellung fast keine Aufklärungen in der kunstgeschichtlichen Perspektive geben und deshalb muß vorläufig der bezeichnete Weg erst geebnet werden.

 

So steht jedes einzelne Studium vor zwei gleich wichtigen Aufgaben:

 

1. Die Analyse der gegebenen Erscheinung, die von den anderen Erscheinungen möglichst isoliert betrachtet sein muß, und

 

2. der Zusammenhang der erst isoliert untersuchten Erscheinungen untereinander – synthetische Methode.

 

Das erste möglichst eng und beschränkt, das zweite möglichst breit und schrankenlos.