03 Die Figurenbilder

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Die Figurenbilder.

 

 

Die Bilder mit einer einzelnen Figur nähern sich noch am meisten dem Porträt.

 

Es soll in derartigen Bildern aber nicht die Seele bloßgelegt werden. Deshalb ist hier die dekorative Wirkung (das Äußerliche) die Hauptsache.

 

Velasquez hat schon viele solcher Werke geschaffen. Und in heutiger Zeit sind Arbeiten derartigen Charakters von Manet klassisch geworden. Aber wie diese beiden unabhängig voneinander Ähnliches geschaffen haben, so können wir andere auch den Trieb haben, von der Straße Vagabunden oder sonstiges interessantes Gesindel aufzulesen und nicht eher wieder aus dem Atelier zu entlassen, bis sie auf der Leinwand fertig heruntergestrichen sind.

 

Eine kompliziertere Art ist die, Modelle in malerische Kostüme (Volkstrachten) zu stecken oder Akteure und Aktricen in ihre Theaterrollen zu kleiden und halb als Porträt, halb als Kostümbild darzustellen.

 

Von den Bildern mit vielen Figuren seien zuerst die mit allgemein menschlichem Motiv, wie ich sie im Kapitel über Komposition erwähnt habe, besprochen.

 

Soviel diese Motive gemalt sind, soviel sind sie auch immer wieder von jedem wahren Künstler neu geschaffen worden.

 

»Geschieht auch etwas, davon man sagen möchte: siehe, das ist neu? es ist zuvor auch geschehen und geschieht nichts Neues unter der Sonne«, sagt der Prediger Salomo.

 

Also suche man das Neue in sich selbst, in seiner Individualität.

 

Einen weiten Weg hat das Bild zu durchlaufen von der ersten Inspiration des Künstlers bis zur Fertigstellung. Der Apparat, der in Bewegung gesetzt werden muß, ist ein gar vielseitiger. Es ist nicht genug, sein Handwerk gelernt zu haben, es kommen immer neue Probleme; außerdem ist die Wahl passender Modelle zu treffen, Kostüme anzufertigen und vielleicht ganze Gerüste zu bauen.

 

Wenn ein derartiges, allgemein menschliches Sujet (dazu gehören auch die religiösen Motive) zum Malen ausgewählt ist, so soll das erste Prinzip sein: langsam anfangen, schnell fertig machen.

 

Das heißt, sich das Motiv reichlich überlegen und dann im ersten Eifer eine Skizze malen, in welcher alle charakteristischen Momente betont sind. (Über die Wahl der richtigen Szene habe ich im Kompositionskapitel gesprochen.) Alsdann möge man mit den ausgesuchten Modellen einen Karton in der beabsichtigten Größe anfertigen. Ob er nun bis in die Details ausgeführt wird oder nur die allgemeine große Beleuchtung und Bewegung der Gruppen angedeutet wird, hängt von dem Temperament des Malers ab; nämlich, ob er bei der Bearbeitung desselben Gegenstandes leicht ermüdet. Wenn dieses der Fall ist, wäre die allgemeine Angabe des Arrangements anzuraten. Dann möge man auf der bestimmten Größe der Leinwand das Bild schnell fertig zu machen versuchen.

 

Es ist leichter alles niedergeschrieben als getan.

 

Die Frische geht bereits bei dem Kartonstudium verloren; Bedenken treten auf, ob nicht eine andere Auffassung die bessere wäre; namentlich läßt in den ersten Jahren durch dieses Hin und Her das Selbstvertrauen nach, das zu einem ersprießlichen Weiterarbeiten absolut notwendig ist. Fängt man aber an, das Bild umzukrempeln, eine neue Auffassung vorzuziehen, so tritt hier wieder in kurzer Zeit derselbe Prozeß ein; dasselbe Zweifeln an der Richtigkeit, allmählich geht nebst dem Selbstvertrauen auch die Urteilskraft verloren, und die Leinwand wird für immer fortgestellt.

 

Die Erfahrungen lehren immer wieder, daß die erste Auffassung die frischeste und die beste ist, und deshalb ist es immer ratsam, bei dem ersten Entwurf auszuhalten. Auf die Arten der Gruppierungen einzugehen, wäre falsch, denn Regeln gibt es nicht, und gerade in den Arrangements beruht ein gut Teil Individualität. Jeder Maler kann neue Werte schaffen. Nur das sei hier gesagt, daß die Begabung bei den einzelnen so verschieden ist, daß der eine erst mit Hilfe der Modelle die Aufgabe zu lösen vermag, dagegen einem andern das Modell mehr hinderlich ist und er durch seine Vorstellung allein in der Lage ist, das Motiv zu bewältigen; demnach bedeutet das Modell ein größeres oder geringeres Hilfsmittel für die Arbeit, aber ganz zu umgehen ist es niemals. Hier will ich ein Stück aus dem Tagebuch von Delacroix einfügen:

 

»Interesse in ein Werk zu legen, ist das Hauptziel, das sich der Künstler steckt, nur durch die Vereinigung vieler Mittel gelangt er dahin. In einer ungeschickten Hand kann sogar ein interessantes Sujet sein Interesse einbüßen; während das scheinbar Uninteressante unter der Hand eines Meisters Interesse und Spannung erweckt. Dem großen Meister sagt ein Instinkt, wo das Hauptinteresse seiner Komposition ruht. Er muß die Kunst, zu gruppieren, die der Lichtverteilung – die Kunst, bald lebhaft, bald sparsam zu kolorieren – beherrschen; muß hier etwas zu opfern, dort die Wirkungsmittel zu vervielfältigen verstehen, wenn es ihm gelingen soll, Interesse zu erwecken. Strenge Richtigkeit oder Übertreibung, Reichtum wie Knappheit an Einzelheiten, Zusammenhalten wie Auflösen der Massen. Mit einem Wort: die ganzen Hilfsmittel der Kunst sind unter der Hand des Künstlers wie die Tasten eines Klaviers, dem er gewisse Töne entlockt, während er andere schlummern läßt« (vergl. S. 70 über das Malen). Ich bemerke noch, daß ich das ähnliche Gleichnis gebraucht habe, ehe ich das Tagebuch Delacroix' gelesen hatte.

 

Die modernen Motive unterscheiden sich von den vorhergehenden allgemein menschlicher Art dadurch, daß sie anstatt vielfachen geistigen Ausdrucks direkt handelnde und positive Situationen pflegen. Es sind Schilderungen des Lebens, Tagesereignisse, die auf anderen malerischen Bedingungen beruhen. Schaltete man in den vorigen Sujets nach Belieben mit dem psychologischen Ausdruck, mit der Leuchtkraft des Nackten, mit beliebiger Beleuchtung, so ist jetzt die Wirklichkeit zum Ereignis geworden und die Darstellung dieser auch mehr unterworfen.

 

Deshalb ist es das Beste, derartige Bilder an Ort und Stelle zu malen – wie ich in dem Kompositionskapitel geraten habe. Gibt es aber darin Schwierigkeiten, so sollen doch so viel wie möglich Studien nach der Wirklichkeit gemacht werden: Zeichnungen und Farbenskizzen, so daß das fertige Bild dennoch den Eindruck macht, als wenn es direkt gemalt wäre.

 

Menzel ist für diese Art ein vollgültiges Beispiel. Auch Liebermann, dessen Bilder – wenn sie auch im Atelier entstanden sind – dennoch den Eindruck des Arbeitens nach der Natur hervorrufen.

 

Landschaftsbilder, auch Tierbilder schließen sich diesen Prinzipien vollständig an. Denn wenn das Motiv im Freien spielt und neben den Menschen Tiere darin ihr Wesen treiben, so sind Landschafts- und Tierschilderung vollständig darin gleichwertig zu bearbeiten.

 

Überhaupt ist es gleichgültig, ob das Geschöpf eine verschiedene Gestaltung aufweist; derjenige, welcher das Wesen des Aktes studiert hat, wird ihn auch in anderer Form – zwar verändert – wiederfinden; ebenso auch in den Tonwerten und Formen der Landschaft.

 

Der wahre Maler fühlt in jedem Landschaftsmotiv das Poetische heraus. Nicht was man malt, sondern wie man etwas malt, macht das Künstlerische in dem Bilde aus.

 

Nicht die Natur korrigieren wollen, indem man einzelne [150] Stücke wegläßt und wieder andere hinzufügt, ist die Notwendigkeit, sondern die strenge Formenzeichnung und den Stimmungston, wie er in der Natur ist, zu pflegen.

 

Die Landschaft als solche – ohne Figuren – ist am meisten Empfindungsmalerei und kommt der Musik am nächsten; alles webt in Tönen, und jeder Stimmungswechsel verändert auch das Aussehen des Motivausschnittes.

 

In einem früheren Kapitel ist bereits gesagt, daß der Naturausschnitt nicht die Sehfläche des Feststehenden überschreiten soll; perspektivisch soll der Vorder-, Mittelgrund und die Ferne richtig auseinandergehalten werden.

 

Ehemals, als man nur Studien vor der Natur machte, um später im Atelier ein Bild zu komponieren, wurde für das Bild eine fernere Distance verwendet.

 

Heute, wo das Prinzip des Bildermalens vor der Natur sich durchgerungen hat, ist die kurze Distance gebräuchlich, wie eben das Auge auf den Gegensatz des Nahen und Fernen eingestellt ist.

 

Es ist ein Nonsens, diese Auffassung als realistische Richtung hinzustellen. Trotz aller Pietät vor der Natur ist es doch schließlich nicht die Wirklichkeit selbst, die sich in dem Bilde widerspiegelt, sondern der Mensch, welcher das Bild gemacht hat. Je nach dem Genie des jeweiligen Malers werden auch die Qualitäten der Arbeit zu beurteilen sein.

 

Wenn wir von der Landschaft zu Tierschilderungen übergehen, so scheinen mir derartige Arbeiten von Millet, Segantini, Liebermann mehr Leben und Kunst zu atmen, als die von sozusagen vereidigten Spezialisten, die eigentlich mehr ein Schema oder Hieroglyphen aus diesen Geschöpfen gemacht haben.

 

Unsere Zeit hat noch nicht so geniale Individuen hervorgebracht, wie die Zeit Leonardos und Dürers, aber sie ist wenigstens schon so weit gediehen, die Notwendigkeit einzuräumen, daß der wahre Maler derjenige ist, der die ganze Natur kennt.

 

Delacroix schrieb bereits von Dürer, »bei ihm sind die menschlichen Figuren nicht vollendeter, als die Tiere aller Arten, die Bäume etc.«

 

In einem Briefe schreibt Leibl:

 

»Der Graf hat einen Reitgaul von edelster Rasse, und diesen habe ich auf seinen Wunsch gemalt. Anfangs bezweifelte er, daß ich solches könne. Ihr wißt aber, daß ich gewohnt bin, nach der Natur zu malen und daß es mir gleich ist, ob ich Landschaft, Menschen oder Tiere male, und so gab ich mich denn unverdrossen daran. Der Graf drückte unverhohlen seine Befriedigung aus, ja sein Staunen, daß ich den Charakter und die eigentümliche Farbe so treffen könne« etc. etc.