01 Die Figur

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Die Figur.

 

 

 

In den vorhergehenden Kapiteln handelte es sich um das Arbeiten im Atelier (geschlossener Raum mit einer Lichtquelle).

 

Im Freien ist das Licht zerstreut; es kommt von allen Seiten, überall Reflexe, so daß keine bestimmten Licht- und Schattenpartien zur Geltung kommen.

 

Die Farbenbestimmungen im Freien haben einen derart glänzenden und flimmernden Charakter, wie sie in geschlossenen Räumen niemals gesehen werden.

 

Deshalb wird das Zeichnen nicht wie in den früheren Lehren schematisch vor sich gehen können, obgleich auch hier die Tonwerte und durch sie bedingt die Formen bestehen (Augenblinzeln).

 

Es ist vielmehr eine allgemeine Auffassung des Gegenstandes zu treffen und die Fleckenwirkung anzustreben. Hier trifft einer der geistreichen Aussprüche Liebermanns zu: »Zeichnen ist Auslassen.« Es soll der Extrakt des Ganzen gezogen werden.

 

Man wird die Übung an menschlichen Modellen weiterführen. Die Ähnlichkeit in Charakter und Proportionen ist hier die Hauptsache. Die Töne in den Figuren sind wohl zu unterscheiden, ebenso, wie diese valeurs zu denen in der Umgebung stehen. Die Tiefen sind wesentlich zu beachten. Der ganze Eindruck der Zeichnung muß klar und hell sein. In der Malerei sind die hellen, leuchtenden Farben vorzuziehen, und trotz allen Schmelzes sind wohl die verschiedenen Töne und Reflexe auseinander zu halten. Die Abstufung im Hintergrunde muß sorgfältig abgewogen werden, auch wie die Figur darauf steht, als Silhouette oder als Lichtmasse.

 

In den Details ist auch wieder die Veränderung der Lokalfarben zu verfolgen. Das Dunkel des Haares ist durch Reflexe aufgelichtet. Sie bekommen grünliche Tinten, wenn die Figur unter Laub steht; die dunkelsten Augen erhalten leuchtende Spiegelungen. Die ganze Farbenerscheinung der Figur ist bedingt durch seine reflektierende Umgebung.

 

Die Sonnenbeleuchtung ist am besten mit der Lampenbeleuchtung zu vergleichen, weil hier ebenfalls ein grelles Licht wie aus einem Schacht auf die Objekte fällt und dadurch Schlaglichter und Schlagschatten erzeugt.

 

Die Lichter sowohl wie die Schatten sind von glühendster Leuchtkraft und Farbenpracht. Oft erzeugt der Himmel direkt blaue Reflexe. Man kann sich nicht genug tun in der Farbigkeit.

 

Es ist anzuraten, recht pastos (dick) die Ölfarbe auf die Tafel zu setzen; auch soll darauf geachtet werden, daß die Farben möglichst unvermischt aufgetragen werden, weil dadurch die Frische und der Farben reichtum vergrößert wird. Das Cadmium, Neapelgelb, Kobalt, Zinnoberrot, Permanentgrün werden den schwereren Erdfarben wegen größerer Klarheit und Leuchtkraft vorzuziehen sein.

 

Es wird sich empfehlen, recht viel nach gestellten Modellen diese verschiedenen Beleuchtungsarten zu studieren.

 

Wie ich schon vorher erwähnte, wird auch das Zeichnen und Malen in Charakteristik und Bewegung mit Hintansetzung der Details fortwährend zu üben sein (die Skizze). Hier muß man die Augen offen haben und alles erfassen, was nur interessant [98] erscheint: die Bauern auf dem Felde und in der Scheune, Volksfeste etc. In diese Rubrik gehören auch Skizzen aus Innenräumen: Szenen in Theatern, Ballsälen etc. Deshalb habe ich auch bei der Abhandlung über die Komposition die Wahl moderner Stoffe für unrichtig erklärt. Verspürt man die Lust, ein modernes Motiv zu verarbeiten, so suche man es in der Natur auf und male es an Ort und Stelle.

 

Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß die flüchtigsten Skizzen – vor der Wirklichkeit entstanden – einen größeren Kunstwert repräsentieren, als die fleißigst gemalten und im Atelier zurechtgestopselten Kompositionsbilder.

 

Es ist eben das Unmittelbare darin, was ein Kunstwerk vor allen andern Eigenschaften besitzen muß.

 

Diese Skizzen werden am besten in kleinem Format ausgeführt, da durch die Schnelligkeit, mit welcher diese Arbeiten gemacht werden müssen, ein Pinselfleck schon von Bedeutung und Form sein muß.

 

Dagegen sind die Studien, an die man mehrere Tage verwenden wird, am besten in Lebensgröße oder doch wenigstens in dreiviertel davon zu halten.