08 Bellini

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8. Bellini

In Venedig leitete Giovanni Bellini die Kunst aus dem Byzantinismus Crivellis und der paduanischen Starrheit Bartolommeo Vivarinis in die Bahnen Botticellis und Peruginos über. Vorher hatte er keinen eigenen Stil. Eine weiblich schmiegsame Natur, war er zuerst seinem Schwager Mantegna gefolgt, hatte Bilder gemalt wie die Pietà der Brera, die in ihrer herben Pathetik und zeichnerischen Härte das Werk eines Paduaners sein könnte. Dann war Antonello von Messina gewonnen, und Giovanni als erster in Venedig, hatte unter dem Einfluß des sizilianischen Niederländers sich der Technik der Oelmalerei zugewandt. Erst nachdem er diese verschiedenen Elemente aufgenommen, wurde er Bellini. Die große kirchliche Bewegung, die seit Savonarolas Auftreten Italien durchzitterte, verhalf ihm dazu, sich selbst zu finden. Das große Altarwerk der Frarikirche von 1488 mit den musizierenden Engelknaben und den mächtigen Heiligen; das der Kirche San Pietro von Murano, auf dem der Doge Barbarigo vor dem Christkind kniet; das der Kirche San Giobbe, wo Maria wie staunend ins Unendliche starrt; das der Kirche San Zaccaria von 1505, auf dem ein Hauch kummervollen Wehs ihre ernsten Züge verklärt – sind die weltbekannten Bilder, an die man immer wieder denkt, wenn Bellinis Name genannt wird.

Es ist schwer, den Stimmungsgehalt dieser Werke in Worte zu fassen. Früher suchte man die venetianischen Maler dadurch zu kennzeichnen, daß man sie in Gegensatz zu den Florentinern stellte. Man sagte: Während die Florentiner breite Epik oder dramatisches Geschehen lieben, geht durch die venetianische Malerei ein lyrischer Zug. Der plastischen Härte der Florentiner setzen sie die Stimmungskraft der Farbe, den Schilderungen irdischen Mutterglückes das feierliche Devotionsbild gegenüber. Doch es werden dann Kunstwerke ganz verschiedener Epochen verglichen. Zur Zeit, als Bellini seine reifen Werke schuf, waren auch am Arno auf die Epiker und Forscher die Träumer, auf die profanen Bilder die »Andachtsbilder« gefolgt. Auch in Florenz stand seit dem Erscheinen des Goesschen Altarwerkes nicht mehr die Form, sondern die Farbe im Vordergrund. Hier wie dort malt man Maria als donna umile, ein Mädchen aus dem Volk, schmucklos, den Matronenschleier über das Haupt gezogen, die weiblichen Heiligen ringsum patrizisch fein, bleich, in reicher Tracht, das sorgsam frisierte Haar mit Perlen geschmückt. Selbst die musizierenden Engel, die so gern als bezeichnendes Merkmal venetianischer Bilder genannt werden, kehren ebenso häufig bei Perugino und Raffaellino del Garbo wieder. Der zarte Grundton, das Musikalische, das Stimmungselement ist allen Werken der Zeit gemein. Was Bellini unterscheidet, sind rein persönliche Dinge: kleine Nuancen, die teils aus dem Naturell des Malers, teils aus dem Milieu, in dem er lebte, sich erklären.

Botticelli, der Sohn des nervösen Florenz, warf sich, als das epikureische Zeitalter des Magnifico vorüber gerauscht war, in jähem Kontrastbedürfnis dem Dominikaner in die Arme. Die Stimmung, als er es that, war eine ähnliche, wie in Paris vor zehn Jahren, als die Rosenkreuzer, von einer » profonde tristesse epicurienne« erfaßt, ihr spiritistisches Evangelium verkündeten. Müde, nicht mehr fähig, den betäubenden Duft der Rosen Aphroditens zu ertragen, naht er wieder schwankenden Schrittes dem Throne, auf dem Maria, mit kalten weißen Blumen bekränzt, schweigsam sitzt. Gerade weil er vorher den heidnischen Göttern geopfert, kämpft er für die Ideale des Christentums mit dem Zelotismus des Konvertiten. Schrille klagende Töne erklingen, hart und zäh sind die Linien. Totenblasse Hände strecken sich aus. Maria kann die Erinnerung, daß sie im Venusberg war, nicht los werden. Angstvoll blickt sie, wie ein scheues Reh, durchbebt von der zitternden Sehnsucht nach Frieden.

Perugino ist der Sohn des umbrischen Berglandes, ein Mann, der seine Jugend in einsamen Thälern inmitten einer armen Bevölkerung verlebte. Dieser Charakter seiner Heimat ist den Bildern aufgeprägt. Die Gegend, die er malt, ist von lyrischer Armut. Dünne Bäume wachsen auf delikatem, welligem Boden. Es liegt etwas Hilfesuchendes, Haltloses, Zaghaftes in dieser rührend kränklichen Vegetation. Und seine Menschen gleichen den zittrigen Bäumchen, die jeder Windstoß fällen kann. Perugino nimmt ihnen alle Erdenschwere, entkleidet sie alles Fleischlichen, so daß nur ein Schatten, eine in feinen, ersterbenden, ungreifbaren Accorden erzitternde Seele übrig bleibt. Sie sind sensitiv bis in die Fingerspitzen, spirituell bis zur Krankhaftigkeit, leidend, von mystischer Sehnsucht durchdrungen. Denn das Bergland Umbrien war auch das Land der Mystik und des zweiten Gesichtes, das Land der Ahnungen und Träume. Hier träumte Franziskus, daß er berufen sei, die lateranensische Basilika zu stützen. Hier sah er Christus als geflügelten Seraph schweben. Hier hatte Katharina von Siena ihre beglückenden Visionen. In jedem Hirtenmädchen lebt Jeanne d'Arc. Auch Peruginos Madonnen gleichen Landmädchen, frommen träumerischen Kindern, die, während sie die Herden hüten, sich in mystische Betrachtungen vergraben und plötzlich die Stimme ihrer Schutzheiligen hören.

Giovanni Bellini war nie im Venusberg, denn der Geist des Griechentums war nie in diesen orientalischen Erdwinkel gedrungen. Er hatte nie eine Tragödie erlebt. Wie ein langer, schöner, sturmloser Tag floß sein Leben hin. Weiter war er, als er seine herrlichsten Werke schuf, ein alter Mann. Ein Sammetkäppchen trägt er auf seinem Bildnis, und man denkt sich gern den Schlafrock hinzu. Darum fehlt auch seinen Bildern das Psychopathische, Zerrissene, nervös Ueberreizte, das Botticelli unserer Zeit so nahe bringt. Dort seelische Unruhe, der Schrei aus einer Menschenbrust, hier innerlicher Friede, eine einzige große Harmonie, die milde abgeklärte Ruhe des Alters, die kein ungestümes Thun mehr kennt. Während wir Botticelli lieben, weil wir einen Reflex dessen bei ihm finden, was in uns selbst krankhaft, nervös, überreizt ist, blicken wir zu Bellini wie zu einem edlen Patriarchen auf, weil er die große weltentrückte Ruhe hat, die wir nicht mehr haben.

Von Perugino unterscheidet ihn seine feierliche Größe, die specifische Kirchenstimmung, die seine Bilder durchweht. Landluft bei Perugino, Blumenduft bei Botticelli, Weihrauch bei Bellini. Während der Umbrer etwas Bukolisches hat, geben Bellinis Madonnen das Gefühl, in einen weiten, hohen Dom zu treten. Alles wird still rings umher, die hehren Gestalten auf den Bildern führen ihr ernstes einsames Dasein in erhabener Größe. Nicht nur dadurch, daß der Thron Marias in einer mächtigen Kirchennische steht, wird die kirchlich feierliche Stimmung hervorgerufen. Die Gestalten selbst sind wie vom Zauberhauch des Göttlichen umwittert, scheinen selbst das Gefühl zu haben, das uns überkommt, wenn wir den Hut abnehmen und aus dem Lärm, dem Tageslicht der Straße in die heilige Nacht, die tiefe Stille des Gotteshauses treten. Sie reden nicht, machen keine Bewegung. Ruhig wie gebannt vom Allerheiligsten, stehen sie da, so wie wir stehen, wenn wir traumverloren in die goldene Nacht des Markusdomes blicken, uns hypnotisieren lassen durch den Blick der byzantinischen Heiligen, die hieratisch feierlich aus musivischem Goldglanz herniederstarren. Oder wie wir blicken, wenn wir am Lido sitzen und über den träumerischen Spiegel der Lagunen schauen. Denn Byzantinismus und Lagunen, es ist im Grunde das Gleiche: ein ernstes, den menschlichen Geist mit Betäubung schlagendes Nirwana. Dieses Betäubtsein vom Geistlichen ist wohl die eigentliche Stimmung bellinesker Bilder.

Nie malt er Handlungen, nur Gefühle, nie die Bewegung, nur die Ruhe. Und diese Gefühle sogar sind so dumpf, so wenig in die Sphäre des Bewußtseins getreten, als seien seine Menschen durch Opium betäubt. Nie haben seine Heiligen die schmachtende Verzückung, den sentimentalen Augenaufschlag Peruginos, nie seine Madonnen jenes überirdische Sehnen, jene schwärmerische Hingabe, mit der sie bei den Umbrern sich zum Kinde beugen. Mit einer Gelassenheit, die an Gleichgültigkeit streift, hält Maria den Knaben im Arm: die Gottesträgerin, wie die Byzantiner sie malten. Oder die Frau aus dem Volke, die mit ihrem Kind an der Kirchthür sitzt, bedürfnislos, träumend, betäubt durch den Glanz der Sonne und die Schwüle des Mittags. Während Peruginos Madonnen Hirtinnen sind, Schwestern der Johanna von Orleans, liegt über denen Bellinis die weiche Schläfrigkeit und gleichgültige Indolenz, das melancholisch müde Wesen orientalischen Geistes. Dort der innerliche, schwärmerische Blick der Seherin, hier der unbestimmte, matte Glanz des Auges, das traumversunken über die Lagunen schaut.

Die Landschaft steigert noch die träumerische Ruhe der Werke. Denn frühe Bilder von ihm, wie der Crucifixus des Museo Correr oder der Christus in London, sind für sein landschaftliches Empfinden nicht bezeichnend. Wie überhaupt, war er auch als Landschafter damals Paduaner, legte gleich Mantegna das Knochengerüst der Erde bloß, gefiel sich in der plastischen Herausarbeitung harter Einzelheiten. Erst allmählich kommt in seine Bilder das venetianische Element. Nicht mit dem Auge des Forschers mehr, mit dem des Träumers blickt er in die Natur, so wie wir blicken, wenn wir in der Gondel sitzen, die ruhig, geräuschlos die Fluten durchfurcht. Kein Wagen, kein Fußgänger schreckt uns auf. Keine Einzelheiten sieht man. In Licht gebadet, wie Phantome einer Märchenwelt, tauchen Paläste und blaue Gebirgsketten auf, tauchen auf und verschwinden. Bellini als erster ließ sich von dieser weichen Luft der Lagunen umkosen, empfand als erster die Traumatmosphäre, die Venedigs Küsten umwebt. Da ist das Gebirge in bläulich wogenden Nebel gebettet; dort liegt das Thal beruhigt im goldenen Schimmer des Abendrotes da, oder die Dämmerung breitet sich über schweigsame Hügel. Besonders jenes Böcklinsche Märchenbild kommt in Erinnerung, auf dem ein schlankes nixenhaftes Weib, eine große Kugel auf dem Knie, von wallendem, weißem Gewand umflossen, im Nachen ruht, der von leisen Winden getragen, lautlos dahingleitet. Was es darstellen soll? Ich weiß es so wenig, wie die Tausende, die träumerisch sinnend davor standen. Es ist, als hätte er sein eigenes Leben gemalt, das auch so sturmlos, so ruhig und still wie ein schöner Herbsttag dahinfloß. Jetzt, da der Abend gekommen, nimmt ihn die Wasserjungfrau an der Hand, geleitet ihn ins Boot und fährt ihn über die Lagunen hinüber nach der Insel der Seligen.

In diesen Werken des ehrwürdigen Patriarchen ist zugleich der Stoffkreis der vielen anderen beschrieben, die gleichzeitig mit ihm, teilweise als seine Schüler in Venedig arbeiteten. Maria mit oder ohne Heiligengefolge, zuweilen auch ein anderer Heiliger, der statt Maria im Mittelpunkt steht, ist fast das einzige Thema, das in Altarwerken und breiten Halbfigurenbildern behandelt wird. Nebenbei spielt, – bezeichnend für die kirchliche, von Savonarola beherrschte Zeit – besonders Hieronymus eine Rolle: der alte Mann, der seine Vergangenheit büßt und erkannt hat, daß alles Irdische eitel.

Stolzes Künstlertum, seelische Qualen und begrabene Hoffnungen, das ist die Lebensgeschichte Alwise Vivarinis. Als letzter Sproß der alten Künstlerfamilie von Murano mühte er sich Jahrzehnte, neben Bellini das Feld zu behaupten. Jene düster strenge, herb archaische Kunst, die Bartolommeo Vivarini aus Squarciones Atelier nach Venedig herübergebracht, erlebte unter seinen Händen eine Nachblüte. Plastische Wucht, fast asketische Einfachheit ist das Kennzeichen seiner frühen Werke. Schwarze Mönchskutten sieht man, alte runzliche Gesichter und gefurchte Hände. Besonders sein Bild der heiligen Klara – jene alte Aebtissin, die mit so festem Griff das Kreuz hält – ist von einer Klosterstimmung, daß man an Zurbaran denkt. Doch aus dem Gegner wurde der Nachahmer Giovanni Bellinis. Nachdem er vergeblich für die alten muranesischen Ideale gekämpft, will er nun zeigen, daß er alles, was an seinem Gegner bewundert wird, auch leisten kann, giebt seinen Gestalten die müde Kopfhaltung und den schwermütigen Ausdruck Bellinis, bemüht sich, statt herb mild, statt rauh zart zu sein. Und dieses Bemühen, mit den Nerven eines anderen zu fühlen, wird das Drama seines Lebens. Auf den ersten Blick unterscheidet man seine Werke nicht von denen Bellinis. Die Züge der thronenden Madonnen sind bellinesk, Engel musizieren, in runden weichen Linien fließt der Mantel Marias herab. Auch die weiblichen Heiligen, die den Thron umstehen, scheinen Schwestern derer, die bei Bellini die Jungfrau verehren. Gleichwohl kommt man vor den Bildern nicht in Stimmung, glaubt zu empfinden, daß Alwise selbst das drückende Gefühl des Kompromißmannes hatte, der sich selbst nicht mehr aussprach und dem anderen nicht gleichkam. Dort ist alles verschleiert und träumerisch, beseelt von jener großen Ruhe, die aus Bellinis Seele in seine Werke floß. Alwise, der schwerfällige, ringende, an sich verzweifelnde Geist, erreicht diese Stimmung nicht. Seine Farbe bleibt zäh, die Empfindung mürrisch. Grollend zog er sich schließlich zurück, um ziemlich unbemerkt zu sterben. Selbst Cima und Basaiti, seine Schüler, waren unterdessen zu Bellini übergegangen.

Neu sind in ihren Werken nur die landschaftlichen Elemente. Cima, der in seiner Pietà der Akademie noch herb muranesisch wirkt und später weich, lyrisch, wie Bellini wurde, erfüllt den engen Kreis seines Kunstschaffens mit rechtschaffener Tüchtigkeit, weiß Andacht und ruhevollen Ernst schlicht und einfach, nur weniger zart als Bellini zu interpretieren. Selbständig ist er darin, daß er den Thron Marias, statt in der Nacht der Kirche, in der freien Natur aufstellt. Er stammte nicht aus Venedig, sondern vom Rande der Alpen, und diese Liebe des Gebirgsbewohners zu seiner Heimat spricht aus seinen Bildern. Nie versäumt er, das herrliche Gebirge darzustellen, in dessen Thälern er seine Jugend verbrachte. Namentlich die Farbenwunder des Herbstes wird er nicht müde, zu schildern. Ein tiefblauer Himmel, sanft abgetönt und von glänzenden Wolken durchzogen, verschwimmt weich mit den grünen, braunen und blauen Tönen, in denen die Erde schimmert. Leise Melancholie und idyllischer Friede ist der Grundton all seiner Landschaften. Die gleiche Entwicklung machte Basaiti durch. In frühen Werken, wie der Münchener Pietà, versucht er Mantegna an Schmerzenspathos zu überbieten. Später wird er mild, bellinesk in Empfindung und Farbe, wahrt aber ebenfalls als Landschafter seine Eigenart. Die illyrisch-dalmatinische Küste, woher er stammte, ist ein kahles, felsiges Land, schroff zum Meere abfallend, wild zerklüftet, mit ihren Buchten und steilen Felswänden an die Fjorde Norwegens erinnernd. Diesem wilden Charakter seiner Heimat entsprechen die landschaftlichen Hintergründe seiner Bilder. Bartolommeo Montagna von Vicenza, ein großer ernster Künstler, möge weiter der Gruppe derer eingereiht werden, die zwischen Mantegna und Bellini stehen.

Bei den folgenden ist von einer Nachwirkung der Muranesen überhaupt nichts mehr zu spüren, sondern sie stellen sich von vornherein auf den von Bellini bereiteten Boden. Dem Vittore Carpaccio hat es geschadet, daß man – äußerlichem Schema zu liebe – ihn stets von Gentile Bellini herleitete. Nächst Gentile gilt er als der hervorragendste Epiker der Schule, ein frisches Erzählertalent, das aus reichen Baulichkeiten, jugendlichen Mädchenköpfen und schmucken Jünglingsgestalten festlich heitere Novellen zusammensetzte. In der That beschreibt man Carpaccios bekanntestes Werk, den Cyklus mit der Legende der heiligen Ursula mit ähnlichen Worten wie die Bilder Gentiles. Diplomatischen Audienzen wohnt man bei, blickt auf das Meer, wo Gondeln und reich beflaggte Schiffe sich bewegen, sieht halb klassische, halb orientalische Monumente und davor auf den Terrassen, auf den Treppen eine festlich geschmückte Menge, stolze Senatoren, elegante Jünglinge, schöne Frauen, Musiker, die Fanfaren ertönen lassen, bunte Fahnen, die im Winde flattern. Aus prunkvollen Palästen, malerischen Kostümen, glitzernden Wogen setzt er eine Feenwelt zusammen. Damit ist aber auch gesagt, was ihn von Gentile unterscheidet. Während dieser architektonische Veduten malte, alles trocken mit dem Auge des Illustrators betrachtete, ist Carpaccio der Poet, der die Wirklichkeit mit Märchenzauber umwebt, von der Erde hinweg in ein Traumland entrückt, wo es nur himmlische Menschen, nur reine Gefühle giebt. Nicht Venedig malt er, er malt die Liebeshöfe der Provence, malt deutsche Märchen mit Lindenblüten, schlanken Prinzessinnen und verzauberten Königssöhnen. Seine Bilder sind fêtes galantes, die im Himmel spielen. Und wie er im Martyriumstraum der heiligen Ursula die ganze Mystik des Christentums malt, ist seine Darstellung im Tempel, seine Krönung der Jungfrau von blumenzarter, schmerzlicher Schönheit. Selbst die beiden Courtisanen, die auf dem Bilde des Museo Correr auf dem Balkon ihres Hauses sitzen, sind bei Carpaccio Engel geworden: Dirnen mit der Seele der Madonna. Man meint, daß eine Linie bestehe zwischen Carpaccio und jenem Johannes de Alemannia, der einst aus der Stadt Heinrich Susos nach Venedig gekommen.

Andrea Previtali aus Bergamo steht seelisch wohl Giovanni Bellini am nächsten und überrascht als Landschafter zuweilen durch einen intim traulichen, beinahe deutschen Zug. Vincenzo Catena schuf in seinem Martyrium der heiligen Katharina ein Bild, vor dem man bewundernd in der Kirche Santa Maria Mater Domini weilt: nicht nur weil die Landschaft – diese weite Ebene mit dem fernschimmernden Meer – so überirdisch schön ist, sondern weil es den ganzen Geist dieser spiritualistischen Epoche spiegelt. Dieses Mädchen, dem schon der Strick mit dem Mühlstein um den Hals geschlungen, und das doch kein Klagen, keine Thräne kennt, in stiller Demut dem Willen des Höchsten sich beugt – es bedeutet den Triumph der Seele über den Körper, die letzte Etappe auf dem Wege, den seit Savonarola die Kunst gegangen war.

Eine Sonderstellung neben diesen Meistern, die als kleinere Planeten um die Sonne Bellinis kreisen, nehmen nur diejenigen ein, die man die venetianischen Niederländer nennen könnte. Venedig war seit dem Beginn seiner Kunstgeschichte durch unzählige Bande mit dem Norden verknüpft. Nachdem Johannes de Alemannia den Stil Stephan Lochners nach den Lagunen gebracht, war 1473 aus den Niederlanden Antonello von Messina gekommen. Und wie die Bildnisse Giovanni Bellinis zuweilen niederländisch anmuten, ist an Marco Marziale nur der Name italienisch, der Stil so altvlämisch, daß er zum Kreise Rogers gehören könnte. Ein weiteres Band zwischen Nord und Süd wurde durch Jacopo de' Barbari geknüpft, der das erste Stillleben der Kunstgeschichte, das Rebhuhn der Augsburger Galerie, malte, in Nürnberg Dürer imponierte und als Hofmaler in Brüssel endete.