20 Heimreise von Rom nach Dresden

Nach oben  Zurück  Weiter

 

Heimreise von Rom nach Dresden

Am Tage vor meiner Abreise von Rom hatte ich folgende Stelle in mein Tagebuch eingeschrieben:

»Herr, ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die du an deinem Knecht getan hast; denn ich hatte nicht mehr, denn diesen Stab, als ich über den Jordan ging, und nun bin ich zwei Heere geworden.« 1. Moses 32, 10.

Es war das Gebet Jakobs, da er wieder heimzog in sein Vaterland und zu seiner Freundschaft, und drückt die Stimmung aus, die mich auch noch in den ersten Reisetagen begleitete; denn ich dachte daran, wie reich gesegnet für meine künstlerische Ausbildung und für mein inneres Leben ich jetzt heimzog im Vergleich zu der Armut und Unsicherheit, die mich bedrückte, als ich vor drei Jahren diese Straßen nach Rom zog.

Bei dem herrlichsten Frühlingswetter wanderte ich nun durch die schöne Berggegend des Apennin, wo jetzt alles im frischen Grün prangte, blühte und duftete. Über Narni, Terni und Foligno kam ich nach Assisi, wo mich die alten Malereien des Giotto, Buffalmaco u. a. in der Klosterkirche lange fesselten. Die kleine Kirche degli Angeli, in welcher Overbeck das Rosenwunder des heiligen Franziskus al fresco gemalt hatte, fand ich durch ein Erdbeben zerstört. Das Bild war unversehrt erhalten geblieben und wurde deshalb von dem Volke doppelt wert gehalten.

In Perugia blieb ich einen Tag im Hause Zanetti, woselbst viele deutsche Künstler die heiße Zeit des Sommers zuzubringen pflegten; denn die hochgelegene Stadt hat eine gesunde Lage.

Hier traf ich Rehbenitz und die Brüder Eberhard. Rehbenitz war der erste deutsche Maler gewesen, dem ich in Italien begegnet war. Er hatte mich damals in Florenz in das Verständnis der alten, vorraffaelischen Meister eingeführt, was mir in der Folge von großem Nutzen war; denn man versteht die Höhepunkte der klassischen Kunst erst dann in rechter Weise, wenn man die Vorstufen ihrer Entwickelung erkannt und geschaut hat.

Jetzt, gleichsam bei meinem Austritt aus Italien, sah ich ihn nun ganz unverhofft wieder und empfing von ihm den Reisesegen. Denn als ich gegen Abend an der westlichen Seite der Stadt, wo man einen schönen Blick in die umliegenden Berge und Täler hat, einen Spaziergang mit ihm gemacht und wir am Tore Abschied nahmen, faßte er meine dargebotene Rechte mit beiden Händen, sah mir ruhig und herzlich in die Augen und sagte: »Wo Sie auch hinkommen mögen, Ihnen wird es immer gut gehen.« Die Worte rührten mich innig und senkten sich wie eine gute Prophezeiung ins Herz. Ich habe ihrer oft gedacht, wenn der Himmel trübe wurde, und aus ihnen neuen Mut geschöpft.

Eine originelle und mir sehr liebe Erscheinung waren für mich die Brüder Eberhard, Franz und Konrad. Konrad, der als Künstler bedeutendste, war damals sechsundfünfzig Jahre alt, Bruder Franz aber siebenundfünfzig. Beide unverheiratet, lebten und arbeiteten sie in innigster Eintracht miteinander. Gingen sie so langsamen Schrittes auf der Straße, so glaubte man ein Bild aus alter Zeit zu sehen. In den stark markierten, ernsten, treuherzigen Gesichtern hatte sich tiefe Religiosität mit dem Typus ihrer schwäbischen Heimat stark ausgeprägt. Sie waren aus dem Allgäu gebürtig, wo sie schon als Knaben in ihrer Kunst geübt wurden; denn Vater und Großvater betrieben dieselbe in dort landesüblicher Weise, indem sie Kirchen- und Hausaltäre, Kruzifixe, Heiligenbilder und sogenannte Bildstöckel, wie sie an Wegen stehen, in altherkömmlicher Art ausführten. Ein glücklicher Zufall verschaffte Konrad eine Unterstützung, welche ihm möglich machte, in seinem achtundzwanzigsten Jahre nach München zu gehen. Hier wurde der damalige Kronprinz Ludwig von Bayern auf ihn aufmerksam, und im Jahre 1806 sandte ihn derselbe nach Rom.

Wie sehr ihn in Florenz die Werke Ghibertis, Donatellos, Luca della Robbias usw. entzückten, wie sehr er sich mit diesen und den alten Florentiner Malern gemüts- und geistesverwandt fühlte, kann man sich leicht denken; und wenn er auch in Rom das Studium der Antike mit Eifer betrieb und mehrere Werke in diesem Sinne ausführte, so blieb es doch immer seine Vorliebe, die seinem Gemüte näher stehenden christlichen Stoffe zu behandeln, wobei ihm seine lieben alten Florentiner Muster des Stils waren.

Es ist mir immer bemerkenswert erschienen, daß in einer Zeit, wo die meisten Maler an den Werken der älteren Florentiner Meister vorübergingen oder sie noch wenig beachteten, wo der geistvolle Carstens wie alle seine Genossen in Rom fast ausschließlich nur in der Antike lebten und solche Stoffe als die einzig künstlerischen bezeichneten, Eberhard ganz allein, dem Zuge seines Herzens folgend, in einer ganz entgegengesetzten Richtung unbeirrt fortarbeitete. Erst als nach einigen Jahren Overbeck, Cornelius und Veit nach Rom kamen, welche in Eberhard einen Geistesverwandten und Vorläufer fanden, brach sich die neue, vom christlichen Geiste durchdrungene Richtung Bahn und zog bald alles mit sich fort.

Die Eberhards waren jetzt von dem Magistrate nach Perugia berufen worden, um ein Meisterwerk Giovanni Pisanos herzustellen, nämlich den mit vielen Figuren reich geschmückten schönen Brunnen, welcher sehr beschädigt war. Niemand war wohl passender dazu als Eberhard, allein wie ich später hörte, zerschlug sich dieser Auftrag, und sie kehrten nach München zurück.

Bruder Franz, mit welchem ich den Abend zusammenblieb, zeigte mir ein paar von ihm in Alabaster geschnittene, wunderliebliche Madonnen mit dem Christkinde. Wenn man so dies knorrige Gesicht vor sich hatte, konnte man kaum denken, wie ein solches so viel zarte, seelenvollste Schönheit in sich zu tragen und zu gestalten vermöge.

Der protestantische Rehbenitz, wie die beiden katholischen Brüder, waren mir eine überaus liebe Begegnung und stehen in meinem Herzen in der Galerie der Hausheiligen, d. i. solcher Menschen, welche ich auf meinem Lebenswege angetroffen, die in Einfalt und Lauterkeit nach dem trachteten, was droben ist, und den Schein nicht achteten, weil sie von den Kräften einer zukünftigen Welt geschmeckt hatten.

Anderen Tags ergriff ich wieder den Wanderstab und zog nach Florenz.

Wieder wohnte ich hier acht Tage bei Metzger, dem Maler und Bilderrestaurator. Ich hatte die Freude, Kügelgen hier noch anzutreffen und einige Tage in den Uffizien und in den alten herrlichen Kirchen und Klöstern Santa Croce, Annunziata, Maria Novella mit ihm herumzustreifen und zu bewundern.

Mit wie anderen Augen sah ich jetzt diese Werke der Meister des vierzehnten Jahrhunderts an, als bei meinem ersten Aufenthalt! Ich schwelgte in diesem Frühling, in dieser Blütenzeit christlicher Kunst. Die Klosterzellen von San Marco mit den entzückenden Malereien des Angelico da Fiesole zogen mich ganz besonders an. Von seinen Bildern sagte man mit Recht: ein jedes sei ein Gebet. Die tiefen Eindrücke, welche ich hier empfing, wurden noch vermehrt und gesteigert, als ich von hier nach Pisa kam. Die Stadt war öde, still die Gassen und menschenleer; auf dem Platze vor dem Dom und Baptisterium, diesen fast märchenhaften Wunderbauten, weideten ein paar Schafe und labten sich an dem Grase, welches zwischen den Steinen emporwuchs.

Da trat ich nun in das Campo Santo und war überrascht von der Fülle der Gestalten und Situationen, welche von den langen Wänden herableuchten und in kindlicher Sprache die wunderbarsten Geschichten erzählen. Die heiteren Bilder des Benozzo Gozzoli aus dem Leben der Patriarchen, der einfach große Simon Memmi und vorzüglich das tiefsinnige und ganz eigentümliche Bild Orcagnas, der Triumph des Todes, prägten sich auf das ganze Leben in mir ein und haben nachgewirkt.

Die Marmorberge von Massa und Carrara hatten mich schon auf den Höhen bei Florenz angelockt; als ich aber jetzt dahin kam, trat ein solches Regenwetter ein, daß ich vom nächsten Felsen kaum eine Spur hatte; erst später, als ich von Sarzana aus einen Weg über das Gebirge nach Parma nahm, hatte ich einen herrlichen Anblick auf die schon fern liegenden Carrareserberge, hinter welchen sich das Meer zeigte. Ich übernachtete auf diesem sehr sterilen Bergplateau in einem elenden Dorfe. Während der Nacht hatte abermals strömender Regen den Weg sehr übel zugerichtet, und als eine Stunde vor Parma die Straße an der Seite eines Berges steil hinabführte, war es kaum zum Fortkommen. In der Mitte des Weges ein knietiefer Morast, zu beiden Seiten aber der Boden so aufgeweicht und schlüpfrig, daß ich, mit der linken Hand eine Barriere erfassend, welche an dem Abhang hinlief, und mit der rechten auf den Stock mich stemmend, die Steile vorsichtig hinabzukommen suchte. Da kam plötzlich ein Reitpferd, aber ohne Reiter, in munterem Trabe die Straße herauf; aber nirgend war ein Mensch zu erblicken. Um das Pferd aufzuhalten oder zum Umkehren zu bringen, trat ich, soweit es möglich war, nach der Mitte des Weges und suchte dies nun durch helles Rufen und heftiges Schwingen des Stockes zu bewirken. Das Roß scheute auch vor meinen Fechterstreichen zurück, setzte aber seitwärts über den Straßengraben und blieb schließlich auf der Höhe in einer fetten Wiese stehen, wo es ganz friedlich graste. Ich überließ es seinem Schicksale in dieser angenehmen Beschäftigung und kehrte zu meiner Barriere zurück.

Als der Weg jetzt um eine Felsenecke bog, hörte ich zu meiner nicht geringen Überraschung die süßen Laute der Muttersprache in meiner Nähe ertönen, gleichsam die erste Begrüßung aus dem Vaterlande.

»Da müssen doch tausend Himmeldonnerwetter hineinschlagen, der Racker ist fort, und ich kann nun – Heda!« rief ein Mann, welcher, einen Mantelsack in der Rechten, mit der Linken sich an den herabhängen Zweigen festzuhalten suchte, weil er in dem lehmigen Boden bei jedem Schritt auszuglitschen und zu fallen in Gefahr kam: »Heda! Voi! non avete vedute un cavallo?« – »Jawohl, oben auf der Höhe werden Sie es finden.« – »Warum in T.-Namen haben Sie es nicht aufgehalten!« brüllte er mit wütender Gebärde herüber und ergoß sich in einen Strom von Verwünschungen, Grobheiten und Flüchen, deren Reichtum zu bewundern gewesen wäre, wenn ich mich über den ganz ungebärdigen Kerl nicht geärgert hätte. Zugleich aber ließ es die komische Situation zu einem Äußersten nicht kommen; denn der tiefe Morast, welcher zwischen uns lag, erlaubte keine gegenseitige Annäherung. »Sie konnten tosammen nich kommen, dat Water war veel to teuf«, heißt es im Volksliede von Hero und Leander. Es blieb also nichts übrig, als daß Herr Grobianus mit seinem Mantelsack die Höhe unter fortwährendem Ausglitschen zu erreichen strebte, während ich, die Hand an der Barrieie, ebenso glitschig hinabzukommen trachtete.

*

In Parma wollte ich einen früheren Schüler meines Vaters, Heroin Kluge, besuchen, welcher unter Toschis Leitung zum Kupfersteher sich ausbilden wollte. Er war mit einer guten Pension von der Dresdener Akademie einige Jahre hierher geschickt worden, hat später auch ein paar Blätter (nach Törmer) für den Kunstverein gestochen, nahm aber zuletzt die Stelle eines Privatsekretärs an und ließ seine Kunst liegen. Ich traf Kluge nicht an.

Die Deckengemälde im Dom konnte ich nicht ruhig betrachten, da gerade Hochamt war. Übrigens reizte mich von den großen Malern der Italiener Correggio am wenigsten. Das Auge hatte sich an die strengen Umrisse der älteren Italiener so gewöhnt und war für die malerischen Wirkungen so wenig empfänglich, daß Correggio damals wenig von uns beachtet wurde. In der Dresdener Galerie kann man ihn am besten kennenlernen. Ich bedauere immer, daß er anstatt der Altarbilder nicht vorzugsweise oder auch ausschließlich mythologische Gegenstände gemalt hat; es müßten, zumal bei reicheren Kompositionen, ganz wunderbare Werke entstanden sein, wie kein anderer nur Ähnliches hätte schaffen können.

Der Dom war mit Menschen erfüllt, und der Organist spielte zur Messe das »Jägervergnügen«, wie man den Jägerchor aus dem Freischütz nannte. Zur Wandlung endlich gab der brave Mann den »Jungfernkranz mit veilchenblauer Seide« zum besten, und zwar auf dem Flötenregister. Für mein künstlerisches Gewissen war die Wirkung so rührend, daß es mich aus dem Tempel trieb.

Und ich nahm wieder den Wanderstab und zog gen Mailand. Hier ging ich mit meinem auszehrungskranken Geldbeutel in das damals renommierteste Hotel Reichmann. Eigentlich hätte mich der Wirtsname abschrecken sollen, aber der Mann war wie der Name ein Deutscher, und das entschied; denn je näher ich den Alpen kam, um so kräftiger zog das Wort: Vaterland!!

Ich muß hier erzählen, daß ich in Rom einem Landsmann zwanzig Scudi geliehen hatte, welche er, da er sie bei meiner Abreise nicht wiederzahlen konnte, mir nach Mailand zu senden versprach. Nun schrieb mir aber derselbe, daß er immer noch nichts zahlen könne und in der größten Not stecke. Dadurch war ich nun sehr in die Enge gekommen; denn ich sollte erst in Bern eine Anweisung von Arnold für die drei nächsten Monate erhalten.

Hier fand ich nun in dem Atelier Longhis meinen Freund Ludwig Gruner, und wir waren des Abends die wenigen Tage, welche ich in Mailand blieb, stets beisammen. Als er die Knappheit meiner Kasse bemerkte, bot er mir sogleich ein kleines Darlehen von einigen Napoleons an und rettete mich damit aus einer großen Verlegenheit; denn mein Geld hätte unmöglich bis zum Eintreffen des Wechsels ausreichen können.

Natürlich sah ich das Abendmahl Leonardos; aber mehr Eindruck machten einige der Kunstschätze in der Brera auf mich, namentlich das Sposalizio und einige Bilder von Luini.

An dem Comer- und Luganersee wurde manches gezeichnet, und als ich an dem Ufer des Lago maggiore nach einem Schiffer suchte, der mich nach den Borromäischen Inseln bringen sollte, wurde ich plötzlich von einem alten Manne angeredet, der für seinen Vater bettelte. Ich stutzte, weil der Bettler durchaus kein Jüngling, sondern wie er sagte, fünfundsiebzig Jahre alt war. Er führte mich einige Schritte vorwärts an den Strand, wo der Vater in einem Kahn saß. Er war hundertunddrei Jahr alt. Die Mittagssonne brannte auf seinen kahlen Schädel, und gebeugt, wie empfindungslos, saß die alte Menschengestalt da, gleich einem abgestorbenen Baumstumpf; ein das tiefste Mitleid erregender Anblick!

Als ich anderen Tage auf der Simplonstraße die Grenzhöhe erreicht hatte, jubelte ich laut auf; denn es war vaterländischer Boden, den ich nun betrat, trotz aller politischen Ab- und Einschnitte.

In Brieg, wo ich übernachtete, hörte ich wieder den Jägerchor aus dem »Freischütz«. Webers Oper machte ihren Lauf über Europa.

Um auf Bern zu kommen, wollte ich den nächsten Weg über die Gemmi einschlagen. Dieser abenteuerliche Felsensteig hatte für mich dadurch noch eine besondere Anziehung bekommen, weil ich früher Zacharias Werners schauerliche Tragödie »Der 24. Februar« gesehen und gelesen hatte. Es war in einem Liebhabertheater in Dresden, und Freund Oehme gab recht ergreifend den heimkehrenden Sohn.

So verließ ich denn das Rhonetal und stieg zur Rechten die Höhen hinauf. Ich hatte mich unterwegs mit Zeichnen aufgehalten und kam abends in der Nähe von Leuk an ein Dörfchen, wo ich in einer kleinen Hütte einkehrte, wo zwar ein Schoppen saurer Wein, aber nichts anderes zu haben war. Aber die Bewohner interessierten mich, besonders als sie um die Schüssel Milch, die mit einem Stück harten Schwarzbrotes ihre Abendmahlzeit ausmachte, andächtig betend standen.

Es waren ein würdig aussehender Alter mit wenig weißem Haar, ein ebenso altes Mütterchen und ein etwa zwölfjähriger stämmiger Junge, ihr Enkel. Das Gesicht des Alten hatte einen so eigenen Ausdruck, daß ich ihn nie vergessen konnte: als belächele er in stolzer Ruhe seine Armut, die ihm aber weder Sorge noch Kummer machte. Die lange, hagere Gestalt steckte in einem groben Leinwandkittel, der ursprünglich schwarz gewesen war. Das Mütterchen dagegen sah freundlich, liebevoll und dabei so höchst sauber aus – wie das ganze Stübchen und seine Geräte, und bediente geräuschlos ein jedes. Es war, als hätte ich den alten Eberhard Stilling samt Frau und Enkel vor mir. Der Junge, welcher einen stärkeren Appetit hatte als die beiden Alten, holte sich noch ein großes Stück Brot aus der Tischlade und mühte sich vergebens, es mit dem Messer zu schneiden. Er holte still ein Beil, und so brachte er es glücklich in Brocken auseinander; die Milch mußte diese schließlich erweichen, und das Lächeln des Alten war bei dieser Prozedur noch hübscher anzusehen.

Mein Nachtlager war in einem sogenannten Heustadel, welcher auf der Matte der Hütte gegenüber gelegen war. Er stand auf vier Pfählen, und man war genötigt, auf einer kurzen Leiter in die Türe zu steigen, denn unter dem Stadel plätscherte der kleine Bach raschen Laufes den Hügel hinab.

Tüchtig ermüdet lag ich so in meinem »Pfahlbau«, im warmen, duftigen Heu und freute mich noch ein paar Minuten lang des sonderbaren, ja poetischen Lagers; denn das Bächlein unter mir rauschte sein eintöniges Schlummerliedchen, und ein paar fehlende Schindeln im Dache ließen zwei blinkende Sternchen auf mich herabsehen. Unter mir die Zeit unablässig vorüberrauschend, so dachte ich –, über mir die ewigen Wohnungen!

Beim ersten Morgenrot weckte mich die eindringende Kälte. Meine Zeche von einigen Kreuzern hatte der Alte schon gestern abend in Empfang genommen; so stieg ich wohlgemut meine Leiter wieder herab und wanderte immer über grüne Matten den großen Felsenwänden zu, welche vor mir lagen. Unerklärlich aber war es mir, wo der Weg hinauf und hinüber führen solle, da beim Näherkommen keine Schlucht, kein Einschnitt in das Gebirg sich zeigte, bis ich zuletzt zu meinem größten Erstaunen die Linien eines Pfades an der senkrechten, himmelhohen Wand selbst entdeckte und mir sagte: das ist die berühmte Gemmiwand.

Seitdem ich meine Himmelsleiter am Heustadel verlassen, hatte ich noch nichts genossen. Leuk, dessen Kirchturmspitze rechts hervorragte, lag zu entfernt; ich scheute den großen Umweg und begann frischweg das Steigen auf dem schmalen Felsenpfad, in der Hoffnung, droben Sennhütten zu finden, wo ich mich würde stärken können. Die Sache kam aber anders. – Nachdem ich länger als anderthalb Stunden im Zickzack an der kolossalen Wand steil aufgestiegen war, immer den greulichen Abgrund knapp zur Seite, erreichte ich die Höhe. Ich machte große Augen, als ich statt der grünen Matten und Sennhütten große Schneeflächen vor mir erblickte, umgeben von schwarzen Felsenmassen und mit Eis und Schnee bedeckten Hörnern und Spitzen. Vom langen Steigen ganz erhitzt, suchte ich Schutz hinter einem hausgroßen Steinblock; denn es strich ein schneidend kalter Wind über die Plaine und der Himmel hatte sich mit dunklen Wolken umzogen. Hier war nun freilich weder Weg noch Steg zu sehen, sondern nur der halb zugefrorene, in seinem weißen Bette schlummernde schwarze Daubensee.

Indem ich noch so ratlos die Fläche übersehe und um eine Ecke des großen Blockes biege, erblicke ich einen Mann, welcher sich die Gamaschen anlegt, mit seinem Jungen, ebenfalls zum Übergang über das Schneefeld seine dicken Schuhe fester bindend. Die beiden stutzten über mein plötzliches Erscheinen, und der Mann fragte: ob ich ganz allein komme, und als ich bejahte, meinte er, ich solle nur mit ihnen kommen; sie gingen auch hinüber, nämlich: aus dem Wallis in das Berngebiet. Ich dankte Gott im stillen über den Führer, welchen er mir geschickt hatte, und ich folgte nun buchstäblich den Fußstapfen der beiden im Schnee. Als wir eine schneefreie Felsenplatte in der Hälfte des Weges erreicht hatten, wurde Rast gemacht, und als sie sahen, daß ich nichts Eßbares bei mir hatte, teilten sie ein Stück Brot mit mir, und ein paar Schlucke aus ihrer Branntweinflasche waren mein erstes Frühstück, obwohl es Mittag sein mochte.

Endlich hatten wir am anderen Ende des Überganges das einsame, graue Wirtshaus erreicht, das mir durch Zacharias Werners Schauerdrama bekannt war. Ich kehrte hier ein, und meine gutherzigen Führer verließen mich hier.

Das Hinabsteigen auf den steilen Waldpfaden in das Kanderstegertal strengte noch mehr an, als das Herauf an der Gemmiwand. Trotz ziemlicher Müdigkeit zeichnete ich noch eine schöne Gebirgsansicht, als schon die hohen Berggipfel abendlich sich vergoldeten. Erst in Kandersteg, wo ich übernachtete, konnte ich nach den Anstrengungen des Tages mich auch leiblich wieder stärken.

*

Wandernd und zeichnend kam ich endlich mit meinem kleinen, schwarzen Römer – Piccinino – nach Bern. Mein Geld war bis auf wenige Lire alle geworden, und leider fand ich den gehofften Brief mit Wechsel nicht vor, was mir den Aufenthalt recht ungemütlich machte; denn da es mir zuletzt ganz an Geld fehlte, konnte ich nicht einmal kleine Ausflüge in die Umgegend unternehmen, sondern mußte in der Stadt hocken bleiben, bis endlich nach acht Tagen das ersehnte Geldschiff anlangte. Noch denselben Nachmittag lief ich bis Thun, wo ich einige Tage verweilte und fleißig zeichnete.

Das gezwungene Ausruhen in Bern war mir indes recht wohltätig gewesen, denn ich hatte mich von den Zerstreuungen der Reise wieder sammeln und die reichen Eindrücke innerlich verarbeiten können. Noch tiefergehend geschah das hier in dem freundlichen Thun.

Als ich hier nach dem Abendessen noch das enge Gäßchen hinabschlenderte, welches nach dem See führt, blieb ich vor einem Fenster stehen, an welchem aufgeschlagene Bücher zum Verkauf standen. Es war bei einem Buchbinder. Ich las: »Arnds wahres Christentum. Erstes Buch in besonderem Abdruck.« – Ich erinnerte mich, daß es von meinen römischen Freunden als eine vortreffliche alte Schrift gerühmt wurde, und da es nur ein paar Groschen kostete, wollte ich es kaufen.

Der Buchbinder war ein kleiner, alter Mann mit einem Gesicht, auf welches Arbeit und Mühsal Furchen eingegraben hatten. Er sah mich wie forschend an, indem er mir das Buch reichte, und fragte etwas schüchtern: ob ich Liebhaber von derlei Schriften sei? Da ich es bejahte und in ein Gespräch mit ihm kam, so erkannten wir bald, daß der Glaube an Christus uns beiderseits Herzenssache sei.

Der alte Mann, welcher erst so schüchtern und wortkarg gewesen war, taute allmählich auf und erzählte nun, wie er vor zwanzig Jahren in einem Ort der Brüdergemeinde gearbeitet habe und dort zu dieser Erkenntnis gekommen und ihr mit Gottes Hilfe treu geblieben sei.

Innerlich mochten wir uns verstehen, äußerlich aber weniger; denn sein »Schwizerdütsch« und mein Hochdeutsch gingen sehr weit auseinander. Er habe hier niemand, klagte er, mit dem er sich über das, was ihm das Höchste und Teuerste sei im Leben und im Sterben, aussprechen könne, und fühle sich darum recht vereinsamt. Deshalb aber sei seine Freude so groß, und er preise Gott dafür, daß er erfahren habe, in weiter Ferne und unter jungen Männern gäbe es immer noch solche, die Gott suchten, ob sie ihn fühlen und finden möchten, und die ihn in Christo gefunden hätten.

Die Zeugen seiner inneren Bewegung, große Tränentropfen, rollten über die Falten seines Gesichts, und sein Weib stand schier verwundert über den begeisterten Redestrom ihres sonst so schweigsamen Alten und faltete andächtig ihre Hände.

Mir war das kleine Begegnis wie ein stiller Fingerzeig nach oben, ein leises und doch zu Herzen gehendes »Sursum corda!«

Noch ein paarmal besuchte ich meinen alten Hofer, so hieß der Buchbinder, fuhr dann eines schönen Morgens über den See und brachte einige Wochen bei dem herrlichsten Wetter im Berner Oberlande zu.

So prachtvoll und großartig die Natur hier war, und obgleich ich so manches aufs Papier brachte, so wußte ich sie doch nicht recht künstlerisch zu erfassen und kam über das Prospektartige nicht hinaus. Im Haslitale erfuhr ich, daß es einen Weg über den Susten gäbe, wo man auf die Gotthardstraße gelange. Ich beschloß, diesen Weg einzuschlagen, und blieb in einem Bauernhause über Nacht, welches dicht am Abhang des Berges lag, welcher das Tal – ich glaube das Gadmental – hier schloß.

Ich erkundigte mich, ob eine Sennhütte oben anzutreffen sei, welches versichert wurde, und so erstieg ich am frühen Morgen den Berg und gedachte mein Frühstück in der Sennhütte zu nehmen. Nach einem langen Steigen hatte ich die Alpe erreicht, und die Sennhütte stand auch richtig ohnweit des Fußpfades, den ich heraufgekommen war; aber der ganze Bergkessel, welchen die Alpe umschloß, lag noch in seinem weißen Winterkleide vor mir, und die Sennhütte war verschlossen, noch gar nicht bezogen.

Hier war nun guter Rat teuer. Ich stand etwas verblüfft, denn der nächstliegende Gedanke war an meinen Magen, der noch nichts bekommen, die lange anstrengende Bergbesteigung gemacht hatte und sich in der Erwartung eines Frühstücks in der Alphütte grausam getäuscht sah! Zugleich meldete sich beim Anblick der Gegend das zweite Bedenken: Wohin soll ich mich hier ohne Führer wenden? Eine schneebedeckte und hügelige Plaine, rings von Bergspitzen umgeben, und nirgends die Spur eines Fußtrittes im Schnee, keine Stangen, welche die Richtung in solchen Höhen zuweilen bezeichnen. Es war in der Tat eine schlechte Situation, und ich hatte Zeit genug, mich über meinen törichten Leichtsinn zu ärgern und auszuschelten; aber weder der Magen wurde damit besänftigt noch ein Weg gezeigt. Ich betrachtete ringsumher die beschneiten Felsenkämme und Spitzen und bemerkte – wie mir schien – in der Entfernung einiger Stunden eine Einsattelung in den Höhen, in welcher, wie ich vermuten durfte, der Pfad über das Joch gehen konnte.

Umkehren wollte ich einmal nicht, und so fügte ich zu der früheren Torheit, ohne mir dessen jetzt bewußt zu sein, die zweite und ging stracks vorwärts auf die feste, unbetretene Schneedecke in der Richtung nach dem glänzend weißen Schneesattel. Nach den vorhergegangenen warmen Tagen war indes die obere Kruste des Schnees nicht mehr fest, und mit jedem Schritt brach ich zolltief ein, wodurch das Gehen sehr beschwerlich wurde. Da kam mir der unheimliche Gedanke: Wie, wenn der zusammengewehte Schnee eine Tiefe, eine Kluft bedeckte, in welche ich hinabsänke, wo kein Mensch da ist, der mich retten, mir beistehen könnte, und kaum gedacht, brach ich durch und fuhr bis an die Knie hinab, warf mich aber auch in demselben Moment mit ausgebreiteten Armen lang hin, wo durch die nun verteilte Körperlast die Schneedecke mich trug und ich tiefer nicht hinabsinken konnte. Welcher gute Geist mir diesen Gedanken in diesem Augenblick eingab, weiß ich nicht, ist mir aber immer wundersam vorgekommen, da ich in anderen Fällen großer Geistesgegenwart mich nicht rühmen konnte. Vorsichtig raffte ich mich in die Höhe und ging nun sehr ängstlich weiter.

Als ich nach längerem Wandern stehend ausruhte und die immer noch entfernte, glänzend von der Sonne beleuchtete Sattelhöhe betrachtete, deren silberweiße Kontura sich scharf und rein an dem tiefblauen Himmel abzeichnete, schien es mir, als sähe ich oben am Rande derselben ein winzig kleines, schwarzes Pünktchen Ich sah starr darauf hin, und es schien mir, als bliebe dasselbe nicht auf einer Stelle, und nach einer Minute hatte ich mich völlig überzeugt, der Punkt sei weiter herabgerückt. Freudig jubelte ich auf; es mußte ein Mensch sein, und dann war meine genommene Richtung die rechte gewesen, und ich konnte jetzt getrost weiter schreiten. Der liebe Punkt war endlich herabgekommen, verschwand mehrmals wieder auf längere Zeit hinter den Schneehügeln in der Plaine, und nach etwa einer kleinen Stunde trat mir das Menschenkind grüßend entgegen. Ich fragte nach dem weiteren Weg, und bald war der Mann hinter mir verschwunden.

Auch ich kam nun über die Jochhöhe, unterhalb welcher der Schnee sehr bald aufhörte und ein Pfad in einer Bergrinne, die allmählich breiter und tiefer wurde, hinabführte.

Aber die Kalamitäten dieses Tages waren noch nicht zu Ende. Eine Herde schöner Kühe weidete hier oben auf einem grünen Rasenfleck, der rechts und links von Felsen, oberhalb aber vom Schnee umschlossen war, weshalb jene ohne Hirten waren. Schon von weitem hörte ich das dumpfe Grollen eines riesigen Bullen, der in der Mitte seiner Getreuen stand und seinem Mißbehagen über den sich Nähernden Ausdruck gab. Wie fernes Donnern klang die Stimme des Tieres, und mein kleiner Römer Piccinino hielt sich ängstlich nahe an meine Schritte. Hier aber überfiel mich selbst große Furcht, denn ich war verloren, wenn das grimmige Untier, was mich immer mit den Augen verfolgte, durch eine Bewegung der Herde veranlaßt, auf mich losgegangen wäre. Ausweichen oder entfliehen war nicht möglich, und so schritt ich mit bebendem Herzen zwischen den Felsen und den äußerst stehenden Kühen in gleichem Schritt vorwärts. Gott sei Dank! ich kam vorbei und hörte das tückische Grollen bald hinter mir. Pittsch (so hatte ich Piccinino verdeutscht) galoppierte bald wieder voraus und bezeugte seine wiedergefundene Courage durch lautes Bellen.

Es war spät nachmittags, als ich ein Dorf mit Wirtshaus erreichte und mit Speise und Trank mich wieder erquicken konnte. Wahrscheinlich war es das Dorf Wasen, an der Gotthardstraße.

Anderen Tages kam ich über Altdorf und Flüelen an den Vierwaldstätter See. Das Rütli, die Tellskapelle wurden mit Andacht betrachtet und in Brunnen ans Land gestiegen. Den folgenden Tag ging es an den Lowerzer See, über die Trümmer von Goldau nach dem Rigi.

Am Morgen weckte mich vor drei Uhr der Lärm der Hausglocke und des Alphorns, und die Fremden sammelten sich bald darauf auf dem Schaugerüst. Mit verschlafenen Gesichtern, wunderlich vermummt gegen die Kühle des Morgens, erwartete man den Aufgang der Sonne. Ich ging etwas abwärts, wo ich allein war, und dachte an Claudius' Vers: »Einfältiger Naturgenuß, ohn' Alfanz drum und dran« – und ging erst auf das Gerüst, als die Leute sich wieder verzogen hatten und im Kulm-Hotel beim Kaffee saßen.

Ein Fremder, von der anderen Seite kommend, stellte sich neben mich, und wir waren beide in den Anblick der weiten Ferne versunken, ohne daß einer den anderen angesehen hätte. Welche Freude, als wir beide uns jetzt wendeten und ich in Kügelgens freundliche Augen sah! – Das war uns ein neuer Sonnenaufgang; und als wir denn bald darauf beim warmen Kaffee saßen und erzählten, wurde gemeinsame Wanderung bis Stuttgart verabredet, wo Kügelgen nach dem Rhein und Bremen, ich rechts ab nach Nürnberg mich wenden mußte.

Das gab nun während einiger Wochen das schönste, innigste Zusammenleben, und unser Freundschaftsbund bekam jetzt die rechte Festigkeit für das ganze Leben. Wir gingen zunächst über Luzern nach Zürich.

Als wir in letzter Stadt um Mittag ankamen und in einen Gasthof traten, trat mir mein fahrender Sänger und Durchbrenner von Mailand fröhlich entgegen und erzählte in Kürze, welche »höchst romantische« Wanderung er über die Gebirge gemacht und, ohne von den Grenzjägern belästigt zu werden (er hatte keinen Paß bei sich gehabt), in die Schweiz gekommen sei. Er war eben im Begriff, mit einer sehr heiteren Gesellschaft Herren und junger Damen eine Spazierfahrt zu machen, und befand sich wie der Sperling im Hirsefelde in bester Laune.

Wir kamen über Tuttlingen durch einen Teil des Schwarzwaldes, und als die Julihitze allzu glühend brannte, quartierten wir uns in einem einsamen Dörfchen ein, was mitten im Walde lag, und brachten den Tag in der kühlen Dämmerung uralter Buchen zu, in freundschaftlichem Gespräch, lesend und zeichnend. Es waren mir unvergeßlich schöne, anregende Tage!

Meinen Weg hatte ich einzig deshalb über Stuttgart genommen, weil sich hier die Sammlung altdeutscher Bilder befand, welche Sulpice Boisserée und Bertram zusammengebracht. Der freundliche Herr Bertram führte uns selbst und zeigte seine Schätze, die mir eine Zauberwelt eröffneten.

Das war nun wirklich deutsche Art und Kunst, wie sie aus Geist und Gemüt des Volkes gewachsen war, unbeirrt und noch nicht beeinflußt von Theorien, Gelehrtheit und fremden Weisen. Eine gewisse Verwandtschaft mit den alten Italienern mochte wohl auch zu finden sein, namentlich in der gemeinsamen tiefchristlichen Auffassung der Gegenstände, bei den Italienern in mehr idealer Form, bei den Deutschen dagegen in realistischem Sinne, ebenso bei letzteren ein Hereinziehen der landschaftlichen Natur und vorzugsweise eine Verklärung und wunderbare Macht durch die Farbe.

Hat sich bei ersteren der Schönheitssinn früher entwickelt, so werden sie doch hier weit übertroffen durch die Macht der Farbe, welche alles zu verklären scheint, und durch das bedeutsame Hereinziehen der landschaftlichen Natur, die gewissermaßen mitwirkend eintritt. Der Italiener hat überhaupt weniger Sinn für die (äußere) Natur; sie hat für ihn keine Sprache oder er für diese Sprache weniger Sinn. Und doch ist die Natur, welche ihn umgibt, so schön, und sie wird nicht wenig dazu beigetragen haben, bei ihm den Schönheitssinn so früh zu wecken und zur Entwicklung zu bringen. Aber er wendet sich lieber sogleich zum vollkommensten Gebilde der Schöpfung, um dessentwillen alles Vorhergegangene da ist.

Es ist immer auffallend, daß in der Zeit, wo Eyck und Memling mit so innigem Verständnis und liebevollster Ausführung ihre heimische Umgebung malten und ihre biblischen Geschichten und Heiligen hineinversetzten – daß in jener Zeit nur selten etwas Ähnliches und nie in solcher Schönheit und Vollendung bei den italienischen Malern anzutreffen ist. Die späterhin ausgebildete Landschaftsmalerei ist ohnehin nur von Deutschen ausgebildet worden; ich denke an die Zeit des Paul Bril, des lothringischen Claude, Swanevelt, Ruisdael, Everdingen usw.

Aber ich kehre zu der Boisserée-Sammlung zurück. Ganz besonders entzückte mich Memlings »Freuden der Maria«: ich konnte mich nicht satt sehen an dieser eigentümlichen Komposition, eine heitere Wallfahrt mit all ihren wundersamen und rührenden Begebenheiten.

Von dem Memlingschen Christuskopf hatte ich so viel gehört und noch mehr überschwengliche Herzensergüsse gelesen, daß ich sehr enttäuscht wurde, als ich das Bild sah. Mir erschien das Gesicht unschön, fast plump und bäurisch, obwohl es ganz wunderbar ausgeführt war.

Als ich in den fünfziger Jahren auf einer Reise durch Belgien die Malereien Eycks und seiner Nachfolger besonders in Gent und Brügge zu sehen Gelegenheit hatte, fiel mir besonders bei den wohlerhaltensten derselben ein Unterschied in der Technik auf, welcher zwischen diesen und einigen der bei Boisserée befindlichen Bildern besteht. Manche der hiesigen Gemälde, namentlich die »Freuden der Maria«, haben durch die Restauration, durch Übergehung vieler Gewänder mit Lasurfarben, etwas Glattes, Lackiertes bekommen und dadurch von der feinen Lebendigkeit der Behandlung verloren.

Einen anderen Tag besuchte ich Danneckers Atelier; die große Christusfigur und besonders die kolossale Büste Schillers sind bekannte Meisterwerke.

Lebendiger in der Erinnerung ist mir ein Besuch bei Eberhard von Wächter geblieben. Ich wußte, daß Wächter zu jener Gruppe Künstler gehört hatte, welche, in Rom freundschaftlich vereint, die deutsche Kunst in lebensvollere Bahnen geführt hatten. Carstens, Koch, Schick und Wächter, auf der Antike und Raffael fußend, waren die Vorgänger von vier anderen, welche, von dem romantischen Zuge der Zeit ergriffen, von christlich-nationalen Anschauungen ausgingen: Cornelius, Overbeck, Veit und Schnorr.

Dadurch, daß diese letzteren den Ausgang ihrer Kunst von Eyck und Giotto nahmen, konnte ein Neues und Selbständiges auf allen Gebieten sich entwickeln, während die Antike und Raffael, als die Spitzen einer höchsten Kunstvollendung, in sich abgeschlossen sind und eine weitere Entwicklung nicht wohl zulassen. Auf der Spitze einer Pyramide läßt sich diese nicht wohl weiter führen.

Als Canova die Sammlung der Bilder bei Boisserée sah, bemerkte er so geistreich als treffend: Jeder Schritt, von Raffaels Kunst aus weiter getan, stürze diese Nachfolger hinab; auf dem Grunde Eycks aber sei ein unendliches Gebäude zu bauen.

Da ich mit dem teueren Meister Koch seit drei Jahren oft und viel verkehrt hatte, konnte ich jetzt seinem alten Freund und Mitstreiter die beste und ausführlichste Auskunft über sein Leben und Arbeiten gehen. Wächters Persönlichkeit machte mir einen sehr wohltuenden Eindruck. Die von den Jahren etwas gebeugte, nicht große Gestalt, der freundliche, sinnige Ausdruck seines rötlichen Gesichtes mit den kleinen weißen Locken, welche aus dem Samtkäppchen hervorquollen, seine ganze Erscheinung zeigte einen Mann von zarter Empfindung, der mehr nach innen lebend in edler Einfachheit sich darstellte. Er führte mich in sein Arbeitszimmer und zeigte mir seinen »Hiob und seine Freunde«. Das einfach Große, Stilvolle der Komposition machte einen Eindruck, wie er dem Ernst des Gegenstandes angemessen war; es gefiel mir sehr, trotz der auch für jene Zeit etwas mangelhaften Technik. Er sah mich, als ich das Gemälde betrachtete, unverwandt etwas schüchtern und wie fragend an, und ich konnte mich in sein Empfinden versetzen. Wer eben aus Rom kommt, Casa Bartholdy und Massimi gesehen hat – wie wird dem mein Bild erscheinen? – Das waren sicherlich seine Gedanken, und ich hätte sie an seiner Stelle auch gehabt. Doch mußte er aus meinen Mienen etwas Befriedigendes gelesen haben, was meine Worte nachher bestätigt hatten; denn er zeigte nun noch mehrere der Mythologie entnommene Bilder, und ich mußte ihm viel von Rom, d. h. von den dortigen Künstlern erzählen.

Kügelgen eilte von hier nach dem Rhein und Bremen, wo er sich – wie ich später hörte – mit Julie Krummacher verlobte; ich aber zog über Schwäbisch Hall auf den einsamen Straßen weiter.

Die Gegend war öde, die Landschaft leer, der Himmel mit dunkelm Gewölk bedeckt; ich wurde des langen Wanderns endlich müde, besonders da ich jetzt wieder allein war. Der Abend war heute zeitiger eingebrochen; ich war froh, als ich auf den jenseitigen Anhöhen eines kleinen Flusses eine Stadt erblickte, deren viele Türme und Türmchen ihr ein bedeutendes und altertümliches Ansehen gaben. Ich fragte: es war Rothenburg an der Tauber. Jetzt besann ich mich, daß ich diesen Namen in Musäus' Volksmärchen gelesen hatte, und zwar in der Schatzgräbergeschichte, wo die Schäfergilde ihr herkömmliches Fest in Rothenburg feiert. Die Geschichte hatte mir immer ganz besonders gefallen, und jetzt war ich ganz unverhofft in ihr romantisches Gebiet gekommen. Der Abend dämmerte bereits, als ich in die engen, holprigen Straßen trat. Die Häuser mit den hohen, spitzen Giebeln, die Stockwerke immer das darunterliegende überragend, altertümliche Schilder und Innungszeichen, gotische Kapellen und Kirchen, aber selten ein paar Menschen in den Gassen, alles so still in dieser Dämmerstunde! – Ich glaubte, plötzlich ins Mittelalter versetzt zu sein, besonders als ich in die Herberge trat. Eine kleine gotische Türe, zwei Stufen abwärts in die Hausflur zu steigen. Die Gaststube ein niedriger Raum, kleine Fenster mit runden Scheiben. An den Tischen saßen einige Männer in Kleidern, die auch aus Großvaters Zeiten zu sein schienen, bei ihrem Biere in hohen Zinnkrügen, wie ich sie nur aus Albrecht Dürer kannte. Ich saß hier bei meinem Abendessen hinter dem grünen, alten Kachelofen und lauschte dem Gespräch der Männer wie Peter Bloch in der Erzählung; aber von einem verborgenen Schatz wurde nichts berichtet.

Als ich zwanzig Jahre später den Musäus zu illustrieren hatte, tauchte die Erinnerung an das alte Rothenburg an der Tauber lebendig wieder auf. Und zehn Jahre darauf rief mir einst v. Ramberg in München zu: »Ich habe vorigen Monat auf einer Wanderung in Oberbayern mit Freund N. N eine Stadt entdeckt, wo wir uns immer zuriefen: Das sieht hier aus, als wenn es Ludwig Richter komponiert hätte; da sollten Sie einmal hin«; es war Rothenburg an der Tauber – Doch hatte ich damals nicht das geringste dort gezeichnet, sondern war am frühen Morgen weiter gewandert.

In Ansbach, wohin ich anderen Tages kam, war das Gespräch über Kaspar Hauser und sein trauriges Ende noch überall lebendig. In einem Buchladen sah ich Schuberts »Altes und Neues«, dessen zweiter Band soeben herausgekommen war, und kaufte es sogleich; denn ich hatte den ersten Band in Rom gelesen und war davon tief ergriffen worden, wie es denn zu jener Zeit in großen Kreisen eine bedeutende Wirkung hervorbrachte. Dergleichen Wirkungen begreift man nur, wenn man den Zustand der unter dem Rationalismus verkümmerten Volkskirche bedenkt, welcher auf den protestantischen Kanzeln sein Wesen trieb. Er war so recht das Christentum des Philisters.

Am folgenden Abend kam ich nach Nürnberg, und hier war nun der Kreis meiner Fußwanderung abgeschlossen, denn von hier aus wollte ich mit der Post nach Dresden fahren. Ich ging ins »Blaue Glöckli«, wo die Maler gewöhnlich ihre Herberge nahmen, und bewohnte die ganze erste Etage, welche freilich nur zwei Fenster breit war und ein Zimmer enthielt. Zu meiner Freude hörte ich vom Wirt, daß ein Maler das dritte Stockwerk bewohne: es war Hieronymus Heß, der Schweizer, ein Freund des alten Koch, der die Waldpartie in seinen »Schmadribach« gemalt hatte. Auch die beiden Landschaftsbücher, in welche Koch seine Studien von Olevano und Civitella gezeichnet hatte, enthielten eine Reihe ganz vortrefflicher, höchst humoristisch aufgefaßter und in Aquarell ausgeführter Baseler Persönlichkeiten von Heß. Natürlich war es mir daher höchst interessant, diesen oft besprochenen alten Gesellen hier so unverhofft anzutreffen.

Am anderen Morgen besuchte er mich in meiner Beletage, im tiefsten Negligé, ohne Rock und Weste, die Hemdärmel aufgestreift, mit ungekämmtem Haar, worin noch Bettfedern und Strohhalme hängen geblieben waren, und holte aus mir heraus, was ich von den römischen Bekannten mitzuteilen wußte.

Der wirklich in hohem Grade begabte Mensch war eines jener »fahrenden Genies«, welche sich aus einer gewissen Sturm- und Drangperiode nicht herausfinden können noch wollen und deshalb trotz großen Talentes zu keiner rechten Entfaltung und Verwendung desselben gelangen. Hier in Nürnberg zeichnete er meist für Buchhändler und machte alles, was von ihm begehrt wurde, leider aber nichts, wozu sein Talent sich eignete und wodurch er sich hätte bemerkbar machen und Ruf erlangen können.

Seine Art zu zeichnen hatte viel von seinem großen Landsmann Holbein; denn Heß war auch ein Baseler. Sie war sicher, fast jede Linie von Verständnis zeugend; die Auffassung hatte etwas einfach Großes, Stilvolles, mit feinster Beobachtung der charakteristischen Züge seines Gegenstandes. Die Aquarelle sind gewöhnlich tief in der Farbe und erinnern auch in dieser Beziehung an Holbein.

Ich glaube indes, sein Element war eigentlich das Komische und der Humor. Bekannt ist seine Aquarelle, welche Thorwaldsen besaß und welche unter dem Namen »Die Judenpredigt« bekannt ist. Die originelle Szene ist folgende: Es war in Rom Gebrauch, daß alljährlich in einer Kirche, welche dem Eingang des Ghetto gegenüber liegt, eine Predigt abgehalten wurde, welcher beizuwohnen die Juden verpflichtet waren. Die wunderbaren Gesichter in allen möglichen Schattierungen, entweder stumme Verachtung oder affektierte Gleichgültigkeit zur Schau tragend, indes andere sich winden und pressen, um ihre innere Entrüstung, ja ihren Grimm nicht laut werden zu lassen, ist ebenso originell als tragikomisch in der Wirkung dargestellt.

*

In Nürnberg war nun meine lange Fußwanderung zum Abschluß gekommen. Von hier fuhr ich mit der Post nach der lieben Vaterstadt zurück.

Ich schließe dieses Heft mit dem Briefe v. Maydells, den ich in Nürnberg zu meiner innigsten Freude vorgefunden hatte.

*

Roma, den 27. Juli 1826.

Mein lieber alter Hadrian!

Gelobt sei Jesus Christus, der Sich selbst zum Anfang und Ende all unseres Denkens und Tuns setzen möge, wie Er das A und O der Schöpfung ist. Hat Er doch gesagt, daß Er bei uns sein wolle bis an das Ende der Tage, so liegt es an uns, daß wir Ihm nicht auftun und eingehen lassen, denn Er steht und klopft an, ob eine Seele Ihm auftue, daß Er Abendmahl mit ihr halten möge, und sie mit Ihm. Aber wir lassen so viel andere Dinge eingehen, die, wenn wir ihnen auch nur Einzugsrecht gestatten wollen, doch Besitz und festen Fuß fassen und sich so breit machen, daß der Herr, der immer noch in demütiger Knechtsgestalt umhergeht, vor dem bunten Gedränge nicht hinzu kann. Darüber muß ich so klagen als wie Du, mein liebster Junge, ob ich gleich nicht wie Du durch soviel Neues aus mir herausgeführt werde und bei der einfachen Tagesordnung mehr auf mich achtgeben könnte.

Aber es sind wohl nicht die Außendinge, die uns zerstreuen, wenigstens nicht in dem Maße, als wir ihnen gern zuschreiben möchten; die eitlen Gedanken und Phantasien des Herzens, die nimmer rasten und deren Lust im Fleisch ist, mögen wohl der eigentliche Verführer sein, die uns ableiten, wir mögen in vier Wänden eingeschlossen sein oder auf Feldern und Bergen umherstreichen. Da hilft denn nur beten und beten und beten.

Weißt Du wohl, daß ich mir einen Vorwurf mache, daß wir den letzten Abend, den wir zusammen waren in Regnano, das gemeinschaftliche Nachtgebet versäumt haben? Mir fiel es, als ich den anderen Tag allein zurückging, ein und kam mir wie ein schlimmes Zeichen für Dich vor, als würde die Reisezerstreuung Dich zum öfteren davon abhalten. Man soll wohl gerade, wenn man am wenigsten dazu aufgelegt ist, am eifrigsten beten, und ich habe das in mehreren Fällen, wo ich wie Lutherus durchriß, bewährt gefunden.

Aber Du hast ja darin soviel Erfahrung wie ich, es liegt auch nicht an der Erkenntnis, sondern an dem Tun danach, und das bleibt allewege Stückwerk, bis es einmal ganz in Stücken gehen und das Vollkommene anfangen wird. Wie gern sagte ich Dir nach Deinem Wunsch allerlei Trost und Stärkung, und da bitte ich denn den lieben Herrn, daß Er in meine schwachen Worte soviel von seiner Kraft legen möge, als Dir Not ist, kann doch keiner den andern trösten, ohne den Tröster, den Geist, der uns die Versicherung gibt, daß wir Gottes Kinder sind und einen Zugang haben zu Ihm, d. h. Jesum Christum, den Erstgebornen aus vielen Brüdern. O du Glanz der Herrlichkeit, Licht vom Licht aus Gott geboren, mach uns allesamt bereit, öffne unser Herz und Ohren, daß der Geist hier von der Erde ganz zu dir gezogen werde. Wir sind noch Streiter Christi, mein Bruder, und tragen den Feind immer mit uns, der uns die Siegesfreude, solange wir noch auf dem Kampfplatz sind, nicht läßt, zumal wenn wir versäumen, das Konstantinszeichen I H S auf unser Panier zu setzen, mit dem wir am Ende doch, sei's auch unter beständigem Falle und Aufstehen, zur Siegespforte eingehen. O der Herr ist treu; der es verheißen hat, öffnet uns in der höchsten Not wie der Hagar die Augen, daß wir den Brunnen sehen, der doch so nahe liegt.

Wie hast Du doch so schön den alten Hofer in Thun gefunden oder bist zu ihm geführt worden, was nicht geschehen wäre, wenn Du, wie Deine Absicht war und ich erwartete, mir aus Mailand geschrieben hättest, woran Dich vielleicht etwas unbedeutend Scheinendes verhinderte. Uns allen hat die Geschichte hier rechte Freude gemacht, einmal für Dich und dann für das Reich Gottes, das überall seine Körnlein Salz ausgestreut hat, den großen Strom, zu dem alle Menschen gehören, zu salzen. Sollte ich nach Thun kommen, so besuche ich ihn gewiß. Ich breche ab, weil ich heute den Vatikan einmal wieder besuchen will, und die Zeit schon da ist. Auf den Abend weiter. –

Ich habe den weiten Weg in der Hitze umsonst gemacht; denn während des Sommers soll der Vatikan nur Donnerstags öffentlich sein. Auf dem Heimwege trat ich in mehrere Kirchen ein und endlich auch in die Chiesa nuova, wo es sich eben zu einer Nachmittagspredigt schickte, zu der ich mich denn auch in ein Winkelchen setzte. Sonderbar genug ging der Predigt ohngefähr ein halbstündiges Vorlesen eines Abrisses aus dem Leben eines beato Angelo des Ordens vorher, und buchstäblich ein Abriß oder Abbruch; denn sowie der Sand verlaufen war, brach der Vorleser mitten im Satze ab und ging. Die Predigt selbst war fromm und gut gemeint und zielte dahin zu beweisen, daß die Erde ein Tränental, valle delle lagrime sei. Der alte, lange, hagere Mann hatte ganz hohle Augen, die er oft aufschlug, und in seinem Wesen war etwas, das wie Heimweh aussah und wohl mehr als seine Worte wirken mochte. Auch äußerte er manches, dessen Konsequenzen zum höchsten Licht geführt hätten, die er aber nicht verfolgte, vielleicht weil sie ihm selbst nicht klar waren.

Es ist doch eigen, wie das einfache und kündiggroße Geheimnis, die Grundparole des Reiches Gottes, doch immer noch so unbekannt ist oder falsch verstanden wird, nämlich die Vergebung der Sünde aus purer Gnade. Der Stolz und Hochmut des Menschen stößt sich eben immer daran, auch wenn er die demütigste Gestalt annimmt. Rothe sagte letzt, die Menschen könnten es gar nicht glauben, daß Gott sich zu ihnen herabgelassen habe, und wollen immer vor allen Dingen zu Ihm herauf erhoben sein. O laß uns des Gottes freuen, der so niedrig geworden ist, daß wir uns nur nahen können in dem Maße wir uns der Menschenwürde, des Strebens nach Vollkommenheit pp. entschlagen und nur Seinen Gehorsam suchen, und wahrlich, wir brauchten nicht viel Mühe dazu, wenn wir uns die Nichtigkeit all dieser Bestrebungen nicht so mühsam verdeckten. Bringen wir es wohl je zu irgend mehr, als zu ruckweise guten Vorsätzen und allenfalls zu einer äußeren, konsequenten Befolgung derselben, die aber, wenn wir sie recht besehen wollen, auf ganz anderen Füßen, als jene Vorsätze sind, ruhen? Du hast wohl recht, wenn Du Deinen öden Zustand als eine Schule des Geistes ansiehst, davon Du lernen kannst, wie Du ohne Ihn nichts bist und also auch nicht imstande, Ihm aus eigener Macht entgegen zu gehen oder anderswo Reichtum zu suchen. Das Gefühl der eigenen Armut (Erkenntnis derselben reicht nicht hin) ist der sichere Vorbote des Herrn, und ich bin überzeugt, daß Er Dich nicht unbesucht gelassen haben wird. Doch gilt, wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, stille sein und harren, wovon wir ja schon öfter gesprochen.

Es waren doch damals gute Zeiten, als wir beieinander waren und miteinander sprechen konnten, und es kann Dich, lieber Junge, nicht mehr danach verlangen als mich selber, und unser Bergschloß will ich wohl lange nicht vergessen. Jetzt laufe ich herum wie ein Duett, dem die zweite Stimme fehlt, und ich habe auch gar keine Lust, mir irgendeine andere zu suchen, wo vielleicht einige Töne harmonieren, aber bis auf den Grund hält keine bei weitem aus, und ich weiß auch nicht, wie das mit einem anderen als mit Dir gehen sollte. Es ist wirklich kurios, wie wir zwei ineinander hineinpaßten, gerade in unserer Verschiedenheit, wo wir uns gegenseitig ergänzten, und ich meine, daß der liebe Gott aus uns beiden einen ganz exzellenten Kerl gemacht haben könnte. Es ist aber recht gut, daß Er's nicht getan; denn gerade das Gefühl des Ergänztwerdens ist so gar angenehm, wie das Löschen des Durstes.

Daß ich Dich noch in Dresden sehe, ist mir eine Hauptfreude, aber wie wird es nachher werden. Vielleicht machst Du einmal eine Reise nach Schweden und nimmst mich unterwegs mit. Es wäre doch gar hübsch, wenn wir, wie wir den Lago di Fucino und den Wasserfall von Isola di Sora sahen, so auch den Mälar- und Wenersee und den Trollhättafall miteinander bereisten. Es wäre gar zu schön und hätte für unseren künftigen Verkehr auch den Vorteil, daß Du in meinem Hauswesen und meinen Umgebungen bekannt würdest, wie ich jetzt das Deinige in Dresden kennenlernen werde. Es wird Dir unter meinen Leuten gefallen, das bin ich überzeugt, und Du sollst sehen, daß es unter der Eisrinde des Nordpols doch ein blühendes Leben gibt, mit reichen Früchten für das Herz. Es blüht des Christen inwendiges Leben und ist unter allen Zonen gleich. –

Den 28. Gott zum Gruß, lieber Hadrian, und einen so freundlichen hellen Morgen, als der eben über die Granatbäume zu meinem Fenster hereinstreicht. Wo magst Du doch wohl jetzt sein; auf Bergen oder in Tälern in dem heimischen Grund? Wie es auch um Dich sei, in Dir sei der Friede, den uns der Herr gelassen hat. Mich ruft der Morgen so lustig heraus, mir wird das Stübchen zu enge, ich zöge gar zu gern mit Dir durch Feld und Wald, das sollte wohl ein hübsches Leben sein. Daß Dir Deutschland so gefällt, ist mir sehr recht, und ich meine, es soll mir auch gefallen, und sogar in der kalten Heimat, nach der ich mich recht sehne. Es wäre wirklich eine Krone auf unser Zusammenleben gewesen, wenn wir auch diese Reise miteinander hätten machen können, und vielleicht begleitest Du mich über Berlin und Magdeburg nach Hamburg und Lübeck, da Du Norddeutschland noch gar nicht kennst; es wäre eine Ostiareise ins Große. Das Reisen steckt mir jetzt sehr im Kopfe, umgekehrt wie Dir, der Du Dich nach Ruhe sehnst; wären wir beisammen, so würde sich wohl beides geben. Ich nehme vor allen Dingen jetzt besonders von den Erscheinungen der Jahreszeit nacheinander Abschied, und mir wird weh und wehmütig dabei, und die Wehmut behalte ich wohl mein Lebelang. Wen sollte nicht die schöne Frakturschrift freuen, mit der der Herr in diesen Ländern das Buch der Natur geziert hat, die einen mit so mächtigen dunklen und doch so hellen Ahnungen erfüllt?

Verwandte Zeichen und Töne treten und klingen dem Menschen überall entgegen; aber er vernimmt sie nur undeutlich, und das Bewußtsein, herausgetreten zu sein aus der heiligen Stelle, wo alles das zu einer Harmonie und zu einer verständlichen Schrift zusammenfließt, und die Sehnsucht danach ist es, was diese Wehmut in uns gießt und gleich dem Gewissen eine starke Stimme ist. So fühlen wir denn, daß wir hier nicht zu Hause sind, sondern gleich den Erzvätern eine bessere Heimat suchen, und sollten wir eigentlich unsere kleinen Reisen als vorbildlich der Lebensreise ansehen, und es fände sich da mancher nützliche Vergleich. Aber des schweren Fleisches wegen muß der Geist, der sich am liebsten nicht ausruhte, doch aus mancherlei Rücksicht eine Ruhestatt suchen, und dawider dürfen wir nicht tun; denn wir sind nicht umsonst so zusammengesetzt, und nur wenn einem jeglichen Teil sein Recht geschieht, kann des Menschen Leben recht rund und tüchtig werden.

Es ist wohl sehr richtig, wie unser alter Rothe neulich sagte, und gehört ganz hierher, wie Du bald sehen wirst: daß die ganze Welt die eigentliche Kirche Gottes sei, die Anstalt, durch welche Er die Menschen zum Himmelreich bildet, und wir sehen deutlich, wie die Begebenheiten in der Weltgeschichte, die Fortschritte in profaner Erkenntnis, die Ausbildung des Menschengeistes durch Kunst und Wissenschaft, wenn sie auch in der Nähe dem beschränkten Blick ganz den Wegen Gottes zuwider zu sein scheinen, doch immer zu hellem Licht im göttlichen Wort führen, und die Menschen empfänglicher für die Tiefen desselben machen. Ja es wäre deutlich nachzuweisen, daß solche Erscheinungen von ausgebreiteterer und dauernderer Wirkung gewesen sind, als das Licht einzelner Erweckungen, mit denen der Herr hie und da einzelne Seelen heimsuchte, die als etwas für sich Abgeschlossenes und Vollendetes wenig Einfluß auf den großen Strom hatten, der, ohne sich an diese festgeankerten Felsen halten zu können, weil er sie noch nicht verstand, an ihnen vorüberrauschte und sie bald vergaß. Der Herr führt seine Menschen durch die gewaltigen Wogen der Zeit einem sicheren Ziele entgegen, dem wir uns als Weltbürger nicht vermessen entziehen dürfen oder sein Schäumen verachten, wenn wir auch im Herzen die Ruhestatt von des Lebens Arbeit gefunden haben. Dies ist der Schade, den die Separatisten der Welt getan haben, daß sie sie zum Widerstande reizten und dadurch vom Ziele, das sie im ruhigen Fluß eher erreicht hätte, abhielten. Wer die Welt reizt, macht sie widerspenstiger, als sie von Natur gewesen wäre; darum soll, um beide Gleichnisse miteinander zu vereinigen, man sich in den Glanz und Fluß der Welt ergeben und dort seine Ruhestatt nehmen, der Welt und der Menschen selbst wegen, während das von Gott gelehrte Herz, dem Zuge sich entwindend, unverwandt dem Felsen Gottes zustrebt und an ihn sich klammert. Auch hier zeigt sich die Allgegenwart Gottes in Zeit und Ewigkeit. Du siehst, wieviel heller die Gegenstände von diesem Standpunkt sich zeigen, wie er uns verwehrte, die großen Wege Gottes in der Geschichte nach unserer schwachen Erkenntnis zu beurteilen, und uns lehrt, die großen Taten der Menschen, ihre Kunst und Wissenschaft erst recht zu würdigen und sie zu bewundern wie den Leviathan und Behemot, an denen der Herr seine Macht gepriesen haben will.

Man braucht nun nicht mehr alles zu verdammen, an dem unser schwaches Auge das Siegel Gottes nicht erkennt, und es als eine Rebellion gegen ihn anzusehen; im Gegenteil ist es ein Gehorsam, wenn es auch nicht aus Gehorsam kommt; die Taten sind alle Gottes, aber die Gesinnung ist des Menschen. Damit ist ein großer gesetzlicher Zwang gelöst und ein Schritt der vollkommenen Freiheit entgegen getan, die uns erlaubt, alle Dinge zu gebrauchen, allein daß es in Gott geschehe. Das Feld wird unendlich weit, und ein Beispiel, wieviel sich alles darauf tun läßt, habe ich letzt an Heßens Bild, dem Parnaß, gesehen. Es ist ganz herrlich und so frisch und herzstärkend und zeigt recht, wie ein heiliger Geist selbst durch profane Gegenstände weht, wenn man sie nur recht darstellt. Er hat sich der Sache ganz rein und unbefangen hingegeben und reine, unschuldige Wesen geschaffen, die einem das Herz auftun und denen man folgen kann, ohne zu fürchten, abgeführt zu werden. Dabei ist das Bild so schön und gediegen zusammenkomponiert, die neun Schwestern treiben nicht, wie auf dem Mengsschen Bilde und sonst gewöhnlich, jede ihr Handwerk für sich, daß das Wesen fast einem Tollhaus gleicht, sondern horchen aufmerksam dem Hochgesang ihres Führers, von dem jede zu lernen scheint und um den sie sich ungesucht und doch nach innerer Verwandtschaft gar schön gruppieren. Der Gipfel des waldigen Parnaß mit Lorbeer, Zypresse, immergrüner Eiche, Goldäpfeln ist prächtig gemacht, und auf beiden Seiten sieht man das Gestade und das weite Meer; auch ist es köstlich gemalt, und einzelne Stellen, die ganz fertig sind, können gar nicht besser gemacht werden. Das Bild hat mir sehr große Freude gemacht; das Verführerische liegt eben wieder nicht in den Dingen, sondern in unserem eitlen, unreinen Herzen, das sie mißbraucht und entheiligt, und je tiefer wir durch unseren Herrn in Gott wurzeln, desto mehr wird der Spruch, daß dem Reinen alles rein ist, an uns wahr, aber auch nur dann können wir uns auf ihn berufen.

Ich erkenne ja mehr und mehr, welch eine hohe Schule die Welt ist, wieviel man in ihr lernen kann und welche mannigfache, lehrreiche Aufgaben sie gibt, die man alle beim Abschließen von ihr verliert und unmöglich so die Ausbildung erlangen kann, zu der wir angewiesen sind; wogegen wir aber unserem ärgsten Feind, den wir immer mit uns tragen, gerade rechte Muße und Freiheit geben und ihn mit Stolz groß füttern, bis er uns zum Strick wird. Was ist nun das Resultat von allem? Getrost auf die Versöhnung Christi den Wegen Gottes mit uns ohne Klügeln folgen als Pilgrime, die ohne Führer der rechten Straße nicht kundig sind, und unsere Hoffnung auf eine bessere Heimat richten, wo das vollkommen erscheinen wird, davon wir jetzt nur Stückwerk sehen. »Er aber unser Herr Jesus Christus, und Gott unser Vater, der Uns hat geliebt, und gegeben einen ewigen Trost und eine gute Hoffnung, durch Gnade, der ermahne unsere Herzen und stärke uns in allerlei Lehre und guten Werken.« 2. Thess. 2, 16, 17.

Sieh, Brüderchen, wenn wir beisammen wären, was ließe sich darüber nicht noch viel reden, es wäre, ein rechtes Gespräch im Freien, daß man seine Gedanken an Berge und Ströme und Wälder und Städte anknüpfen könnte und sich und die Dinge zugleich besser verstehen; schriftlich nimmt sich's schlecht aus, und Du mußt Dich eben mit mir gewöhnen, zwischen den Zeilen zu lesen, weil mir oft beim flüchtigen Schreiben die Hauptspitze des Gedankens daneben fällt, wo Du sie dann suchen mußt. Bei Dir hat es aber keine Not, Du wirst mich schon verstehen und wohl sehen, daß es keine neuen Ansichten sind, sondern die alten nur auf einen höheren Standpunkt genommen, daß die nächsten Gegenstände die ferneren nicht mehr so decken. Wir gern hätte ich jetzt gleich Deine Antwort darauf. Vergiß sie wenigstens nicht! –

Neuigkeiten von hier wirst Du wohl keine besondere erwarten, da Deine Abreise selbst noch unter die Neuigkeiten gehört; doch sind so allerhand Kleinigkeiten, als daß meine Tour mit Rothes nach Olevano pp. bis auf den Herbst verschoben ist, daß die Mittwochabendstunden den Sommer über ausgesetzt sind, was mir recht leid tut, und wozu wir uns erst nach mancherlei Beratung entschlossen; sonderbar war es, daß gerade an dem Abend, wo die Aussetzung angesagt wurde, die Kirche so voll war, wie vielleicht nur im Anfange; doch waren es alle Handwerker, die gewöhnlich nicht Stich halten.

Braun macht nun ernstliche Anstalten zur Abreise und hat schon seine Sachen fortgeschickt; aber was sagst Du dazu, daß auch Fabers fest entschlossen sind, im nächsten Frühjahr abzuziehen und nach Hamburg zu gehen? Es ist wirklicher Ernst, und ich meine, sie haben recht, wenn sie nicht ihr Leben lang bleiben wollen, daß sie das nahe Alter nicht abwarten, wo das Wiedereinwohnen um so schwerer wird. Da sie über Dresden wollen, so siehst Du sie noch. Anfangs hatte die Frau sich ausgedacht, daß der Alte mit mir gehen sollte; aber das lehnte ich gerade ab, so lieb er mir auch sonst ist. Nach einem guten Gefährten auf der Fußreise sieht er mir nicht aus, und wenn ich einmal nicht mit Dir gehen kann, so will ich frei und ungebunden sein. Wer sonst noch so auf dem Sprung zur Abreise steht, weißt Du ohnehin.

Angekommen sind ein gut Teil fremde Gesichter, aber noch niemand für uns; doch ist bemerkenswert, daß Launitz nebst seinem Neffen seit mehreren Sonntagen fleißig die Kirche besucht und letzt sogar mit kommunizierte; ich bin neugierig, ob da irgendein Same aufgeht, verhalte mich jetzt aber noch ganz ruhig, weil ich nichts durch unberufenes Hereintappen verderben mag.

Einen sehr interessanten Besuch hatten wir hier, leider nur kurze Zeit; doch erwarten wir ihn jetzt auf einige Tage von Neapel zurück, nämlich den Erlanger Professor Schubert, den Verfasser von »Altes und Neues« und anderer Bücher, von dem wir öfters gesprochen. Er reist mit seiner Frau und ein paar Studenten, seinen Schülern, mal eine echt christliche Reisegesellschaft, die uns manchen Trost und Erbauung gebracht haben. Leider ist so ein berühmter Mann von allen Seiten gleich so belagert, daß unsereines wenig an ihn kömmt, obgleich dieser so einfach und kindlich ist und der Christ den Gelehrten so verschlungen hat, daß man keine Scheu vor ihm selbst haben kann. Seine Begleiter hatten wir mehr unter uns, auch einmal am Sonnabend abend. Es muß doch unter der deutschen Jugend ein eigenes Leben sein, besonders in Erlangen, nach der Erzählung der jungen Leute, wo die christlich Gesinnten bei weitem die Mehrzahl ausmachen. Wenn Du diesen Brief in Nürnberg erhältst, so kannst Du Dir etwa das Ding ansehen, da Du ja, wenn Du nach Streitberg und ins Muggendorfer Tal willst, ohnehin durch Erlangen mußt.

Nun sind aber meine hiesigen Nachrichten zu Ende und der Mittag nahe, wo der Brief auf die Post muß. So will ich Dir nur über inliegendes Wechselchen die gehörige Notiz geben. Baumgarten kann eben immer noch nicht zahlen, so gern er wollte, und da ich nun mir wohl denken kann, daß Dich das, besonders wenn Du darauf gerechnet hattest, was ich nicht wußte, in große Verlegenheit setzen mag, so schicke ich Dir hier aus meiner Tasche einen Wechsel auf 44 Augsburger Gulden, an Wert 5 Louisdor oder 22 Scudi, den ich nicht auf Gold stellen wollte, da das hier sehr teuer ist und Du wohl daran verloren hättest. Kann Baumgarten hier zahlen, so ziehe ich es mir von Deinem Gelde ab, wo nicht, so bekomme ich es von Dir in Dresden, und Du kannst mir auch von einem Teil die bewußten Farben kaufen. In Verlegenheit kann mich diese Auslage nicht setzen; denn sollte auch mein übriges verliehenes Geld nicht richtig eingehen, so wird doch Schnorr, der, als er von meinem Vorhaben hörte, sogleich teil daran nehmen wollte, mir wenigstens dann aushelfen. Mehr zu schicken, hielt ich für überflüssig, erst, weil Du es nicht verlangt hast, und weil man dann leicht zu überflüssigen Ausgaben verleitet wird, die einen dann beim Wiederzahlen drücken. Melde mir doch sogleich den Empfang des Wechsels, damit ich Valentino davon benachrichtigen kann.

Nun, o lebe denn recht wohl, Du lieber, treuer Bruder, es grüßen Dich alle unsere Brüder, Rothes, Schnorr, Faber, Schilbach, Simon und sonst die Freunde, vor allem aber mit dem Segen des Herrn

Dein L. von Maydell.

Bitte appliziere Piccinino einen Kuß für seinen geistreichen Brief, über den wir sehr gelacht haben, bis auf Fabers Mops, der sich beleidigt fühlt.