08 Nizza, Paris, Heimkehr

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Nizza, Paris und Heimkehr

In Nizza bezogen wir sehr bald eine Villa, welche im Tale des Paglione, unmittelbar an der Landstraße, ein halbes Stündchen vor der Stadt lag. Ich bewohnte ein reizendes Eckzimmer im zweiten Stockwerk, wo ich das ganze Tal mit seinen Olivenwäldern, Klöstern und schönen Bergen übersehen konnte. Das hätte nun ein köstliches Leben geben können, wären die Verhältnisse anderer Art gewesen.

Ich will über diese ganze Periode, eine der bittersten im Leben, kurz hinweggehen; es war ein unwürdiger, leidvoller Zustand, dem ich nicht entfliehen konnte, in dem ich auszuhalten genötigt war, denn ich war ganz mittellos, ratlos und wußte keine Seele, die ehrlichen Anteil gezeigt hätte. »Gefangen und verlassen«, das war das Gefühl, das wie Blei auf mir lag, und es war kein Wunder, wenn mich bei solchen Zuständen auch noch ein unwiderstehliches Heimweh packte, nicht sowohl nach dem Heimatsboden, als nach den Herzen, die mich liebten; denn nur wo Liebe ist, da ist die Seele daheim.

Es ist mir lebhaft in der Erinnerung, wie mich dort mehrmals beim Erwachen ein Entsetzen durchzuckte, als die aufgehende Sonne in mein Zimmer schien. Im Traume war ich woanders gewesen, und hier vergoldete sie eine entsetzliche Wirklichkeit.

So saß ich denn in meinem Stübchen und tuschte die Blätter in Sepia aus, die ich unterwegs skizziert hatte. Aliman hatte einen Landsmann, einen deutschen Baron, in Kur genommen, was ihm ein Beutelchen mit Goldstücken einbrachte, die ihm später in Paris wohl zustatten kamen. Die anderen Genossen waren in der Stadt oder machten Ausflüge in die reizende Umgebung, an welchen ich nur selten teilnehmen konnte. So verlebten wir einen Monat auf der Villa bei Nizza.

Interessant war mir das Begegnen eines Malers Petzold, eines Livländers, welcher sich dem Fürsten vorgestellt hatte. Er kam aus Rom, und ich forschte nach den dortigen Kunstzuständen, die mir gänzlich unbekannt waren. Da hörte ich denn – zwar etwas ungläubig – von dem gewaltigen Regen und Ringen nach einer neuen Kunstrichtung, deren Ziele mir fremd und unverständlich waren. Namen wurden genannt – Cornelius, Overbeck, Schnorr, Veit u. a., und als gewaltige geistige Größen bezeichnet, von welchen ich noch kein Wort gehört hatte. Da ich nach Naecke, dem Landsmann, fragte, dessen letzte Arbeiten, »Genoveva« und »Szene aus Faust«, auf mich einen bedeutenden Eindruck gemacht hatten, so hörte ich von Petzold dagegen, er werde von den Obengenannten bei weitem übertroffen und gehöre durchaus nicht zu den ersten Namen. Das waren mir alles ganz neue Dinge, wie etwa die Mitteilung eines Reisenden, der von einer mächtigen Insel im fernen Ozean erzählt. Was Petzold von eignen Arbeiten vorzeigen konnte, war nicht von Bedeutung; einige mit Bleistift scharf und genau gezeichnete Porträts, mit welchen er in unserem Kreise durchaus kein Glück machte, belächelte man ebenso wie seine Kunstansichten, welche als eine alberne Schwärmerei aufgefaßt wurden.

Unser Aufenthalt sollte indes früher abgebrochen werden, als vorausgesehen war. Die Nachrichten vom Ausbruch der Carbonari-Unruhen mehrten sich; es hieß, man wolle den König von Sardinien zum Könige Italiens ausrufen. Die Aufregung in Nizza wurde bemerkbarer, Truppen zogen in einzelnen Abteilungen an unserem Landhause vorüber, weil es in Alessandria ebenfalls bedenklich drohte, und viele Fremde reisten ab. Auch bei uns wurde nun gepackt und die Wagen, welche im Hofe standen, von einem Trupp Militär bewacht.

Diese Schutzmannschaft hatte sich die Langeweile der Nacht dadurch zu vertreiben gesucht, daß sie sich über eine Kiste feiner Weine und Liköre hermachten, welche bereits in den Wagen gebracht worden war. Sie hatten den Inhalt wahrscheinlich auf Narischkins Gesundheit geleert, und als am Morgen das Malheur entdeckt wurde, tobte der alte Korporal ganz außer Rand und Band über seine ungeratenen Söhne und fing an zu weinen.

Am 14. März, es war ein grauer Tag, mit Regen drohend, langten endlich abends entscheidende Nachrichten an. In Alessandria habe das Militär revoltiert, verlange Konstitution, und der König, welcher bereits Turin verlassen, sei auf dem Wege hierher, um sich nach Frankreich zu flüchten. Auch in Nizza werde die Aufregung ärger, und man könnte stündlich einen Aufstand erwarten. Jetzt hatte Narischkin den Kopf verloren; er befahl, schnell aufzupacken und Pferde herbeizuschaffen. Er lief in höchster Aufregung, schnaubend und pustend, durch die Zimmer; es war mit ihm nicht mehr zu sprechen. Die Pferde kamen, er warf sich in den Wagen und fuhr bei dunkler Nacht und strömendem Regen ab.

Der General, ich und zwei Diener waren allein zurückgeblieben in dem abgelegenen, einsamen Hause. Es sah alles recht wüst und zerstört aus; denn es waren Kleider, Koffer, Geräte aller Art zurückgeblieben und lagen zerstreut umher, und wir mußten lange hierbleiben, bis es uns möglich sein würde, Pferde zu erlangen.

Es war eine unheimliche Nacht: stockdunkel, und der Regen fiel in Strömen herab. Kuriere jagten vorüber, und um Mitternacht kam abermals eine größere Abteilung Truppen, welche die Straße nach Alessandria zu marschierten.

Beim Rauschen des Regens war ich trotz der Aufregung doch bald eingeschlafen und wurde früh halb sechs Uhr geweckt, um abzureisen. Ich war schnell fertig. Der General gab mir noch einen Brief an seinen Vater, da er selbst die Absicht hatte, nach Genua und weiter zu gehen. Und so verließ ich das schöne, für mich aber doch recht bitter gewordene Nizza bei Sturm und anhaltendem Regen und gelangte bald über die Grenze in das elende Nest St. Laurent, wo Narischkin bei einem Landmann sich einquartiert hatte.

Ein Beamter der Douane hatte den Fürsten nebst Gefolge zu einem Frühstück eingeladen, welches nun vor der Weiterreise unter großem Zulauf der Kinder und eines Haufens Gesindel eingenommen wurde. Unter den Callotschen Gestalten, welche sich vor dem Hause herumtrieben, war auch ein brauner Bursche von etwa vierundzwanzig Jahren. Er hatte nichts auf dem Leibe als ein paar Fetzen, welche einst Hosen gewesen waren, jetzt aber wenig bedeckten. Ein Flickenkonglomerat stellte eine Jacke vor. So trieb sich dieser verwilderte Kerl herum und trieb allerlei Unfug. Einem kleinen Schuhputzer, welcher mit seinen Bürsten und Kasten auch vor dem Hause stand und gaffte, wo es nichts zu sehen gab, schlug dieser Strolch mit einem Prügel zu seinem Privatvergnügen so vor den Unterleib, daß das arme Kind furchtbar sich windend und schreiend niederstürzte und sich vor Schmerz nicht zu lassen wußte. Auf dies Zetergeschrei kam zwar anderes Gesindel herbei, sah aber dem Dinge ruhig zu. Nur eine ältere Frau sprang zornig auf den großen Lümmel los, entriß ihm den Prügel und bearbeitete damit so tapfer seinen Rücken, daß die quasi Jacke immer mehr ihrer gänzlichen Auflösung entgegenging; da aber der Bursche sich dem Weibe zu entwinden suchte, sie dagegen ihn an seiner Jacke festzuhalten bemüht war, stand sie plötzlich mit offenem Munde, den Prügel in der einen, den Jackenfetzen in der andern Hand, wie Potiphars Frau mit dem Mantel Josephs da, während der Geprügelte halbnackt entflohen war; die Jacke war »alle« geworden!

Wir verließen nun St. Laurent und fuhren durch Olivenwälder an der Meeresküste hin und hatten bei Antibes noch einen schönen Rückblick auf die Gebirge und die herrliche Riviera.

Bei Cannes zeigte uns der Postillon eine Meierei und einige Fischerhütten am Meere als die Stelle, wo Napoleon von Elba gelandet war.

Als es Abend wurde, lag wieder das schöne Gebirge der Esterels mit seinen wilden Schluchten vor uns. Da wir die Nacht hindurch fahren wollten, hatte Narischkin eine Eskorte Gendarmerie zur Bedeckung über das Gebirge mitgenommen, welche dem kleinen Wagenzug vorausritten und einige ihn beschlossen, und so ging es hinauf und wieder hinab, bis wir sehr spät nach Fréjus kamen, endlich bei St. Lukas von der Hauptstraße ablenkten und den Weg nach Aix einschlugen, welches wir am Mittag erreichten.

Der folgende Tag war trübe, kalt und stürmisch, als wir nach Avignon fuhren. Nachmittags wurde der Sturm, die Bise, die von den in Nebel gehüllten Savoyischen Alpen herblies, immer heftiger; es heulte und wimmerte wie Jammerstimmen über die steinicht öde Fläche, und die Postillione mußten mehrmals halten und die Pferde verschnaufen lassen. Ich saß allein in meinem Wagen, und meine Stimmung harmonierte zu der des Wetters, denn in Aix hatte es wieder einen heftigen Ärger gegeben mit des Fürsten wüster Laune; ich fühlte mich recht unglücklich.

In Orange angelangt, wurde vom Postmeister dringend abgeraten, in der Nacht weiter zu fahren; die Wege seien unsicher und der Sturm so heftig, daß leicht ein Unfall passieren könne. – Es wurde demnach hier zu bleiben beschlossen und mir befohlen, vor der Abreise am anderen Morgen noch den Triumphbogen des Marius zu zeichnen, der unweit der Stadt an der Straße lag. Ich bat also v. Küchelbeker, mit welchem ich in einem Zimmer schlief, mich früh vier Uhr zu wecken, wenn er früher erwache als ich. – Behaglich war die Aufgabe nicht, bei diesem Wetter den Versuch eines Entwurfs des interessanten Bauwerkes zu machen. Doch meine Lust, eine neue Zeichnung nach der Natur zu gewinnen, war stets vorhanden, und ich scheute keine Mühseligkeit.

Das Posthotel war in einem ehemaligen Kloster, ein schwarzes, schmutziges Gebäude mit langen Korridoren und großen, unheimlichen Zimmern. Unser Zimmer hatte trotz seiner Größe außer zwei mächtigen Himmelbetten nur noch einen Tisch und ein paar Rohrstühle, und als wir unseren Tee genossen hatten, legten wir uns schlafen, wo ich mir das Bett am Fenster gewählt hatte, um von der Morgendämmerung sogleich geweckt zu werden. Da hatte ich nun einen Traum, der mir deshalb merkwürdig war, weil Traum und Wirklichkeit sonderbar ineinander übergingen. Ich war in einem hohen, gotischen Dom, in welchem sich eine große Volksmenge befand, die einen von Kerzen und Kreuzen umgebenen Sarkophag umstanden! Ich dränge mich hindurch, um den aufgebahrten Toten zu sehen, und erblicke zu meinem Schrecken meinen guten langen Küchelbeker ausgestreckt und in weiße Tücher gewickelt im Sarge liegen. Wie ich ihn aus einiger Entfernung ängstlich betrachte, erhebt er sich plötzlich und will auf mich zukommen. Ich stürze jedoch, von panischem Schrecken ergriffen, zur Kirche hinaus, höre aber den Langen immer hinter mir herschlurfen, bis ich glücklich das Haus erreiche, in welchem ich eben war, stürze in mein Zimmer, in mein Bett – in welchem ich ja wirklich lag, und höre ihn endlich mit seiner hohlen Stimme meinen Namen rufen. – »Jetzt hat er mich, der Scheußliche!« ich schlage die Augen auf, und über mir gebeugt steht wirklich das weiße Gespenst, von einem matten Mondlicht beleuchtet, und ruft mich bei Namen. – »Was wollen Sie« – frage ich bestürzt! – Keine Antwort! Wir starren uns gegenseitig an, bis er nochmals meinen Namen ruft, ich nochmals vergeblich frage, und die lange gebückte Gestalt kopfschüttelnd in den nächtlichen Hintergrund des Gemaches in seinem Bette verschwindet.

Ich wußte mir die Sache nicht sogleich zu erklären, sah nach dem Fenster, ob der Tag graue, allein es war noch Nacht, der Wind sang immer noch sein Jammerlied und trieb das Nachtgewölk über den Mond, und die Wetterfahne auf dem gegenüberliegenden Hause drehte sich knarrend bald rechts, bald links dazu, bis ich endlich wieder einschlief.

Um vier Uhr erwachte ich nach Wunsch und eilte im halben Dunkel ins Freie. Das etwas ungeschlachte römische Altertum sah ich bald vor mir liegen und ich zeichnete es, so gut es eben gehen wollte, mit erstarrten Fingern und nüchternem Magen. Als die Wagen aus der Stadt kamen, war ich fertig damit, stieg in meinen Kasten, wo der gute Michal mir etwas kaltes Frühstück mitgebracht hatte, und jagte den anderen nach. – Küchelbeker hatte mich wecken wollen, da er glaubte, es könne schon Morgen sein, und meine Stimme war ihm unvernehmlich gewesen, weil er beim Erwachen jedesmal schwerhörig wurde.

Auch heute brauste der Nordwind sein eintönig Lied und machte die Fahrt beschwerlich, weshalb wir am Abend, wo er immer am heftigsten sich erhob, in einem kleinen Orte über Nacht blieben. Es waren hier nur wenige Zimmer zu haben, weshalb ich mein Bett in dem Gemach, in welchem der Fürst sein Feldbett aufschlagen ließ, angewiesen bekam. Neben demselben wurde von Michal ein Tischchen mit einer gestickten, weißen Decke überzogen, ein Triptychon mit den dunklen, byzantinischen Gestalten der Mutter Gottes und ein paar Heiliger auf Goldgrund aufgestellt und mehrere niedere Wachskerzen davor angezündet. Narischkin bekreuzte sich wiederholt sehr eilig, ließ sich ein kleineres Bild zum Küssen reichen, und damit war dieser Hofdienst abgetan, und der Fetisch hatte nun die Verpflichtung, ihn für diese Nacht zu schützen. Dieser Eindruck drängte sich mir unwillkürlich auf; denn ich sah ja täglich, wie äußeres Bezeugen und die innere Gesinnung im grellsten Widerspruch standen, und nur darüber war ich im Zweifel, ob Aberglaube ein letzter schlechter Rest von verlorener Gottesfurcht sei, oder ein trüber Anfang und Anknüpfungspunkt für etwas Höheres! –

Ich schlief wenig in der Nacht, weil mich die brennenden Kerzen, die in einiger Entfernung gerade vor mir standen, blendeten, auch war der Fürst unruhig, und der arme Michal, welcher auf dem harten Boden am Fuß des Bettes lag und wie eine Ratze schlief, wurde wiederholt mit einigen kräftigen Fußtritten geweckt, um bald dies, bald das darzureichen.

Bei fortwährend schlechtem Wetter kamen wir über Chalons sur Marne und Auxerre endlich nach Paris, wo wir in der Nähe des Vendôme-Platzes, Rue de la Paix, ein Hotel bezogen.

Hier begann nun ein durchaus anderes Leben. Narischkin speiste täglich bei seiner Tochter, der verwitweten Fürstin Suwaroff, einer heiteren und sehr schönen Dame, während alle Herren des Gefolges dispensiert waren und Diätengelder bekamen, um zu speisen, wo sie Lust hatten. Ich hatte noch ein paar Zeichnungen zu vollenden, wo dann die ganze kleine Sammlung geschlossen und dem Buchbinder übergeben wurde, der ein Meisterstück seines Gewerbes in dem Einbande lieferte.

Daß ich die Kunstsammlungen im Louvre und Luxembourg so oft wie möglich besuchte, war natürlich, und ebenso, daß mein Urteil noch ein sehr unreifes war. Am meisten imponierten mir die Bilder der neueren französischen Schule: »Die Horatier«, »Raub der Sabinerinnen« und andere Darstellungen Davids aus der römischen Geschichte durch ihre lebendige Auffassung und theatralisches Pathos.

Wie die Kunstmuseen zog mich das Theater an. Gleichwohl konnte ich dasselbe weniger besuchen, da mir das Geld dazu fehlte, wie ich später erzählen will. Doch sah ich den berühmten Talma in einem Trauerspiel des Racine, dessen pathetische Deklamationen zwar große Wirkung im Publikum hervorbrachten, mir aber wie greuliche Unnatur erschienen und unausstehlich waren.

Potier dagegen, der hypochondrische Komiker, ergötzte mich höchlich; besonders erinnere ich mich mit Vergnügen einer kleinen Parodie des »Werther«, dessen Nachwirkungen noch spukten. Diesen stellte er als einen schlaffen, sentimentalen Menschen dar, welcher wie ein gähnendes Trauerspiel unter seinen Freunden herumwandelte, diese selbst verstimmte und endlich langweilt, bis es ihnen gelingt, durch Herbeiziehen der Katastrophe mit einem Knalleffekt die Sache zu Ende zu bringen. Werther nimmt in einem komisch-langweiligen Monolog Abschied von der Welt und knallt sich endlich eine rote Brühe – damit hatten seine Freunde die Pistole gefüllt auf seine schöne, gelbe Weste, Busenstreifen und Nasenspitze. Mit offenem Mund und klassischem Schafsgesicht steht er da, zu einem neuen Leben erwachend usw. Nicolai hatte bekanntlich seinerzeit einen solchen Schluß für den Roman vorgeschlagen und sogar bearbeitet; mit richtigem Takt brauchte der französische Verfasser das vorgeschlagene Motiv zu seiner Posse, – eine Verhöhnung zur Versöhnung!

Wie ich schon erwähnt habe, waren meine Arbeiten zum Abschluß gekommen, und ich hatte Zeit und Muße, mich der Betrachtung der Herrlichkeiten zu überlassen, welche diese Weltstadt dem Fremdling in verlockendster Gestalt vor Augen bringt. Wie Rinaldo in den Zaubergärten der Armida, oder besser noch, wie Hans im Schlaraffenlande wanderte ich herum, manchmal wie betäubt von dem bunten Glanz des Lebens, der mich auf den Boulevards und den Hauptstraßen umstrahlte. Doch alle diese Verlockungen, denen so mancher unterliegt, der besser oder klüger war als ich, verschwendeten ihre Macht an mir vergeblich; ich war gefeit durch einen Begleiter, der mich auch späterhin die längste Strecke meines Lebens nicht ganz verlassen hat, den ich zwar nicht erwählt, ja sogar mich seiner gern entledigt hätte, welcher hier aber Engeldienste vertrat. – Das war die Armut!

Das verhielt sich folgendermaßen: Narischkin hatte mir am Anfang der Reise einen kleinen Vorschuß zahlen lassen, von welchem ich nur wenig noch übrig hatte. Hier in Paris sollten wir uns selbst beköstigen und dafür Diäten erhalten. Dies war nun ganz schön, nur erhielt ich keine Diäten, oder nur dann und wann mit Mühe einige Taler. Der Fürst selbst war fast nie anzutreffen, oder er ließ sich nicht sprechen, der neue Sekretär und Kassierer, ein Herr Ducourville, zuckte die Achseln, wenn ich Geld verlangte, und klagte über leere Kasse; kurz, es kam dahin, daß ich manchmal nicht wußte, wo ich mein Mittagessen herbekommen sollte. Herr v. Küchelbeker wurde in Paris entlassen, weil er in einer öffentlichen Vorlesung über russische Literatur politische Ansichten ausgesprochen hatte, die den Fürsten zu kompromittieren schienen. Dr. Aliman hatte Bekanntschaften gefunden und half sich mit der Summe hindurch, welche er in Nizza verdient hatte, und Herr v Luzi war der einzige, der mir manchmal aushelfen konnte. In dieser Not hatte ich endlich nach Hause geschrieben, und der gute Vater schickte mir – was ihm gewiß schwer wurde – zehn Dukaten zur Aushilfe. Leider aber kam der Brief nicht in meine Hände und war auch durch Herrn Ducourville in dem Posterestante-Bureau nicht aufzufinden. Nach Monaten bekam ich ihn nach Dresden zurückgeschickt.

So lebte ich denn sehr frugal, und um etwas Geld fürs Theater zu haben, nahm ich mein Diner in einer der vielen kleinen Kneipen, welche damals die Höhen des Montmartre krönten, in einem halben Fläschchen Wein, Brot und ein paar Eiern bestehend. Abends, wenn es finster war, versorgte ich mich meistens mit Brot und Früchten bei einer Obsthändlerin, womit für des Leibes Nahrung und Notdurft für ein Billiges gesorgt war und einige Franks übrig blieben für Theater oder andere kleine Ausgaben.

Ich weiß nicht mehr, wie ich die Bekanntschaft eines Landsmannes machte, eines Dresdener Malers, den ich in einem kleinen Dachstübchen aufsuchte. Es war ein talentvoller Mann, namens Beyer, der sich aber höchst abenteuerlich und kümmerlich durchzuschlagen hatte und auch später schwerlich auf einen grünen Zweig gekommen ist. Durch diesen Beyer lernte ich auch den Kupferstecher Plieninger kennen, einen Württemberger, welcher meist in Aquatinte arbeitete und damals mit den »Tageszeiten« nach Claude beschäftigt war. Es sind dies die vier berühmten Bilder, welche sich einst in der Kasseler Galerie befanden und von dort nach Petersburg gekommen sind.

Bei Gelegenheit der Taufe des Herzogs von Bordeaux, Heinrich V., sah ich auch den König Ludwig XVIII. auf einen Augenblick, als er eben in den Wagen stieg; eigentlich nur seinen Revers, eine dicke rote Wange, gepudertes Haar mit einem Zöpfchen, einen mächtigen breiten Rücken, und was darunter war, sein Regierungssitz, so umfangreich, daß er von den beiden kleinen Frackschößen nicht zu bedecken war. Wenn ich später in der Geschichte von ihm las, trat er mir jedesmal in dieser fatalen partie honteuse in die Erinnerung!

Das Tauffest wurde glänzend gefeiert, und ich trieb mich besonders auf den Champs Elysées herum, wo es sehr ergötzliche Volksszenen gab; denn es waren auf dem ganzen langen Wege bis zum Arc de l'étoile Tribünen erbaut, aus welchen Röhren roten Wein ergossen, und das Gesindel in Krügen, Töpfen, Mützen und alten Hüten den edlen Trank auffing, sich darum drängte, balgte, beim Trinken im Gedränge damit völlig übergoß, oder auf dem mit Wein getränkten Boden ausglitschte und die mühselig durchgebrachte Errungenschaft wieder vergoß – kurz, es gab hier bei der französischen Lebhaftigkeit und Lustigkeit die wunderlichsten Szenen. Schade war es freilich um den Wein, von dem mindestens zwei Drittel verlorenging. In der Mitte des Weges hatten sich andere Volksmassen aufgepflanzt, welche die Würste auffingen, die in hohen Bogen wie Bomben herausgeschleudert wurden und verursachten, daß da ganze Knäuel von Menschen am Boden lagen und einer dem andern die Beute zu entreißen suchte, so daß auch hier mehr verwüstet als gewonnen wurde. Schön war das nun eben nicht anzusehen, aber es machte dem Volke großen Spaß, und diese tolle Lustigkeit ergötzte schließlich auch die Zuschauer. Auf den großen Wiesenplätzen, zur Seite des Weges waren Tanzplätze, Karussells und sehr hohe Masten, oben mit seidenen Tüchern behangen, aufgestellt. An einem derselben hing noch am späten Abend auf der obersten Spitze der Hauptpreis, eine goldene Uhr. Ein Bäckergeselle hing ebenfalls schon seit einer halben Stunde in der halben Höhe des Mastes, der, oben mit Seife bestrichen, immer schlüpfriger wurde und das Hinaufkommen erschwerte. Der Bursche hatte Ausdauer und wußte sich schließlich zu helfen, indem er das Hemd mit der einen freien Hand sich über den Kopf auszog und damit die Seife abwischte. So gelang es ihm auch, das letzte, schwierigste Stück noch hinaufzurutschen, wobei ihm aber das Malheur passierte, daß die locker gewordene Hose sich abstreifte, und den Zehntausenden des versammelten Publikums, welche dem beharrlichen, kühnen Bäckergesellen mit Spannung nachsahen, einen Anblick darbot, welcher, ohne sie zu beleidigen, mit einem so kolossalen, schallenden Gelächter begrüßt wurde, wie ich es später in meinem ganzen Leben nicht wieder gehört habe. Aber er griff nach der Uhr und fuhr wie ein Pfeil mit derselben herab. Ausdauer behält den Preis, und das war die Moral von der lustigen Geschichte!

Mit meinen Genossen hatte ich im Mai einige Ausflüge gemacht. So sahen wir Fontaineblau. Im Schlosse wurde uns das Zimmer gezeigt, wo Napoleon I. seine Abdankung unterzeichnet, die letzte Nacht zugebracht hatte. Alles – auch das ungemachte Bett war, wie er es vor fünf Jahren verlassen hatte.

Ein anderer Ausflug brachte uns nach St. Cloud und Versailles. Der prachtvolle Baumwuchs im Parke des ersten Schlosses ist mir besonders im Gedächtnis geblieben.

So kam denn die Zeit der Abreise heran. Es war allerdings die Rede gewesen, einige Wochen nach London zu gehen. Jedoch mochten die großen Kosten zuletzt davon abgeschreckt haben, besonders da Narischkin – wie man erzählte – große Summen im Spiel verloren hatte.

Mit v. Küchelbeker traf ich noch einigemal zusammen. Er und ein junger, reicher Pole – ein widerlicher Wüstling – hatten sich ein Pferd und kleinen Wagen nebst einer wüsten Dirne angeschafft, mit welcher sie – ein liederliches Kleeblatt – Paris verließen. Ich traf sie in Deutschland noch einmal an und will gleich das Finale Küchelbekers hinzufügen. Ich las später in den Zeitungen, wie sich Küchelbeker 18. . bei der Verschwörung gegen Kaiser Nikolaus beteiligt hatte, von Petersburg entflohen war und bei einem Freund in Warschau Versteck gefunden hatte. Als er aber hier aufgespürt worden war, nahm er Gift und entging damit dem zeitlichen Gerichte.

Der Fürst reiste nun ab und nahm seinen Weg nach Brüssel, während Herr v. Luzi, welcher durch den gewandten, schlauen Ducourville entbehrlich geworden war, mit mir – dem jetzt ebenfalls entbehrlichen Maler – über Nancy und Straßburg nach Bruchsal geschickt wurde, wo wir Narischkin zu erwarten hatten.

Wir fuhren an einem schönen Junimorgen die Abhänge der Vogesen bei Savern hinab in die reiche, blühende Rheinebene. Wie jubelte ich im Herzen, als wir Land und Leute so deutschen Gepräges wieder erblickten! Aus der grünen Ebene erhob sich weit sichtbar die hohe Pyramide des Münsterturmes; wir passierten den stolzen Rhein und warteten endlich in Bruchsal einige Tage auf des Fürsten Ankunft.

Endlich kam er, aber nicht wohlgelaunt. Er hatte in Brüssel abermals eine sehr große Summe im Spiel verloren, und so ging es ohne großen Aufenthalt, etwas ökonomisch und ziemlich still, der Heimat, der lieben Heimat entgegen.

Am 23. Juni nachts kamen wir in Leipzig an und übernachteten im Hotel de Pologne. Anderen Tages, nach dem Mittagessen, wurden die Reisewagen vorgefahren, und ich sollte mich hier trennen, da Narischkin über Berlin reiste. Da ich noch den größten Teil meines Gehaltes zu fordern hatte, so war mir jetzt bei der eingetretenen Geldkalamität etwas bange, und Aliman hatte mich darauf aufmerksam gemacht. Doch endete sich alles gut; der Fürst rief mich auf sein Zimmer, wo hundert blanke Dukaten auf dem Tisch aufgezählt waren. Er übergab sie mir als mein Guthaben, sagte mir noch einige freundliche Worte und ging hinab nach dem Wagen. Auch von den anderen Reisegefährten wurde schnell Abschied genommen, und sie rollten die Straße hinab.

Da stand ich denn wieder in meinem Zimmer und mußte tief Atem schöpfen: ich war frei! ich war wieder frei! Ein bleischwerer Druck, der bisher auf dem Herzen gelegen hatte, er war verschwunden; dazu hatte ich einen Beutel voll Gold, wie ich so viel beisammen nie gesehen, viel weniger besessen hatte. Ach, wie glücklich ich war! Ich lief in meinem Stübchen eine Zeitlang hin und her und sagte mir nur immer vor: Ich bin frei, wieder frei! welch ein Glück!

Sogleich eilte ich zu einem Lohnkutscher und nahm einen Platz für den anderen Morgen in seinem Wagen; denn damals machte man die Reise von Leipzig nach Dresden stets in diesen Lohnkutschen, weil die Postwagen schlechter waren und ebensolange Zeit brauchten.

Es war der 24. Juni, das liebe Johannisfest, und damals herrschte noch die fröhliche Sitte, daß die Kinder um Blumenpyramiden tanzten (denn es ist ja die Rosenzeit) und die Vorübergehenden mit bunten Bändern an den Armen festhielten, wo man sich mit einer kleinen Gabe lösen mußte. Der Pfennig oder Kupferdreier wurde in ein Schüsselchen gesammelt und mit dem gesammelten Schatz ein schönes Abendbrot angeschafft. Einen grünen Salat mit Eiern oder wohl gar Erdbeeren und Eiersemmeln.

Der Philister hat sich aber über die fröhlichen Kindergesichter nur geärgert, und so wurde das alte, hübsche Fest später polizeilich verboten. Als ich nachmittags ins Rosental spazierte, fand ich überall die lustigen, um die Blumen tanzenden Kindergruppen vor den Häusern, und ich, im Gefühle meines großen Glückes, beschenkte die Anbinder zu ihrem freudigsten Erstaunen mit Silbermünze, was denn jedesmal in der kleinen Schar ein allgemeines Jubelgeschrei hervorrief.

Nach einer Fahrt von ein und einem halben Tage sah ich die lieben Eltern und Geschwister wieder. Meinen guten Papa beschenkte ich mit der goldenen Repetieruhr, welche ich vom Fürsten in seiner gnadenreichen Zeit erhalten hatte. Papa freute sich so sehr über die schöne Uhr, während ich für solche Sachen nicht das geringste Interesse hatte.

Gegen Abend aber trieb es mich sehnsüchtig nach dem kleinen Einnehmerhäuschen am Dippoldiswalder Schlage. Vetter Ephraim und seine seelensgute, heitere Frau empfingen mich so erfreut und herzlich, daß mir unendlich wohl dabei wurde. Mit meiner Auguste aber durfte ich ins Gärtchen gehen, wo wir lange noch in der Laube saßen, von wo man über die Kornfelder hinweg nach den nahen Räcknitzer Höhen sehen konnte. Da gab es gegenseitig viel, viel zu erzählen, und es ist wohl mehr als wahrscheinlich, daß wir uns auch geküßt haben.

Sieben Monate hatte ich in einem Kreise zugebracht, wo jeder für sich allein besorgt war, keines sich für das andere interessierte, und in so liebeleerer Atmosphäre war ein Wehe über mich gekommen, das mich manchmal ganz verzweifelt machte. – Nun aber schlugen wieder warme Herzen um mich, denen gegenüber ich mich geben konnte, wie ich war, und die mich lieb hatten, wie ich sie.