13 Bilderschicksale

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Bilderschicksale

 

Ich komme auf den mir unliebsamsten Teil meiner künstlerischen Bekenntnisse, auf das Schicksal meiner römischen Bilder in Deutschland, um, was ich bereits im allgemeinen angedeutet, im einzelnen nachzuweisen.

Wenigen Künstlern wird es so schwer geworden sein, zu später und unfreiwilliger Anerkennung in ihrem Vaterlande zu gelangen, als mir. Es schien hergebrachte Sitte, in meinen Arbeiten nur auf die Fehler zu fahnden und das Gute geflissentlich zu übersehen. Man wehrte sich gegen meine Kunst wie gegen ein gemeinschädliches Übel. Was ich auch brachte, nichts war recht, und jede Entwicklungsperiode, welcher der Kenner sonst mit besonderem Interesse nachzugehen pflegt, ward mir als falsche Richtung, als Rückschritt ausgelegt.

Als ich bei dem Übergange in die große Historie um des plastischen Vortrags willen einen etwas knapperen Ausdruck in der Farbe wählte, welcher jedoch in der Behandlung dem Gegenstande ganz auf den Leib gepaßt war, da wurde die vernichtende Bezeichnung »graue Periode« erfunden, welche auch jetzt noch in dem Bewußtsein meiner gestrengen Kritiker nicht ganz erloschen ist.

Wären die Folgen nicht so verhängnisvoll für mich gewesen, so würde dieser dauernde Rückschritt, in welchem ich mich, nach der Ansicht der deutschen Kritik, eigentlich mein ganzes Leben hindurch befand, und bei welchem ich doch immer vorwärts kam, seine sehr ergötzlichen Seiten gehabt haben.

Mit Ausnahme des Zeitraumes von 1863 bis 1867, in welchen die Bestellungen des Herrn Baron v. Schack fielen und deshalb wenige meiner Arbeiten in die Öffentlichkeit kamen, wurde jedes auf deutschem Boden ankommende Bild von Anselm Feuerbach entweder mit einem Sturm der Entrüstung oder mit mitleidigem Achselzucken aufgenommen. Hatte dasselbe dann später die Traufe der kritischen Journale und Zeitungsberichte überdauert, so fing man an, es leidlich interessant zu finden und, falls inzwischen ein noch neueres Werk des leider sehr fruchtbaren Künstlers seinen Bußgang angetreten hatte, sogar schön. Auf solche Weise hat sich allmählich mein Ruf in Deutschland befestigt.

Ich habe dieses Schwanken der kritischen Wage über zwanzig Jahre ausgehalten, und ich möchte gerne den Kunstvereinen und Ausstellungskommissionen heute meinen besonderen Dank dafür abstatten.

Bei Durchsuchung alter Papiere fand sich ein mächtiges Paket Briefe von deutschen Ausstellungsbehörden an meine Mutter gerichtet und den genannten Zeitraum genau umfassend. Der Inhalt sämtlicher Zuschriften ist folgender:

»Die Bilder Ihres Herrn Sohnes sind wohlverpackt an Ihre werte Adresse abgegangen. Hochachtungsvollst.« Ein großer Teil dieser Sammlung gehört Berlin an, wo ich allerdings schon vom Jahre 1852 an hartnäckig und unermüdlich die Ausstellungsräume mit der ganzen Reihe meiner Hauptbilder bevölkert habe, ohne jeglichen Erfolg.

Wird die Nachwelt es glauben, daß, während ich heute an diesen Blättern schreibe, meines Wissens kein Kunstverein ein Bild von mir erworben hat, und daß nur zwei Staatsgalerien, die in Karlsruhe und jene in Stuttgart, ihre Räume für Werke von meiner Hand eröffnet haben? Die eine widerwillig auf hohen Befehl, die andere, weil es ihr gelang, meine zweite Iphigenie »wegen ihrer Zeichnungsfehler« um überaus billigen Preis zu erhalten.

Wirklichen Erfolg habe ich nur zweimal in meinem Leben gehabt, und zwar – fast komischerweise und gewiß nicht auf Veranlassung der Ausstellungskommissionen – bei Gelegenheit der Münchener internationalen Ausstellungen vom Jahre 1863 und 1869 durch meine Pietà und mein erstes Gastmahl, welches letztere eine kunstverständige Dame aus der Meute aufgeregter Kritikerscharen mit wohltätiger Hand errettete und mich selber dazu aus schwierigen, bedenklichen Verhältnissen. Es war die Malerin Fräulein Röhrs aus Hannover.

Daß ich nicht Vermögen sammeln konnte, ist selbstverständlich, da die meisten meiner Bilder zehn bis zwanzig Jahre zehrendes Kapital waren. Mangel habe ich in den letzten zehn bis zwölf Jahren nicht gelitten, und meiner Kunst hat es nie an einer würdigen Stätte gefehlt, da ein Helfer in der Not vorhanden war, ein deutscher Bankier, welcher genug Glauben an die Kunst und an mich besaß, um mich in schwierigen Zeiten nicht darben zu lassen. An meinen letzteren großen Arbeiten gebührt Herrn Wilhelm Köster in Frankfurt a. M. ein großes Verdienst.

Mein erstes römisches Bild, »der Dante«, hatte schon bei seiner Entstehung ein besonderes Schicksal und ist Ursache geworden, daß es mir so schwer ward, in Rom festen Boden zu gewinnen. Es war dieses Bild auf Bestellung eines in Rom wohnenden deutschen Herrn gemalt, dessen finanzielles Verhalten mich bestimmte, dasselbe zurückzunehmen, wobei ich vollkommen in meinem Rechte war; demungeachtet habe ich unklug gehandelt und schwer dafür gebüßt, indem mir mehrere Jahre lang die Annäherung von Fremden dadurch entzogen blieb. Möglicherweise würde sich in meinem Leben vieles anders gestaltet haben, wenn ich im Beginn meiner künstlerischen Laufbahn jene Unvorsichtigkeit nicht begangen hätte. [Fußnote]

Das Dantebild wurde zu meiner großen Beruhigung und Dankbarkeit im Dezember 1859 von S. K. H. dem Großherzog von Baden gekauft und in dem großherzoglichen Schlosse untergebracht, um nach einer Reihe von Jahren mit der früher erwähnten »Poesie« in die Karlsruher Galerie aufgenommen zu werden.

Da ich nur von meinen bedeutenderen Werken sprechen will und die kleineren Arbeiten mit Stillschweigen übergehen werde, so erwähne ich sofort der im Jahre 1860 entstandenen Kindergruppen: »Ständchen« und »Balgende Buben« – nicht zu verwechseln mit einem Kinderständchen vom Jahre 1858 – dann aber ganz besonders eines meiner Lieblingsbilder »Le reveil« genannt, welches mir heute in der Erinnerung noch teuer ist. Das Christuskind auf dem Schoße der Mutter, eben erweckt durch musizierende Kinder; Rundbild mit Aussicht auf eine offene Kampagna.

Selbstverständlich verfielen diese Bilder dem gemeinsamen Schicksal ihrer Geschwister, bis einer meiner Freunde sich der Madonna erbarmte, die balgenden Buben ein unbekanntes Unterkommen in der Schweiz fanden und das Ständchen, wie bereits früher erwähnt ward, mit dem Hafis in der Schenke vor nicht langer Zeit nach Karlsruhe übersiedelte. Ich kann es nie verschmerzen, daß die beiden zusammengehörigen Kindergruppen durch ein hartes Schicksal auseinander gerissen wurden.

In den Jahren 1861 und 1862 sind neben einer Reihe von bedeutenden Studienköpfen die erste »Iphigenie« und »Ariost am Hofe von Ferrara« entstanden. Dieses letztere Bild war es, glaube ich, welches zuerst die Aufmerksamkeit des bekannten Kunstmäzens Baron v. Schack auf mich lenkte. Als dann im Jahre 1863 meine Pietà auf der Ausstellung in München erschien, erwarb er sofort die beiden Bilder und eröffnete mir für eine Reihe von Jahren eine verhältnismäßig sorgenfreie Tätigkeit. Wie es mir ohne dieses Dazwischentreten ergangen wäre, weiß ich nicht zu sagen. Es war meine schlimmste Periode, und ich hatte alle Ursache, sehr dankbar zu sein. Daß dies sich so verhielt, war freilich auch wieder ein eigentümliches Zeichen für unsere Zeit. In den Tagen der Kunstblüte war die Dankbarkeit zwischen dem Künstler und Besteller geteilt.

Es entstand nun allmählich die bekannte Reihe von genreartigen Szenen, die für mich ein nach allen Seiten erfreuliches und förderliches Arbeitsfeld geboten haben würden, wenn ich zugleich als Mittelpunkt eine große historische Idee hätte hegen und bilden dürfen, nach welcher mein ganzes Wesen mit einer fast schreckbaren Glut strebte. Dagegen aber stellte sich die Abneigung meines Gönners und Auftraggebers, welcher mich entschieden davon zurückzuhalten gedachte.

Schon jahrelang stand das Gastmahl des Platon in meiner Seele. Ich faßte mir ein Herz, um Herrn Baron v. Schack meinen Wunsch zu eröffnen. Es war dies im Jahre 65, und er zeigte sich bereit, auf die Idee an und für sich einzugehen, aber nur unter der Bedingung, daß das Bild in Drittels-Lebensgröße ausgeführt würde. Hierzu wollte ich mich nicht verstehen; ich konnte nicht. Das Bild war groß empfunden und gedacht; es mußte groß ins Leben treten oder gar nicht.

Ein Briefentwurf an Herrn Baron v. Schack, datiert 6. März 1866, welcher mir kürzlich durch Zufall in die Hände kam, hat mir diesen Vorgang wieder lebhaft vergegenwärtigt. Es ist darin die Rede von innerer Entwicklung, von monumentalen Taten, von Erlösung des Talents und vom Triumph der Kunst, und wird zuletzt versucht, Herrn Baron v. Schack zu überzeugen, daß über die Dimensionen gewisser Bilder nicht das Belieben des Bestellers oder des Künstlers, sondern die Natur des künstlerischen Gedankens entscheiden müsse.

Mit so viel jugendlicher Torheit und künstlerischer Weisheit konnte niemand als Anselm Feuerbach im Jahre des Heils 1866 einem so einflußreichen Freund und Förderer der Kunst, wie Herr Baron v. Schack sich erzeigte, gegenübertreten. Die Lektüre dieses Briefes hat mir wirkliche Erheiterung gewährt. Ob derselbe so oder anders geschrieben abgeschickt wurde, ist mir nicht mehr erinnerlich. Jedenfalls ließ die Wirkung nichts zu wünschen, d. h. nichts zu hoffen übrig.

So kam denn endlich nach längerem stillen Kampfe der Moment, wo unsere Wege auseinandergingen. Herr Baron v. Schack war in seinem vollen Rechte als Kunstliebhaber, ich war es auch im Drange meines Talents. Von meinen Bildern für die Schacksche Galerie waren die in den ersten Jahren eingelieferten die besten und freudigsten. Dies ist bezeichnend. Ich denke mit ungeschmälerter Anerkennung und uneigennützigem Bedauern an diese Vorgänge zurück, doch ohne Reue. Ich konnte nicht anders.

Die bestellten Gemälde reichten bis zum Jahre 68. Ich war zu dieser Frist schon tief in meine Arbeit versenkt, da ich das Gastmahl auf eigene Rechnung begonnen hatte. Eine kleine Bestellung von Paris, eigens zu diesem Zwecke gemacht, half über die Vorbereitung hinweg. Eine Kollektion kleinerer Bilder, Bianca Capello, Mandolinenspieler, zwei Frühlingsbilder, Lesbia usw. gingen nach der Heimat, um das Atelier zu räumen.

Auf der Münchener Ausstellung vom Jahre 69 erschien das Symposion in der Öffentlichkeit. Wie die Kritik nach langer Pause mordlustig darüber herfiel, wird den meisten Lebenden, welche für Kunst Interesse haben, noch im Gedächtnisse sein. Friedrich Pecht war der einzige, welcher der Verurteilung entgegentrat. Er schrieb das Wort: »Wir müssen uns schämen«, welches damals wirklich eine Tat war und nicht vergessen werden darf.

Nach dem raschen Erfolge, welchen die hannöversche Dame herbeiführte, tat meine Produktionskraft Wunder. Die Arbeiten überstürzten sich fast, wozu auch die patriotische Aufregung ihren guten Teil beitrug. »Orpheus, die zweite Iphigenie, mehrere Medeenstudien, die große Medea, das Urteil des Paris« – dies alles kam von 70 bis 71 zutage. Die Arbeitslust schäumte über.

Meine beiden großen Gemälde, »Medea« und »Urteil«, wurden in Berlin ausgestellt und unter Kontrolle des Herrn v. Mühler in den letzten Ausstellungsraum, die sogenannte Totenkammer, verwiesen; das Urteil um seiner kleiderlosen Göttinnen willen, die Medea zur Gesellschaft.

Das zweite Gastmahl und die Amazonenschlacht schlossen sich als letzte Glieder der Kette an die römischen Arbeiten.

Von allen meinen größeren Werken besitzt jedes einzelne einen umgebenden Kreis von Studien, Skizzen und kleineren Bildern, gleichsam als dienenden Hofstaat, welcher die Entstehungsgeschichte des Hauptbildes vergegenwärtigt.

Die letzte Medeenstudie, nach meiner Meinung die vollkommen erschöpfende, erschien sogar nach dem großen Bilde. Medea mit der Urne schließt den Zyklus ab.

Die vier letzten großen Werke sind noch auf der Wanderschaft; die in Wien gemalten kleineren Deckenbilder stehen gerollt hinter dem Schranke. Es ist dies mein Acker in spe, auf dem ich mich im Schweiße meines Angesichts einst zu entsündigen gedenke für früheren unmäßigen Leinwandverbrauch.

Ich habe mich vor diesem Abschnitt gefürchtet und bin nun froh, daß er hinter mir liegt. Jedes Inventar erinnert ans Sterben; – oder sollte das gegenwärtige vielleicht genügend befunden werden für die Unsterblichkeit? –

Es ist noch kurz zu erwähnen, daß ich während meines langen römischen Aufenthaltes mehrmals der Ehre eines Rufes gewürdigt wurde nach Weimar, München, Karlsruhe. Den letzteren hätte ich gern angenommen. Ein stilles Atelier, sechs alte Bäume in einem grünen Winkel wären mir ein Paradies gewesen. Die Scheu aber vor der akademischen Professur, die mir stets im Wege stand, konnte ich nicht überwinden. Wahrscheinlich wäre es zuletzt ohne Ruf und Amt so weit gekommen, denn ich war auslandsmüde und sehnte mich nach der Heimat; da trat eine neue Wendung ein, die mich aus meiner römischen Stille in das Getriebe einer großen Weltstadt stürzte – nicht zu meinem Wohl und Glück.