02 Geleitwort der Mutter

Nach oben  Zurück  Weiter

 

Geleitwort der Mutter

In dem schriftlichen Nachlasse Anselm Feuerbachs befand sich eine Mappe mit der Überschrift:

Aus meinem Leben von Anselm Feuerbach. Heidelberg, im Frühjahre 1876.

Dieselbe enthielt Aufzeichnungen über seine Jugend und über die verschiedenen Perioden seiner künstlerischen Entwicklung je nach den Orten und Schulen, welche er der Reihe nach besucht hatte, sowie Berichte über seine Wirksamkeit als Künstler in Italien, Deutschland und Österreich. Außer diesen persönlichen Eröffnungen fanden sich in einem besonderen Umschlag eine Anzahl keiner Aufsätze über künstlerische Fragen, Grundsätze und Einrichtungen, nebst einer Sammlung von Aphorismen vermischten Inhalts, unter dem Gesamttitel: »Anhang«.

Von diesen Schriften waren einige ganz, andere mehr oder weniger ausgeführt, manche auch nur flüchtig hingeworfen. Dennoch ist es unzweifelhaft, daß der Autor eine spätere Vollendung und Veröffentlichung derselben im Sinne trug; dafür bürgen nicht nur verschiedene Stellen in den Aufzeichnungen selbst, sondern auch mehrere Entwürfe zu Vorreden, welche den Papieren beigelegt waren.

Die begonnene Arbeit im Sinne des geschiedenen Künstlers auszuführen und dieselbe in seinem Namen und Andenken dem Druck zu übergeben, erschien als eine heilige Pflicht, als ein Vermächtnis in doppeltem Sinne.

Es war dies eine schwere und beängstigende Aufgabe; denn wer hätte es wagen dürfen, mit einem fremden Hauch diese Blätter zu berühren, deren jedes den Stempel der reinsten künstlerischen Originalität an sich trug? Hier gab es nur eine Rettung, und zwar auf dem Wege, welchen der Verfasser selbst in einer seiner Aufzeichnungen durch Einschaltung eines früheren Briefes betreten hatte.

Die Briefe Anselm Feuerbachs an seine Familie vom Jahre 1845 bis 1879 waren vollständig vorhanden. Von seinem Weggang aus dem elterlichen Hause bis zum Tode seines Vaters hatte er an die Eltern gemeinsam geschrieben, dann bis 1873 an Mutter und Schwester. Von diesem Zeitpunkt an waren seine Mitteilungen in unumschränktester Offenheit an die Mutter gerichtet.

Diese umfangreiche Briefsammlung wurde für die Vervollständigung der gegenwärtigen Schrift in doppelter Weise benützt: erstens, um die auffälligsten Lücken in den Aufzeichnungen auszufüllen und diese letzteren auf einen annähernd gleichartigen Grad der Ausführung zu bringen; zweitens, um durch Einfügung fortlaufender erläuternder Belege den äußeren Zusammenhang herzustellen.

Es muß ausdrücklich und wiederholt betont werden, daß, wenn auch die Schilderung der Kindheit dies vielleicht erwarten ließe, diese Blätter demungeachtet keine Lebensbeschreibung enthalten, sondern nach dem klar ausgesprochenen Willen des Verfassers einzig und allein eine rückhaltlose Darlegung seiner künstlerischen Bildung und Tätigkeit in möglichst gedrängter Form.

In solchem Sinne faßt dieses kleine Buch das Sein und Wesen, das Empfinden und Denken Anselm Feuerbachs in der ihm eigenen Weise des Ausdrucks mit voller Unmittelbarkeit in sich. Die nötigsten Redaktionsänderungen ausgenommen, findet sich darin kein Wort, welches nicht von ihm herrührt. Diejenigen, welche ihn kannten, werden glauben, ihn sprechen zu hören, wenn auch der weiche, schöne Laut der Stimme für immer verklungen ist.

Die kleinen Abhandlungen und Aphorismen finden sich in dem Anhang neu geordnet.

Von den vier vorhandenen Entwürfen zur Vorrede soll der einfachste und kürzeste hier als Einleitung folgen.

Seinen Freunden und Schülern