19 Der letzte Winter in Rom

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Der letzte Winter in Rom

Mitte Oktober hatten wir unser romantisches Patmos wieder verlassen und waren nach Rom zurückgekehrt.

Maydell nahm eine Wohnung nahe am Campo Vaccino, ich auf dem Monte Pincio in der Via Felice.

Das stille Wechselgespräch, welches ich zeichnend und malend mit der großartigsten Natur gepflegt, konnte ich nun wieder betrachtend vor den großen Kunstschöpfungen Roms fortsetzen, und ich schwelgte eine Zeitlang in diesem ersehnten Genusse.

Nachdem ich aber in den Sammlungen wie in den Werkstätten der deutschen Genossen mich gehörig umgesehen hatte, ging ich an die Ausführung eines Entwurfes, des »Tales von Amalfi«, welcher mich schon in Civitella beschäftigt hatte. Der Tizian bei Camuccini lag mir dabei wohl im Sinn, um so mehr, als das Naturmotiv einige Ähnlichkeit mit demselben darbot. Obgleich nun meine »nazarenische Richtung« der kühnen, üppigen Malweise des großen Venezianers nicht entsprach, ja derselben einigermaßen entgegengesetzt war, so verarbeitete ich doch frischweg den Stoff auf meine Art, und um so unbefangener, als mir dieser Gegensatz nicht klar bewußt wurde

Als ich mit der Komposition im reinen war und die Konturen eben auf die Leinwand aufgezeichnet hatte, besuchte mich Schnorr und sprach sich mit lebhaftem Anteil über die Konzeption des Ganzen aus. Ich bat ihn, die Figuren ganz besonders aufs Korn zu nehmen und zu korrigieren. Da er mir nun vor kurzem bei Gelegenheit eine Zeichnung seiner Hand versprochen hatte, so machte er mir den Vorschlag: ich soll ihm eine Pause meiner Figuren geben, er werde diese durchzeichnen und mir eine korrigierte Zeichnung davon ausführen.

In acht Tagen brachte er mir eine getuschte Federzeichnung mit meinen Figuren, aber so köstlich ausgeführt, korrekt gezeichnet und mit einer Anmut in jeder Linie übergossen, daß ich überglücklich mich fühlte im Besitze eines solchen Schatzes. Nach seiner genauen und gewissenhaften Art hatte sie links die Unterschrift: »Erfunden von L. Richter, gezeichnet von J. Schnorr«. – Rechts in der Ecke steht: »Dem lieben Ludwig Richter zum Andenken von seinem Freunde Julius Schnorr.«

Ich konnte mich nicht satt daran sehen, und jedesmal wenn ich nach Hause kam, war es das erste, nach der Zeichnung zu greifen, um sie auf das genaueste zu betrachten und womöglich der reizenden Behandlungsweise etwas abzulernen. Ich bekam viel Besuche von solchen, welche die Zeichnung sehen wollten, und Ernst Fries (aus Heidelberg) rief bewundernd: eine Gestalt wie das junge schreitende Weib, mit dem Korb auf dem Kopfe, habe Raffael nicht schöner machen können!

(Heute, nach fünfzig Jahren, an dem Tage, wo nach langer Wirksamkeit an der Akademie mein Gesuch, in den Ruhestand treten zu dürfen, auf die ehrenvollste und günstigste Art erfüllt worden ist, heute liegt das schöne Andenken des heimgegangenen Freundes noch vor mir, und indem ich es zwar mit schwachen Augen, aber warmem Herzen betrachte, steigen die paradiesischen in Rom durchlebten Jahre frisch, lebendig wieder in mir auf, und jeder Strich auf dem Blatte bringt mir die ganze liebe Zeit so nahe, als könnte ich sie leiblich mit den Händen fassen und für Augenblicke festhalten; die goldene Zeit des reinsten Strebens, der hingebendsten Begeisterung für die höchsten Ideale) (Dieser Absatz der Handschrift ist mit Bleistift durchstrichen; die Streichung rührt aber offenbar nicht von Richter selbst her.)

Der freundschaftliche Liebesdienst, den mir Schnorr erwiesen hatte, war für mich sehr folgenreich, und deshalb mußte ich dabei besonders verweilen; denn als das Bild später auf der Dresdener Kunstausstellung zu sehen war, wurde die Staffage als ganz besonders schön und anmutig befunden und gerühmt; ja ein Professor an der Akademie hatte seine Schüler zu einem genauen Betrachten dieses Bildes aufgefordert, »weil die Figuren darauf so schön seien, wie sie mancher Historienmaler nicht machen könne!«

Wenn nun auch meine Bekannten wußten, welchen Anteil an dem Gelingen der Figurengruppen Schnorrs Zeichnung hatte, denn es war von mir kein Geheimnis daraus gemacht worden, auch war es sehr gewöhnlich, daß Landschaftsmaler bei bedeutender Staffage sich von einem befreundeten Historienmaler raten und helfen ließen, so konnte dies doch einem größeren Kreise des Publikums nicht bekannt sein, und um nun späterhin in diesem Punkte nicht allzusehr zurückzubleiben, war ich genötigt, meine ganze Sorgfalt auf ein noch eingehenderes Studium der menschlichen Gestalt zu richten. Schon in meinem nächstfolgenden Bilde (welches in Dresden ausgeführt wurde) gelang mir die Figurengruppe abermals gar wohl, und so ging es Schritt vor Schritt weiter, bis die Figuren endlich in den Zeichnungen für Holzschnitt zur Hauptsache wurden, die Landschaft aber bescheiden in den Hintergrund zurücktrat.

Doch ich kehre zu meinem Tale von Amalfi zurück, dessen Untermalung ich mit großem Eifer betrieb. Auch meine Landschaft trug den charakteristischen Zug an sich, welcher fast allen Bildern eigen ist, welche in jener Zeit von deutschen Künstlern in Rom gemalt wurden. Eine gewisse feierliche Steifheit und Härte in den Umrissen, Magerkeit in den Formen, dünner Farbenauftrag usw., von solchen Eigenschaften war mehr oder weniger in den Bildern damals zu finden. Die große Vorliebe, ja begeisterte Verehrung, welche man für die Werke der ältesten Florentiner, der deutschen und niederländischen Meister trug, hatte das Auge an diese Eigenheiten nicht allein gewöhnt, sondern man fand sie für den Stil, welchen man erstrebte, geradezu notwendig, unentbehrlich. Gereiftere Talente, wie z. B Schnorr u. and., waren von dieser Manier schon frei geworden, während andere, wie etwa Koch, aus der antikisierenden Zeit Carstens', Wächters, Schicks, in die romantische Periode hineingewachsen, von diesen Äußerlichkeiten weniger bestimmt wurden.

Eines Nachmittags trat Meister Koch ins Atelier, um mich, wie er das öfters tat, zu einem Spaziergange vors Tor aufzurufen. Ich saß eben noch arbeitend vor dem Bilde, die Komposition hatte er schon früher gesehen, und diese, wie das ganze Motiv, waren sehr nach seinem Sinn. Jetzt aber fing er an, meine Arbeit an allen Ecken und Enden zu tadeln; es sei alles zu ängstlich, kleinlich, der große Zug, welcher im Entwurf gewesen, sei wieder verloren gegangen usw. Ich reichte ihm Pinsel und Palette und bat ihn, mir anzudeuten, wo es fehle. Er griff nun zu einem der größeren Borstpinsel, wischte einen hellen Ton von Weiß, gebranntem Ocker und Beinschwarz und deckte damit alle Partien breit und massig, welche ihm als zu mager und dürftig für die Wirkung erschienen, und nach einer Viertelstunde sah die saubere Untermalung fleckig wie eine übertünchte Mauer aus. Der liebe Alte hatte mit solchem Feuereifer gearbeitet und, da ihm dabei die Pfeife ausgegangen, soviel von der herausfahrenden Tabaksasche mit hineingemalt, daß es ein wahrer Graus war, das Bild anzusehen. Die weißlichen, aber weisheitsvollen Flecken und Kleckse hatten nun freilich meine sorgsame Malerei zerstört, und ich dankte etwas kleinlaut für seine gewaltsamen Andeutungen, aber recht hatte Meister Koch unbestritten. Am Abend wusch ich indes diese gar zu störenden Flecke sorgfältig wieder weg und korrigierte anderen Tages alles nach seinen Ratschlägen.

Der Schüler erfreut sich immer über das Gelingen des Einzelnen und legt einen zu großen Wert darauf, während der Meister das Einzelne nur soviel gelten läßt, als es in bezug zum Ganzen an seiner Stelle gelten darf oder gelten muß. – Auch bei Beurteilung anderer Dinge wird die Maxime gelten: Wohl dem, der den Sinn und Geist des Ganzen erfaßt hat, der wird für das Einzelne die rechte Art und die rechte Stelle, wo es hingehört, leicht zu finden wissen.

Es war mir während meines römischen Aufenthalts mehr und mehr klar geworden, daß die ideale, sogenannte historische Landschaft diejenige Richtung sei, auf welche ich aus innerster Neigung hinsteuerte. Was mich am meisten in meinen Arbeiten aufhielt, war der Mangel einer tüchtigen Technik, welche nur in einer guten Schule gewonnen wird; allein diesen Mangel teilte ich mit den meisten anderen, und es ist bekannt, daß dies die schwache Seite selbst der großen Meister dieser Periode war und meistens auch geblieben ist.

Eine Ausnahme davon machte unter den Landschaftern vielleicht der talentvolle Ernst Fries. Er war mit Fohr in Heidelberg eng befreundet gewesen und hatte in München mit dem damals noch jungen Rottmann viel verkehrt und namentlich durch letzteren den Sinn für Kolorit und malerische Technik mehr entwickelt, als ich und die anderen in Rom lebenden Landschaftsmaler. Im letzten Sommer war Fries nach Carrara, Massa und Spezia gegangen, hatte dort schöne Studien und außerdem die Bekanntschaft des Engländers Wallis gemacht, welcher sich insbesondere koloristischen Studien ergeben hatte und Forschungen über die Malweise der älteren Venezianer anstellte.

Nach Rom zurückgekehrt, untermalte Fries sogleich in dieser neuen Technik eine Landschaft, den Meerbusen von Spezia darstellend, welche mit großem Interesse betrachtet wurde. In zwei Monaten war das schöne Bild fertig, und um dies gleich hier beizufügen, es wurde im April mit dem meinigen zugleich ausgestellt, wo denn die Künstler mit ihren Urteilen in zwei Parteien sich trennten. Die Historienmaler und strengeren Stilisten zogen das meinige vor, wegen der idealeren und stilvollen Richtung, während die anderen das Bild von Fries wegen der gewandten Technik und der feinen malerischen Tonwirkung erhoben Überhaupt schien man mehr und mehr gewisse Einseitigkeiten zu fühlen, die aus der großen Vorliebe und dem Studium der ältesten Schulen entstanden waren, und man faßte jetzt das eigentlich »Malerische« mehr ins Auge.

Der liebenswürdige Anton Draeger aus Trier, das Muster eines »Anempfinders«, hatte sich bisher mit seinem Gefühl in die Arbeiten der alten Florentiner Meister, insbesondere des Fra Angelico da Fiesole versenkt. Seit ein paar Jahren arbeitete er an einem kleinen Bilde (Jakob und Rebekka), welches er ganz in der Art seiner oben genannten Lieblinge mit innigster Hingebung durchführte, und die Muster, welche ihm dabei vorschwebten, waren nicht zu verkennen. Doch schon während der Beendigung dieses Bildes gewann allmählich Tizian die Oberhand in seinem feinfühligen und empfänglichen Herzen, und seine nächste Arbeit, die bekannter gewordene schöne Lautenspielerin, war ganz in der Art der Venezianer gemalt.

Hier muß ich gleich noch eines Dritten gedenken, welcher mit ungewöhnlicher technischer Gewandtheit das koloristische, das malerische Prinzip verfolgte. Es war der aus Stuttgart angekommene Gegenbaur. Eine Nymphe, Venus, oder eigentlich ein schönes Modell, welches er zur Übung in seinem Atelier al fresco auf die Wand gemalt hatte, erregte Bewunderung durch die Kraft der Färbung, Abrundung und durch große Leichtigkeit des Machwerkes; dagegen konnte man mit Auffassung und Stil sich weniger einverstanden erklären.

So machten sich bereits in diesem Winter die leisen Anfänge einer anderen Strömung bemerkbar, welche eine gewisse Einseitigkeit durchbrach, mit der man bisher vorzugsweise die Zeichnung, den Umriß, streng zu erfassen strebte, dagegen das Studium der Farbe, Stimmung und kräftigere Modellierung der Formen vernachlässigt hatte.

In dem folgenden Jahre schloß sich bekanntlich auch der talentvolle Erwin Speckter (durch Draeger angeregt) diesen koloristischen Bestrebungen an.

So sehr nun eine solche Erweiterung des Gesichtskreises für das Schöne auf allen Gebieten der Malerei zu loben, ja notwendig war, so trug es doch – wie alles Irdische – auch einen verderblichen Keim in sich. Wenn die Idee in schöner, lebensvoller Gestaltung sich darstellt – wenn das Wort Fleisch wird –, dann ist der Höhepunkt, die Periode der Klassizität erreicht. Allmählich aber entweicht der geistige Gehalt mehr und mehr, und es bleibt zuletzt das tote Fleisch allein übrig. Dies ist der Verlauf aller kunstgeschichtlichen Entwicklungen.

Julius Mosen spricht etwas Verwandtes bei Gelegenheit einer Betrachtung der Dresdener Galerie aus: »Je mehr die Seele aus der Kunst entweicht, desto glänzender wird ihre äußere Erscheinung, desto größer die Wirkung auf das seelenlose Auge, nur durch die Eleganz der Form«.

Als im Anfang der vierziger Jahre die Düsseldorfer Schule mit ihrer glänzenden Technik auftrat und darin die Münchener in Schatten gestellt wurde, sagte Schnorr zu mir: »Wir« – nämlich Cornelius, Overbeck usw. – »hatten damals vollauf zu tun, nicht allein die Prinzipien, die Grundanschauungen der alten großen Meister (des fünfzehnten Jahrhunderts) zu erforschen und festzustellen, sondern wir mußten nach denselben auch selbst schaffen und arbeiten lernen. Da die alten Grundlagen verloren gegangen waren, kehrten wir zu den Quellen zurück, in deren Verlaufe so Großes, so Vollkommenes entstanden war. Es war uns unmöglich, alles auf einmal zu leisten, und wir glaubten, die Weiterführung, namentlich die Ausbildung der Technik in demselben Geiste den Nachkommen überlassen zu können.«

Über das Zurückgreifen zu den ältesten Meistern, Giotto und Eyck und ihren Zeitgenossen ist mir die Äußerung des berühmten Canova zu Baptist Bertram, dem Freunde Boiserées, merkwürdig erschienen, als er dessen Sammlung altdeutscher und altniederländischer Gemälde, damals noch in Heidelberg, betrachtet hatte. Er meinte, hier bei dieser ältesten Kunst müßten die Maler wieder den Faden anknüpfen, wenn sie wieder auf lebensvollere Bahnen kommen wollten; wer von Raffael ausgehe, könne nicht weiter, nur hinabsteigen. (S. Boisserée, Leben und Briefe.)

Doch ich bin durch diese Brocken, welche an einem unsichtbaren Faden hängen, von meiner einfachen Geschichte abgekommen und wollte im allgemeinen nur aussprechen, daß ich in diesem dritten Winter meines römischen Aufenthalts die Sinnesart unter der Masse der Künstler nicht mehr so einheitlich einem Ziele zustrebend fand.

Noch im Spätherbst dieses Jahres waren einige Künstler in Rom eingetroffen, die mir lieb und wert wurden und mit welchen mich in der Folge eine lebenslange innige Freundschaft verband. Zuerst kamen die Historienmaler Peschel und Zimmermann aus Dresden, denen es endlich geglückt war, das langersehnte Ziel ihrer Wünsche, Rom, zu erreichen, indem der erstere eine kleine Erbschaft dazu verwendete, der andere der Beihilfe eines wohlhabenden Gönners sich zu erfreuen hatte. Peschel schloß sich sogleich an den sinnigen und schon von früher befreundeten Anton Draeger an, und gewiß konnte er keinen besseren Mentor für Rom sich wünschen. Draeger führte Peschel zu den bedeutendsten und ihm wertesten Kunstwerken, und während er selbst diese mit stiller Andacht betrachtete und dann mit ein paar Worten auf dies oder jenes eigentümlich Schöne des Gedankens oder der Form deutete, so war man mehr erwärmt und im Verständnis gefördert, als durch das breiteste Kunstgeschwätz so mancher anderer.

Die altitalienischen Meister liebte er damals vorzüglich und meinte: bei ihnen habe er gefunden, was er in den Bildern am meisten gesucht habe: Seele. –

Ebenso machte er Peschel aufmerksam auf alles Malerische und Eigentümliche des Volkslebens, wie es sich in den Straßen darstellt. »Mit jedem Schritt und Tritt, den ich aus dem Hause tue«, sagte er, »finde ich Anlaß zu den schönsten Studien, interessantesten Motiven. Vom Pincio bis hinüber zum Vatikan bin ich sicher, mehr als eine Madonna mit dem Kinde anzutreffen, lebende Bilder, wie sie Raffael nicht schöner malen könnte.«

So war Peschel, welcher den hingebendsten Sinn entgegenbrachte, sehr bald in diese künstlerischen Geheimnisse Roms eingeweiht, während bei manchen anderen eine längere Zeit erforderlich ist, ehe das Auge für diese Dinge sich erschließt.

Fühlte doch ich mich selbst in diesem dritten Winter, den ich in Rom verlebte, heimischer darin und mehr eingebürgert; ja es stieg sogar oftmals ein lebhafter Wunsch in mir auf, für immer hier bleiben zu können, was ich jetzt um so eher tun konnte, als ich die Möglichkeit sah, mich durch meine Arbeit erhalten zu können. Dazu kam noch, daß die Aussicht auf Dresdener Zustände mir sehr frostig, aschgrau und zopfig erschien, während ich hier, von dem vollen Lebensstrom getragen, sowohl an den Früchten einer großen Vergangenheit mich erlaben, als den reichen Frühling, den die Gegenwart bot, mitleben konnte. Das Gefühl, was den Dürer vor dreihundert Jahren in Italien überkam, als er an die Heimkehr dachte, mag wohl seitdem in so manchen Künstlerherzen sich wiederholt geregt haben: »Ach, wie wird mich nach dieser Sonne daheim so frieren! Hier bin ich frei, daheim ein Schmarotzer.« Trotz alledem aber übte ein anderer Magnet, den die Vaterstadt herbergte, eine so starke Anziehungskraft auf mein Herz, daß der Gedanke .des »Dahleibens« keine Wurzel fassen konnte. Und gewiß darf ich mein Geschick preisen, daß ich in Rom nicht blieb und daselbst nicht einbürgerte; denn warteten meiner daheim auch schwere Zeiten, hatte ich auch des Hemmenden und Niederdrückenden vorher viel zu erleiden, zuletzt öffneten sich Wege, die mich auf ein Gebiet brachten, von dessen Vorhandensein ich damals noch gar keine Ahnung haben konnte und auf welches doch der ganze Entwicklungsgang meines Lebens mich vorbereitet und hingedrängt hatte, in welchem ich meine bescheidene Aufgabe erfüllen konnte.

Bald nach Peschels und Zimmermanns Ankunft erschien noch ein dritter Landsmann, Wilhelm v. Kügelgen. Er brachte mir Briefe von Eltern und Geschwistern, und da er in meiner Nähe eine Wohnung genommen, so ging ich oft nach der Arbeit ein Stündchen zu ihm, wo ich um dieselbe Zeit – es war das Dämmerstündchen – gewöhnlich auch Peschel und Zimmermann antraf. Kügelgen war eine höchst liebenswerte Persönlichkeit; seine treuen Augen, aus denen Wahrhaftigkeit und Herzensgüte blickten, sein anziehendes, stets mit humoristischen Brocken gewürztes Gespräch gewann ihm die Herzen.

Unsere Unterhaltungen wurden bald sehr lebhaft; denn da Kügelgen der pietätvollste Anhänger der Schule seines Vaters war und unsere Begeisterung für die neue Richtung nicht teilen konnte, so gab es die eifrigsten Kontroversen. Er wurde von den Kunstwerken des Vatikans und einigen anderen Sammlungen bedeutend ergriffen, fühlte sich aber abgestoßen von dem ihm unsympathischen italienischen Leben und von der landschaftlichen Umgebung Roms. Ein stilles Wald- und Heidedörfchen seiner Heimat sprach lebendiger zu seinem Gemüte als alle italische Schönheit.

Vielleicht mochte diese Unempfänglichkeit durch die Stimmung vermehrt werden, welche das Vorgefühl einer Krankheit war, welche bald darauf ausbrechen sollte. Die Gelbsucht färbte sein sonst so blühendes Gesicht wie eine Zitrone und machte ihn stumpf und müde. Es war, als wolle das Land, »wo die Zitronen blühen«, mit grausamen Spott und Grimm sich an ihm rächen; denn sein ohnedies kurz bemessener Aufenthalt wurde durch diese Krankheit noch bedeutend abgekürzt, denn es vergingen viele Wochen, wo er auf sein Zimmer gebannt war.

Der Verkehr mit diesen drei trefflichen und strebsamen Künstlern ist mir deshalb besonders wichtig geworden, weil daraus später – in der Heimat – ein Freundschaftsverhältnis sich entwickelte, welches in guten wie schweren Tagen mich beglückt hat, weil diese Freundschaft einen Grund hatte in den tiefsten und heiligsten Überzeugungen des Herzens.

Maydell aber blieb doch mein alter ego; wir waren einander Bedürfnis geworden; wir tauschten aus, was neu in uns aufgestiegen war, was uns angeregt, berührt hatte. Maydell hatte eine abgelegene Wohnung gewählt, teils um unnützen Besuchen zu entgehen, teils um billiger zu wohnen; denn das Kapital, welches er für seine Ausbildung zum Künstler zu verwenden hatte, suchte er durch den sparsamsten Haushalt und energischen Fleiß zu verdoppeln, indem er es für eine längere Zeit ausreichend machte. Sein Wille und eisenfeste Gesundheit waren allein imstande, dies, wie er es tat, durchzuführen.

Außer seinem in Civitella angefangenen Bilde: »Wie Magdalena den Herrn am Grabe wiedersieht«, ein »Noli me tangere«, hatte er sich jetzt an eine Reihenfolge von Kompositionen zur Apokalypse gewagt, welche sein ganzes Interesse auf das lebhafteste in Anspruch nahmen. Mit gutem Verständnis und in einer großen Weise hatte er sich die Teile dieses dunklen Buches geordnet und zurechtgelegt, in welchem durch großartige Symbole die Kämpfe des göttlichen Reiches und dessen endlicher Sieg über die Mächte der Finsternis geschildert werden.

*

So oft ich jetzt zu Maydell kam, fand ich ihn an seinem Arbeitstisch unter Büchern, Papieren und allerhand Gerät sitzend, an seinen Zeichnungen arbeiten. Das alte, verrauchte Gemach mit dem hohen Fenster, durch welches gleichwohl nur wenig Licht fiel, denn es ging in eins der engen, rußigen Winkelgäßchen, welche auf das Forum münden – es erinnerte mich an jene Rembrandtschen Radierungen, welche einen einsamen Gelehrten am Fenster zeigen, welcher, von mystischem Halbdunkel umgeben, in seine Folianten con amore versunken ist.

Daß der Freund in dieser von Fremden eher gemiedenen als gesuchten Gegend völlig ungestört arbeiten, in stiller Sammlung das reine Glück des Schaffens genießen mochte, konnte ich aus seinen Augen lesen und seinem ganzen Wesen abmerken; er sah aus, als habe er eben in einer Welt des Friedens verkehrt.

Einige Verse, welche er in jener Zeit niederschrieb und die ich hier mitteile, spiegeln vielleicht am besten die Stimmung, welche ihn beseelen mochte und welche aus dem Stoff seiner Arbeit entsprossen war:

Jerusalem, du Himmelstadt,

Nach dir steht all' mein Sehnen;

Nach dir seufz' ich so früh als spat,

Nach dir die Augen tränen.

Ohn' Unterlaß seufz' ich nach dir,

Ach, zeig' dich endlich, endlich mir,

Zu deiner Ruh' mich lade!

Von fern hab' ich mich aufgemacht,

Als ich dein' Ruhm vernommen;

Hab' alles Ding für Schaden acht't,

Um nur zu dir zu kommen.

Bis um die Mitternacht ich geh,

Stracks mit dem Hahnenschrei aufsteh,

Mag unterwegs nicht rasten.

Wo Kreuze hoch am Wege stehn,

Trübsal die Pfade enget,

Dort muß der Weg nach Zion gehn,

Dahin mich Heimweh dränget.

Und schrei und seufz' ich auch vor Leid,

Doch tausch ich nicht um Erdenfreud':

Solch Freud' mag mir nicht frommen.

Wann werd' ich deine Zinnen sehn

Und stehn an deinen Toren:

Davor die Engel glänzend gehen

Die Helden auserkoren?

Dann nach dem langen Pilgerlauf,

Nimm du mich Müden gnädig auf;

Will dir ja freudig dienen!

(Oder:

Ach nimm nach langem Pilgerlauf

In deine Himmelsstadt mich auf,

Mit Freuden dir zu dienen.)

Die kirchengeschichtlichen Vorträge von Richard Rothe wurden auch in diesem Winter fortgesetzt und niemals versäumt. Ich lernte da zwei junge Männer kennen, die mir besonders lieb wurden. Der eine war von Geburt ein Jude, welcher in Petersburg durch Bekanntschaft mit Goßner zum Christentum übertrat. Selten habe ich Menschen gesehen, auf deren Gesicht der innere Friede des Herzens und die ehrlichste, aufrichtigste Liebe so leuchtend geschrieben stand, wie bei diesem prächtigen Menschen. Die Erinnerung an dieses treuherzige Gesicht ist mir oft ein Segen gewesen! Er hieß Simon und war Hauslehrer bei den Kindern des preußischen Gesandten Bunsen. Der andere war ein Süddeutscher, ein geschickter Architekturmaler namens Schilbach aus Darmstadt. Er kam auch in unseren, durch den Abgang von Thomas, Hoff und Oehme klein gewordenen Kreis, den wir im Winter von jenem mir besonders merkwürdig gewordenen Silvesterabend fortführten. Die Gesellschaft bestand gewöhnlich aus v. Maydell, Faber (dem Hamburger Landschaftsmaler), Schilbach und mir, und meist auch Schnorr und Rothe. Die lebhafte und anregende Unterhaltung drehte sich um Kunst, Literatur und religiöse Dinge.

Aus der Künstlerbibliothek hatte ich Stolbergs Religionsgeschichte mir geholt. Die schöne Darstellung, belehrend und erbauend in reichem Maße, gab mir ein tieferes Verständnis der göttlichen Offenbarung im alten Bunde. Das Werk hatte damals eine große Verbreitung bei Katholiken wie Protestanten gefunden und eine segensreiche Wirkung gehabt. Kügelgen las mit Peschel dies Buch, und es war für diesen die erste Anregung zu tieferer religiöser Erkenntnis.

Hätte ich damals das bändereiche Werk weiter lesen können als bis zum zweiten Bande und wäre damit bis zur Gründung und Ausgestaltung der christlichen Kirche gekommen, so dürfte mir das eigentümliche Verhältnis klarer zum Bewußtsein gekommen sein, welches mich, den Katholiken (in dem Hauptsitz der katholischen Kirche), an die kleine protestantische Gemeinde auf dem Kapitol gefesselt hatte.

Seit vielen Jahren allen kirchlichen und religiösen Einwirkungen fern geblieben und gänzlich indifferent und unwissend auf diesem obersten und ersten Lebensgebiete, hatte sich allmählich in immer ernsterem Drange die Frage nach Gott in mir geltend gemacht. Ich fand ganz unerwartet die Freunde im Besitz dessen, was ich zuletzt so sehnlichst gesucht hatte: im Besitz eines wahrhaften Glaubens an den lebendigen Gott.

Wenn ich das mit Worten bezeichnen soll, was mir so plötzlich zuteil wurde und was Geheimnis des innersten Seelenlebens ist, so würde ich es in den biblischen Ausdruck zusammenfassen müssen: Die Gnade Gottes in der Person Jesu Christi, der Welt Heiland, war nun auch mein Heiland und Erlöser geworden.

Das Wachsen in der Erkenntnis und die Pflege dieses neuen Lebens war fortan – nächst der Kunst – mein lebendigstes Bestreben.

Von Konfession und Kirchentum war unter uns fast niemals die Rede, nicht Form und Uniform war's, was uns am Herzen lag, sondern die Sache selbst (der Glaube in Beweis des Geistes und der Kraft) – So war es ja selbstverständlich, daß ich mich auch ferner zu denen hielt, von welchen mir dies neue Leben, dieser Umschwung aller Anschauungen gekommen war; und hatte mein Besuch der protestantischen Kapelle auf dem Kapitol einigen katholischen Landsleuten – wie ich später erfahren mußte – großes Ärgernis gegeben, so hatte ich damals keine Ahnung davon. Ich dachte weder an Protestantismus noch Katholizismus, sondern fühlte in Wirklichkeit das Glück, Christo anzugehören und sein Wort zu haben.

Wenn ich jetzt zuweilen in später Abendstunde noch im Atelier saß, stieg wohl das Bild meines alten, holländischen Bootsmannes in mir auf, und ich hörte seine treuherzige Stimme: »Lieber junger Herr, ich habe einen sehr sicheren Führer in die Heimat, das ist der liebe Gott! und einen treuen Reisegefährten, den Herrn Christus; mit dem darf ich sprechen, und er redet dann auch mit mir.« – Darauf hob er das kleine, schwarz gebundene Büchlein in die Höhe, welches ich damals nicht kannte, und sein breites, ehrliches Gesicht strahlte vor Freude!

*

In der Landschaftsmalerei waren es zwei Richtungen, welche zu jener Zeit in Rom vertreten waren: die sogenannte historische Landschaft und die Vedute. Die erstere fand ihre bedeutendsten Vertreter in Koch und Schnorr, die zweite in Catel.

Ich hatte mich der idealen Landschaft zugewendet; sie war mein Ziel geworden. Hatte ich doch schon in den früheren Jahren nur mit innerem Widerstreben an den radierten Prospekten gearbeitet; sobald ich aber freie Hand hatte, griff ich jedesmal nach einer eigenen Erfindung, in welcher ich irgendeine Stimmung oder Situation zu verkörpern strebte. Wie mangelhaft alle diese Versuche ausfielen, empfand ich selbst am besten, und mit Betrübnis blickte ich jetzt auf das in jeder Beziehung Unzulängliche meiner Vorbildung.

Nun aber hatte ich durch den mehrjährigen Umgang mit so vielen ausgezeichneten Künstlern, die Rom damals vereinigte, in dieser Hinsicht viel gewonnen. Besonders mußte der freundschaftliche Verkehr mit Schnorr und Koch mir förderlich werden, da ich durch Jahre hindurch nicht nur ihre Kunstmaximen kennenlernte, sondern auch deren praktische Anwendung bei ihren Schöpfungen vom Beginn bis zur letzten Vollendung derselben verfolgen konnte. Ihr fein ausgebildetes Stilgefühl öffnete mir eine Region in der Kunst, von welcher ich, ehe ich nach Rom kam, kaum etwas gehört hatte und wodurch doch erst die höchste Schönheit klassischer Kunstwerke verstanden werden kann. Die landschaftlichen Zeichnungen Schnorrs waren es ganz besonders, die mir Aufschluß gaben und zum Wegweiser dienten, wie ein edler Stil mit charakteristischer Naturwahrheit zu verbinden sei; oder mit anderen Worten: wie der Künstler mit fein ausgebildetem Schönheitssinn die Natur zu erfassen und dabei das Wesentliche von dem Unwesentlichen zu scheiden habe.

Alle diese schönen Dinge nun waren der Ertrag der in Rom durchlebten drei glücklichen Jahre, so viel und so wenig ich davon aufnehmen konnte bei dem oft schmerzlich empfundenen Mangel intellektueller und technischer Vorbildung, aber im Besitz eines aufnahmewilligen und suchenden Herzens.

*

Meine Abreise hatte ich auf den ersten April festgestellt und benutzte die Zeit bis dahin, um in der Umgebung Roms die liebgewordenen Stellen zu besuchen und mit schwerem Herzen einen stillen Abschied von ihnen zu nehmen. Ich zeichnete mir dabei noch so manche Erinnerungsblätter, besonders im Tale der Egeria, wo ich ein paar herrliche, stille Morgen zubrachte. Die alte Grotte mit ihrem Quell, der dunkle Hain auf dem Hügel und die in sehnsüchtigem blau schimmernden schönen Gebirge bei Palestrina und Tivoli, – welche Erinnerungen so unbeschreiblich glücklicher Wochen und Monde, die ich dort mit Freunden verlebt hatte, tauchten aus den vergangenen Jahren in mir auf! Und es war ein Abschiednehmen auf Nimmerwiedersehen, das alle Saiten des Herzens durchzitterte! Auch von Aqua Acetosa und von der Villa Mattei wurde noch manches fleißige Blatt heimgebracht. Mit Stölzel und Kopisch (dem Dichter und Übersetzer des Dante) besuchte ich zum letzten Male den Vatikan und brachte mit ihnen einen schönen Nachmittag auf dem Monte Mario zu, wo bei einer Fogliette Wein, unter den Zypressen gelagert, der herrlichste Überblick der Stadt bis zu dem Meer und den Gebirgen uns noch einmal in Entzücken versetzte.

Als ich bei Bunsen meinen Abschiedsbesuch machte, traf ich daselbst den Kapellmeister Neukomm, den Vertrauten Talleyrands, welcher eben aus Brasilien gekommen war; ein stattlicher Mann mit feinem und klugem Gesicht. Die teueren Rothes, in deren Hause ich so viel Liebes und Gutes empfangen hatte, fügten dem noch einen neuen Beweis liebevoller Vorsorge hinzu, indem sie mir einen kleinen, schwarzen Reisegefährten mitgaben, ein Hündlein, das mich sehr treuherzig ansah. Es suchte sich dadurch mir zu empfehlen, daß es mit dem Schwänzchen wackelte und mit einiger Unterstützung der lieben Geber sich auf die Hinterpfoten setzte und dabei süßsauer lächelnd die Zunge herausstreckte.

Maydell und Rothes waren zu diesem Einfall gekommen, weil sie wußten, daß ich meine Heimreise abermals per pedes apostolorum machen wollte, und damit ich nicht wieder durch Gewaltmärsche meine Gesundheit schädigen möchte, gaben sie mir das Hündlein mit, das sich hinlegen würde, wenn des Laufens genug gewesen sei. Mein Gesundheitszustand hatte sich in den letzten beiden Monaten sichtlich gebessert, und je näher das Frühjahr rückte und mit ihm die Hoffnung auf die Möglichkeit der Abreise eintrat, um so gehobener fühlte ich mich. Bei alledem war mir in der Folge der kleine, vierbeinige Römer – Piccinino war sein Name – ein treuer Begleiter und guter Mahner, wenn es Zeit sei, den Tagesmarsch einzustellen.

Der herkömmliche Abschiedsschmaus wurde auf Papa Giulio abgehalten und nun die letzte Nacht in Rom zugebracht.

Welch eigentümliches Wogen und Wechseln der Empfindungen in der Seele! Wie in einer bewölkten Mondnacht Licht und Dunkel schnell wechseln und traumartig ineinander übergehen, so war's in der Seele; bald waltete der Schmerz vor, die ewige Stadt zu verlassen, bald erfüllte mich freudige Hoffnung, alle die wiederzusehen, die mir in der Heimat das Teuerste waren.

Am Morgen des 1. April griff ich denn wieder zum Wanderstab, nahm das Ränzel auf den Rücken und ging mit Maydell der Porta del Popolo zu, wo noch eine Anzahl lieber Genossen meiner warteten und bis zur Osteria an Ponte Molle das Geleite gaben. Hier wurde, wie herkömmlich, der Abschiedstrunk genommen, und wie jene nach der Stadt zurückkehrten, ging ich mit Maydell, Piccinino voraustrabend, auf dem flaminischen Wege nordwärts. Wir marschierten lange still nebeneinander fort. Das Herz war bewegt. Das Gefühl, so viel des Großen, Würdigen, des Schönen und Geliebten zu verlassen und wohl für immer, machten mich verstummen.

Ich weiß nicht, ob die Campagna, die wir nun durchzogen, auch ihrer vergangenen Zeiten dachte, denn sie war so still; nur Lerchensang in der Höhe und das ferne Blöken einer Schafherde unterbrach diese Stille und machte sie noch bemerkbarer.

Der mit Wolken bedeckte Himmel zog bald eine dunkle Masse zusammen, und große fallende Tropfen verkündeten einen tüchtigen Regenguß, welcher auch schon über die dunkel gewordenen Gefilde daherrauschte. Ein antikes Gemäuer ohnweit der Straße schien uns Schutz anzubieten; wir krochen hinein und erblickten wie zum Abschied noch ein allerliebstes Bild römischer Zustände. In dem dunkeln Raum des alten Grabes – denn ein solches war es –, welches nur von der niederen Öffnung des Einganges sein Licht empfing, hatte sich eine Hirtenfamilie eingenistet. Der Mann schickte den großen Hund hinaus, um die Herde zusammen zu halten; das junge Weib hatte den Säugling an der Brust, und ein anderes Kind saß am Boden und spielte mit einem Zicklein und den zwei Hühnern, ihren Hausgenossen. Nun kamen wir zwei Fremdlinge auch noch in den Raum, und das Haus war gefüllt. Wir benutzten diese erste Rast zum Frühstück oder vielmehr Mittagessen und holten unseren Vorrat von Brot und geräucherter Zunge aus der Tasche. Die Korbflasche mit Wein ließen wir herumgehen und teilten mit den Insassen das Pranzo. Piccinino saß am Eingang und sah verdrießlich in den niederrauschenden Regen!

Die Leute waren infolge unserer materiellen Mitteilungen gesprächig geworden, und so verbrachten wir zuletzt ein ganz gemütliches Stündchen in dieser antiken Ruhestätte eines vornehmen Römers.

Der Regen hatte aufgehört, einzelne Sonnenblicke streiften über die Campagna, und der Geruch der Frühlingsblumen – es blühten viel Reseda und wilde Narzissen – erquickte Leib und Seele, als wir unseren Weg fortsetzten. Gegen Abend erreichten wir ein kleines Örtchen, wo wir über Nacht blieben.

Am anderen Morgen waren wir früh auf. Die Straße zog sich eine Anhöhe hinauf. Rechts, ganz nahe, erhob sich der klassische Soracte. Das Kloster San Oreste glänzte auf seinem Gipfel in der Morgensonne, und aus dem Tale erhob ein Chor von Nachtigallen und anderer Singvögel ihr Morgenlied.

Bis hierher hatte mir Maydell das Geleite gegeben. Er wollte jetzt nach Rom zurückkehren, denn er gedachte dort noch ein Jahr zu bleiben, und mir blieb die schöne Hoffnung, ihn in Jahresfrist in Dresden, wo er durchreisen mußte, wiederzusehen. Er gab mir beim Abschied ein kleines Büchelchen, in welches er auf dreißig Seiten je zwei Schriftstellen, welche sich ergänzten oder erklärten, geschrieben hatte. Auf das feinste mit der Rabenfeder geschrieben, sollte es mir für die Reise eine tägliche Anregung geben, und in den Nachtstunden des Winters hatte er diese Liebesarbeit ausgeführt. Auch von Richard Rothe war einiges geschrieben; unter anderem auch eine seiner Lieblingsstellen aus dem ersten Korintherbrief: »Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich es stückweise; dann aber werde ich es erkennen, gleichwie ich erkannt bin. Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größeste unter ihnen.« 13. Kap., V. 12, 13.

Unser Abschied war kurz, aber mit Tränen in den Augen.

Ich sah ihm noch lange nach, als er den Hügel hinabging, der liebe Freund, der mir ein großer Segen gewesen ist in meinem Leben. Es war ein ganz einziges Verhältnis zwischen uns. Wie manchmal ein älterer Bruder eine besondere Liebe und Zärtlichkeit für den um vieles jüngeren Bruder hat, dem er Bruder, Lehrer, Vorbild ist – ähnlich war es unter uns.

Nun aber wandte ich mich und ging allein meine Straße, aber dem Vaterlande, der Heimat zu!