06 bis 1819

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Fortsetzung, und was Weiteres bis zur Reise nach Frankreich geschah, bis 1819

Nachdem ich bei meinem Meister Schubert an das Ölmalen gekommen war und als Vorübung zwei kleine, hübsche Bilder nach Dietrich kopiert hatte, welche braun gemalt und mit Weiß gehöht waren, folgten zwei andere größere farbige Bilder nach demselben Meister.

Schuberts Methode des Malens war eine sehr richtige und heilsame und der damals üblichen entgegengesetzt. Er hatte sie von Dietrich erlernt und dieser sie wiederum aus den Niederlanden, wo er sich ausgebildet hatte, mit heimgebracht. Sie bestand hauptsächlich darin, daß zur Untermalung nur wenige, stark deckende Farben gebraucht wurden. So durfte statt des Blau in Luft und Ferne nur Weiß und Beinschwarz, statt des Grün nur Neapelgelb oder lichter Ocker mit Beinschwarz angewendet werden, und alle übrigen Farben und Töne wurden aus verschiedenen Mischungen von Weiß, Neapelgelb, gebranntem und ungebranntem Ocker und Schwarz gemischt. Eine solche Untermalung sah sehr leicht und mattfarbig aus; desto leuchtender aber erschienen darauf die Farben der Übermalung.

Indes ich mich so übte, war noch ein neuer Schüler dazugekommen, namens Pescheck, ein hübscher, lebenslustiger, junger Mann, dessen wohlhabende Eltern in einer Provinzstadt lebten und den Sohn anständig unterstützten. Da er ein paar Jahre älter war als ich und bei seinem geselligen Talente viel in Gesellschaften verkehrte, so kamen wir außer im Schubertschen Arbeitszimmer doch wenig zusammen. Einen bleibenden Eindruck machte es auf mich, als er einstmals erzählte, wie er in ein paar Jahren nach Italien wandern würde, das Zeichenbuch in der Tasche, die Gitarre auf dem Rücken; wie er von den Alpen bis zur Alma Roma die Mappe mit Studien zu füllen und einige glückliche Jahre in dem herrlichen Italien zu verleben gedenke. Sein Vater, welcher die Mittel besaß zur Realisierung dieses reizendsten Künstlertraumes, des Gipfels aller jugendlichen Wünsche, hatte es ihm bereits zugesagt. – Mit Bewunderung sah ich auf diesen liebenswürdigen Günstling des Glückes, und zugleich preßte es mir das Herz zusammen, wenn ich an meine Lage dachte, die solche Wünsche zu hegen auch nicht im entferntesten erlaubte.

Freilich wurden die Hoffnungen Peschecks nicht erfüllt. Allzuviel gesellschaftliche Zerstreuungen, namentlich eifrige Teilnahme an einem Dilettantentheater, zerstreuten ihn allzusehr. Er kam in seinen Studien nicht vorwärts, das Vermögen der Eltern ging ebenfalls rückwärts. Dazu eine nicht glückliche Verheiratung brachte ihn so ganz herunter, daß er sich in einem verzweifelten Momente das Leben nahm.

Es kam in dieser Zeit vieles zusammen, was mich oft recht traurig stimmte. Zunächst war es das Gefühl des Unzulänglichen meines Studiums, welches stets geteilt war zwischen den eigentlichen Studienarbeiten und dem Zeichnen und Radieren von Prospekten, die noch dazu in einer mir widerstrebenden, manirierten Weise ausgeführt werden mußten. Nie konnte ich meine Zeit auch nur zur Hälfte den Arbeiten widmen, von welchen allein eine Förderung zu erwarten war, und selbst bei diesen dämmerte die Erkenntnis auf, daß der Weg, den ich geführt wurde, nicht zu dem Ziele führen könne, welches mir als das richtige erschien.

Denn es war jetzt ein junger Norweger nach Dresden gekommen, welcher unter den Studierenden große Sensation erregte. Es war Christian Dahl. Eine große norwegische Gebirgslandschaft von ihm auf der Kunstausstellung machte das ungeheuerste Aufsehen, und schwerlich kann man sich jetzt eine Vorstellung machen, welche Wirkung ein Werk von solch schlagender Naturwahrheit unter dem Troß der übrigen schattenhaften, leblosen, maniervollen Gemälde hervorbrachte. Nur Dahls Freund Friedrich machte davon eine Ausnahme mit seinen ganz originellen, poetisch gedachten und tief melancholischen Landschaftsbildern. Die älteren Professoren lächelten freilich über diese Ketzereien oder Narrheiten; von den jüngeren wurden sie bewundert und nach Kräften nachgeahmt. Der Frühlingsodem einer neuen Zeit fing an seine Wirkung zu äußern, das alte Zopftum war im Absterben, belächelte aber in olympischer Sicherheit den tollen Rausch der jungen Sprößlinge. Ich aber saß einsam, ratlos und doch voll des glühendsten Verlangens, das Beste zu erreichen.

Ebenso trüb und ratlos sah es für mich nach einer anderen Seite hin aus. Daß es mir an allen Schulkenntnissen mangle, war mir wohl zum Bewußtsein gekommen; jedoch vorherrschend war das Verlangen nach einer höchsten Wahrheit in mir lebendig geworden. Ich suchte ein Feststehendes, auf das ich mich verlassen, dem ich mich anvertrauen könne, das die unwandelbare Grundlage meines Lebens und Strebens sein könne. Unbewußt oder unbenamt war es das religiöse Bedürfnis, was sich fühlbar machte, welches aber nirgends Nahrung fand; mochten sich die Wurzeln und Fasern alles sehnsüchtigen Verlangens auch noch so ängstlich ausstrecken, überall waren es nur Steine, an denen sich das Fäserlein anklammerte, und dies machte mich ruhelos und unsicher. – Wer sollte mich aus dieser Unsicherheit erlösen, wer den Quell des Lebens mir zeigen, welcher dies tiefste Verlangen nährte und befriedigte?

Ich wußte niemand, niemand an den ich mich hätte wenden können mit diesem Begehren meiner einsamen Seele – ja ich würde mich geschämt haben, solches, wie mich dünkte, wunderliche Verlangen zu offenbaren.

Wie ich schon früher glaube erwähnt zu haben, hatte der trockene Religionsunterricht in der Schule nur wenig verschwommene, allgemeine Begriffe von Gott, Tugend und Unsterblichkeit zurückgelassen, mit welchen der damalige Rationalismus sich begnügte; ein matter Auszug aus der biblischen Geschichte hatte mich wenig angezogen, eine Bibel hatte ich nie in Händen gehabt, auch in unserer Familie existierte eine solche nicht; außerdem kam ich in keine Kirche, und so fehlten trotz des Bedürfnisses – nicht allein nach der Erkenntnis der höchsten Dinge, sondern nach dem Besitz derselben – jede Anregung und Befriedigung von außen.

Aber auch das wenige, was ich von Gott und göttlichen Dingen wußte und glaubte, war mir zweifelhaft geworden. Dies ging so zu: Unter des Vaters Bekannten war auch einer namens Hupf (ich gebe ihm hier einen anderen Namen) ein kleines, buckliges Männchen, dürr, immer unruhig bewegt, mit einem garstigen Affengesicht. Dieser war einstmals gekommen, einige Platten zu bestellen; denn er hatte einen kleinen Kunstverlag. Ich saß etwas abseits an einem Fenster und radierte an einer Kupferplatte, während jene sich über ihre Geschäfte, dann halblaut über anderes besprachen. Endlich machte mich ein grinsendes Gelächter des Männleins aufmerksam, und ich hörte einen lästerlichen, schmutzigen Witz über eine der evangelischen Erzählungen aussprechen, wobei er sich mit boshaftem Behagen die dürren Arme und Beine rieb und schabte und seiner Wonne kein Ende fand. Wie ein Blitz schlugen die Lästerworte mir in die Seele. Es war mir, als bräche der ganze Himmel zusammen und bedeckten nun seine Splitter und Scherben die schöne grüne Erde, und nun könne gar nichts mehr aufblühen und gedeihen. Ein Zweifeln an diesen heiligen Geschichten, ja sogar einen mit solcher Frechheit ausgesprochenen Spott hatte ich gar nicht für möglich gehalten. Ich sah, daß der Vater dem nicht entgegentrat, es schien mir also unter den älteren Leuten all das für Lug und Trug oder Faselei angesehen zu werden, was ich in der Schule als Wahrheit gehört und einfach aufgenommen hatte, und so waren die dürftigen Anfänge eines positiven Glaubens verlorengegangen, und ich mußte annehmen, daß die Wahrheit woanders liege, woanders zu finden sein müsse; aber wo und was sie sei, wer sollte mir das sagen? – Bis hierher hatte ich also vergebens nach einem Aufschluß, vergebens nach einer inneren Zurechtstellung gesucht, und meine Zurückgezogenheit, in der ich lebte, meine angeborene Scheu, das, was in mir vorging, das mir Liebste, höchste, gegen andere Menschen auszusprechen, gaben mir wenig Hoffnung, über diese Dinge klar zu werden. –

An einem Buchladen sah ich einst ein Büchlein; »Grundriß praktischer Lebensphilosophie«, und obwohl ich die Groschen nicht im Überfluß besaß, kaufte ich es sogleich und glaubte nun einen sicheren Wegweiser ins Land der Wahrheit und Glückseligkeit gefunden zu haben. Es waren aber eine Reihe kleiner Aphorismen, die ich nicht verstand und mit denen ich nichts anzufangen wußte. So mußte ich denn in Geduld abwarten, wo mir einmal ein Licht aufgehen würde in meiner Dunkelheit. Glücklicherweise hatte ich keine Zeit, krankhaft einer Stimmung nachzuhängen; ich mußte tüchtig arbeiten, teils um dem guten Vater zu helfen, sein Brot zu verdienen, teils meine Studien, so viel es möglich war, fortzusetzen. Unter des Vaters Büchern fand ich damals einige Bände von Plutarchs »Lebensbeschreibung berühmter Griechen und Römer«, die ich eifrig las, und den alten, frommen Heiden verdanke ich viel. Ein anderes Buch, was ich sehr liebte, waren die Schriften S. Geßners. Sie regten das Gefühl für die Schönheit der Natur mächtig an, und daß diesem wahren Naturgefühl ein antikisierter Zopf angehängt war, störte mich damals nicht allzusehr. Dieser künstliche Zopf hing ihm ganz apart hinten, vorn war er der deutsche Schweizer, der feine Naturmaler.

Ein altes Kalendergeschichtchen erzählt von einem armen Mütterchen, welche, da sie nicht lesen konnte, ihre Kirchenlieder nach dem Gehör mitsang, wie sie das bekannte Gellertsche »Unser Wissen und Verstand« sich mit »Unser bißchen Unverstand ist mit Finsternis umhüllet« übersetzt und angeeignet hatte und solches recht erbaulich und mit vollster Überzeugung mitzusingen pflegte. Vermutlich hatte ich damals ein ähnliches Gefühl von einer doppelt und dreifachen Umhüllung meines »bißchen Unverstands«; doch war es kein Wohlbefinden, weil aus dem armen Wurm ein paar Flügel, die Sehnsucht nach etwas Besserem, sich herausarbeiten wollten, welche den Druck der Puppenhülle wohl fühlbar machten, aber noch keine Kraft gewährten, sie zu sprengen. Ist aber nicht alles Leben des Geistes, wenn es überhaupt zum rechten Erwachen kommt, eine solche Entpuppungsarbeit, bis zur letzten Um- und Enthüllung, die wir im Glauben erwarten?

Um nun meiner höchst mangelhaften Kultur noch einige Vervollkommnung und Politur beizubringen, wurden mir drei Mittel eingegeben. Das Rezept bestand aus Musik, Französisch und Tanz. Das erste war mir ganz recht, desto verhaßter die beiden anderen. Da das Anschaffen eines Klaviers zu kostspielig war, so wählte ich die Flöte und blies nach ein paar Monaten mit meinem Lehrer leichte Duos wacker darauf los. Zwar war mir dies Instrument nicht ganz nach Wunsch, doch tröstete ich mich damit, da es Friedrich dem Großen anständig gewesen sei, so könne ich mich auch damit begnügen. Die Freude dauerte indes nicht lange; ich bekam einen trocknen Husten, der Arzt verbot das Flöteblasen und verordnete Ziegenmilch, und so ging die Musik flöten, glücklicherweise auch der Husten.

Das Französisch lernte ich – oder lernte ich eigentlich nicht – bei einem alten, lustigen Junggesellen, namens Brandstetter. Es war ein kurioses, pockennarbiges Gesicht mit einer schiefstehenden Nase darin, welche er, da er alle Minuten mit dem Kopfe zuckte und schüttelte, rechts und links befühlte, als wolle er sich überzeugen, daß sie noch nicht abgefallen oder vielleicht in noch schiefere Stellung geraten sei. Da ich diese Stunde von früh sieben bis acht Uhr nahm, so traf es sich gewöhnlich, daß ich ihn aus den Federn klingelte und um sein Morgenschläfchen brachte. Doch er ging resolut ins Zeug. Ich las eine Seite aus Numa Pompilius oder Guillaume Teil von Florian, dann wurde überhört, dekliniert und konjugiert, wobei sich aber seine anfängliche Munterkeit verlor und er sanft entschlief. Ich ließ ihn gern schlafen, denn das Französisch-Parlieren war nicht, was mein Herz begehrte. Vor acht Uhr ließ ich dann ein Buch vom Tische fallen, rückte stark den Stuhl oder hustete, worauf er erwachte, nach der Uhr sah, noch eine Lektion aufgab, und ich mich empfehlen konnte.

Trotz dieser französischen Schlafstunden nannte ich ihn einen alten, munteren Kauz, oder vielmehr, weil er als lustiger Gesellschafter erst spät nach Mitternacht nach Hause kam, wurde meine französische Morgenstunde so schläfrig.

Auch durch diese Politur bekam ich also nicht den rechten Glanz! Einen Vorteil hatte ich aber dadurch von ihm, daß er mir jedesmal eine Karte zu den dramatischen Aufführungen seiner Gesellschaft verehrte, deren Mitglieder auch der obengenannte Pescheck und mein späterer lieber Freund Oehme waren. Diesen letzteren in einer komischen Rolle zu sehen – damals beherrschte Kotzebue fast ausschließlich die Liebhabertheater – war für mich ein Hochgenuß. Und in der Tat war Oehme für die Komik ein Talent ersten Rangen. Oehme war damals noch Expedient bei einem Toreinnehmer, verkehrte aber schon in jener Zeit viel mit Künstlern und zeichnete und malte für sich, ohne Anleitung gehabt zu haben.

Der Tanzunterricht, das dritte mir oktroyierte Kulturmittel, war mir anfänglich ganz besonders widerwärtig, zumal als ich hörte, daß in den späteren Übungen auch Damen dabei sein würden. Dies änderte sich indes nach einiger Zeit vollständig, und niemand konnte diese Abendstunden sehnlicher erwarten und sich in dieser kleinen Gesellschaft junger Leute glücklicher fühlen als ich.

Der Tanzmeister war eine gar komische Figur. Eine kurze, runde Gestalt, etwas altmodisch gekleidet, das Haar ein wenig gepudert, Kniehosen, welche die brotverdienenden Beine in der ganzen Pracht ihres Berufes schauen ließen, so stand das rotstrahlende Gesicht mit zugekniffenen Augen und graziös lächelndem Munde vor uns, zirkelte mit seinen Beinen ein Menuett-Pas vor oder hob sich voll Anmut und Würde (obwohl heimlich etwas betrunken) auf die Spitzen seiner großen Schuhe, erhob dann beide kurzen Flügel – Arme wollte ich sagen – und machte mit der Geige in der Hand einen überraschend anmutigen Hops, der uns alle fast erschreckte, weil man glauben konnte, er wolle versuchen zu fliegen und würde nun sogleich auch anfangen zu krähen. Das nannte man einen Entrechat.

Der gute Mann hatte in letzter Zeit etwas von seinem früheren Renommee verloren, weil man ihm nachsagte, daß er zuweilen zu tief ins Gläschen gucke; dies empfand die höchst ehrenhafte Familie, wie man merken konnte, sehr schmerzlich und lag wie eine schwere Last auf ihnen. Der Sohn war bereits als Beamter angestellt, die Mutter sah man nur bei besonderen Gelegenheiten am Büfett, und die Tochter Klärchen, ein schönes, sanftes und bescheidenen Mädchen, nähte und flickte aufs fleißigste, um den Ausfall in den Einnahmen des bei Leibesleben zuweilen seligen Papas zu decken. Sie kam selten und nur weil sie dann mußte, in den Saal, wenn sie eine fehlende Dame zu ersetzen hatte.

Ich hatte sie gern und tanzte oft mit ihr, und wenn ich in späteren Jahren ein Gretchen, ein sittsames, einfaches Bürgerkind zeichnete, so war es Klärchen geworden. In diesem Kreise wurde ich auch mit Ludwig Gruner bekannt und befreundet, welcher damals noch an der Akademie studierte und bei Professor Schulze das Kupferstechen lernte. Da die Gesellschaft während ein paar Jahren ziemlich stabil dieselbe blieb, so trat bei wachsender Vertraulichkeit das Bedürfnis ein, auch im Sommer, wo seltener eine Tanzstunde uns vereinte, sich zu sehen. Es kam deshalb bald zu gemeinsamen Landpartien, die an irgendeinem freien Sonntage nach einer Mühle des damals noch ziemlich einsamen und romantischen Plauenschen Grundes verabredet wurden. Diese kleinen Wanderungen an einem schönen Sommertag wurden sehr anspruchslos durchgeführt und brachten alle noch traulicher zusammen. Man lagerte sich an den blumigen Abhängen unter Büschen und Bäumen, ergötzte sich mit Spielen, scherzte und lachte recht herzlich. Aus dem Tale herauf tönte nur das Klappern der Mühle und das Rauschen der Weißeritz, oder man hörte über sich den Flügelschlag einiger vorüberfliegender Tauben, welche sich dann unten auf das besonnte Mühlendach zu den anderen niederließen. Stellte sich endlich das irdische Verlangen nach Speise und Trank ein, so sorgte die Frau Müllerin für ein gutes Brot und Butter und Milch, und die jungen Götter und Göttinnen schmausten unter homerischem Gelächter Nektar und Ambrosia, umflattert und umpickt von Tauben, Hühnern und von dem radschlagenden, prächtigen Pfau!

Daß sich bei solch idyllisch-olympischen Zuständen, wo junge Leute beiderlei Geschlechts ungezwungen verkehren, auch zärtliche Neigungen regen, kann wohl niemand wundernehmen. Wie der weiche Hauch der Sommerlüfte Gras und Blumen leise bewegt, so durchzog ein ahnungsvolles, freudiges Bewegen die jungen Herzen und erhöhte den Reiz der Gegenwart.

Bei allen dergleichen Partien vermißte ich nur eine: Es war Auguste Freudenberg. Sie kam nur in die regelmäßigen Tanzstunden, kam auf keinen der kleinen Bälle, noch beteiligte sie sich bei den Spaziergängen. Ich konnte sie anfänglich nicht wohl leiden; denn sobald sie unter den anderen jungen Damen erschien, entstand ein Leben, Scherzen und Lachen unter ihnen, daß Tanz und Tänzer ganz zurücktreten mußten, was mich, den eifrigen Tänzer, nicht wenig verdroß. Sie hatte etwas Frisches, Heiteres und dabei sehr Anspruchsloses in ihrem Wesen. Gegen uns junge Herrlein war sie freundlich, wenn sie angeredet wurde, sonst aber sehr zugeknöpft. Es tanzte sich aber gut mit ihr, und sie war mit Lust dabei, und so bat ich oft und endlich immer öfter um den Tanz. Ich hörte, sie sei elternlos und als siebenjähriges Kind von einem verheirateten aber kinderlosen Verwandten ins Haus genommen und erzogen worden und werde sehr streng gehalten. Kurz, ehe wir es uns versahen, hatte sich eine innige Zuneigung gegenseitig ins Herz gesetzt, und ohne daß wir uns davon etwas hatten verlauten lassen, merkten wir es endlich doch selbst, und vor uns schon andere.

Eine einsame Gasse zwischen zwei Gartenmauern – die jetzt verschwunden ist – führte zu einem kleinen Hause und Gärtchen, das ebenfalls verschwunden ist, und in diesem Hause am Dippoldiswalder Schlage – er ist auch nicht mehr vorhanden – lebte der Einnehmer Ephraim Böttger mit seiner braven Frau und meiner Auguste. – Und sie alle drei sind nun auch schon seit vielen Jahren verschwunden, und nur die Liebe ist geblieben und ein liebes, liebes Erinnern, und ebenso innig wie damals, nur ruhiger und geläutert. –

An späten Herbstabenden lenkte ich meine Schritte nun oft zu jenem Schlage hinaus und wanderte durch die einsamen Felder nach den Räcknitzer Höhen hinauf, und wenn ich dann zurückkehrte, wieder an das kleine Gärtchen, an das kleine Haus kam, blickte ich an die erleuchteten Fenster und war glücklich, wenn ich ihren Schatten an den herabgelassenen Vorhängen gewahr wurde. Manchmal war es aber auch nur Ephraims Schatten, der mich weniger interessierte, und dann begab es sich wohl auch, daß mir das Glück hold war und an der langen Gartenmauer eine dunkle Gestalt schnellen Schrittes näher kam, und das war Auguste, und grüßend zogen wir aneinander vorüber. Späterhin wagte ich einige höfliche Erkundigungen anzubringen und einige flüchtige Worte mit ihr zu wechseln. Bei diesen einsamen, spätabendlichen Streifereien, wenn das nächtliche Gewölk tief und schwer herabhing, im Abend noch ein fahler Glanzstreifen am dunklen Horizont leuchtete, der Herbstwind über die kahlen Felder strich und nur der melancholische Laut eines Nachtvogels die Stille unterbrach, traten die Bilder meines gegenwärtigen Lebens und Treibens deutlicher vor meine Seele als am lauten Tage. Den größten Teil meiner Zeit nahm das Beschaffen meiner Existenzmittel in Anspruch, jene Prospektradierungen, die ich in einer meinem künstlerischen Gefühl widerstrebenden Art ausführen mußte; die Leitung meiner Studien selbst schien mir nicht die rechte, ohne doch die Mittel zu wissen, eine bessere zu erlangen, kurz, ich sah kein rechtes Ziel und Gedeihen in diesem noch so fleißigen Bemühen. Und noch anderes regte sich da wieder. Abermals die Frage nach Gott, nach dem Lebendigen, den ich verloren hatte. Auch hier schien mir Grund und Ziel des Lebens dunkel und verworren, ich war wie ein Schifflein, was steuer- und kompaßlos auf der Lebenswelle treibt, und hatte das Gefühl, daß dies nicht das Rechte, nicht der gesunde Zustand sein könne. Es war in meinem Herzen nur jener Altar stehen geblieben, der die Inschrift trug: »Dem unbekannten Gott!« Nur wollte mir kein Paulus kommen und mir berichten von diesem Unbekannten und den Weg zu ihm mir zeigen. Auf diesen nächtlichen Gängen baute ich mir auf meine Weise die wunderlichsten Systeme auf, phantastische, kindische Träume, meinem damaligen Verständnis oder auch dem »bißchen Unverstand« entsprechend, welches nur wahrhaftes Zeugnis gab von einem tiefen, aber unerfüllten geistigen Bedürfnis. Ach, wie oft sehnte ich mich da nach einem geistig reifen Freund, dem ich mich hätte anvertrauen können und dem ich ein Verständnis meiner tiefinnersten Bedürfnisse hätte zutrauen dürfen!

Und so lenkte ich wieder meine Schritte zurück, dem Dippoldiswalder Schlage zu, sah nach dem Schatten am Fenster und nach einer Gestalt in der engen Gasse zwischen den beiden langen Gartenmauern. –

Inzwischen trat wieder eines jener Ereignisse ein, welches außer aller Berechnung lag, von manchen Banden löste und meinen Horizont mehr lichtete.

Der Landschaftsmaler Graff teilte dem Vater mit, daß sein Freund Hofrat Franz den Auftrag habe, einen jungen Künstler zu suchen, der einen russischen Fürsten auf einer Reise nach Frankreich, England und Italien begleiten solle und welcher geschickt sei, Reiseskizzen nach der Natur aufzunehmen. Es hätte sich zwar schon eine Anzahl junger Künstler dazu gemeldet; doch habe er (Graff) mich als besonders geeignet vorgeschlagen, und wenn ich es also wünsche, solle ich morgen früh zum Hofrat Franz gehen und mit ihm sprechen. Und so geschah es. Bald darauf wurde ich dem Fürsten Narischkin, Oberkammerherrn der Kaiserin von Rußland, vorgestellt. Die großen, ausgeführten Sepiazeichnungen, welche ich nach der Galerie gearbeitet hatte, gefielen ihm sehr, ebenso meine leichteren Zeichnungen, welche unmittelbar nach der Natur gemacht waren.

So war die Sache bald abgemacht. Bei freier Station sollte ich einen Jahrgehalt von hundert Dukaten erhalten, und ich eilte überglücklich mit diesem Resultat nach Hause und teilte es den Eltern mit, die darüber ebensosehr erfreut waren.

Ich mußte am nächsten Tage beim Fürsten speisen und lernte nun die Reisegesellschaft kennen. Sie bestand aus dem Gesellschaftskavalier Herrn v. Luzi, ein Genfer oder wenigstens dort erzogen, ein Mann von einigen dreißig Jahren, ruhige, mehr innerliche Natur, und angenehm im Umgang. Dann der Arzt Dr. Aliman aus Dorpat, ein heiterer, tüchtiger Mensch, der noch etwas von der Frische eines deutschen Studiosen an sich hatte. Dann der Sekretär, Herr v. Küchelbeker, ein langer, schmaler, unheimlicher junger Literat, mit unsicherem, schleppendem Gang, bohrenden Augen und wulstigen Lippen, dessen Beschäftigung, wie ich später sah, fast nur darin bestand, des Fürsten Briefe zu siegeln, wozu er aber stets viel Kuverts verbrauchte und sich die Finger mit dem Siegellack verbrannte; denn er stellte sich zu allem sehr unbeholfen an.

Außer diesen Herren war nun eine Dienerschaft, bestehend aus dem Kurier (ein Elsässer), zwei russischen Kammerdienern und einem leibeigenen Diener, vorhanden.

So sollte ich nun aus meinem einfachen, nur von Künstlerträumen und einer aufkeimenden Liebe bewegten Leben in einen so ganz andern Lebenskreis versetzt werden, dessen Anforderungen ich nicht einmal ahnen konnte, aber ebendeshalb mit Vertrauen zu ihm trat. Mich beherrschte nur das eine freudige Gefühl, daß ich nun die weite Welt und in ihr tausend Schönes sehen würde, und so packte ich mit Freuden meinen Koffer, und nachdem ich von den Eltern Abschied genommen, stellte ich mich in bestimmter später Abendstunde im Hotel ein, zur Reise gerüstet.

Es war an einem der letzten Novemberabende. Schnee und Regen wirbelte durcheinander, und die Laternen spiegelten sich in der Schloßstraße auf dem nassen Pflaster. Der Fürst war noch nicht aus der Oper zurück, als ich gegen neun Uhr in das Hotel kam, wo Koffer und Kisten die Korridors bedeckten und auf die drei Reisewagen aufgepackt wurden. Die russischen Laute der mürrischen Diener, das Durcheinanderrennen derselben, von denen ich keine Auskunft erhalten konnte, keiner sich um mich kümmerte, war recht unbehaglich. Nach einer Stunde Wartens kam der Fürst und sein Gefolge. Er schritt an mir vorüber, ohne Notiz von mir zu nehmen, und nach kurzer Zeit ging alles hinab zu den Wagen. Auch ich folgte hinab und war endlich froh, als der Leibeigene Michal mich in den letzten Wagen verwies, eine halboffene Chaise, welche für mich in Dresden gekauft worden war; denn die zwei großen, mit vier Pferden bespannten Reisewagen waren besetzt.

So ging es denn nahe gegen Mitternacht in die stockdunkle, kalte, nasse Nacht hinaus.