1770 Brief über die Landschaftsmalerey

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Salomon Geßner

Brief über die Landschaftsmalerey

(1770)

 


Mein Herr!

Sie glauben, es könne Aufmerksamkeit verdienen, und nützlich seyn, wenn ich zu Papier bringe, was für einen Weg ich eingeschlagen habe, in der Kunst so spät noch auf einen erträglichen Grad zu steigen; möchten das viele Künstler vor mir gethan haben, wie unendlich nützlich müßte das für die Kunst seyn, wenn man mehr die Geschichte der Kunst, durch was für Mittel Künstler zu ihrer Grösse gelanget sind, was für Schwierigkeiten, und wie sie solche überwunden, was sie auf ihrem Wege und bey ihrer Entwicklung für Bemerkungen gemacht haben, in der Mahler-Geschichte finden würde. Ihre Werke würden vielleicht weniger gelehrt als die Werke gelehrter Kenner seyn; aber sie würden Sachen enthalten, die sie jeder unter seinen besondern Umständen, jeder bey seinem Anwachs und bey seinen Arbeiten gemacht, auf die der Kenner niemals kommen kann. So (um nur ein par Exempel zu geben) enthält das Werk, das Lairesse, nachdem er durch seine Kunst die allgemeine Bewunderung sich erworben hatte, zu schreiben anfieng, die brauchbarsten Materialien, und Sachen, die nur ein Lairesse mit solcher Deutlichkeit, während den Jahren seiner Studien und seiner besten Arbeiten gefunden und genau beobachtet hat; und wie unschätzbar ist das Werkgen von Mengs, das mehr gutes über die Kunst zu denken giebt, als ganze Folianten; weiß er gleich als Philosoph sich nicht deutlich zu machen, so redt er doch da, wo er als Künstler redt, mit einer Stärke, mit so viel Licht, mit so geläutertem Geschmack, mit einem so feinen, so philosophischen Beobachtungs-Geist, als man nur von dem grössesten Künstler unsers Zeit-Alters erwarten kann.

Aber auf mich zu kommen: Ich fürchte mich, Ihnen mein Versprechen zu halten. Noch bin ich mitten auf dem Wege; und meine Umstände werden kaum erlauben, viel weiter zu kommen. Ich fürchte Ihnen Sachen zu sagen, die nur wenig zu bedeuten haben; doch dann bleibt mein Geschwatz weiter nichts als ein Brief an Sie, mit dem Sie eben so umgehen, wie man mit Briefen thut, die nichts zu bedeuten haben; und Sie werden Ihnen und mir darmit verschonen, daß ein Brief von mir der einzige Fleck in Ihrem Werk sey.

Sie wissen, daß mein Beruf niemals seyn konnte, Künstler zu werden; daher war ich in meiner Jugend ganz ohne Anleitung. Beschmierte ich gleich in meinen jungen Jahren die Menge Papier, so wars doch nur ein elendes Spiel, ohne Absicht und ohne Anführung; so mußte ich nothwendig zurückebleiben; und es war eine natürliche Folge, daß meine Neigung sich um vieles verlohr. Die besten Jahre giengen so dahin, ohne daß ichs versuchte, ob ich in der Kunst wohin gelangen könnte. Indeß thaten die Schönheiten der Natur und die guten Nachahmungen derselben von jeder Art immer die gröste Würkung auf mich; aber in Absicht auf Kunst wars nur ein dunkles Gefühl, das mit keiner Kenntniß verbunden war; und daher entstand, daß ich meine Empfindungen, und die Eindrücke, die die Schönheiten der Natur auf mich gemacht hatten, lieber auf eine andere Art auszudrücken suchte, deren Ausdruck weniger mechanische Übung, aber die gleichen Talente, eben das Gefühl für das Schöne, eben die aufmerksame Bemerkung der Natur fordert.

Da ich die Gelegenheit bekam, meines sel. Herrn Schwehervaters [Fußnote] fürtreffliche Sammlung täglich zu sehn, erwachte meine Leidenschaft für die Kunst von neuem, und ich faßte im 30. Jahr meines Alters den Entschluß, zu versuchen, ob ich noch zu einem Grad gelangen könnte, der mir bey Kennern und Künstlern Ehre machen würde.

Meine Neigung gieng vorzüglich auf die Landschaft; und ich fieng mit Eifer an zu zeichnen, aber mir begegnete, was so vielen begegnet. Das beste und der Haupt-Endzweck ist doch immer die Natur; so dacht ich, und zeichnete nach der Natur; aber was für Schwierigkeiten, da ich mich noch nicht genug nach den besten Mustern in der verschiedenen Art des Ausdrucks der Gegenstände geübt hatte! Ich wollte der Natur allzugenau folgen, und sah mich in Kleinigkeiten des Detail verwickelt, die den Effect des Ganzen störten, und fast immer fehlte mir die Manier, die den Gegenständen der Natur ihren wahren Character beibehält, ohne sclavisch und ängstlich zu seyn. Meine Gründe waren mit verwickelten Kleinigkeiten überhäuft, die Bäume ängstlich und nicht in herrschende Hauptpartien geordnet, alles durch zu ängstliche Arbeit zu sehr unterbrochen. Kurz: Mein Auge war noch nicht geübt, die Natur wie ein Gemählde zu betrachten, und ich wußte die Kunst noch nicht, ihr zu geben und zu nehmen, da wo die Kunst nicht hinreichen kann. Ich fand also, daß ich mich zuerst nach den Künstlern bilden müsse. Ist nicht das, was mir begegnete, der Fehler der ältern Künstler, die noch nicht genug gute Muster hatten, ich meyne die ältern Niederländer und Deutsche; sie hielten sich so genau an die Natur, daß der kleinste Nebenumstand oft so genau gemahlt ist, wie der hervorstehendeste, und ihre Gemählde verlieren darum ihre Würkung; sie sind zu ängstlich und zu überhäuft. Genien, die diese Fehler einsahn, suchten dieselben zu meiden, und machten sich mit den Regeln des Schönen in der Disposition, der gemässigten Mannigfaltigkeit, der Haupt-Massen in der Anordnung und im Schatten und Licht, u. s. w. bekannt. Nach diesen war nun nöthig zu studieren; und um den Weg so kurz als möglich zu machen, wählte ich nur das Beste, das, was in jeder Art am besten sieh ausnahm, um zu einem Muster zu dienen. Diese sorgfältigste Wahl des Besten, soll für den Lehrer und den Schüler die erste Grundregel seyn. Das Mittelmässige ist das schädlichste, und muß mehr ausgewichen werden, als das ganz Schlechte, dessen Fehler leichter ins Auge fallen. Wie sehr könnten die Kupferstecher dem wahren Geschmacke nützlich seyn, wenn sie darauf dächten, durch die Wahl dessen, das sie liefern wollen, bey Kennern sich eben so wol Ehre zu machen, als durch die Ausarbeitung selbst. Was für ein Schwal von Mittelmässigem wird durch viele von ihnen vervielfältigt und in die Welt zerstreut, das niemals den Fleiß eines Tages verdient hätte. Oder lohnt sichs nicht der Mühe sich zehnfach zu bedenken, worauf man die Arbeit so vieler Monate verwenden wolle? Nur die ersten Werke der Kunst sind wol dieser Mühe werth. Wie sehr wird die Zeit verschleudert, wenn man bey Unterweisung junger Künstler sie bey Mittelmässigem aufhält; ihr Geschmack wird so für das wahre Schöne nicht gebildet; das Mittelmässige bleibt ihnen erträglich, und nährt bey ihnen den Stolz, sich groß zu glauben, weil es ihnen ein Leichtes war, nicht weit hinter ihrem Original zu bleiben. Man lasse den jungen Künstler die Köpfe nach Raphael studieren, wie unerträglich werden ihm die faden, süssen Gesichtergen vieler von den Neuern seyn! Man lasse ihn nach dem Schlender so vieler beliebter Künstler nach der Mode zeichnen, und laß ihn dann den schönen Apoll oder Antinous zeichnen, er wird aus beyden gemeine Leute oder schlechte Tänzer machen, und nicht empfinden, daß er es schlecht gemacht hat.

Ich fande das beste, in meinen Studien von einem Haupttheile zum andern zu gehen; denn wer alles zugleich fassen will, wählt sich gewiß den mühsamern Weg; seine Aufmerksamkeit wird allzu zerstreut seyn, und immer ermüden, da er bey zu vielen verschiedenen Gegenständen auf einmal zu viel Schwierigkeiten findt. Ich wagte mich zuerst an die Bäume, und da wählte ich mir vorzüglich den Waterloo, von dem in dem obgedachten Cabinet eine fast vollständige Sammlung ist. Je mehr ich ihn studierte, je mehr fand ich wahre Natur in seiner Landschaft. Ich übte mich in seiner Manier so lange, bis ich in eigenen Entwürfen mit Leichtigkeit mich ausdrückte. Ich versäumte indessen nicht, nach andern zu arbeiten, deren Manier nicht des Waterloo, aber nichts destoweniger glückliche Nachahmung der Natur war; ich übte mich darum auch nach Swanefeld und Berghem, und wo ich einen Baum, einen Stamm, ein Gesträuch fand, das vorzüglich meine Aufmerksamkeit reitzte, das copierte ich in mehr und weniger flüchtigen Entwürffen. Durch diese gemischte Übung erhielt ich Leichtigkeit im Ausdruck, und mehr eigentümliches in meiner Manier, als ich hatte, da ich an den Waterloo, mein vorzügliches Muster, mich allein hielt. Ich gieng weiter, von Theilen zu Theilen; für Felsen wählte ich die grossen Massen des Berghem und S. Rosa; die Zeichnungen, die Felix Meyer, Ermels und Hackert nach der Natur, und in ihrem wahren Character gemacht haben; für Verschiesse und Gründe wählte ich die grasreichen Gegenden, und die sanften dämmernden Entfernungen des Lorrain, die sanft hintereinander wegfliessenden Hügel des Wouvermann, die in gemässigtem Licht, mit sanftem Gras, oft nur zu sehr, wie mit Sammet bedeckt sind; dann den Waterloo, dessen Gründe ganz Natur sind, ganz so, wie er sie in seinen Gegenden fand, und darum ist er auch hierinn schwer nachzuahmen. Für sandigte oder Felsengründe, die hier und da mit Gesträuch, Gras und Kräutern bewachsen, wählte ich mir den Berghem.

Wie sehr fand ichs leichter, wenn ich itzt wieder nach der Natur studierte! Ich wußte itzt, was das Eigentümliche der Kunst ist; wußte in der Natur unendlich mehr zu beobachten, als vorher, und wußte mit mehr Leichtigkeit eine ausdrückende Manier zu finden, da wo die Kunst nicht hinreicht. Anfänglich hatte ich auf meinen Spaziergängen oft lange umsonst gesucht, und nichts zum Zeichnen gefunden. Jetzt find' ich immer etwas auf meinem Wege. Ich kann oft lange umsonst suchen, um einen Baum zu finden, der in seiner ganzen Form mahlerisch schön ist. Aber wenn mein Auge gewöhnt ist, zu finden, so find ich in einem sonst schlechten Baum eine einzelne Partie, ein paar schön geworfene Äste, eine schöne Masse von Laub, eine einzelne Stelle am Stamm, die, vernünftig angebracht, meinen Werken Wahrheit und Schönheit giebt. Ein Stein kann mir die schönste Masse eines Felsstückes vorstellen; ich hab es in meiner Gewalt, ihn ins Sonnenlicht zu halten, wie ich will, und kann die schönsten Effekten von Schatten und Licht, und Halblicht und Wiederschein, darbey beobachten. Aber bey dieser Art die Natur zu studieren, muß ich mich hüten, daß mich der Hang zum bloß Wunderbaren nicht hinreisse; immer muß ich mehr auf das edle und schöne sehen, sonst kann ich leicht in meinen Zusammensetzungen ins Abentheurliche fallen, und wunderbare Formen allzusehr häufen.

Meine Studien nach der Natur mache ich nicht ängstlich aber auch nicht flüchtig; ich mag einzelne Theile oder ganze Aussichten zeichnen. Je bedeutender ein Theil meines Gegenstands ist, destomehr führe ich ihn sogleich aus. Viele begnügen sich der Natur in flüchtigen Entwürfen einen Hauptgedanken abzunehmen, und führen ihn hernach aus. Aber wie? In ihrer einmal angenommenen Manier: Das Wahre und Eigenthümliche der Gegenstände geht darbey verloren. Und das wird uns weder durch Zauberey von Farbe, noch grosse Wirkung von Schatten und Licht ersetzt: Man ist bezaubert, aber nicht lange; das forschende Auge sucht Wahrheit und Natur, und findet sie nicht. Aber wann ich itzt einen Gegenstand, den ich aus der Natur genommen hatte, ergänzen wollte; wann ich das beyfügen wollte, was ein mahlerisches Ganzes ausmachen soll; dann war ich furchtsam, und verfiel oft auf erkünstelte Umstände, die mit der Einfalt und der Wahrheit dessen, was ich aus der Natur genommen hatte, nicht harmonierten. Meine Landschaften hatten nicht das Grosse, das Edle, die Harmonie, noch zu zerstreutes Licht, keine rührende Hauptwürkung; und also mußte ich jetzt aufs Ganze denken.

Aus allen suchte ich itzt diejenigen Künstler aus, die in Absicht auf Ideen und Wahl und Anordnung ihrer Gegenstände mir vorzüglich schienen. Ich fand in den Landschaften des von Everdingen das einfältige Ländliche in Gegenden, wo doch die gröste Mannigfaltigkeit herrschet; reissende Ströme und zerfallene Felsenstücke, dicht mit Gesträuch verwachsen, wo vergnügte Armuth in der einfältigsten Bauart hingebaut hat; Kühnheit und Geschmack und etwas originales herrschen bey ihm überall; doch muß man bey diesem schon zum voraus die Felsen nach einem bessern Geschmack zu formen wissen. Das gröste Exempel, wie man nachahmen soll, giebt Dietrich; seine Stücke in diesem Geschmacke sind so, daß man glauben sollte, Everdingen habe es gemacht, und sich selbst übertroffen. Swanefelds edle Gedanken, die mit so grosser Würkung ausgeführt sind, und die auf seine grossen Massen von Schatten einfallende Reflex-Lichter. Sal. Rosa kühne Wildheit, des Rubens Kühnheit in Wählung seiner Gegenstände. Diese und mehrere studierte ich in flüchtigen Entwürffen, jetzt im Ganzen, da es mir jetzt meist darum zu thun war, der Einbildungskraft ihren wahren Schwung zu geben. Endlich studierte ich blos und allein die beyden Poussin und den Claude Lorrain. In diesen fand ich vorzüglich die wahre Grösse; es ist nicht blos Nachahmung der Natur, wie man sie leicht findt; es ist die Wahl des Schönsten; ein poetisches Genie vereint bey den beyden Poussin alles was groß und edel ist; sie versetzen uns in jene Zeiten, für die uns die Geschichte und die Dichter mit Ehrfurcht erfüllen, und in Länder, wo die Natur nicht wild, aber groß in ihrer Mannigfaltigkeit ist, und wo unter dem glücklichen Clima jedes Gewächse seine gesundeste Vollkommenheit erreicht. Ihre Gebäude sind nach dem grossen Geschmack und der edeln Einfalt der alten Baukunst aufgeführt, und ihre Bewohner sind von edelm Ansehen und Betragen, so wie sich unsere Einbildungskraft Griechen und Römer denkt, wenn sie von ihren edeln Handlungen begeistert ist, und sich in ihre glücklichsten Zeiten versetzt. Anmuth und Zufriedenheit herrschen überall in den Gegenden, die uns Lorrain mahlte; sie erwecken in uns eben die Begeisterung, eben die ruhigen Empfindungen, die uns die Betrachtung der schönen Natur selbst erwekt; sie sind reich ohne Wildheit und Gewimmel; mannigfaltig, und doch herrschet überall Sanftheit und Ruhe. Seine Landschaften sind Aussichten in ein glückliches Land, das seinen Bewohnern Überfluß liefert. Ein reiner gesunder Himmelsstrich, unter dem alles mit gesunder Üppigkeit aufblühet.

Was ich von diesen grossen Mustern aufbringen konnte, betrachtete ich täglich mit der angesträngtesten Aufmerksamkeit; aber das war nicht genug, mir ihre Denkart und ihre Ideen gänzlich bekannt zu machen. Ich legte sie beyseite, und wiederholte die Hauptzüge derselben aus dem Gedächtniß; das that ich oft, aber ich ruhete auch da nicht; ich machte mehr flüchtige als genaue Copien von ihren Landschaften, die ich aufbehalte; und so mach ichs mit allem, was mir vorzüglich gefällt; so bekomm ich eine Sammlung der besten Ideen. Es wird niemand fragen, warum das? Ich kann sie ja in Kupferstichen haben. Gut, dann besitz ich sie wol, aber ich habe nichts für mein Studium gethan. So wird der Künstler eine immer merkwürdige Sammlung zusammenbringen; er hat so nach dem besten studiert, und sich zugleich in den Besitz desselben gesetzt.

Aber wenn ich zu anhaltend fortgefahren hatte, nach andern zu denken, dann empfand ich nachher oft eine Furchtsamkeit im selbst erfinden. Voll von diesen grossen Ideen, empfand ich mit Demüthigung meine Schwäche, und wie fast unübersteiglich schwer es ist, jene zu erreichen; auch durch zu anhaltendes Nachahmen allein kann die Einbildungs-Kraft ihren Schwung verlieren. Ists nicht eben das, was schon den grössesten Kupferstechern, dem grossen Frey selbst widerfahren ist, daß ihre eigenen Erfindungen ihr schlechtestes sind. Ihre Hauptbeschäftigung ist, andrer Werke so genau als möglich nachzubilden; und sie verlieren oder schwächen darüber die Kühnheit und den Schwung der Einbildungs-Kraft, die zum Erfinden nöthig sind. Von dieser Furchtsamkeit suchte ich mich sorgfältig zu erholen; ich legte meine Originale weg, dachte auf eigene Ideen, und gab mir die schwersten Aufgaben auf. So fand ich, wie viel ich wieder gewonnen hatte; fühlte, was mir am leichtesten und vorzüglich gelang; beobachtete, welche Theile mir noch die meisten Schwierigkeiten machten, und bekam so die Anleitung, worauf ich vorzüglich wieder zu arbeiten hatte. Zugleich faßte ich neuen Muth, wenn ich fand, daß Schwierigkeiten wieder verschwunden waren, und ich mich besser aus der Sache gezogen hatte, als ich hoffte; und zugleich gab ich so meiner Einbildungs-Kraft Nahrung und Kühnheit. Sie muß, wie andre Seelen-Kräfte, genährt und geübt werden; wer sich gewöhnt nur andern nachzudenken, wird nie Original werden; man kann sich gewöhnen, daß man der beständige Schatten eines andern ist.

Bey dem allem hab ich mir zu einer Regel gemacht, immer mit dem versehen zu seyn, was zum Zeichnen nöthig ist, ich mag seyn, wo ich will, nicht allein auf Reisen und Spatziergängen, sondern auch zu Haus und in der Stadt. Man versäumt oder vergißt oft etwas, nur weil man zu nachlässig ist, von einem Zimmer ins andere zu gehen, um das Benöthigte zu holen. Denn oft bey Betrachtung von Gemählden oder Kupferstichen zeugt die Imagination Ideen, die durch die Bewunderung dessen, das vor uns ist, oft auch nur durch einen Nebenumstand in demselben entstanden; Ideen, auf die man sonst niemals gekommen wäre. So ein Gedanke, im ersten Feuer gedacht, wird auch im ersten Feuer am besten entworffen werden. Ich unterließ darum selten, solche Gedanken nur mit ihren Haupt-Linien zu entwerffen, die so leicht wieder vergessen sind, und nachher selten wieder so gut gedacht werden. – – Einen Vortheil, den ich zuweilen auch aus dem Mittelmässigen gezogen habe, will ich hier nicht verschweigen: Aber damit will ich ihn weder empfehlen, noch mir selbst widersprechen; und ich rathe solche Übungen nur Leuten, deren Geschmack schon gebildet ist. Auch mittelmässige Sachen können zu einer nützlichen Übung des Geschmacks und der Einbildungs-Kraft dienen, wenn man zu denselben hinzudenkt, was ihnen fehlt, um gut zu seyn; wenn man, wie Ramler es mit Gedichten thut, den Gedanken eines andern besser zu denken und besser auszuführen sucht. Doch für Anfänger ist das nicht. Ich habe in manchem Stück, das kein Aufsehen verdiente, einen Wink gefunden, der mich auf einen guten Gedanken führte. Merians Werke, denen man zu wenig Gerechtigkeit wiederfahren läßt, enthalten Sachen, die oft mit der besten Wahl aus der Natur genommen, und nur durch die Ausführung verdorben sind. Man schaffe seine Bäume und Gründe nach der Manier eines Waterloo, und gebe seinen Felsen und allem mehr Mannigfaltigkeit, so werden gewiß Sachen entstehen, die dem grössesten Genie Ehre machen würden, und wovon doch die ganze Anlage im Merian liegt.

Eine Beobachtung muß ich nicht vergessen, die ich aus eigener vielfältiger Erfahrung weiß, wie sehr es nemlich den Muth erfrischet, und wie oft es mich aufgemuntert und von neuem begeistert hat, wenn ich die Geschichte der Kunst und der Künstler lese. Es erweitert die Kenntniß, macht aufmerksam auf das, was in der Kunst vorgegangen ist, und hilft, den Künstler immermehr für das einzunehmen, was seine Haupt-Absicht ist. Es ist lehrreich und angenehm, die Schicksale dessen zu wissen, dessen Arbeiten ich bewundere; und eben so werd ich begierig, die Arbeiten des Künstlers hinwiderum aufzusuchen, dessen Geschichte und Kunst-Character mir durchs Lesen zum voraus bekannt ist. Wenn ich die Ehrfurcht sehe, mit der von grossen Künstlern und ihren Werken geredt wird, so muß das meine Idee von der Wichtigkeit der Kunst erhöhen. Wenn ich sehe, wie unermüdet sie gearbeitet haben, zu ihrer Grösse zu gelangen, und sich in derselben zu erhalten; wie Reisen, und Beschwerden und Mangel sie nicht abschreckten, alle Mittel, die ihren grossen Endzweck befördern konnten, zu nutzen, muß das nicht den jungen Künstler anmahnen, jede Stunde nützlich zu gebrauchen, und geitzig auf jeden Augenblick zu seyn. Auch können die übeln Schicksale manchen sonst grossen Künstlers, eine rührende Erinnerung seyn, daß Lebensart und gute Sitten, und Klugheit mit dazu gehören, um durch die Kunst sich ein dauerhaftes Glück zu machen.

Noch einen wichtigen Rath muß ich dem Künstler andringen: Die Dichtkunst ist die wahre Schwester der Mahlerkunst. Er unterlasse nicht die besten Werke der Dichter zu lesen; sie werden seinen Geschmack und seine Ideen verfeinern und erheben, und seine Einbildungs-Kraft mit den schönsten Bildern bereichern. Beyde spüren das Schöne und Grosse in der Natur auf; beyde handeln nach ähnlichen Gesetzen. Mannigfaltigkeit ohne Verwirrung ist die Anlage ihrer Werke, und ein feines Gefühl für das wahre Schöne muß beyde bey der Wahl jeden Umstandes, eines jeden Bildes durch das Ganze leiten. Wie mancher Künstler würde mit mehr Geschmack edlere Gegenstände wählen; wie mancher Dichter würde in seinen Gemählden mehr Wahrheit, mehr mahlendes im Ausdruck haben, wenn sie die Kenntniß beyder Künste mehr verbänden. So leicht ists den Alten, besonders den Griechen, in ihrer poetischen Sprache und in ihren Gemählden nicht geworden, wie so vielen neuern Dichtern, die nur zusamengeraffte Bilder und Ausdrücke unschicklich zusamenhäuffen, und gemahlt zu haben glauben. Webbs Untersuchung des Schönen in der Mahlerey, der die Schönheiten dieser Kunst mit Stellen aus den alten Dichtern erläutert, ist für das der deutlichste Beweis, da es seine Absicht fordert, sie in diesem Gesichtspunct zu betrachten, daß die Dichter damals das Schöne der Künste empfunden und gekannt, und die lebende so wie die leblose Natur genau beobachtet haben. Auch würden die neuen Dichter, die doch fast immer für Kenner der Kunst wollen angesehen seyn, dann nicht sich lächerlich machen, und von Dürer reden, wenn Sie die Gratien wollen gemahlt haben, oder von Rubens, wenn Sie von dem grössesten Grad der Schönheit, der Bildung einer Göttin oder einer Sterblichen reden wollen. Doch ich komme zum Künstler zurück! Der Landschaftmahler muß sehr zu beklagen seyn, den zum Exempel die Gemählde eines Thomson nicht begeistern können. Ich habe in diesem grossen Meister viele Gemählde gefunden, die ganz aus den besten Werken der grössesten Künstler genommen scheinen, und die der Künstler ganz auf sein Tuch übertragen könnte. Seine Gemählde sind mannigfaltig; oft ländlich staffiert, wie Berghem, Potter oder Roos; oft anmuthsvoll wie Lorrain, oder edel und groß wie Poussin, oft melancholisch und wild wie S. Rosa. Und hier nehme ich Gelegenheit, einem redlichen Manne das Wort zu reden, der schon fast ganz vergessen ist. Brockes hat sich eine ganz eigene Dichtart gewählet; er hat die Natur in ihren mannigfaltigen Schönheiten bis auf den kleinsten Detail genau beobachtet; sein zartes Gefühl ward durch die kleinsten Umstände gerührt; ein Gräsgen mit Thautropfen an der Sonne hat ihn begeistert; seine Gemählde sind oft zu weitschweifig, oft zu erkünstelt: Aber seine Gedichte sind doch ein Magazin von Gemählden und Bildern, die gerade aus der Natur genommen sind. Sie erinnern uns an Schönheiten, an Umstände, die wir oft selbst bemerkt haben, und itzt wieder ganz lebhaft denken, die uns aber das Gedächtniß nicht liefert, wenn wir sie am nöthigsten haben.

Wir sollen also noch Gelehrte werden? Kann mancher Künstler mit lachen sagen. Denen ist mein Rath von Wichtigkeit, die in ihren Werken das grosse und edle suchen. Ich weiß Künstler, denen er nicht nöthig ist. Man kann einen zerfallenen Schweinstall mahlen, und ein Bäurchen das ganz lustig da an die Wand pißt, und eine Lache daneben, und dabey alles Spiel von Schatten und Licht, und die Zauberey des Colorits, und die grösseste Niedlichkeit in der ganzen Ausführung anbringen. Dergleichen Werke können auch schätzbar seyn; und wenn man in Absicht auf Gedanken nicht weiter will, so kann man freylich sehr vieles entbehren.

Das, mein theuerster Freund! sind nun die Bemerkungen, so gut mir mein Gedächtniß dieselben noch liefert, die ich bey meinen Arbeiten, und bey dem Plan, den ich mir vorgeschrieben hatte, gemacht habe. Andre mögen urtheilen, wie weit es mir dabey in der Kunst gelungen ist; aber davon bin ich doch überzeugt, daß mein Plan einen kurzen und sichern Weg führt. Denn so wird durch die beydseitige Übung, nach der Natur und dem Besten in der Kunst, der Künstler sich fähig machen, wechselweise die besten Manieren des Ausdruckes der Kunst mit der Natur, oder bey jeder mahlerischen Schönheit der Natur diese mit jener zu vergleichen. Sein Auge wird so gewöhnt seyn, in der Natur das zu bemerken, was mahlerisch schön ist, daß kein Spaziergang zu jeder Jahrs- und Tags-Zeit für ihn ohne Nuzen ist. Er wird, wie der Jäger, dem es zur Leidenschaft worden ist, keine Beschwerde, die ungebahntesten Wege nichts achten, um sein Gewild aufzuspüren, und Schönheiten wird er da sehen, wo der mittelmässige Künstler vorüber geht. Er wird sein Genie, nach dem Grossen gebildet, aller Orten mitbringen, und kleinscheinende Umstände so umzubilden wissen, daß ein grosser edler Gedanke aus dem entsteht, was bey einem jeden mittelmässigen Kopf zum Alltags-Gedanke wird. Ich habe auf den gleichen Spatziergängen mit Erstaunen Situationen in Poussins Geschmack gefunden, wo ich vorher nur mittelmässige und kleinlichte Sächelgen sah.

Hab ichs nun unter meinen Umständen in der Kunst unmöglich weiter bringen können, so hab ich doch mit Ehrfurcht für die wahre Kunst immer mehr bemerkt, wie viel Denkens und wie viel Übung es fordert, um wirklich groß zu werden. Wenn dem Künstler seine Kunst nicht ganz zur Leidenschaft wird, wenn nicht die Stunden die er bey selbiger zubringt seine angenehmsten sind, wenn die Kunst nicht das grösseste Glück und Vergnügen seines Lebens ausmacht wenn nicht seine angenehmste Gesellschaft, die Gesellschaft von Kennern ist; wenn ihm nicht des Nachts davon träumt, wenn er nicht am Morgen mit neuer Begeistrung an sein Werk geht; wenn er im Gegentheil nur den schlechten Geschmack seiner Zeit zu nutzen sucht; wenn er sich in einem allgemein gefallenden Schlenter selbst gefällt; wenn er nicht für wahre Kenner, für wahre Ehre, und für die Nachwelt arbeitet, so wird seine Arbeiten der wahre Kenner itzt und in Zukunft ausschiessen, und wenn sie auch die Zierde aller Zimmer nach der Mode wären.

Noch muß ich, mein Freund, ihnen und dem Publico ein paar Wünsche sagen, deren Ausführung für die Aufnahme der Kunst von grossem Vortheil seyn müßte. Ich habe junge Künstler gesehen, die es mit Thränen bedaurten, daß sie durch schlechte Anleitung zurückgebunden, unter nachtheiligen Umständen nicht aufgemuntert, ihre beste Zeit mit Mühe und Arbeit verlohren hatten: Und Genien, die verwildert, Spuren von grosser Anlage in ihren Werken zeigen, und die, wenn sie weniger sich selbst und etwa Halb-Kennern, oder dem schlechten Geschmack ihres Orts oder ihres Zeitalters überlassen gewesen wären, wahrhaftig groß würden gewesen seyn. Mein Wunsch ist, daß ein philosophischer Kenner sich mit Künstlern berathen, und eine Anleitung, so wol für die Anfänger in der Kunst als für die, so dieselben unterrichten, schreiben möchte. Wir haben verschiedene fürtrefliche Werke über die Kunst, aber sie sind theils zu kostbar, theils für Anfänger nicht einfältig und praktisch genug. In diesem Werkgen müßten die Grundregeln der Kunst kurz, und so deutlich als möglich, vorgetragen und erklärt, und dann auf besondere Fälle angewandt seyn. Diese besondern Fälle und Exempel müßten aus Kupferstichen, nach den besten Werken der Kunst in jeder Art genommen seyn, und zwar aus solchen, die nicht rar, und (so viel möglich) nicht kostbar sind. So würd' es immer ein leichtes seyn, solche in den Sammlungen an jedem Ort zu finden, oder sie selbst anzuschaffen. Dann müßte für jede Art der Kunst die sicherste und beste Art zu Werke zu gehen angegeben werden, und zugleich die besten Werke und die grössesten Künstler, die jeder für seine Absicht zu studieren hat. Es müßte gleich für die allerersten Anfänge das Beste angerathen seyn. Man martert in Teutschland die Anfänger fast allgemein nach Preißler; und doch sind seine Umrisse sehr oft falsch, und seine Köpfe besonders von einem gemeinen Character. In Frankreich kommen viel Anfänge für die Zeichnungs-Kunst heraus, deren Ausführung manchen blenden kann; flüchtig auf Handriß-Manier, mit keker Schrafierung weggearbeitet: Aber was soll dem Anfänger diese keke Manier, bey der die Richtigkeit des Umrisses, an dem ihm jetzt alles gelegen, vernachlässigt ist! Wie sehr muß es den Lehrer wie den Schüler verwirren, wenn die Theile und die Muskeln in den verschiedenen Lagen und Bewegungen von einem vorgelegten Muster zum andern nicht richtig können beobachtet und erklärt werden; und wenn man bey der Anleitung für die Landschaft, wie sehr oft geschieht, bey Sächelgen aufgehalten wird, worinn keine Wahrheit ist, und woraus man keine einzige Regel des Schönen erklären kann. Ich habe oben gesagt, wie nützlich das Lesen derer Werke, die von Kunst und Künstlern handeln, dem jungen Künstler ist; dieser Anleitung müßte darum ein Verzeichniß der besten Werke in dieser Art beygefügt werden. So ein Werkgen müßte man trachten, so viel möglich, allgemein bekannt zu machen; es müßte ein allgemein bekanntes Lehrbuch seyn. Es würde denen, die ohne gute Anleitung sind, einen sichern Weg weisen, und das erklären, was sie nur dunkel empfinden, und sich nicht erklären können; und manchem, dessen Pflicht es ist, andre zu unterrichten, und der es redlich meint, seine Arbeit erleichtern.

Mein zweyter Wunsch ist, daß ein Werk entstehen möchte, worinn in jeder Art der Mahlerkunst, die besten Werke umständlich beschrieben, und nach allen Regeln des Schönen untersucht und beurtheilt würden; allein es müßten Werke seyn, die in Kupfer gestochen sind. Nichts destoweniger müßten sie auch in Absicht auf Colorit beurtheilt werden. Man kann die Gelegenheit haben oder bekommen, die Original-Gemählde zu sehen; und wenn auch das nicht ist, so wird es doch in Absicht auf diesen Theil der Kunst, dem Liebhaber und dem Künstler, Gelegenheit zu Betrachtungen und Beobachtungen geben, die ihm wichtig sind. Doch das müßten nur die besten Werke aus jedem Alter und jeder der besten Schulen der Kunst seyn; nur solche, bey denen der Character des Zeitpunctes und der Schule vorzüglich herrscht; nur solche, worinn die Regeln des wahren Schönen mit dem besten Verstand angebracht sind, und aus welchen sie vorzüglich deutlich gemacht werden können. Dergleichen Beurtheilungen sind in Boydels Werke, man findt solche in Winkelmanns und des Herrn von Hagedorn Schriften, im Richardson und einigen andern. Die Recension des Altar-Gemähldes von Mengs in Dreßden, welche in der Bibl. der schönen Wissenschaften steht, ist ein Meisterstück, das die tiefsten Kenntnisse jeden Theiles der Kunst zeigt. Brauche ichs zu sagen, wie wichtig und nützlich so ein Werk seyn mußte? Aber manchem der es vielleicht zu leicht findt, muß ich sagen, daß das nur die Arbeit eines von Hagedorn, eines Oeser, eines Dietrich, eines Casanova, kurz, nur die Arbeit der grössesten Kenner und der grössesten Künstler seyn kann, um zuverlässig und nützlich genug zu seyn.

Ich empfehle mich Ihnen, mein bester Freund!

               und bin etc. etc.

Geßner.

Zürich, den 10. Jener 1770.