03 Phantasie in der Malerei

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03 Phantasie in der Malerei

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Die Phantasie in der Malerei

Von der Malerei als Ding an sich will ich reden, nicht von der Musik oder der Poesie in der Malerei; denn was nicht deines Amtes ist, davon laß deinen Fürwitz.

Ich will von der Malerei sprechen, die »von jedem Zweck genesen«, die nichts sein will als – Malerei; Von ihrem Geist, nicht von der Überwindung ihrer technischen Schwierigkeiten, in der das Publikum freilich und, wie ich fürchte, manche Maler immer noch ihren Wert erblicken.

Allerdings kommt Kunst von können, und dass das Können in keiner Kunst mehr ausmacht als grade in der Malerei, soll keineswegs geleugnet werden.

Aber so hoch auch die Malerei, die gut gemacht ist, einzuschätzen ist: gute Malerei ist nur die, die gut gedacht ist. Was bedeutet die korrekteste Zeichnung, der virtuoseste Vortrag, die blendendste Farbe, wenn all diesen äußerlichen Vorzügen das Innerliche, die Empfindung, fehlt! Das Bild bleibt doch – gemalte Leinwand. Erst die Phantasie kann die Leinwand beleben, sie muß dem Maler die Hand führen, sie muß ihm im wahren Sinne des Worts bis in die Fingerspitzen rollen. Obgleich unsichtbar, ist sie in jedem Striche sichtbar, freilich nur für den, der Augen hat zu sehen, nur für den, der sie empfindet.

Ich will hier nicht etwa von dem Höllenspuk, der Phantastik reden, sondern ich verstehe unter Phantasie den belebenden Geist des Künstlers, der sich hinter jedem Strich seines Werkes verbirgt. Die Phantasie in der bildenden Kunst geht von rein sinnlichen Voraussetzungen aus. Sie ist die Vorstellung der ideellen Form für die reelle Erscheinung. Sie ist das notwendige Kriterium für jedes Werk der bildenden Kunst, für das idealistischste wie für das naturalistischste. Sie allein kann uns überzeugen von der Wahrheit der Böcklinschen Fabelwesen wie des Manetschen Spargelbundes.

Wenn der kleine Moritz einen Kreis malt, dahinein zwei Punkte, zwischen die einen senkrechten und darunter einen wagerechten Strich macht, so ist das der bildliche Ausdruck seiner Phantasie für einen Kopf. Hat der kleine Moritz Talent zum Zeichnen, so wird er die individuellen Eigentümlichkeiten z. B. die große Nase seines Vaters oder den großen Mund seiner Mutter beim Nachzeichnen gewaltig übertreiben. Aber hinter dieser Karikatur steckt vielleicht mehr Phantasie als in dem lebensgroßen Porträt in Öl des berühmten Professors so und so, der vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht und dessen Phantasie durch alles, was er gelernt hat, ertötet ist. Jedem meiner Kollegen wird unzählige Male dasselbe passiert sein; der junge Mann – noch häufiger die junge Dame – so bald sie sich ernstlich dem Studium der Malerei widmen, machen es nicht nur nicht besser als früher, sondern im Gegenteil viel schlechter, d. h. die Phantasie, die früher naiv den Eindruck der Natur wiederzugeben bestrebt war, wird allmählich von dem Suchen nach Korrektheit verdrängt. Aus der phantasievollen, aber unkorrekten wird die phantasielose aber korrekte Zeichnung. Mit anderen Worten: der Buchstabe tötet den Geist, und nur die Talentvollsten können ungestraft an ihrer Phantasie den akademischen Drill überstehen.

Der alte Schadow pflegte seinen Schülern auf die Frage, wie sie malen sollten, zu antworten: »setzt die richtige Farbe auf den richtigen Fleck«. Schadow, der nicht nur Akademie-Direktor, sondern – was nicht immer zusammentrifft – auch ein Künstler war, wußte, daß nur das Handwerkmäßige der Malerei gelehrt und gelernt werden kann; seine Definition in usum delphini verschweigt wohlweislich, was Malerei zur Kunst macht: die Phantasietätigkeit des Malers, die darin besteht, für das, was er – und zwar nur er – in der Natur oder im Geiste sieht, den adäquaten Ausdruck zu finden. Natürlich vollzieht sich diese Phantasietätigkeit völlig unbewußt im Künstler, denn Kunstwerke entstehen: sie werden nicht gemacht, und das sicherste Mittel kein Kunstwerk hervorzubringen, ist die Absicht, eins zu machen. Wie Saul ausging, die Eselinnen seines Vaters zu suchen und ein Königreich fand, so muß der Maler einzig und allein bestrebt sein, die richtige Farbe auf den richtigen Fleck zu setzen: ist er ein Künstler, so – findet er ein Königreich.

Ein Bund Spargel, ein Rosenbukett genügt für ein Meisterwerk, ein häßliches oder ein hübsches Mädchen, ein Apoll oder ein mißgestalteter Zwerg: aus allem läßt sich ein Meisterwerk machen, allerdings mit dem nötigen Quantum Phantasie; sie allein macht aus dem Handwerk ein Kunstwerk.

Die Phantasie, als das schöpferische Grundprinzip des gesamten geistigen Lebens, ist für alle Künste dieselbe, aber in den verschiedenen Künsten kommt sie auf verschiedene Weise zum Ausdruck. Obgleich nur die bildende Kunst, als einzig räumliche unter den Künsten, imstande ist, die Ausdehnung aus der Wirklichkeit mit zu übernehmen, ist sie doch deshalb nicht materieller als Poesie oder Musik. Allerdings sind die Werke der bildenden Kunst gleichsam faß- und tastbar und – wie Gregor der Große im Kampfe gegen die Bilderstürmer meinte: »Bilder sind die Bücher derer, die nicht lesen können« – daher werden sie für leichter verständlich gehalten. Im Grunde jedoch ist die Kunst an einem Bilde genau ebenso nur dem inneren Auge wahrnehmbar, wie die an einem Musikstücke nur dem inneren Ohr. Denn was anders als die Phantasie des Künstlers unterscheidet ein Werk des Phidias von einem Abguß über Natur? Daher ist es für den Wert eines Werkes der bildenden Kunst ganz gleichgültig, was es darstellt, nur die Erfindung und die Ausdrucksfähigkeit ihrer Form macht seinen Wert aus.

Der Satz, daß die gutgemalte Rübe besser sei als die schlechtgemalte Madonna, gehört bereits zum eisernen Bestand der modernen Ästhetik. Aber der Satz ist falsch; er müßte lauten: die gutgemalte Rübe ist ebenso gut wie die gutgemalte Madonna. Wohlgemerkt als rein malerisches Produkt, denn, zur Beruhigung frommer Gemüter sei's gesagt, es fällt mir beileibe nicht ein, zwei ästhetisch so ungleichwertige Gegenstände miteinander vergleichen zu wollen. Auch weiß ich wohl, daß die Darstellung einer Madonna noch andere als rein malerische Ansprüche an den Künstler stellt, und daß sie als künstlerische Aufgabe schwerer zu bewältigen ist als ein Stillleben. Obgleich in einem Vierzeiler das Genie Goethes ebenso sichtbar ist als im Faust, kann als künstlerische Leistung »Über allen Gipfeln ist Ruh« doch nicht mit dem Faust verglichen werden.

Aber die spezifisch malerische Phantasie des Künstlers kann sich in einem Stilleben gerade deshalb stärker zeigen als in der Darstellung des Menschen, weil das Bund Spargel nur durch die künstlerische Auffassung interessiert, an dem Menschen, am Kopf oder an einem schönen Frauenkörper interessiert uns – namentlich an letzterem – auch noch der dargestellte Gegenstand.

Der spezifisch malerische Gehalt eines Bildes ist um so größer, je geringer das Interesse an seinem Gegenstande selbst ist; je restloser der Inhalt eines Bildes in malerische Form aufgegangen ist, desto größer der Maler.

Also vom rein malerischen Standpunkt aus ist »die Übergabe von Breda« des Velasquez in nichts wertvoller als eins seiner Küchenstilleben: ja sogar könnte ein solches malerisch wertvoller sein, wenn Velasquez die Küchengerätschaften besser gemalt hätte als die Heerführer auf dem großen Historienbild. Worauf es hier allein ankommt, ist klar auszudrücken, dass der Wert der Malerei absolut unabhängig vom Sujet ist, und nur in der Kraft der malerischen Phantasie beruht.

Hieraus folgt, daß gerade die naturalistische Malerei dieser Phantasietätigkeit am meisten bedarf, weil sie nur durch die ihr eigene Kraft wirken will; was freilich einer weit verbreiteten Ansicht im Publikum durchaus widerspricht. Immer noch sehen die Gebildeten in der naturalistischen Malerei nur eine geistlose Abschrift der Natur, etwa eine Kunst, die von der Photographie, wenn sie erst mit der Form auch die Farbe wiederzugeben gelernt hat, überwunden sein ward. Nein! selbst die Konkurrenz der farbigen Photographie fürchten wir nicht: denn selbst die vollendetste mechanische Wiedergabe der Natur kann höchstens zum vollendeten Panoptikum, nie aber zur Kunst führen. Was der Gebildete an der naturalistischen Kunst vermißt, ist die literarische Phantasie, weil er die Malerei statt mit den Augen immer noch mit dem Verstände betrachtet. Immer noch spukt in unseren Köpfen das berühmte Lessingsche Diktum vom Raffael, der, wenn er auch ohne Arme geboren, der größte Maler geworden wäre. Vielleicht der größte Dichter oder der größte Musiker, jedenfalls aber nicht der größte Maler. Denn die Malerei besteht nicht in der Erfindung von Gedanken, sondern in der Erfindung der sichtbaren Form für den Gedanken. Woher käme es sonst, daß unter den Tausenden von Madonnenbildern sich nur wenige Kunstwerke befinden? Oder was interessiert uns am Porträt, das mein Freund Trübner witzig den Parademarsch des Malers genannt hat, anders als die Kunst des Meisters, das, was er sah – und der Akzent liegt auf er – in die malerische Form gebracht zu haben. Ich meine natürlich nicht eine bestehende Form, die zur Formel geworden ist, wie z. B. die Raffaelische Form, die zur akademischen verflacht ist, oder das Rembrandtsche clair-obscur, das unter seinen Nachahmern zur hohlen malerischen Phrase geworden ist, sondern ich spreche von der lebendigen Form, die jeder Künstler sich neu schafft. Gerade in der Erschaffung neuer Formen liegt das Kriterium für den schaffenden Künstler, für das Genie. Deshalb ist es ein Unsinn von einer Form, von der klassischen Form kat exochean zu reden; es gibt soviel klassische Formen als es klassische Künstler gegeben hat und noch geben wird. Mit jedem Künstler vollendet sich die Form; und mit jedem folgenden wird sie neu geboren. Die Erstarrung der Form zum Dogma wäre Erstarrung der Kunst d. h. ihr Tod. Natürlich verstehe ich hier unter Form nicht das Äußerliche an ihr, das Technische, etwa die Handschrift des Künstlers. Ich spreche hier nur von der ideellen Form, die gleichsam unsichtbar ist, die nur der Künstler sieht und zwar jeder ganz verschieden. Wer die Kuh nur durch die Augen von Potter oder Troyon sieht, ist kein schaffender Künstler, höchstens ein reproduzierender; wer an der Kuh nicht neue Reize entdeckt – ich sage das im direkten Widerspruch zu meinem sonst sehr verehrten Freunde Muther –, besitzt jedenfalls das zu einem Kuhmaler nötige Talent nicht.

Was jeder Künstler aus der Natur heraussieht, ist das Werk seiner Phantasie. Setze zwanzig Maler vor dasselbe Modell und es werden zwanzig ganz verschiedene Bilder auf der Leinwand entstehen, obgleich alle zwanzig gleichermaßen bestrebt waren, die Natur, die sie vor sich sahen, wiederzugeben. Wie sich im Kopfe des Künstlers die Welt widerspiegelt, gerade das macht seine Künstlerschaft aus.

Raffaels Phantasie war linear, sein Werk vollendet sich in der Linie, seine Bilder sind höchstens geschmackvoll koloriert, die Malerei an seinen Bildern ist Handwerk. Tizians Phantasie dagegen ist durchaus malerisch; er sieht sein Bild als farbige Erscheinung, er komponiert mit der Farbe. Sein berühmtestes Bild, »die himmlische und die irdische Liebe«, ist sicherlich nur durch den koloristischen Gedanken erzeugt, den nackten Frauenkörper durch Gegenüberstellen der bekleideten Gestalt noch intensiver wirken zu lassen. Ob Tizian etwas anderes hat ausdrücken wollen, weiß ich nicht, und ich glaube, die Kunstgelehrten wissen es auch nicht. Jedenfalls ist der großartig klingende Titel ganz unpassend und wahrscheinlich von einem geschäftskundigen Venezianer erfunden, der seinen Landsmann den Raffaels und Michelangelos gegenüber nicht lumpen lassen wollte: geradeso wie Böcklins Bilder »die Gefilde der Seligen« und »das Spiel der Wellen« von Fritz Gurlitt getauft wurden.

Des Velasquez Phantasie ist räumlich. Er denkt räumlich, und mit viel größerem Rechte als von Degas hätte ich von Velasquez sagen können: er komponiert mit dem Raum. Sein Bild entsteht aus der räumlichen Phantasie. Wie die Figur in dem Raum steht, wie der Kopf, die Hände, die Gewänder als große Lokaltöne im Raum wirken, das macht sein Bild aus.

Wieder anders Rembrandt, dessen Phantasie sich in Licht und Schatten verkörpert. Die Wogen des Lichtes, die seine Bilder durchfluten, ergeben und bestimmen die Komposition. Seine Bilder sind auf den Gang des Lichtes komponiert, er erfindet für den Gang des Lichtes. So z. B. ist das kleine Mädchen mit dem Hahn auf der »Nachtwache« nur als heller Fleck im Bilde verständlich, oder man sehe seine Zeichnungen nach anderen Meistern, wie er z. B. aus dem »Grafen Castiglione« des Raffael durch Andeutung des Lichtes und des Schattens sofort einen echten Rembrandt macht.

Der Maler, dessen Phantasie linear ist, kann nicht Kolorist sein oder umgekehrt. Das eine oder das andere, die Zeichnung oder die Farbe, muß in jedem Werke die Hauptsache bilden, und Raffael und Rembrandt sich in demselben Werke vorzustellen, ist ein Unding. Weil Raffaels Phantasie linear war und nicht etwa, weil er weniger gut als Tizian oder Rembrandt malte, war er ein weniger großer Maler als jene. Auch zeichnete Tizian oder Rembrandt nicht etwa schlechter als Raffael, sondern weil dieser beider Phantasie malerisch war, mußten sie ihre zeichnerischen Qualitäten den malerischen gegenüber unterdrücken. Poesie und Musik sind zeitliche Künste, daher kann sich in einem Gedicht oder in einem Musikstück des Künstlers Phantasie nacheinander in verschiedener Richtung äußern, aber in der bildenden Kunst, als einer räumlichen, muß sie sich nach einer Richtung hin konzentrieren, sonst verlöre das Werk seinen einheitlichen Charakter, d. h. es wäre kein Kunstwerk mehr. Dieser Einheitlichkeit muß der Maler alles opfern: das liebevollst durchgeführte Detail, das technisch gelungenste Stück, die geistreichste Einzelheit. Savoir faire des sacrifices, wie es im Pariser Atelier-Jargon heißt. Das, was dir als Hauptsache erscheint – nicht etwa was die Hauptsache ist – zusammenfassen, und alles, was dir nebensächlich erscheint, unterdrücken. Als jemand den père Corot fragte, wie er's anfinge, nur die großen Massen in der Natur zu sehen, antwortete er; »ganz einfach, um die großen Massen zu sehen, müssen Sie mit den Augen blinzeln, um aber die Details zu sehen, müssen Sie die Augen – schließen«.

Mehr noch als in dem, was er malt, zeigt sich des Künstlers Phantasie in dem, was er nicht malt. Je näher die Hieroglyphe – und alle bildende Kunst ist Hieroglyphe – dem sinnlichen Eindruck der Natur kommt, desto größere Phantasietätigkeit war erforderlich, sie zu erfinden. Der Maler hat nur die Farbenskala von schwarz zu weiß auf der Palette: aus ihr soll er Leben, Licht und Luft auf die Leinwand zaubern, ein paar Striche, ein paar unvermittelt nebeneinandergesetzte Farbenflecke sollen aus der richtigen Entfernung dem Beschauer den Eindruck der Natur suggerieren. Nur die Phantasie des Künstlers kann dieses Wunder bewirken, nicht etwa die Geschicklichkeit des Taschenspielers. Man sehe das Porträt des Papstes Innocenz in Rom: zwei dunkle Flecken, die die Augen bedeuten, mit ein paar Strichen ist die Nase und der Mund hineingezeichnet, und mit den wenigen Strichen und Farben, die wohl, wie die Überlieferung berichtet, in einer Stunde gemacht sein können, steht der ganze Mann vor uns, mit seiner Klugheit, seiner Habsucht und seinen sonstigen verbrecherischen Gelüsten. Die ganze päpstliche Macht erscheint vor uns und der Papst, der ihrer spottet. Und des Velasquez Papstbildnis nicht gesehen zu haben, heißt in Rom gewesen sein und den Papst nicht gesehen haben.

Mein alter Lehrer Steffeck hatte ganz recht, wenn er sagte: Was man nicht aus dem Kopf malen kann, kann man überhaupt nicht malen. Wir malen nicht die Natur, wie sie ist, sondern wie sie uns erscheint, d. h. wir malen aus dem Gedächtnis.

Das Modell kann der Maler nicht abmalen, sondern nur benutzen, es kann sein Gedächtnis unterstützen, wie etwa der Souffleur den Schauspieler unterstützt. Aber wehe dem Schauspieler, der sich auf ihn verlassen muß. Dann ist er nicht mehr Herr seiner Rolle, sondern Knecht des – Souffleurs. Ob und inwieweit der Maler nach der Natur arbeitet oder nicht, hängt davon ab, was er erstrebt. Aber Delacroix oder Böcklin, die (wenigstens in ihren Bildern) nie nach der Natur gemalt haben, ebenso wie Manet und Leibl, die jeden Strich nach der Natur malten, haben aus dem Gedächtnis gemalt. Nur prozedierten sie auf verschiedene Weise. Böcklin malte die Rosenhecke oder die Pappel, die er vor Tagen oder Wochen vielleicht so lange studiert hatte, bis sich auch die kleinste Einzelheit seinem Gedächtnis eingeprägt hatte. Leibl, dessen ganze Kunst Pietät vor der Natur war, mußte die fünf oder sechs Bauern, die er in den ,,Dorfpolitikern« malte, zusammensitzen haben. Aber Böcklin wie Leibl malten aus der Phantasie: nur war die des einen von der des anderen himmelweit verschieden; wessen die grössere, ist hier nicht die Frage. Es genügt festzustellen, daß der Naturalist ebenso wie der Idealist die Natur nur benutzt. Den Künstler macht nicht der Naturalist, der alles nach der Natur malt, aber ebenso wenig der Idealist, der nur nicht nach der Natur malt. Nur das, was seine Phantasie aus der Natur heraussieht und darstellt, macht den Künstler, und daher muß seine spezifisch malerische Phantasie um so stärker sein, je näher er dem sinnlichen Eindruck der Natur kommt, d. h. je mehr er im eigentlichen Sinne Maler ist. Seine Phantasie ist viel reicher als die des Zeichners, denn man kann wohl ein großer Zeichner sein, ohne ein großer Maler zu sein, aber nicht umgekehrt.

Delacroix fürchtete noch eine Gotteslästerung auszusprechen, als er Rembrandt dem Raffael gleichzustellen wagte. Heutzutage hat sich das wohl geändert, immerhin wird auch heute noch »der Gebildete«, wenn er sich einigermaßen respektiert, Raffael als den größten Maler, der je gewesen, ansprechen: was wohl daher kommt, daß das Kunsturteil von den Kunstgelehrten gemacht wird, die als Gelehrte mehr mit dem Verstände als mit den Augen urteilen. Die Schönheiten der Form sind mathematisch nachzuweisen, aber die Schönheiten der Farbe kann man nur empfinden. Und man kann ein sehr großer Kunstgelehrter sein, ohne etwas von Kunst zu verstehen.

Die Malerei ist nicht etwa bloß ein Problem der Technik, die gelernt werden kann, sondern eine reine Phantasietätigkeit. Natürlich muß jeder Maler sein Handwerk verstehen, wie jeder Schneider oder Schuster sein Metier ordentlich gelernt haben muß. Aber den Wert eines Bildes nach seiner technischen Vollendung schätzen zu wollen, wäre ebenso töricht, als ein Gedicht nach der Korrektheit der Verse oder der Reinheit der Reime zu beurteilen. Dem lieben Gott sei's gedankt: in der Kunst macht der Rock noch nicht den Mann.

Allerdings hat in den bildenden Künsten das Handwerk eine um so größere Bedeutung, als der bildende Künstler seine Konzeption ganz allein und unmittelbar zum Ausdruck bringt: nur das Werk von des Meisters eigener Hand ist das Meisterwerk. Den vatikanischen Torso, den »Innocenz« des Velasquez können wir ganz nur im Original genießen: ob wir den »Faust« in einem der Millionen von Drucken oder in Goethes Originalhandschrift lesen, ist für unseren Genuß ganz gleichgültig.

Selbst die vollendetste Lichtdruckreproduktion nach einer Zeichnung oder Radierung Rembrandts, in der jeder Punkt, jeder Strich und jeder Fleck photographisch getreu wiedergegeben ist, bleibt eine tote Kopie; nur die eigenhändige Niederschrift kann uns des Meisters Geist zeigen. Nichts verbirgt sein Werk unseren indiskreten Blicken; wir können dem Meister bei der Arbeit folgen, wir sehen, welche Partien ihm auf den ersten Anhieb gelungen und die Stellen, bei denen er sich gequält, die er abgekratzt und übermalt hat, bis sie ihm endlich genügten.

Doch was wir nicht sehen können, selbst wenn wir Velasquez oder Rembrandt beim Malen über die Schulter zugeschaut hätten, ist die Hauptsache, nämlich ihre Phantasie, die ihnen beim Malen die Hand geführt hat und nur insofern ist die Technik von künstlerischem Werte, als sie die – Handlangerin seines künstlichen Wissens und Wollens ist, d. h. sie muß individuell sein. Sonst hat die Technik höchstens kunstgewerblichen Wert, und von diesem kunstgewerblichen Standpunkt aus können wir sie an einem Bilde ebenso bewundern, wie an einer chinesischen Cloisonné- oder Lackarbeit.

Aber die Rückkehr zur Tradition der altmeisterlichen Technik als Allheilmittel der Kunst zu empfehlen – wie das immer und ewig geschieht – hieße neuen Wein in alte Schläuche füllen.

In dem Kunstwerk macht die Technik nicht die Güte aus, man könnte sie höchstens als notwendig bezeichnen; wie der Körper dem Geiste notwendig ist. Und insofern ein schöner Geist in einem schönen Körper dem in einem häßlichen vorzuziehen ist, ist auch das elegant vorgetragene Kunstwerk dem unbeholfen vorgetragenen vorzuziehen. Schreiblehrer beurteilen die Güte der Handschrift nach der Kalligraphie der Buchstaben; wir nennen Bismarcks Handschrift schön, weil sie charakteristisch ist.

Die Technik ist gut, die möglichst prägnant das ausdrückt, was der Meister ausdrücken wollte; sonst ist sie schlecht und wäre sie noch so virtuos. Überhaupt spricht man viel zu viel von ihr: die Technik muß man gar nicht sehen, ebenso wenig wie man die Toilette an einer schönen Frau sehen darf. Wie sie nur dazu da ist, um die Schönheit der Trägerin in um so helleres Licht zu setzen, darf die Technik nur die Schleppenträgerin der Kunst sein, jeder Künstler soll malen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist; was allerdings heutzutage schwer ist, denn, wie Schwind sagt, »bis man weiß, daß man einen Schnabel hat, ist er vom vielen Anstoßen schon ganz verbogen«.

Und nun gar die Forderung zur altmeisterlichen Technik zurückzukehren! Als ob die Technik die Ursache und nicht die Folge einer Kunstanschauung wäre. Ist die Technik eines Van Eyk nicht bedingt durch die Sachlichkeit seiner Naturanschauung? Hätte Franz Hals sich der Technik eines Holbein bedienen können, oder mußte er nicht vielmehr eine mehr andeutende als ausführende Technik erfinden, die seiner geistreichen Auffassung des Momentanen entsprach? Wer die Technik eines Meisters nachahmt, wird ihm höchstens abgucken, wie er sich räuspert und wie er spuckt. Ein mittelmäßiges à la Rembrandt gemaltes Bild ist nicht besser, als ein ebenso mittelmäßiges, das à la Manet gemalt ist.

Überhaupt verbirgt sich hinter dem Verlangen nach altmeisterlicher Kunst ein gut Teil Heuchelei: es entspringt nicht sowohl aus Liebe für die alte, sondern vielmehr aus Haß gegen die moderne Kunst.

Natürlich fällt auch in den bildenden Künsten kein Meister vom Himmel. Eher fällt schon eine Exzellenz vom Himmel, wie Menzel, als man ihm zu seinem neuen Titel gratulierte, geantwortet haben soll.

Ein jeder Meister steht auf den Schultern seiner Vorgänger: das ist aber nicht seine Meisterschaft, sondern seine Schülerschaft. Erst nach Überwindung der Technik kann aus dem Schüler ein Meister werden, und nur in diesem Sinne ist der bekannte Satz, daß man zum Künstler geboren, zum Maler aber erst erzogen werden müsse, zu verstehen. Der Maler muß sein Leben lang arbeiten, um der Technik Herr zu werden; aber nicht um ihrer selbst willen, sondern um mittels der Technik seiner Phantasie einen möglichst vollendeten Ausdruck geben zu können.

Der Vortrag des Meisters kann nachgeahmt werden – und die vielen falschen Rembrandts sind der beste Beweis dafür – aber nur der Rembrandt ist echt, in dem du seines Geistes Hauch verspürst. Und sollte ein mittelmäßiges Bild wirklich echt sein, von Rembrandts eigener Hand signiert und von sämtlichen Kunstpäpsten als authentisch attestiert, so würde das nur beweisen, daß der gute Rembrandt auch einmal geschlafen habe. Was kümmert uns die Echtheit eines Kunstwerkes! Was des Meisters würdig, ist echt.

Weil in den bildenden Künsten die Form Mittel und Zweck, also eines ist, ist es in ihnen natürlich schwerer zu entscheiden, als z. B. in der Poesie, wo das Handwerk aufhört und die Kunst anfängt; daher triumphiert oft genug über wahre Kunst Kunstfertigkeit, und ebenso oft wird der Stein, den die Bauleute verwarfen, zum Eckstein. Denn vollendete Technik, Eleganz des Vortrags, kurz, das Äußerliche des Bildes schmeicheln sich dem Auge leichter ein als das Werk des Genies, dessen rauhe Außenseite oft den goldenen Kern verbirgt. So wundert es mich keineswegs, daß man etwa die Porträts van der Helsts denen eines Rembrandt vorgezogen hat. Wenn Rembrandt heute lebte und ein Prinz sich bei ihm malen ließe, so wäre er wahrscheinlich mit seinem Konterfei ebenso wenig zufrieden wie der Prinz von Nassau, der sein Porträt für zu schwarz, für zu gepatzt und wohl auch für nicht vorteilhaft genug aufgefaßt ansah, und so den armen Rembrandt um seine vornehme Kundschaft brachte. Allerdings vom Handwerksstandpunkt aus ist der »Nachtwache« die »Schützenmahlzeit« des van der Helst vorzuziehen. Da ist alles tadellos. Und auch heute noch würden nicht nur Prinzen, wenn sie nicht fürchteten sich zu blamieren, einen van der Helst vorziehen.

Es kommt nicht allein darauf an, was einer ansieht, sondern auch darauf, wer was ansieht, und auch in der Kunst gilt das Sprichwort: niemand ist groß in den Augen seines Kammerdieners; womit ich nicht etwa auf die kleinen Schwächen großer Meister anspielen will. Wer das Kunstwerk mit den Augen des Kammerdieners betrachtet, wird es nie begreifen. »Nichts ist an sich schön; erst unsere Auffassung macht es dazu.« Wer Phidias mit den Augen des Professors Trendelenburg anschaut, sieht vielleicht in den Marmorgruppen der Siegesallee Werke des griechischen Bildhauers. Die Breite des malerischen Vortrags macht noch keinen Velasquez und das Helldunkel noch keinen Rembrandt: das ist gleichsam nur das irdische Teil an ihnen.

Das Unsterbliche an den Werken der Kunst ist ihr Geist, der Geist, welcher dem inneren Auge des Malers, bevor er den ersten Pinselstrich auf die Leinwand gesetzt hat, das Werk vollendet zeigt.

Und wie der Geist ist die Kunst unbegrenzt, soweit die Ausdrucksfähigkeit ihrer technischen Mittel reicht. Ihre Ausdrucksfähigkeit vergrößern, heißt das Bereich der Kunst erweitern, das Bereich der allein wahren Kunst, die von der Hand geboren, aber von der Phantasie gezeugt ist.