09 Blick in die Zukunft

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VIII. Böcklin und Thoma. Neueste Erscheinungen. Der Blick in die Zukunft.

Es war Ende der achtziger Jahre, daß es mir zum ersten Mal vergönnt war, Hans Thoma in Frankfurt aufzusuchen, draußen in der Wolfgangstraße in einem kleinen Hause, dessen Gärtchen an die Felder gränzte. Auf einer schmalen Treppe, vorbei an blumengeschmückten Fenstern, stieg man empor zu der Werkstatt des Meisters, Werkstatt, denn nur von Thätigkeit sprach dieser Raum. An den Wanden rings herum Regale, mit grünen Vorhängen verhangen, in der Mitte die Staffeleien und das Arbeitszeug, und als einziger, aber liebreicher Schmuck ein großer Epheustock, dessen Zweige vom Fenster her sich an den Wänden und an der Decke hinzogen. Dort vor seiner Staffelei saß er bei der Arbeit, eine kleine, kräftige, breite Gestalt, ein Kopf, breit und mächtig in der Gesamtform, mit feinen, ja zarten Zügen. Was aber mein Auge sogleich besonders auf sich zog, das war der Blick seiner Augen, der bald eng zusammengehend mit großer Schärfe und unerschütterlicher Festigkeit die kleinste Einzelheit vor sich zu erfassen schien, bald sich öffnend zu einem Umspannen gleichsam der ganzen Welt sich erweiterte. Bald erhielt ich auch den Einblick in die Kunst des Meisters. Er ging zu jenen Regalen und schob die Vorhänge zurück. Da standen zu Hunderten aneinandergereiht die Gemälde, die heute in öffentlichen Sammlungen und in privatem Besitz in Deutschland und über Deutschland hinaus zerstreut sind, wie Bücher neben einander geordnet. Und eines nach dem anderen wanderte aus den Ständern auf die Staffelei: Landschaften der verschiedensten Art, Stillleben, Porträts, Szenen aus dem Bauernleben, mythologische, religiöse Darstellungen, allgemeine, nicht näher zu bezeichnende Phantasieen. Als etwa dreißig Bilder an meinem Blick vorübergezogen waren, bat ich ihn, innezuhalten, denn was mir da entgegentrat, war ein so Unermeßliches, daß ich, innerlichst ergriffen und von der Fülle der Gesichte überwältigt, nicht mehr im Stande war, zu schauen. Welch' ein Schaffen! Meisterwerk neben Meisterwerk in diesem Atelier verborgen, von der Welt nicht gekannt!

Es klang so alt und war doch so neu,

Wie Vogelsang im jungen Mai.

War mein Erleben so stark und so geheimnißvoll erregend, daß es sich nicht in Worte fassen ließ – Eines rang sich doch zum Bewußtsein durch, jubelnd stieg in mir die Erkenntniß auf: das ist deutsch! und Alles, was deutsch ist, ist in dieser Kunst zu finden. Und in meiner Phantasie tauchte das Bild eines Ateliers in Nürnberg, jene Werkstatt großer Kunst, in der Dürer seine Schöpfungen vollbracht hat, auf. Und dann, als ich wieder das Auge auf die schlichte, starke, innige Persönlichkeit vor mir richtete, erschien mir eine zweite Gestalt, die jenes Dichters in den Meistersingern von Nürnberg, dem der Flieder so mild duftete, daß er etwas sagen solle. –

So einfach wie das Wesen, das in den Zügen dieses Mannes sich offenbart, und wie diese große Kunst, die sich mir erschloß, ist das Leben des Meisters den äußeren Begebenheiten nach gewesen. Droben im Schwarzwald, in der Nähe von St. Blasien, in einem hochgelegenen, von sanftlinigen Bergen umrahmten Thal wurde Hans Thoma zu Bernau im Jahre 1839 geboren. Früh zeigte sich seine Begabung. Als Knabe schon lernte er die Kunst, die in diesen Dörfern zu Hause ist, die Uhrenschildmalerei. Der Oberamtmann wurde aufmerksam auf ihn. Durch dessen Vermittlung kam Thoma 1859 auf die Kunstschule in Karlsruhe, wo er seinen Hauptunterricht bei Schirmer genoß, demselben Maler, der in Düsseldorf Böcklins Lehrer gewesen war und für dessen freundliche Theilnahme der Schüler eine dauernde Dankbarkeit bewahrt hat. Im Winter wurde fleißig in der Akademie gearbeitet, im Sommer aber, während der Ferienzeit, zog der Jüngling immer wieder hinauf in seine Heimath, und dort, auf den Feldern und Wiesen, im Walde, offenen Auges für den großen, weiten Himmelshorizont, wie für jedes Blümchen im Grase, bildete er Sinn und Hand aus.

Im Wald und auf der Vogelweid,

Da lernte er das Singen.

Bis 1868 ist er Schüller der Akademie geblieben. Lange schon aber drängte es mächtig in ihm nach einer anderen, freieren Lehre, als sie ihm dort geboten werden konnte. Im freudigen, innigen Verhältnisse zur Natur hatte er seine besondere Richtung, seine persönliche, unabhängige Kunstanschauung gewonnen. Nun suchte er gleichsam eine Bestätigung derselben und wanderte 1869 nach Düsseldorf, weil er glaubte, sie hier zu finden, in dieselbe Stadt, in die es auch Böcklin früher gezogen hatte. Aber wie dieser verweilte er nur kurze Zeit in ihr, denn er fand sich in seinen Erwartungen enttäuscht. Er beschloß, nach Paris zu gehen, dorthin, wo durch die Künstler von Fontainebleau die Landschaftsmalerei zu hoher Blüthe gelangt war. Er sah die Werke Corots, Rousseaus und der Anderen, und lernte Millets Verherrlichung des tiefen Einklanges zwischen Bauernleben und Natur, dem er selbst schon aus eigenstem Antriebe seine Malerei gewidmet hatte, kennen. Was aber sein Auge und seinen Geist besonders fesselte, war einerseits die Kunst der alten Meister, die er im Louvre studirte, und andererseits die energische, leidenschaftlich mit der Natur ringende Malerei Courbets. Und von beiden Seiten erhielt er die tröstlich bejahende Antwort auf die oft gestellte Frage, ob sein Ideal, das mit den Bestrebungen der Kunstschulen seines Vaterlandes nichts zu thun hatte, zu verwirklichen sei. Den alten Meistern und Courbet verdankt er, ohne sich die einen oder den anderen direkt zum Vorbild zu nehmen, was Stilgefühl und malerische Naturauffassung anbetrifft, die Versicherung seiner eigenen Kraft und das erhebende Bewußtsein, auf einem richtigen und großen Wege zu sein. Manets Kunst – von der dies neuerdings behauptet wurde – hat keinen Eindruck auf ihn hervorgebracht.

Nach kurzem Verweilen ist er von da nach München gegangen, wo er sich von 1870 bis 1877 aufgehalten hat und die Bekanntschaft mit verschiedenen Künstlern machte, unter denen Viktor Müller ihm besonders theuer wurde, ein reichbegabter Maler, einer der bedeutendsten unter den Strebenden jener Tage, der sich an feurigem, idealem Wollen Feuerbach vergleichen läßt, an Fülle, Wärme und Üppigkeit malerischen Gefühles ihn übertraf. Mit Leibl und Böcklin, der bis 1874 in München weilte, trat er in persönliche, freilich nur vorübergehende Beziehung, auch mit Bayersdorfer. Erstaunlich schnell und mannigfaltig entwickelte sich nach Technik, Stil und Phantasie seine Kunst. Aber die Aufnahme, die ihr zu Theil wurde, entsprach ihrer Bedeutung in keiner Weise. Vielmehr wurde diese vollständig verkannt. Wie oft hat er, ohne jede Bitterkeit – denn dergleichen kennt sein schaffensfreudiges Wesen nicht – davon zu erzählen gewußt, wie die Werke jener Zeit, die auf unserer Ausstellung durch die Geschwister, den Frühsommer, das Selbstporträt, den Abend im Gärtchen vertreten ist, nur Gegenstand allgemeiner Belustigung in den Ausstellungen waren, und daß er selbst oft genöthigt gewesen, die spöttischen Bemerkungen der Künstler und des Publikums zu vernehmen. Sein Name wurde nur in jenem Sinne bekannt, und er zog sich mehr und mehr vom Ausstellungswesen zurück.

1877 siedelte er auf Rath und Aufforderung Doktor Otto Eisers, der ein leidenschaftlicher Bewunderer seiner Kunst geworden war, nach Frankfurt über, wo er in stiller Abgeschlossenheit von der Welt, in glücklicher Ehe mit einer künstlerisch begabten und thätigen Frau, mit Mutter und Schwester innig häuslich verbunden und im Verkehr mit einigen Freunden, wie Eiser, Eduard Küchler, der Familie Scholderer und Wilhelm Steinhausen in einfachsten Verhältnissen und rastloser Arbeit lebte. Lange Zeit noch blieb die Werthschätzung seines unvergleichlich reichen Schaffens auf den kleinen Kreis der Freunde beschränkt. Erst seit 1890 durfte er es erleben, daß seiner Kunst wachsende allgemeine Aufmerksamkeit und Bewunderung in Deutschland geschenkt wurde. 1899 ward er als Direktor der Kunsthalle in seine Heimath, nach Karlsruhe, berufen, wo er – seit einigen Jahren ein Ehrendoktor unserer Heidelberger Universität – sich unermüdlich weiter bethätigt, noch so jung an Empfänglichkeit, Geist und Schöpferlust, daß alle die zahlreichen Werke, die dort entstanden sind und entstehen – Beispiele in unserer Ausstellung: die Fortuna, die Birke, der Blick ins Lauterbrunner Thal – an großer Auffassung, frischem Erleben der Natur und Farbenkraft die älteren noch zu übertreffen scheinen.

Ein schlichter Lebensgang, aber welch' ein reiches Dasein! Die Zahl der Bilder Thomas, die mir – gelegentlich der bis zum demnächst erscheinenden V. Bande gediehenen Herausgabe seiner sämtlichen Gemälde (Heinrich Keller, Frankfurt a. M.) – bekannt geworden sind, beläuft sich auf etwa siebenhundert, wobei ich die Aquarelle nicht mitzähle, und gewiß sind meinen Nachforschungen noch viele entgangen. Dazu kommen die über hundert zahlenden Steindrucke und Algraphieen, in denen er einer älteren Technik neues volksthümliches Leben verlieh, die Radirungen und die ausgeführten Zeichnungen. Schon äußerlich, bloß der Menge der Erzeugnisse nach, eine fast unbegreifliche Thätigkeit, unbegreiflich aber noch mehr durch die Erscheinung, daß jedes von allen diesen Gemälden seinen besonderen Charakter in Farbe, Technik und Erfindung besitzt und jedes in seiner Weise vollendet ist. Viele von Ihnen werden sich schon angesichts der sechzig hier ausgestellten Bilder selbst gefragt haben, ob etwas Ähnliches an Reichthum und Verschiedenartigkeit künstlerischer Erscheinungen jemals in dem Schaffen eines Künstlers zu Tage getreten ist, und diese Frage hat ihre Berechtigung. Woraus erklärt es sich, daß dieser Maler niemals in eine Manier verfiel, daß niemals die Fülle seiner Einbildungskraft und die Leichtigkeit seines Gestaltens die Vollkommenheit des einzelnen Werkes beeinträchtigte? Aus der immer neuen, immer unvoreingenommenen Anschauung der Welt, aus dem immer lebendigen Umgestalten des Erschauten in der Einbildung, aus der Reinheit und Gesundheit, in der sich seine Phantasie durch den steten Kontakt mit der Natur erhielt, aus einem wundervoll jungen Walten der Kraft der Liebe und der Kraft des Glaubens!

Von kleinen Anfängen entwickelte sich diese Kunst bis zu größten Höhen, von Anfängen, die wir in dem Leben des Knaben auf den heimathlichen Schwarzwaldhöhen suchen müssen. Was war da vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang nicht Alles zu gewahren! Und mit welchem Entzücken ward es von diesem Kinderauge geschaut! Eine ernste und doch freudige Wirklichkeit von Natur und Arbeit. Und über sie hinweg strebend: große, weittragende Träume.

Am frühen Morgen hinaus vor das Haus, das alte, wettergebräunte, mit dem tief herabreichenden Dach und dem still rauschenden Brünnlein, wo der Hahn seinen tagverkündenden Ruf erschallen läßt, der Bursche die Sense wetzt, um das thaufrische Gras zu mähen, und der Saemann, den Samen im Sacke sammelnd, sich zur Arbeit rüstet. Und dann mit den ersten Sonnenstrahlen hin über die grünen Wiesen zu dem Acker, wo die feierliche, der Erde geweihte Arbeit sich vollzieht. Wie gläubig und hoffnungsvoll der Blick des Jünglings den Himmel sucht, indessen seine Hand mit weitem Schwunge die Körner ausstreut – wie trüb und sorgenbeschwert das Auge des greisen Bauern, in dessen Zügen die Leiden des Lebens sich tief eingeprägt haben, nach niederwärts sich richtet, hin zu den Schollen, zu dem Dunkel, in das der Alte selbst bald hinabsteigen wird! Und hinter dem Felde, wie viele Herrlichkeiten breiten sich da nicht aus! So traulich schwätzt, über braunen Grund rauschend und glitzernd, der von den Höhen eilende Bach, in tausendfaltiger Blumen Pracht stehen die Wiesen, in dem zu den Wellen sich herabneigenden Gesträuch singt das Vöglein, dem es sich gar lieblich lauscht, blaue Libellen flattern hin und wieder, und am Himmel droben ziehen die Wolken, bald in schimmernder Weiße über den Bergen emporsteigend, bald in eiligem Gedränge das Blaue verdeckend, bald sich in zarte Dünste auflösend, bald sich zu grauen Massen zusammenballend. Unermeßlich reich an Eindrücken ist solch ein Tag, da draußen verlebt. Dann, wenn er sich zu Ende neigt, wenn rosa Streifen den letzten Abglanz der Sonne der Erde spenden und friedlich auf Haus und Gärtchen die Dämmerung sich herabsenkt, empfängt so freundlich auf sauber gedecktem Tische, an dem die Ahne in ihrer großen alten Bibel gelesen, die Kinder mit heißem Bemühen ihre Schularbeiten gemacht und die Schwester fleißig genäht hat, der bunte Feldblumenstrauß die Heimkehrenden. Und bald wird es Nacht. Da zieht der Bursche mit der Geige hinaus unter den alten Birnbaum und läßt durch die dunkelnde Bläue sehnsüchtige Töne in die Ferne erklingen. Geheimnißvoll leuchtet das Roth der Blumen im Garten neben ihm und silbern steigt der Mond über die schweigenden Wälder und Berge empor. Vielleicht dann noch ein heimliches Stündchen bei der Großmutter, die aus ihrem Märchenschatz erzählt: die engen Wände des Bauernhauses verschwinden, ein ganz anderes, weites, wunderbares Reich thut sich auf und geleitet hinüber in die Gesichte der Nacht.

Wie der Knabe solch tägliches Dasein durchlebt und wie er ein Feierliches und Heiliges in dem tiefen inneren Zusammenhang des menschlichen Waltens mit den Vorgängen der Natur zu empfinden gelernt hat, mußte ihm jedes Einzelne seiner näheren und ferneren Umgebung bedeutend und wichtig erscheinen, vom kleinsten Steinchen am Quell und vom unscheinbarsten Halme bis zu dem Wandern der Wolkenschatten über die Erde, bis zu dem allumfassenden Strömen des Sonnenlichtes über die weiten Räume, bis zu dem großen Wechselgespräch zwischen der Erde und dem, was unendlich sich darüber ausbreitet. Das ist des Künstlers Blick, der mich bannte, da ich ihn zum ersten Male sah, der Blick, der das Kleine wie das Große erfaßt.

Und als der Knabe zum Jüngling, zum Manne ward, als er, von seinem Heimathsthal über die Höhen wandernd, die weite Welt erschaute, da wurden die Träume seiner Kindheit mächtig und begleiten ihn, wohin er kommt. Da bevölkert sich auch ihm Wiese, Hain, Wald, Luft und Wasser mit den Geschöpfen seiner Einbildungskraft. Da sieht er im Buchenwald gleich einem jungen Stamm den Faun, der sein Lied blast; da tanzen im goldenen Abendlichte, von sanften Gewändern umflossen, Frauen den Reigen; da hält im Dunkel der Nacht der Ritter die Wacht über friedlichem Thale; da zieht auf farbiger Kugel das Glück über grüne Wälder und blaue Berge hin; da treiben wilde Nixen ihr Spiel in mondbeschienenen Wellen; da gleitet blumenbekränzt, vom Delphin getragen, ein holdes weibliches Wesen durch südliche regungslose Fluthen; da strecken sich junge braune Körper gen Himmel, mit dem Pfeil die an düsterem Himmel flatternden Vögel herabzuholen; da jauchzt, aus schäumenden Meereswogen aufsteigend, das Wasserweib der Sonne entgegen. Wesen ohne Namen, aus Naturstimmungen geboren, zeitlos und unbedingt – verständlich einem Jeden, dessen Phantasie sich willig und thätig zeigt. Wie auch konnten wir das junge Weib im rosa Gewande, das, von nackten Kindern umspielt, über die blumige Matte dahinschreitet, benennen? Was wissen wir davon, wer der scheue Ritter ist, der von einem kleinen Liebesgott zur kränzewindenden Frau am Bachesrand geführt wird? Ist es Genovefa, die sich inmitten von Rehen unter den Tannenbäumen niedergelassen hat? Ist es der junge Thor Parzival, der durch den Frühlingswald reitet? Was kommt es auf Namen an! Lernen wir nur mit dieses Dichters Augen schauen, dann wird auch für uns die Welt an Gestalten reicher. Dann sehen wir, daß weiße Sommerwolken ganz aus frohen Kindlein bestehen, die mit einander Musik machen, wobei es denn geschehen kann, daß, wenn der geballte Dunst sich auflöst, einer der munteren Gesellen herabfällt, aber ohne Schaden zu nehmen, denn gerade fliegt ein Vogel vorbei, auf den er sich schwingt und wohlgemuth von dannen zieht – Gott weiß wohin! Wir sehen auch die kleinen Geister, die sich auf den Wiesen zu schaffen geben, und denen wir den Regenbogen verdanken. Und wissen wir nur, sie uns zu Freunden zu machen, dann begleiten sie auch uns, wie die Frau, die mit dem heu- und blumenbeladenen Esel heimkehrt. Was sie der zuraunen, das möge sich Jeder selbst deuten und sagen. Das eben ist es – diese verschwenderische Künstlerphantasie macht uns selbst schöpferisch, giebt uns die Freiheit, eigene Gefühle und Vorstellungen aus den ihr verdankten Eindrucken zu entwickeln!

Zugleich aber öffnet uns Thoma auch die Augen für nie zuvor beachtete Herrlichkeiten im Kleinen und Großen, in Farben und Formen der Wirklichkeit. Mögen wir nun mit ihm von Höhen des Schwarzwaldes über blühende Wiesen hinabblicken oder dem schäumenden Strudelspiel der Stromschnellen des Rheines zuschauen, im deutschen Waldesdickicht uns verlieren oder den Blick durch Ölbäume über die Campagna schweifen lassen – gleichviel! Was seinem Auge in der Welt sich darbietet, ist schön, weil in Allem seine Seele sich wiederfindet, und wird für uns schön, weil er Allem die Herzenssprache abgewinnt. Ob es die hellschimmernden Berge und Seen des Südens oder nordische Gebirge und ungestüm an den Strand brandendes Meer, ob es die Edelkastanien auf den Wiesen des Taunus, die Büsche am Ufer des Main, die Gletscher der Alpen sind – so, wie es uns hier erscheint, hatte alles dies noch kein Malerauge gesehen, noch keine Künstlerhand wiedergegeben. Jede Erscheinung der Natur wird durch seine Phantasie zu innerster Kraft und Bedeutung belebt, und in jedem Bruchstück ist gleichsam die ganze Natur wirkend vorhanden. Genügt aber die Wirklichkeit einmal der Sehnsucht nicht mehr, dann tauchen Wundergegenden auf, dann zieht er uns mit sich in die Wonnen erträumten, ursprünglichen Lebens, in die jauchzende Lust des in hellsten Sonnenfarben schimmernden Paradieses, entrückt er uns auf selige Inseln, dorthin, wohin mit goldenen Fittichen Wundervögel über Flachen, über Seen ziehen. Und auch dies wird uns zur Wahrheit und Gewißheit. Es will nur erschaut sein.

Derselbe Geist aber, der mit so offenem Blick alle Gestalten der hellen Außenwelt erfaßt, versteht es auch, die tiefsten, dunkel-geheimnißvollen religiösen Erlebnisse der Seele ans Licht zu bringen und zu veranschaulichen. Er läßt uns mit den drei Königen und den Hirten traulich der Stätte heiliger Mutterliebe nahen, auf die sich der Himmelsglanz herabsenkt, vertrauensvoll mit der geweihten Familie über die sanft von Strahlen überströmte weite Erde wandern; er zieht uns hinab in die tiefblaue Nacht, in der Christus dem Nikodemus das Seelenheil verkündet; zeigt uns die Verheißung, die hinter dem sterbenden Erlöser aus dunklen Wolken in Himmelsfeuer auflodert; versetzt uns in den Frieden des Todes, der von Engeln behütet wird, hin auf die dräuende Woge des Meeres, über der uns mit Petrus nur der Glaube erhält, nieder auf die Kniee mit Magdalena, in deren Blick sich der Ostersonne Aufgang wiederspiegelt.

Welch' ein großes, Alles umfassendes Schauen! Welch' ein Unergründliches inneren Erlebens! Welch' eine Kraft der Liebe! Und dabei welch' ein reines Kindergemüth! Ja in diesem, da liegt eben das Geheimniß. Wollen wir seine Kunst uns ganz zu eigen machen, so müssen wir selbst wieder Kinder werden. Nichts in ihr ist uns dann mehr fremd, sondern Alles so innig vertraut, so ganz natürlich und nothwendig. Dann erwirbt, wie allezeit in Kinderaugen, auch für uns die Natur wieder ihren Unschuldstag. – –

Bei allem Reichthum der Sinnlichkeit und der Phantasie hat Thomas Kunst einen fest ausgeprägten Stil. Fern ist ihr alle Willkür. Jedes ihrer Werke lehrt von großen Gesetzen, die in ihr walten. Von Neuem drängt sich hier ein Vergleich mit Böcklins Schaffen auf, der uns die Verschiedenheit der beiden Meister ganz klar macht. Nur in Andeutungen brauche ich zu wiederholen, was ich in zwei kleinen Schriften: Arnold Böcklin und Hans Thoma, Betrachtungen über die Gesetzmäßigkeit seines Stiles, die soeben (in Carl Winters Verlag, Heidelberg) erschienen sind, ausführlich dargestellt habe.

In Böcklins Gemälden sehen wir zwei Welten zu einem Bunde vereinigt. Wir haben sie kennen gelernt: die eine ist das malerische Ideal der modernen Landschaft, die andere das plastische Ideal des antiken Menschen. Dieser wird in eine Landschaft einbezogen, die dem Bedürfniß der modernen Seele, sich in der Natur wiederzuerkennen, entspricht. Hierdurch, wie mich dünkt, wurden die wesentlichen Stilerscheinungen bedingt. Indem einerseits die Landschaft dem Menschen angenähert werden muß, hat sie einen plastischen Charakter in ihren Einzelgebilden anzunehmen, indem andererseits der Mensch in der Natur aufgehen soll, muß er von seiner plastischen Bestimmtheit einbüßen. Jene scharfe, körperliche Ausgestaltung der landschaftlichen Einzelheiten wird erstens durch die Wahl der südlichen Natur mit ihrer klaren Abgegränztheit des Gegenständlichen, das in jedem Detail durchgebildet wird, und zweitens durch kräftige Betonung der Farbenverschiedenheiten und -kontraste behufs eines deutlichen Sichabhebens der einen Erscheinung von der anderen erreicht. Felsen, Bäume, Wolken, Wellen erhalten eine so ausgeprägte Körperlichkeit, daß sie, von starkem Eindruck, dem menschlichen Organismus gleichsam verwandt, eine Art Gleichberechtigung mit diesem als Form gewinnen. Der Mensch aber muß an Bestimmtheit seines ganzen Gefüges verlieren und sich den Elementen, dem Animalischen und der Vegetation anbequemen. Da erfahren die Frauen, oft bis zur Körperlosigkeit entmaterialisirt, bei sinnendem träumerischen Dasein eine Umwandlung in der äußeren Erscheinung nach der Seite des sensitiven Blumen- und Pflanzenhaften, da wird bei den männlichen Wesen durch Betonen des drastisch Sinnlichen, durch Steigern der Affekte bis zum Grotesken, Gewaltsamen, Dämonischen die Annäherung an das Elementare und Thierische erreicht. Ermöglicht, ja erzwungen wurde dieser Bund von Natur und Mensch nur mit Hülfe eines überwältigenden Eindruckes der Farben, durch den wir bestimmt werden, selbst das Seltsamste und Abentheuerlichste dieser kühnen Einbildungskraft als glaubwürdig und nothwendig hinzunehmen. Deutet man sich in solcher Weise Böcklins Stil, sein Faust'sches Werben um Helena, so erklärt es sich auch von dieser Seite, wie aus dem Wesen seiner Persönlichkeit, daß etwas Gewaltsames seiner Kunst eigenthümlich blieb, erklärt sich das Übermäßige in seinen Schöpfungen. Gerade diese Erkenntniß aber, welch' großen Widerspruch der Faktoren er zu überwinden hatte, läßt uns die Größe und Gewalt des Meisters bewundern.

Von einem Widerspruch ist in der Kunst Thomas nichts zu gewahren. Bei ihr handelt es sich nicht um eine Vermählung der Antike mit dem modernen Geist, sondern um eine einheitliche Entwicklung aus einfachen Bedingungen. Aus dem heimischen Boden allein zieht sie die Nahrung; ihre Phantasiethätigkeit, wenn auch befördert von Anregungen seitens alter Kunst, wurzelt in den Eindrücken der deutschen Natur und wächst und entfaltet sich in der immer neuen unmittelbaren Belebung durch diese. Dieselbe Kraft, welche der schlichten Wirklichkeit ihre Seele abgewinnt, bevölkert die Welt mit neuen Gestalten. Da bedarf es nicht so gewaltsamer Mittel, wie die, zu denen Böcklin greifen mußte: in ungezwungener Harmonie verbinden sich Geist und Natur. Und so auch konnte sich ein Stil entwickeln, der, deutsch universal, die verschiedenen einheitbildenden Elemente: Zeichnung, Farbe und Licht, gleichmäßig berücksichtigt. Klare, deutliche Formensprache im Einzelnen und in der Raumgestaltung, reine Klarheit der Farben und klare Bestimmtheit des Lichtes bedingen und bestimmen sich gegenseitig. Eine strenge Gesetzmäßigkeit bei größtem Reichthum der Farbenerscheinungen und der linearen Beziehungen kennzeichnet diese in Form und Farbe doch so verschiedenen, mannigfaltigen Werke, und jedes hat, wie ich schon bemerkte, seine Vollkommenheit, weil der Künstler, immer von der Natur inspirirt, frei von jeder Theorie und Tendenz, einzig auf die deutlichste Mittheilung seiner ungesuchten Vorstellungen bedacht ist.

Das ist große, das ist deutsche Kunst – da ist Alles und in der Fülle der Kraft vorhanden: starker Gefühlsausdruck, Universalismus, Naturtreue und lebendigste Phantasie. Da vernehmen wir, wie früher, mit aller Eindringlichkeit das Zeugniß des Deutschen von seiner Auffassung der Kunst: alle Erscheinung ist Wesensoffenbarung, alle Form hat Sinn und Werth nur als Wesensausdruck, und nur in der Verdeutlichung der allumfassenden Einheit von Mensch und Natur findet das Bedürfniß der Seele, ihr inneres Leben äußerlich zu schauen, sein volles Genüge. –

*

Eine letzte Frage höre ich Sie an mich richten: hat diese Kunst Nachfolger gefunden? Sind Hoffnungen, Möglichkeiten einer weiteren an sie anknüpfenden Entwicklung vorhanden? Sind solche nicht vielleicht in den neuesten Erzeugnissen der Malerei zu gewahren? Die Frage wäre begreiflich. Dem Naturalismus gegenüber hat sich, wie wir früher bereits sahen, etwas Anderes entwickelt, was als Phantasiebefreiung und Stilbildung bezeichnet werden könnte. In den zwei Erscheinungen nämlich: der symbolistischen und der dekorativ stilisirenden Richtung. Beide, als Reaktionen entstanden, machen sich seit einer Reihe von Jahren neben dem naturalistischen Impressionismus auf den Ausstellungen, und zwar mit immer größeren Ansprüchen, geltend. Ich betonte aber schon früher, daß beide im Zusammenhange mit dem Impressionismus stehen und ohne diesen nicht denkbar sind. Seine Prinzipien der Farbe und der Technik haben sich, allgemein betrachtet, auf sie fortgepflanzt, und stecken wir die Grenzen weit, so dürfen wir sie als Moderne mit dem Impressionismus zusammenfassen, wenn sie auch dem Gegenständlichen nach reaktionär sind. Wie nun Reaktionen aber immer ins Extreme gehen und immer etwas Ungesundes an sich haben, so gilt auch hier wieder das Urtheil: dies ist kein naives, nothwendiges Schaffen, sondern ein von Prinzipien oder von der Sucht nach Neuem beherrschtes, welches, vom Verstand ausgehend, an den Verstand sich wendet. Die Phantasie, die sich im Symbolismus äußert, ist keine natürlich, sondern künstlich erregte, keine freie, sondern eine von Absichten gebundene. Das Gedankenhafte, das fälschlich Böcklin vorgeworfen worden ist, haftet diesen Bestrebungen in auffallender Weise an. Betrachten Sie solche Werke, so wird es Ihnen wie mir ergehen. Sie fragen sich: was meint der Maler eigentlich? Was will er? Was bedeuten diese Gestalten? Und wir würden diese Frage, welche die ästhetische Auffassung hindert, nie beantworten können, da alle Bestimmtheit und Deutlichkeit der Erscheinungen fehlt, und zudem der zu Grunde liegende Gedanke häufig der Klarheit ermangelt, gäben uns nicht Unterschriften einen Hinweis. Selbst dann aber, bei der gesuchten Fremdartigkeit der allegorischen Zeichen, bleibt es bei einem qualvollen Schwanken zwischen Grübeln und Anschauen. Häufig genug werden wir dieser Qual freilich ohne Weiteres überhoben, wenn nämlich das Unästhetische der Vorwürfe uns beim ersten Blick von der Betrachtung abschreckt. Auch der Symbolismus ist unkünstlerisch. Jedes bedeutende Kunstwerk wirkt symbolisch, aber sein Schöpfer geht nicht von der Absicht des Symbolischen aus.

Nicht minder gesucht aber ist auch die dekorativ stilisirende Richtung, die dem Gegenständlichen nach mit Vorliebe symbolisch ist. Auch hier wieder ein vom Verstand geleitetes Wollen. Im Gegensatz zu den formenverzehrenden Bacchanalien der Farbe soll durch Zeichnung strenge gesetzmäßige Zucht erneut zur Geltung gebracht werden, mit vorwiegender Betonung des flächenhaft Dekorativen, das sich aus dem Impressionismus von selbst ergab. Nicht aus natürlichen Bedingungen, sondern aus Spekulation hervorgegangen, wirkt diese steiflinige Stilisirung, die auf die primitivsten Kunsterscheinungen zurückgreift und dabei des modernen Raffinements sich nicht entäußern kann, ebenso erzwungen als befremdend, nicht wie ein feuriges Wort der Jugend, nein, wie die lehrhafte Deklamation alter, zur Phrase erstarrter Weisheit. Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit auch des willkürlichen Spieles mit den Schriftzeichen zu gedenken, welches hoch ausgebildete alte künstlerische Formen zerstört und an ihre Stelle unschöne und unleserliche Verzerrungen setzt. Halt man denn auch hierin, in diesen Rebusaufgaben, welche allem feineren Formengefühl und dem doch wohl nicht zweifelhaften Zwecke der Schrift Hohn sprechen, wie – ach! so häufig – in der literarischen Sprache, pretentiöse Undeutlichkeit für geistreich?

In den beiden erwähnten Richtungen der neuesten Kunst – mögen auch hier einzelne Leistungen der generellen Kennzeichnung entzogen bleiben – vermag ich für mein Theil nichts Lebens- und Entwicklungsfähiges zu erkennen.

Aber, werden Sie sagen, doch giebt es in Deutschland in unserer Zeit Künstler – und namentlich über einen erwarten wir noch von dir zu hören –, die hohe Beachtung und Werthschatzung verdienen! Gewiß, und nicht wenige, antworte ich. In größerem Maaße aber, als früher, sehe ich mich hier durch den Mangel an Zeit und durch den Charakter meiner Betrachtungen genöthigt, über dem Allgemeinen, um das es mir vor Allem zu thun war, das Einzelne in den Hintergrund treten zu lassen. Wenn ich gleichwohl einige Persönlichkeiten herausgreifend namhaft mache, so geschieht es wiederum nur im Hinblick auf die Probleme, die uns beschäftigt haben.

Die Durchdringung entlehnter französischer impressionistischer Kunst mit deutschen Elementen in ihren verschiedenen Wirkungen zu verfolgen, wäre eine für die Erkenntniß des Deutschen interessante Aufgabe. Man hatte hierbei seine Aufmerksamkeit vielleicht besonders auf Wilhelm Trübner und den Grafen Leopold von Kalckreuth zu richten, um zwei verschiedene derartige Äußerungen, bei dem Einen in dem energischen, ja rücksichtslosen Dringen auf das Charakteristische, bei dem Anderen in besonderen Stimmungselementen zu erkennen. Und man würde in Ludwig von Hofmanns Flucht aus der Realität in die reineren weichen Regionen einer träumerischen Existenz zarter Menschenwesen ein dichterisches Sehnen linden, dem eine festere Bestimmung um so mehr zu Theil zu werden scheint, je mehr es seines deutschen Ursprungs sich bewußt wird.

Andererseits fesseln alle die Bestrebungen, in sinniger, schlichter Wiedergabe der heimathlichen Natur sich unabhängig vom Fremden zu erweisen, wie sie bei Einzelnen und bei sich bildenden Gruppen von Malern, deren Viele Ruhe und Einsamkeit aufsuchen, immer mehr sich zeigen. Freudig ist das hierin sich äußernde Verlangen, entfernt von dem aufdringlichen Kunstgetriebe, sei es auf dem Lande, sei es in Städten sich ernstlich auf die wahren Aufgaben der Kunst zu besinnen und Kräfte für sie zu sammeln, zu begrüßen. Hier bieten sich die hoffnungsvollen Erscheinungen, von denen ich früher sprach, dem Blicke dar. Wie gerne verweilte ich bei ihnen – aber vielleicht ist der Augenblick, sie zusammenfassend betrachten zu können, noch nicht gekommen und nur der Wunsch einer zunehmenden Erstarkung aller dieser stillen und eifrigen Bemühungen vergönnt!

Aber der Meister, über den Sie noch ein Wort besonders hören wollten, ist Max Klinger. Ich bedaure, daß mir nicht mehr Zeit vergönnt ist, über diese höchst interessante Persönlichkeit, über das merkwürdige Problem seiner Kunst zu sprechen. Eine erstaunliche Begabung, eine große und nimmer ermüdende Arbeitskraft, ein Vorwartsschauen nach immer neuen Gestaltungsmöglichkeiten, ein überraschendes Ausnutzen derselben. Man pflegt seine Kunst meist in einem Athemzug mit derjenigen Böcklins und Thomas zu nennen – dies beruht auf einer oberflächlichen einseitigen Berücksichtigung der Phantasieelemente, die auch ihr eigenthümlich sind. Vielmehr zeigt sich eine Verschiedenheit von Grund aus. Verglichen mit der Unmittelbarkeit der Anschauung und Phantasiethätigkeit, der Naivetät jener Beiden, wirkt bei Klinger die Reflektion in hohem Grade. Sie beeinflußt seine Einbildungskraft nach der Seite des Gedanklichen. Die Beschäftigung mit der Radirung, die der Ausgangspunkt seiner künstlerischen Thätigkeit war, eröffnete diesem Hange zum Nachdenken Möglichkeiten, welche die Malerei nicht gewährt. Als der Künstler, unbefriedigt vom Graphischen, so ausdrucksfähig er es durch eine fein und reich ausgebildete Technik gemacht, zum Plastiker ward – denn die Malerei mußte der Skulptur den ersten Platz einräumen –, so entschied dabei wohl wesentlich das starke Verlangen nach unmittelbarer Formenwirkung. Aber die Reflektion ließ sich ihre einmal erworbenen Rechte nicht mehr nehmen und führt die Plastik auf seltsame Bahnen, die gleich weit von der strengen Stilbildung Hildebrands, wie von dem Impressionismus Rodins abführen. Auch in den formalen Erscheinungen unterscheidet sich Klinger durchaus von Böcklin und Thoma. Sehr verschiedenartige Elemente klingen in sein Naturstudium, wenn gleich diesem unterworfen, mit hinein: die Eindrücke, die er von Böcklin, vom französischen Naturalismus, von der Antike, vom Japanischen gehabt hat. Ein merkwürdiges und unzweifelhaft sehr fesselndes Schauspiel bietet sich dar: das Ringen nach der Aussöhnung der Phantasie, die auf das Allgemeine ausgeht, mit einer am Besonderen haftenden naturalistischen Anschauung. Der Naturalismus läßt der Phantasie nicht die volle, nothwendige Freiheit, ein allgemeines, typisch Menschliches zu schaffen: das Modellhafte verhindert die glaubwürdige Gestaltung der allgemeinen Idee, und andererseits wird die Phantasie, indem sie gegen die Wirklichkeit reagirt, aus den natürlichen Bahnen ihrer schöpferischen Kraft gedrängt und gelangt zum Gesuchten und Phantastischen. Der Widerspruch, dem die Reflektion zu begegnen sucht, ist ein unlösbarer, denn eben die Reflektion ruft ihn hervor, und die Stilbildung, so ausgeprägt persönlichen Charakter, ein so bewundernswerthes Können die Werke verrathen, scheitert. – Soviel in kurzen Worten, mit dem Bemerken, daß ich durch sie, durch die bloße Hindeutung auf das hier vorliegende Problem Klinger freilich nicht gerecht werden kann.

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Wir sind zum Schlusse gelangt. Alle unsere Erwägungen drängen zur Frage bin: worin und auf welchem Wege liegt das Heil der Zukunft deutscher Malerei? Denn trotz aller unerbittlichen Aufdeckung der ungünstigen Bedingungen, welche der Entwicklung der bildenden Kunst im XIX. Jahrhundert hinderlich waren, und so sorgenvoll wir alle die unverkennbaren, dem Idealen feindlichen Erscheinungen, welche unsere Kultur bedrohen, gewahren – wer sagt uns, daß noch vorhandene ächte Kraft, wachsendes geistiges Bedürfniß aller edlen unbefriedigten Seelen nicht neue Bedingungen schafft? Daß nicht innere Noth wieder ihr großes Werk ideeller Gemeinsamkeit in Ideen, die wir im tiefsten Sinne religiöse nennen dürfen, schafft? Zeigt sich die Nothwendigkeit solcher Ideen nicht mit jedem Tage deutlicher, angesichts des rücksichtslosen Vorwärtsschreitens egoistischer Sonderinteressen und sozialer Kampfe, die auf bloß materiellem Gebiete niemals zu einem heilvollen Ausgang gebracht werden können? Und, wenn solche Ideen rettend, versöhnend und verbindend aus dem Dunkel der Seelen, in das kein Auge hinabschaut, sich erheben, kann dann und wird dann nicht die Kunst aus ihrem Spiele mit sich selbst zu höchsten Aufgaben emporgezogen werden? Wir hoffen – wir wissen aber auch, daß nur aus der Innerlichkeit die Kraft zu gewinnen ist.

Und wie dürfen wir uns den Weg, den jeder für das Ganze der Kultur mitwirkende deutsche Maler beschreiten müßte, denken? Wenn wir so Vieles in der modernen Kunst als irrig und irreführend, wenn wir als die originellsten und größten Schöpfer Böcklin und Thoma betrachten mußten – muß nun die Parole heißen: Nachahmung der Werke dieser beiden Meister? Als sollte ein Jeder Phantasiedarstellungen, wie sie, schaffen, mit ihren Farben und Formen! O nein, keine Nachahmung! Aber ein Gestalten in solchem Geiste, und zwar ganz besonders in dem Thomas. Weßhalb gerade in dem seinigen, brauche ich kaum mehr zu sagen. Seine Kunst ist die Befreierin von allem Verstandeszwange, von allem Gesuchten und Künstlichen, welches das ächte schöpferische Gefühl zu ersticken droht. Sie sagt in ihrer Schlichtheit und in ihrem Reichthum: weg mit allem Impressionismus und Symbolismus und Stilismus, mit allen Theorieen und Prinzipien, wie sie sich auch benennen mögen! Weg mit allen Schlagworten, selbst so gut gemeinten, wie Heimathskunst! Weg mit dem Suchen nach Neuem, Auffallendem, das schließlich dazu führt, Ja statt Nein und Nein statt Ja zu sagen! Los von der Sklaverei der Meinungen Anderer – ach! dürfte man rufen: los von den großen Ausstellungen, könnte man sagen: überhaupt keine solche Schaubietungen mehr, auf denen alles Schlechte sich vordrängt, alles Gute leidet! Zurück zur unvoreingenommenen, liebend hingebenden Betrachtung der Natur, zur innigen Werthschätzung aller ihrer Einzelerscheinungen, zum Nachfühlen der in ihr waltenden Kräfte! Sagt sie doch Jedem etwas Neues, der in Einfalt ihr lauscht. Zurück zur fleißigen Bemühung um sorgfaltig ausführende Technik, zu gewissenhaften zeichnerischen Studien nach der Natur! Hinweg von der Buhlerei mit lasziven Vorstellungen, von der brutalen Anmaßung cynischer Skepsis! Zurück zu der zarten Scheu sittlichen Empfindens, zu der reinen keuschen Sinnlichkeit, welche der Quell aller künstlerischen Inspiration! Ein Jeder vertraue in Liebe zur Natur und in Verehrung des Göttlichen sich selbst. Und Freiheit dann auf solchen Grundlagen dem dichterischen Walten der Phantasie!

Hierauf, auf das Werden dieser Zukunft, auf die Ermunterung aller in solchem wahren Sinne jugendlichen Bestrebungen hielten wir bei diesen Betrachtungen schließlich immer den Blick gerichtet. Wir wollten Klarheit, wollten einen sicheren Standpunkt für die Beurtheilung der Kunst gewinnen – der Kunst, denn schließlich gelten alle diese Erwägungen zugleich den anderen künstlerischen Erscheinungen unserer Zeit in der Architektur und Plastik – und in manchem Sinne auch denen der Dichtkunst und Musik.

Nun sind die Worte, die ich gesprochen habe, über den Hörerkreis in diesem Saale hinausgedrungen in die weitere Öffentlichkeit und haben gereizte Entgegnungen erfahren. Diese zeigen, daß Eines, was ich gewollt, erreicht wurde: die Erkenntniß, daß es sich bei dem Kampfe, der entstanden ist, im letzten Grunde um die Gegensätze zweier Weltanschauungen handelt. Aber freilich nicht in dem Sinne, wie es Meier-Graefe in einem letzten Angriffe auf mich formulirt hat, als stünde auf der einen Seite, auf der meinen, der Glaube an die Unterscheidung des Menschlichen nach Religionen, und auf der anderen, der meiner Gegner, die Aufklärung, die uns seit einigen hundert Jahren die Früchte der Kultur beschert. O nein! Diese Weltanschauungen sind mit zwei anderen kurzen Worten zu bezeichnen: die eine ist die idealistische, die andere die realistische. Der Grund und Boden, auf dem wir in diesen Vorlesungen standen, war der des Idealismus! Dieser aber, können wir getrost behaupten, ist von jeher die künstlerische Weltanschauung gewesen, und, dürfen wir hinzufügen, auch die ganz besondere deutsche. Ihr verdankt Deutschland seine geistige Größe. Ihre höchsten ästhetischen Verkündiger: Lessing, Herder, Schiller, Goethe und Richard Wagner, Kant und Schopenhauer waren es daher auch, die bei diesen Untersuchungen über die Kunst als Führer und Helfer uns zur Seite standen. Mit ihnen sagen wir im Gegensatz zu dem Formalismus der Realisten, daß Kunst Ausdruck von Ideen und die Naturnachbildung nur Mittel zum Zweck ist. Unser Bekenntniß kurz zusammenzufassen, giebt es immer wieder nur das eine ewige und in die Ewigkeit führende Wort:

Alles Vergängliche ist nur ein Gleichniß.