09 Erinnerungen an K.Steffeck

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09 Erinnerungen an K.Steffeck

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Erinnerungen an Karl Steffeck

»Kunst und Künstler«, 1908

Ich kam als Sekundaner zu Steffeck, 1863 oder 64, um Mittwoch und Sonnabend Nachmittags bei ihm zu zeichnen. Nachdem ich 1866 das Abiturientenexamen gemacht hatte, trat ich in sein Schüleratelier ein, um Maler zu werden. Möglich also, daß mir Steffecks Bild als zu »verklärt« in der Erinnerung geblieben ist, im Lichte der goldenen Jugendzeit. Steffeck erscheint mir wie »der große Künstler« in Romanen: schön, geistreich, witzig, unter dessen Pinsel mühe- und sorglos, bei anmutigem Getändel mit schönen Damen und klugen Reden mit vornehmen Herren, Meisterwerke entstehen.

Steffeck bewohnte in seinem Hause Hollmannstraße 17 – er war aus begüterter Familie – das Erdgeschoß: in den anstoßenden Garten hatte er zwei Ateliers bauen lassen, für sich und seine Schüler. Die Hochschule für bildende Kunst, die damals Akademie hieß, war sehr versumpft und erfreute sich keines besonderen Renomées. Desto mehr Zuspruch hatte Steffeck, dessen Schule nach Pariser Vorbild – dem einzig nachahmenswerten – eingerichtet war: Vormittags von 9–1 Uhr wurde nach dem lebenden Modell gearbeitet, nachmittags nach Gips gezeichnet und abends von 6–8 Uhr war Aktsaal, wo neben uns angehenden Malern Architekten wie Kayser und von Großheim, Kunsthistoriker wie Wilhelm Bode die menschliche Figur studierten. Oft zeichnete Steffeck selbst mit, und es war eine Freude zu sehen, mit welcher Sicherheit und Leichtigkeit er das Modell hinunterfegte, fast ohne den Bleistift abzusetzen. Korrekturen gab's bei ihm nicht wie bei seinem Meister Gottfried Schadow, von dem Steffeck oft die niedliche Geschichte erzählte, daß, als sein Sohn Wilhelm, der spätere Akademiedirektor in Düsseldorf, ihn um einen Groschen für Gummi gebeten, ihn gefragt hätte, wozu er Gummi gebrauchte, er, Gottfried Schadow, mache keinen falschen Strich, den er wegzuwischen hätte.

Nach seinem allmorgendlichen Spazierritt, so gegen 10 Uhr, kam Steffeck ins Schüleratelier, gewöhnlich noch in Reithosen und mit Sporen an den Stiefeln; im Munde die Zigarre, die er in einem fort ausgehen ließ, um sie ebenso oft wieder in Brand zu stecken. Er interessierte sich nur für die Arbeiten, in denen er etwas in der Natur Beobachtetes wiedergegeben fand. Routine und Chick waren ihm ein Greuel, ebenso wie die gewerbsmäßige Kalligraphie, wie sie damals auf den Akademien gelehrt wurde. Überhaupt wurde er nicht müde, vor diesen Pflanzstätten des Künstlerproletariats zu warnen: »Entweder hat Einer genügend Talent, dann braucht er den akademischen Unterricht nicht, oder er hat nicht genügend Talent, dann nützt er ihm nichts.« Richtig zeichnen lernen, das Übrige war ihm Hekuba.

»Zeichnet, was Ihr seht,« war seine immer wiederholte und beinahe einzige Lehre. Mit sonstiger Ästhetik behelligte er uns nicht, denn er wußte, daß alles Lernen in der Kunst in nichts anderem bestehen kann, als die Form zu finden, das Gesehene wiederzugeben.

Daher hatte er nur Schüler, die ihn grenzenlos verehrten, oder solche, die ihn ebenso grenzenlos haßten und – bald weiterzogen, besonders nach München, wo Piloty den Nürnberger Trichter zu haben schien, das heißt, in ein paar Monaten hatten ihm seine Schüler, die vornehmlich Polen, Tiroler, Böhmen waren, sämtliche Mal-Tricks und Schlenker abgeguckt und nacheinander gab's eine berühmte tiroler, eine polnische und böhmische Malergeneration. Neben dem vielen G'schnaß und dem talentvollen Kitsch trat damals gerade ein wirkliches Genie wie Makart auf, und ich erinnere mich noch des beispiellosen Erfolges seiner Pest von Florenz. Steffeck sagte von dem Bilde; es ist schlecht gezeichnet und mit Hurensalbe lasiert. Und wenn er das Wort nicht erfunden hatte, so hätte er's jedenfalls erfunden haben können.

Er war ein zu getreuer Schüler Schadows und seines vergötterten Lehrers Franz Krüger, dazu Berliner bis auf die Knochen, um sich irgendwelcher Gefühlsduselei in Form oder Farbe hinzugeben. Für das französische Blut in ihm – er gehörte zur Kolonie – war nur der Gedanke, der klar ausgedrückt war, klar gedacht. Auf Klarheit und Richtigkeit war sein Streben in der Kunst gerichtet, wobei er leider, ohne es zu merken, in allzu große Nüchternheit und Trockenheit verfiel. Die Franzosen schienen ihm seinem Kunstideale am nächsten zu kommen: er hatte ein paar Jahre in Paris studiert, er sprach glänzend französisch und wurde nicht müde, Paris als das Dorado der Kunst uns zu schildern. Seit Napoleon III. herrschte Couture als französischer Malerkaiser und jeder Maler, der sich einigermaßen respektierte, suchte sich dessen Rezept für die alleinseligmachende Malerei zu verschaffen. Der alte Ravené hatte den berühmten Edelknaben von Couture für seine Galerie erworben und es ist wohl nicht zu viel gesagt, wenn ich behaupte, daß er bis zum französischen Krieg als schönstes Stück Malerei bei uns angesehen wurde.

Auch Steffeck lehrte nach Coutures Methode; die Zeichnung wurde zuerst mit einem dünnen Umbraton angetuscht, dann wurden die Lokaltöne in die braune Untermalung hineingesetzt, die Schatten blieben womöglich von der Untermalung, jedenfalls ganz dünn und transparent, stehen und zum Schluß wurden ein paar pastose Glanzlichter aufgesetzt. Neben der Korrektheit der Zeichnung handelte es sich für Steffeck um Eleganz des Vortrages. Wo diese beiden Eigenschatten einem höheren, gesteigerten Leben geopfert waren, wie bei Menzel, war's aus mit seiner Anerkennung. Überhaupt hatte er eine ausgesprochene Abneigung gegen Menzel, vor dessen »Karrikaturen« er uns eindringlich warnte.

Freilich stand Steffeck damals mit dieser seiner Abneigung gegen Menzel durchaus nicht vereinzelt da. Dieser war noch der Apostel des Häßlichen, wie ihn W. von Kaulbach genannt hatte und noch längst nicht der »Altmeister mit dem Schwarzen Adlerorden.«

Man weiß, wie Schadow über Menzels erste Illustrationen zu Kuglers Friedrich dem Großen in der Haude und Spenerschen Zeitung geurteilt hatte: »Die Kritzeleien oder Griffonagen eines gewissen Menzel seien des großen Königs unwürdig«, und noch 1861 erwähnt Wagen, in seinem Katalog zu der Wagnerschen Sammlung, Menzels, von dem kein Bild in der Sammlung war, überhaupt nicht. Bis vor dem französischen Kriege waren neben Steffeck der alte Eduard Meyerheim, Gustav Richter, Eduard Hildebrandt und Carl Becker viel berühmter als Menzel, und Steffecks Urteil über ihn erhellt aus folgender Geschichte, die mir mein damaliger Meister öfters als einmal erzählte (denn er war sehr stolz darauf). Menzels Krönungsbild war gerade ausgestellt und war sehr abfällig beurteilt, besonders von Steffeck. Menzel, dem das zu Ohren gekommen sein mochte, hatte sich an Steffeck brieflich mit der Bitte gewandt, wenigstens vor dem Publikum sein ungünstiges Urteil über das Bild etwas zurückzuhalten, worauf ihm Steffeck geschrieben, daß er sich der größten Mäßigung befleißigt hätte, sonst hätte er erklärt, daß das Krönungsbild aussähe, als ob vierzehn Tage – S...-dreck darauf geregnet hätte. Menzels Genie war seiner Zeit um eine Generation voraus, deshalb war unserem Meister, der trotz seines Talentes ganz in seiner Zeit steckte, Menzel zuwider, wie diesem dreißig Jahre später etwa die Impressionisten zuwider waren.

Steffeck war Vater von vierzehn Kindern und während der zweieinhalb Jahre, die ich sein Schüler war, hatte ihm seine Gattin drei Zwillingspaare hintereinander »geschenkt«; trotzdem glaube ich nicht, daß die Sorge um seine große Familie ihn – wie er oft im Mißmut behauptete – an der vollen Entfaltung seines Talentes gehindert hat. Sein kolossales Jugendwerk »Albrecht Achill«, das er als Dreißigjähriger gemalt, hatte sein Renommée gegründet; zwanzig Jahre später malte er das fast ebenso große Bild, das jetzt im Schlosse hängt: »König Wilhelm nach der Schlacht von Königgrätz«, leider ohne den erhofften Erfolg. Das große Format läßt die Fehler oder richtiger das Fehlende in Steffecks Talent natürlich vergrößert erscheinen. Ihm fehlte die innere Leidenschaft, der Kampf und das Ringen nach dem Höchsten, die Konzentration, vor allem aber der künstlerische Egoismus, der alles seinem Werke opfert. Weil sein Werk ihn nicht mit sich fortreißt, reißt er auch uns nicht mit sich, wie zum Beispiel Schmitson, der grade damals, Anfang der sechziger Jahre, Berlin enthusiasmierte.

Besser als in den großen Maschinen, wie »Albrecht Achill« oder »Die Schlacht von Königgrätz«, erscheint daher Steffecks Talent in den unzähligen Pferde- und Hundebildern kleineren Formats; am schönsten aber in seinen Pferde- und Reiterporträts, die er zu sechs Friedrichsd'or das Stück und gewöhnlich à la prima in einer Sitzung heruntermalte – auch darin, daß er nur prima malte, zeigte sich sein gesunder Instinkt – und die die glücklichen Besitzer oft noch naß mit nach Hause nehmen konnten. Außer Franz Krüger verstand wohl Keiner ein Pferd so gut wie Steffeck. Bevor er den Gaul malte, ließ er ihn sich in dem kleinen Garten hinter seinem Atelier vorreiten – ach! wie oft und wie gern habe ich's getan –, um seine Gangart kennen zu lernen. Mit wunderbarer Sicherheit und mit photographischer Treue wußte er sie nachher wiederzugeben. Er hatte eine Steeplechase gemalt, wie ein Gaul, alle vier Beine unterm Leib, über eine Hürde setzte, und die Kritik hatte ihn wegen der allerdings höchst ungewöhnlichen und gewagten Stellung der vier Pferdebeine als unmöglich in der Natur heftig angegriffen. Eines Tages zeigte er uns triumphierend eine Momentphotographie, die inzwischen erfunden war und woraus deutlich hervorging, daß er ganz richtig die Stellung der Pferdebeine wiedergegeben hatte. Und nur Jemand, der sich mit ähnlichen Problemen beschäftigt hat, weiß, was es heißt, derartige Bewegungen zu beobachten und richtig wiederzugeben. Sein Sinn für Zeichnung war eminent: wie jedes wahrhaft künstlerische Zeichnen, beruhte es auf dem Gefühl für richtig und groß gesehene Verhältnisse. Ich entsinne mich noch eines seiner Skizzenbücher mit Studien zu einer Parforcejagd, die er für den Großherzog von Mecklenburg malen sollte; oft nur Andeutungen, der Kopf in Form eines Ovals und mit ein paar Strichen für Augen, Nase und Mund, aber die Proportionen waren so richtig, daß man aus den wenigen Strichen die dargestellten Personen erkennen konnte.

Doch, wie gesagt, Steffeck war nicht nur Berufsmensch und Familienvater; er war auch Genußmensch. Er interessierte sich für alles, für Politik, für alles, was in der Welt, das heißt in Berlin, passierte. Er saß in unzähligen Kommissionen und er war wohl durch zwanzig Jahre Präsident des Vereins Berliner Künstler. Nicht nur Präsident, sondern dessen Seele: er hatte es verstanden, durch Heranziehen von führenden Männern aus andern Berufen, aus dem Verein den geselligen Mittelpunkt Berlins zu machen. Ich glaube, daß er Präsident des Vereins blieb bis zu seinem Weggange nach Königsberg, wo er Direktor der dortigen Akademie wurde. Jetzt ist aus dem Verein, der ursprünglich nur gesellige und wohltätige Zwecke verfolgte, weder zu seinem Vorteile, noch zu dem seiner Mitglieder ein kunstpolitischer geworden: nachdem er die Mitwirkung an den großen Kunstausstellungen erlangt hat, wird er versuchen, auch Juryfreiheit für die Mitglieder des Vereins herauszuschlagen. Und es liegt auf der Hand, daß dadurch das Niveau der Kunst in Berlin unendlich leiden muß.

Ich sah Steffeck zum letzten Male im Jahre 1886, als er von Königsberg auf der Durchreise nach Karlsbad, sich ein paar Tage hier aufhielt, er war ein Greis geworden, der, von Rheumatismus geplagt, sich nur mühsam, auf den Stock sich stützend, fortbewegen konnte und wenige Jahre darauf, 1890, ist er gestorben.

Es wäre lächerlich, von Steffeck in Superlativen zu reden: er selbst – denn er war wie Th. Fontane, mit dem er auch sonst manche Ähnlichkeit hat, ein Cyniker, und zwar von der Sorte, der sentimentale Phrasen und feierliche Redensarten am ekelhaftesten sind – würde am lautesten darüber lachen. Aber er war ein ganzer Mensch und ein echter Künstler, der sein Handwerk ehrte und darum sollte auch ihn das Handwerk ehren.

Seine Kunst und sein Leben waren ausgeglichen und in Harmonie, daher die Liebenswürdigkeit, die beides umstrahlt.

Ich aber wollte der Liebe und Verehrung, die ich ihm übers Grab hinaus bewahrt habe und bewahren werde, Ausdruck geben: Nehmt alles nur zusammen, Steffeck war ein famoser Kerl.