08 Grabrede W.Leistikow

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08 Grabrede W.Leistikow

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Grabrede für Walter Leistikow

1908

Seit dem unheilvollen Augenblicke, da mir der Telegraph an das Gestade der Nordsee die erschütternde Kunde vom Tode Leistikow's überbrachte, will es mir unfaßbar erscheinen, daß ich unseren Freund nicht wiedersehen soll: Hatte ich doch kurz vor meiner Abreise den Mann, dessen Bahre wir heute trauernd umstehen, rüstiger und wohlgemuter als seit langem bei der Arbeit angetroffen.

Freilich wußten wir Leistikow von schwerer Krankheit heimgesucht, aber in seiner Gegenwart vergaß man aller Sorgen um seine Gesundheit: die Werke, die eben erst unter seinem Pinsel hervorgegangen waren, zeugten von so viel Frische der Auffassung, von so gesunder Lebensfreude, waren mit solch kühner und temperamentvoller Faust herunter gemalt, daß man vergaß, einem totkranken Manne gegenüber zu stehn. Und unter der Freude, mit der er dem Beschauer seine jüngst entstandenen Werke zeigte, schien er selbst seiner Krankheit zu vergessen: konnten die Arzte sich nicht geirrt haben? Oder konnte nicht wenigstens die Meinung derer Recht behalten, welche ihm noch eine lange Reihe von Jahren ungetrübten Schaffens versprach?

Leider hatten wir uns in falscher Hoffnung – und wie gern glaubt man, was man wünscht – gewiegt. Inmitten auf seinem Lebenswege ist Walter Leistikow uns entrissen und die Klagen an seiner Bahre finden keinen Trost in dem Gedanken, daß er an dem Ziele, das jedem Menschen gesetzt ist, angelangt wäre.

Aber trotz des jugendlichen Alters, in dem er uns genommen, hat er seine Aufgabe vollendet: er hat sich ausgelebt.

Ein jugendlicher Held hat er in siegreichem Ansturm die Schwierigkeiten der Künstlerlaufbahn in einem Alter, in dem andere noch mühsam ihren Weg suchen müssen, überwunden.

Als hätte die Natur gewußt, daß Leistikow in jungen Jahren sterben müsse, hat sie all' ihre Gaben frühzeitig in ihm zur Reite gebracht und nur so können wir die Fülle seiner Produktion, die selbst für ein langes Leben noch reich erscheint, verstehn. Noch auf der Hochschule zeigen seine Arbeiten die ausgeschriebene Handschrift des Meisters und ohne Wanken und ohne Schwanken instinktiv geht er den richtigen Weg, der ihn zur Originalität führen sollte. Er sucht nicht weit ab oder in fremden Ländern seine Motive, sondern er malt, was er sieht: fast vor den Toren Berlins findet er die Sujets für die Werke, welche seinen Namen in der Geschichte der deutschen Landschaftsmalerei unsterblich machen werden.

Die Wahl der Motive bedingt die Popularität eines Künstlers, aber erst ihre Behandlung und ihre geistige Auffassung bedingt die Größe des Künstlers.

Noch ein halber Jüngling ist Leistikow bereits einer der populärsten Maler Berlins geworden, aber der schnell erworbene Ruhm verleitet ihn nicht – wie's so oft geschieht – zu leichtsinnigem Ausbeuten seines Renommees, sondern wir haben in Leistikow's Entwicklung das so seltene Beispiel eines stetigen Anstiegs, eines inneren Ringens, seinem Ideale näher zu kommen. Und worin kann das Ideal eines Künstlers liegen als in dem jedesmal erneuten Versuch, dem Gebilde seiner Phantasie plastischen Ausdruck zu verleihen, dem, was er in der Natur gesehn oder zu sehn vermeint, innres Leben zu geben?

Natürlich ist auch Leistikow nicht als fertiger Künstler vom Himmel gefallen: die Ideen seiner Zeit sind nicht ohne Einfluß auf ihn geblieben. In die Zeit seines Auftretens fiel jene Rückkehr zur Romantik, die als Reaktion auf die vorhergehende Epoche des Naturalismus zu betrachten ist. Aber es ist der stärkste Beweis für das Talent unsres Meisters, daß er jene Elemente eines mehr dekorativen Stils in sich aufnahm, sie in sich verarbeitete, ohne ihnen zu unterliegen. Aus dem dekorativen Stil der Andern wurde sein eigner Stil.

Es ist Leistikow's unvergängliches Verdienst – und es wird es bleiben – den Stil gefunden zu haben für die Darstellung der melancholischen Reize der Umgegend Berlins.

Die Seen des Grunewalds oder an der Oberspree sehen wir mit seinen Augen; er hat uns ihre Schönheiten sehn gelehrt.

Nicht nur die wenigen Bevorzugten, denen es vergönnt ist, sich mit Leistikow's Bildern zu umgeben: wer von der Woche harter Arbeit und schwerer Mühe Sonntags vor den Toren Berlins Erholung sucht, sieht Leistikow's. –

Ein Künstler, dem gelungen, daß wir die Natur mit seinen Augen sehn, hat sich ausgelebt. Er hat sein Ideal erreicht: uns zu überzeugen.

Deshalb dürfen wir nicht klagen, daß er dafür hingegangen; aber wir dürfen klagen, daß er uns entrissen: unser Leistikow in seiner sieghaften Jugendfrische, in seiner bezaubernden Liebenswürdigkeit.

Klugheit und Gemüt paarten sich in ihm und bewirkten das seltene Phänomen, daß er nur Freunde hatte: was um so wundersamer, als er nicht etwa ein Mann der geschmeidigen Höflichkeit war, sondern ein Mann, der rücksichtslos sagte, was er dachte, der auch nicht um Haaresbreite von seiner Überzeugung abwich, keinem zu Liebe, aber auch keinem zu Leide. Aber die Güte und die Wärme seines Herzens nahmen seinem oft scharf und rücksichtslos ausgesprochenen Worte den Stachel der Beleidigung. Und auch der Gegner beugte sich seiner ehrlichen Überzeugung.

In unsrer Zeit des Strebertums und des krassen Egoismus verdient es besonders hervorgehoben zu werden, daß Leistikow aus persönlichem Vorteil oder zur Befriedigung seiner Eitelkeit auch nie den kleinsten Schritt abwich von der Bahn, die er als die richtige erkannt hatte. Er widerstand – doppelt schön bei einem kranken Manne, der, ganz allein auf sich angewiesen für sich und die Seinen zu sorgen hatte – allen Versuchungen auf pekuniären Gewinn oder auf äußere Ehren: in seiner Kunst wie in seinem Leben ließ er sich von keinem Menschen, auch von dem Höchststehenden nicht, Gesetze vorschreiben: das einzige Gesetz war ihm sein Gewissen.

In den zehn Jahren, die ich Schulter an Schulter mit ihm im Vorstande der Berliner Sezession gekämpft, habe ich die Lauterkeit seines Charakters bewundern gelernt. Er lebte des Glaubens, daß Recht auch Recht bleiben müsse, und kein Mißerfolg, keine hämische Anfeindung, keine scheinbar unüberwindliche Schwierigkeit konnten ihn in diesem schönen naiven Kindlichkeitsglauben erschüttern.

Leistikow war nicht nur der Vater der Berliner Sezession: er war und blieb ihre treibende Kraft. Lauter und vernehmlicher als alles, was ich für die Vornehmheit seiner Gesinnung, für seinen uneigennützigen Charakter sagen könnte, spricht für Leistikow's Wesenheit die Gründung der Berliner Sezession, die ohne seinen jugendlichen Idealismus undenkbar ist. Dieser immer seltener werdende Idealismus war der Grundzug seines Charakters und er blieb ihm treu fast bis zu seinem letzten Athemzuge.

Noch vor kaum 6 Wochen, in der letzten Vorstandssitzung, der er beiwohnen sollte, erglühte er in edler Begeisterung für die Jugend und mit vor Zorn bebender Stimme sprach der sieche Meister für das unbeschränkte Recht der Jugend sich auszuleben und für die Pflicht der Berliner Sezession, sie vor akademischen Vergewaltigungsversuchen zu schützen.

Und der todkranke Mann erschien uns wie ein Ritter Georg.

Er hinterläßt uns den blanken und fleckenlosen Schild seiner Überzeugung als heiligstes Vermächtnis. Wenn je das Wort von dem unersetzlichen Verlust eines Menschen zur Wahrheit geworden, so hier: seine Stelle wird verwaist bleiben. Seiner Künstlerschaft verdankt er die Autorität, die er unter seinen Kollegen genoß, aber seinem heldenhaften Charakter, seiner wahren Güte verdankte er die Liebe und Verehrung, mit der wir ihm anhingen.

Ideal eines aufrechten Mannes! Edel, hilfreich und gut: die Fackel deines Genius leuchte uns in die dunkle Zukunft, die uns ohne dich freud- und hoffnungslos erscheint. Aber der hehren Träne, die unsrem Auge entquillt, geselle sich die Freudenträne über den seltenen Mann, den wir unsren Freund nennen durften. »Er war unser.«

Wie ein jugendlicher Held, als der er gelebt und gewirkt, ist er gestorben. Von der Steile aus, wo er gekämpft und gesiegt, wollen wir ihn zur letzten Ruhestätte begleiten.

Das Los, welches Goethe seinem Peliden gönnte, ist im zuteil geworden. Ihm, der so viel gelitten, ersparten gütige Götter wenigstens den Verfall des Alters und ihm wurde zuteil, was Goethe seinem Peliden gönnte:

»Der Jüngling fallend erregt unendliche Sehnsucht allen Künftigen auf, und Jedem stirbt er aufs Neue, der die rühmliche Tat mit rühmlichen Taten gekrönt wünscht.«