21 Signorelli

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Luca Signorelli

Geboren um 1441 in Cortona, gestorben am 16. Oktober 1523 daselbst.

Luca Signorelli, [Fußnote] ein vortrefflicher Maler, war zu seiner Zeit in Italien so sehr berühmt und seine Arbeiten wurden so hoch bewertet, wie dies bei keinem anderen Meister in irgendeiner Periode der Fall gewesen. Denn er zeigte in seinen Werken, wie man nackte Gestalten darstellen müsse und wie man es besonders mit Kunst und Schwierigkeiten dahin bringen könne, daß sie gleich Lebenden erscheinen. Als Zögling und Schüler von Piero aus Borgo San Sepolcro [Fußnote] strengte er sich in seiner Jugend sehr an, diesen Meister nachzuahmen und sogar zu übertreffen. Er arbeitete mit ihm in Arezzo, wo er in das Haus seines Oheims Lazzaro Vasari aufgenommen worden war, und ahmte Pieros Manier so nach, daß man ihre Werke fast nicht unterscheiden konnte. Luca machte seine ersten Arbeiten in San Lorenzo in Arezzo, wo er die Kapelle der heiligen Barbara mit Freskobildern verzierte. Für die Bruderschaft der heiligen Katharina malte er auf Leinwand in Öl die Fahne, die bei Prozessionen umhergetragen wird. In der Kirche San Francesco verfertigte er im Auftrag des Francesco Accolti, Doktors der Rechte, eine Tafel für die Familienkapelle und porträtierte ihn mit einigen seiner Verwandten. Dieses Werk zeigt einen bewundernswert schönen Sankt Michael, der die Seelen der Toten wägt. In ihm erkennt man das Verständnis und Wissen Lucas an dem strahlenden Glanz der Rüstung, an den Reflexlichtern und überhaupt am ganzen Werk. In Perugia befinden sich viele Arbeiten von ihm, unter anderem im Dom ein Bild, das er im Auftrag des Bischofs Jacopo Vannucci von Cortona fertigte. Er stellte darin die Madonna mit Heiligen dar und einen sehr schönen Engel, der die Laute stimmt. [Fußnote] Zu Monte Santa Maria malte er eine Tafel mit dem toten Heiland, in San Francesco zu Città di Castello eine Geburt Christi [Fußnote] und auf einer anderen Tafel in San Domenico den heiligen Sebastian. [Fußnote] In Santa Margherita, in seiner Vaterstadt Cortona, schuf er für die Barfüßermönche einen toten Christus, eins seiner besten Werke. [Fußnote] Drei Tafeln verfertigte er in derselben Stadt für die Gesellschaft Jesu, von denen das Gemälde für den Hauptaltar bewundernswert ist: Christus reicht den Jüngern das Abendmahl, und Judas steckt die Hostie in den Geldbeutel. [Fußnote] In der Pfarrkirche, die jetzt bischöfliche Kirche ist, malte er in Fresko für die Sakramentskapelle mehrere Propheten in natürlicher Größe. Um das Tabernakel schweben einige Engel, die ein Zelt öffnen, zu Seiten der Heiligen Hieronymus und Thomas von Aquino. Für den Hauptaltar jener Kirche stellte er auf einer Tafel eine sehr schöne Himmelfahrt der Maria dar und zeichnete die Kartons zu den Malereien des Hauptrundfensters der Kirche. In Castiglione Aretino malte er über der Kapelle des Sakraments einen toten Christus mit den Marien, [Fußnote] und in Sant' Agostino zu Siena verfertigte er für die Kapelle des heiligen Christophorus ein Bild mit einigen Heiligen, in deren Mitte Sankt Christophorus in Relief gearbeitet ist. [Fußnote]

Von Siena ging Luca nach Florenz, um die Werke längst verstorbener wie auch lebender Meister zu sehen. Dort malte er auf Leinwand für Lorenzo de' Medici einige nackte Göttergestalten, die man sehr rühmte, [Fußnote] und ein Bild der Madonna mit zwei kleinen Propheten, in Grundierungsfarbe ausgeführt. [Fußnote] Beide Werke schenkte er dem Lorenzo, der sich von keinem je an Freigebigkeit und Großmut übertreffen ließ. In der Kirche der Madonna von Orvieto, der Hauptkirche jener Stadt, vollendete er eine Kapelle, die früher von Fra Giovanni da Fiesole angefangen worden war; er malte dort das Weltgericht mit seltsamer und wunderlicher Phantasie: Engel und Teufelsgestalten, Zerstörung, Erdbeben, Feuer, Wunder des Antichrist und viele andere ähnliche Dinge, darin nackte Gestalten, Verkürzungen und eine Menge schöner Figuren, indem er sich die Schrecknisse vorstellte, die an diesem angstvollen Tage herrschen werden. [Fußnote] Hierdurch stärkte er den Mut aller, die nach ihm kamen, so daß die Schwierigkeiten dieser Darstellungsweise ihnen leicht wurden. Deshalb wundere ich mich nicht, daß Michelangelo die Werke von Luca immerdar aufs höchste pries, noch daß er bei seinem göttlichen Weltgericht in der Sixtinischen Kapelle die Erfindungen dieses Meisters zum Teil fleißig benutzte, bei den Engeln und Dämonen, der Einteilung der Himmel und anderen ähnlichen Dingen, wie jeder sehr wohl sehen kann. Luca stellte in diesem Werke viele seiner Freunde und sich selbst dar. In der Sakristei von Santa Maria zu Loreto malte er in Fresko die sehr schönen Evangelisten, die vier Kirchenväter und andere Heilige im Auftrag von Papst Sixtus, der ihn freigebig dafür belohnte. [Fußnote]

Man erzählt, daß Luca, als ihm in Cortona ein Sohn getötet wurde, der schönen Angesichts und Körpers war und den er sehr liebte, in seiner tiefen Betrübnis ihn entkleiden ließ und mit größter Seelenstärke, ohne eine Träne zu vergießen, abmalte, damit er, so oft er wolle, durch seiner eigenen Hände Arbeit das schauen könne, was die Natur ihm gegeben, ein feindliches Schicksal aber geraubt hatte.

Luca wurde von dem genannten Papst Sixtus nach Rom berufen, um im Wettbewerb mit vielen anderen Malern in der Kapelle des Palastes zu arbeiten. Er führte dort zwei Bilder aus, die unter den vielen als die besten anerkannt sind. Das eine ist das Testament des Moses an die Hebräer, als er das Land der Verheißung gesehen hat, das zweite sein Tod. [Fußnote]

Nachdem Luca für fast alle Fürsten Italiens Werke geschaffen hatte und schon sehr alt war, kehrte er nach Cortona zurück. Dort arbeitete er in seinen letzten Jahren mehr um des Vergnügens willen, als sonst aus einem Grunde, wie einer, der, an Mühen gewöhnt, nicht untätig bleiben konnte noch wollte. In jener Zeit malte er eine Tafel für die Nonnen von Santa Margherita in Arezzo und eine für die Bruderschaft des heiligen Hieronymus. Dieses Werk trugen die Mitglieder dieser Bruderschaft auf den Schultern von Cortona nach Arezzo, und Luca, obgleich hoch an Jahren, wollte noch selbst nach jener Stadt gehen, damit er es an seinem Platz aufstelle und wohl auch, damit er seine Freunde und Verwandten wiedersehe.

Er wohnte in Arezzo im Hause der Vasari, wo ich als Kind von acht Jahren war, und ich entsinne mich sehr wohl des guten Alten. Der Lehrer, der mich in den ersten Anfängen der Wissenschaft unterrichtete, sagte zu jenem liebenswürdigen und ehrlichen alten Herrn, ich täte in der Schule nichts als Figuren zeichnen. Ich gestehe, ich erinnere mich gut, wie sich darauf Luca an meinen Vater Antonio wandte und sagte: »Antonio, laß den kleinen Giorgio auf jeden Fall zeichnen lernen, damit er nicht aus der Art schlage, denn wenn er sich auch den Wissenschaften widmen sollte, kann ihm, wie allen gebildeten Menschen, Zeichnen nur zu Nutzen, Ehre und Vorteil gereichen.« Darauf wandte er sich gegen mich, der ich unmittelbar vor ihm stand, und sagte: »Lerne brav, mein kleiner Anverwandter.« Und er sagte noch viele Dinge, die ich verschweige, weil ich wohl weiß, daß ich die Erwartungen bei weitem nicht erfüllt habe, die der gute Alte von mir hegte. Als er hörte, daß ich in jenem Alter sehr stark an Nasenbluten litt und bisweilen dadurch ohnmächtig wurde, band er mir höchst liebevoll mit eigener Hand einen Jaspis um den Hals. Alle diese Erinnerungen an Luca werden mir ewig fest in der Seele bleiben. Nachdem das genannte Bild an seinem Orte aufgestellt war, kehrte Luca nach Cortona zurück und wurde ein großes Stück Weges von vielen Bürgern, Freunden und Verwandten geleitet, – eine Ehre, die den Vorzügen dieses Meisters sehr wohl zukam, der stets mehr das Leben eines ausgezeichneten Edelmannes als das eines Künstlers führte.

In dieser Zeit hatte der Maler Benedetto Caporali aus Perugia, der sich mit der Baukunst beschäftigte und kurz vorher den Vitruv kommentiert hatte, für den Kardinal von Cortona, Silvio Passerini, einen Palast eine halbe Meile vor der Stadt erbaut. Der Kardinal wollte das Gebäude völlig ausgemalt sehen und wünschte auch irgendein Gemälde von der Hand des Luca. Dieser, obgleich alt und durch ständiges Händezittern behindert, malte in Fresko auf der Vorderseite des Altars der Palastkapelle die Taufe Christi durch Johannes. Er konnte sie aber nicht vollenden, da er mitten in der Arbeit im Alter von zweiundachtzig Jahren starb. Luca war von trefflichen Sitten, offen und liebevoll gegen seine Freunde, mild und freundlich in der Unterhaltung mit jedermann, vor allem aber bereitwillig gegen solche, die Werke von ihm begehrten, und geschickt im Unterricht seiner Schüler. Er führte ein glänzendes Leben, fand Freude daran, sich gut zu kleiden und wurde wegen seiner guten Eigenschaften in der Heimat wie in der Fremde immerdar hoch verehrt. Im Jahre 1523 ging er zu einem anderen Dasein über.