Italienische Reise: Petersplatz

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JOHANN WOLFGANG VON GOETHE:

Italienische Reise (1829)

Petersplatz

 

Rom, den 22. November 1786, am Cäcilienfeste.

 

Das Andenken dieses glücklichen Tages muss ich durch einige Zeilen lebhaft erhalten und, was ich genossen, wenigstens historisch mitteilen. Es war das schönste, ruhigste Wetter, ein ganz heiterer Himmel und warme Sonne. Ich ging mit Tischbein nach dem Petersplatze, wo wir erst auf und ab gehend und, wenn es uns zu warm wurde, im Schatten des großen Obelisks, der eben für zwei breit genug geworfen wird, spazierten und Trauben verzehrten, die wir in der Nähe gekauft hatten. Dann gingen wir in die Sixtinische Kapelle, die wir auch hell und heiter, die Gemälde wohlerleuchtet fanden. Das »Jüngste Gericht« und die mannigfaltigen Gemälde der Decke, von Michelangelo, teilten unsere Bewunderung. Ich konnte nur sehen und anstaunen. Die innere Sicherheit und Männlichkeit des Meisters, seine Großheit geht über allen Ausdruck. Nachdem wir alles wieder und wieder gesehen, verließen wir dieses Heiligtum und gingen nach der Peterskirche, die von dem heitern Himmel das schönste Licht empfing und in allen Teilen hell und klar erschien. Wir ergötzten uns als genießende Menschen an der Größe und der Pracht, ohne durch allzu eklen und zu verständigen Geschmack uns diesmal irremachen zu lassen, und unterdrückten jedes schärfere Urteil. Wir erfreuten uns des Erfreulichen.

Endlich bestiegen wir das Dach der Kirche, wo man das Bild einer wohlgebauten Stadt im Kleinen findet. Häuser und Magazine, Brunnen, (dem Ansehn nach) Kirchen und einen großen Tempel, alles in der Luft, und schöne Spaziergänge dazwischen. Wir bestiegen die Kuppel und besahen die hell-heitere Gegend der Apenninen, den Berg Soracte, nach Tivoli die vulkanischen Hügel, Frascati, Castel Gandolfo und die Plaine und weiter das Meer. Nahe vor uns die ganze Stadt Rom in ihrer Breite und Weite, mit ihren Bergpalästen, Kuppeln etc. Es rührte sich keine Luft, und in dem kupfernen Knopf war es heiß wie in einem Treibhause. Nachdem wir das alles beherzigt hatten, stiegen wir herab und ließen uns die Türen zu den Gesimsen der Kuppel,  des Tambours und des Schiffs aufschließen; man kann um selbe herumgehen und diese Teile und die Kirche von oben betrachten. Als wir auf dem Gesimse des Tambours standen, ging der Papst unten in der Tiefe vorbei, seine Nachmittagsandacht zu halten. Es fehlte uns also nichts zur Peterskirche. Wir stiegen völlig wieder herab, nahmen in einem benachbarten Gasthofe ein fröhliches, frugales Mahl und setzten unsern Weg nach der Cäcilienkirche fort.

Viele Worte würde ich brauchen, um die Auszierung der ganz mit Menschen angefüllten Kirche zu beschreiben. Man sah eben keinen Stein der Architektur mehr. Die Säulen waren mit rotem Samt überzogen und mit goldenen Tressen umwunden, die Kapitäle mit gesticktem Samt in ungefährer Kapitälform, so alle Gesimse und Pfeiler behangen und bedeckt. Alle Zwischenräume der Mauern mit lebhaft gemalten Stücken bekleidet, dass die ganze Kirche mit Mosaik ausgelegt schien, und über zweihundert Wachskerzen brannten um und neben dem Hochaltar, so dass die ganze eine Wand mit Lichtern besetzt und das Schiff der Kirche vollkommen erleuchtet war. Die Seitengänge und Seitenaltäre ebenso geziert und erhellt. Gegen dem Hochaltar über, unter der Orgel, zwei Gerüste, auch mit Samt überzogen, auf deren einem die Sänger, auf dem andern die Instrumente standen, die anhaltend Musik machten. Die Kirche war voll gedrängt.

Eine schöne Art musikalischer Aufführung hört' ich hier. Wie man Violin- oder andere Konzerte hat, so führen sie Konzerte mit Stimmen auf, dass die eine Stimme, der Sopran z. B., herrschend ist und solo singt, das Chor von Zeit zu Zeit einfällt und ihn begleitet, es versteht sich, immer mit dem ganzen Orchester. Es tut gute Wirkung. - Ich muss endigen, wie wir den Tag enden mussten. Den Abend gelangten wir noch ans Opernhaus, wo eben die „Litiganti“ aufgeführt wurden, und hatten des Guten so viel genossen, dass wir vorübergingen.