1882 Die dekorativen Künste

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OSCAR WILDE:

Die dekorativen Künste (1882)

 

Ich habe heute Abend nicht die Absicht, Ihnen irgendwelche abstrakten Definitionen der Schönheit zu liefern. Man kommt ja recht gut ohne die Philosophie zurecht, sobald man sich erst mit schönen Dingen umgibt. Was ich aber möchte, ist, Ihnen erzählen, was wir in England getan haben und noch immer tun, um jene Männer und Frauen ausfindig zu machen, die zu entwerfen verstehen, weil sie mit der Kraft der Erfindung begabt sind, und weiters, Ihnen berichten über die einschlägigen Schulen sowie von dem edlen Gebrauch, den wir von der Kunst machen, indem wir mit ihrer Hilfe das Handwerkswesen unseres Landes auf einen höheren Stand bringen. Ich bin ja der Ansicht, dass jede Stadt in jedem Jahr ein gewisses Maß an künstlerischem Wissen hervorbringt, und so haben wir's uns zur Aufgabe gemacht, diese Kenntnisse auszubauen und der Hervorbringung schöner Dinge dienstbar zu machen.

Nur wenige Menschen werden in Abrede stellen, dass sie sich und ihren Kindern Unrecht, ja Schaden zufügen, indem sie jene Schönheit des Lebens beiseite lassen, welche wir Kunst nennen. Die Kunst nämlich ist keine Zufälligkeit im Dasein, die man nach Laune mitnimmt oder nicht, sondern eine ernste Notwendigkeit für das Leben von uns Menschen, sobald wir nach dem Willen der Natur leben wollen und uns nicht bescheiden, weniger zu sein als ein Mensch.

Eine Ihrer ersten Fragen an mich wird jetzt lauten, »Welcher Kunst sollen wir uns denn in diesem Lande verschreibend Nun, mir will scheinen, Sie bedürfen hier nicht so sehr der gehobenen Kunst des Dichters oder des Malers: die sehen schon für sich nach dem Rechten, und niemand kann ihnen dabei dreinreden. Doch gibt es da noch eine Kunst, in die Sie sehr wohl dreinzureden hätten, und das ist die dekorative – ist jene Kunst, welche Ihren Gegenständen des Alltagsgebrauches erst die rechte Weihe gibt und deren Einflussbereich sich erstreckt bis hinein in die einfachsten, bescheidensten Haushaltungen. Wenn Sie nämlich die Kunst kultivieren, indem Sie die Dinge Ihres Wohnbereiches verschönen, so können Sie gewiss sein, dass mit der Zeit auch andere Künste solchem Beispiel folgen werden. Die Kunst, von der ich hier spreche, wird eine demokratische sein, eine Kunst, hervorgegangen aus den Händen des Volkes zum Wohle dieses Volkes, wie ja die eigentliche Grundlage sämtlicher Kunst zu suchen ist in der Verschönerung derjenigen Dinge, die Allgemeingut sind, und in der Pflege und Förderung solchen Bestrebens im Bereiche des heutigen Handwerks.

Was bedeutet nun der Ausdruck „dekorative Kunst“? Zunächst einmal schließt er jenen Wert in sich, welchen der Arbeiter seiner Arbeit beimisst, und jenes Vergnügen, das er beim Anfertigen eines schönen Gegenstandes empfinden muss. Um in den dekorativen Künsten Fortschritte zu machen, um klare und elegante Teppich- oder Tapetenmuster, ja noch jene kleinen Blatt- oder Traubengirlanden zu erhalten, die sich um den Rand der Tassen schlingen, aus denen wir trinken: dazu bedarf es mehr als bloßer Maschinenarbeit. Dazu bedarf es der leichten Hand, des kultivierten Geschmacks und einer edlen Wesensart. Denn das Kennzeichen aller wirklich guten Kunst ist nicht die exakte oder überfeinerte Ausführung, wie sie auch von der Maschine besorgt werden kann, sondern die Ausarbeitung durch die empfindliche, ansprechende Vitalität von Herz und Hand des Verfertigers.

 

Niemand findet Vergnügen in der Ausführung schlechter oder betrügerischer Arbeit. Das Verlangen nach Künstlerischem wohnt in jedermanns Herz, und die schönen Dekorationen, mit denen wir uns zu umgeben lieben und die wir Kunst nennen, sind von tieferer, heiligerer Bedeutung, als der bloße Geldwert es ausdrückt, von einer Bedeutung, die solche Arbeiten weit über ihren Marktpreis erhebt, da wir in ihnen ja das freudige Pochen des Herzens, die prickelnden Schauder intellektueller Lust erkennen, wie sie einzig dem Hersteller schöner Gegenstände vertraut sind. Und wo immer wir gute Arbeit, gute Dekoration antreffen, sind sie ein sicheres Anzeichen dafür, dass ihr Verfertiger nicht nur mit den Händen, nein, auch mit Herz und mit Hirn bei der Sache gewesen.

Aber solange der Handwerker keine vernünftigen, schönen Entwürfe zu Gesicht bekommt, können Sie nicht damit rechnen, gute Arbeit von ihm zu erhalten. Ist mit den Entwürfen nicht viel los, dann ist auch nicht viel los mit der Arbeit, und ist mit der Arbeit nicht viel los, wie dann erst mit dem Arbeiter! Wirklich gute Entwürfe jedoch bewirken auch durch und durch gute Arbeiter, deren Arbeit eine schöne ist, jetzt und in alle Zukunft. Gib dem Arbeiter edle Entwürfe in die Hand, würdige und veredle sein Tun, und du wirst damit auch sein Leben veredeln. Ich glaube, der Dichter wird singen, der Maler wird malen, ohne sich erst lange um den Beifall der Menge zu kümmern. Er nennt ja eine andre Welt sein eigen und hängt dort nicht von seinen Mitmenschen ab. Der schlichte Handwerker aber ist fast zur Gänze abhängig von Ihrem Belieben, von Ihrer Meinung, und in Bezug auf sein Wissen um Form und Farbe auch abhängig von den Einflüssen seiner Umgebung. Und so ist es von höchster Wichtigkeit, dass man ihn mit den edlen Erzeugnissen originaler Köpfe umgibt, und dass er jenes künstlerische Wesen sich aneigne, ohne das es keine Kunstschöpfung, kein Kunstverständnis, ja nicht einmal ein rechtes Verständnis des Daseins geben kann.

Und wie nötig ist es erst, sobald Künstler wie Dichter den Handwerker mit schönen Entwürfen, Gedanken und Ideen versehen haben, ihn bei deren Ausarbeitung zu würdigen mit herzlichem Zuspruch, ihn zufrieden zustellen durch schöne Umgebung! Denn die große Schwierigkeit, welche bei Ihnen der künstlerischen Entwicklung im Wege steht, ist nicht ein Mangel an Kunstinteresse oder an Liebe zur Kunst, sondern ganz einfach der Umstand, dass Sie den Handwerker nicht genug würdigen: ihn, bei dem ja alle Kunst ihren Anfang nehmen muss, und dem Sie auch jene Position wieder einräumen müssen, die ihm rechtens zukommt. Bevor Sie das nicht getan haben, wird die Kunst sich nur auf die Wenigen beschränken. Soll sie aber nicht nur ein Luxus sein für Reiche und Müßiggänger, dann muss sie verschont werden und ihren Ausdruck finden in der Verschönerung unserer Häuser. Und Sie werden dem Handwerker so lange zu wenig Ehre erweisen, als Sie nicht eingesehen haben, dass es für Ihren Sohn keinen edleren Beruf geben kann, als etwas Schönes zu schaffen. Wir müssen bereit sein, dieser Profession die Besten aus der Schar unsrer Männer und Frauen zur Verfügung zu stellen, und hat man erst edle Entwürfe, so wird man die mit echtem Geschmack und Verständnis begabten Männer und Frauen auch gewinnen können, dafür zu arbeiten.

Sie möchten von mir erfahren, welche praktischen Fortschritte wir in England innerhalb der letzten fünf Jahre erzielt haben? Nun gut, das sieht folgendermaßen aus: von den jungen Männern, die mit mir in Oxford waren - alles Leute von Stande, von Geschmack und hoher Geistesbildung -, macht heute der eine Möbelentwürfe, ein zweiter arbeitet in Metall, ein dritter ist dabei, die vergessene Kunst des

 

Teppichwirkens neu zu beleben, und so weiter und so fort. Wahrhaftig, während der letzten fünf Jahre sind wir in England auf allen Gebieten der dekorativen Kunst um ein so großes Stück weitergekommen, dass ich nachgerade daran glaube, dies Land seinen führenden Platz unter den Nationen wieder einnehmen zu sehen, soweit es die Kultivierung und Weiterentwicklung der Kunst anbetrifft sowie die Ermunterung von denjenigen, welche mit dem Werk ihrer Hände Dauer verleihen wollen der Schönheit rings um sich.

Man sagt uns indes, dass wir in einem praktischen Zeitalter leben, und dass die Menschen im Trubel ihrer Geschäfte weder die Zeit noch den Kopf haben für elegante Ornamentik, ja dass jemand, der den Zug noch erreichen will, nicht mehr halt machen kann, um das Teppichmuster unter seinen Füßen zu studieren. Und man sagt uns auch, dass wir schon zufrieden sein können, wenn unsere Gebrauchsgegenstände von solider Machart sind, auch wenn sie keinerlei schmückendes Beiwerk aufweisen.

Nun trifft es zwar zu, dass in einer Zeit, die sich dem Praktischen verschrieben hat, redliche Arbeit sehr wichtig ist für den Fortschritt - nur: ist dies auch eine redliche Zeit? Dies Jahrhundert ist gekennzeichnet durch mehr unredliches Handwerk, durch die Produktion von mehr wertlosem Plunder, als das je vorher der Fall gewesen. jedweder Hausvater, der heutzutage eine Wohnung neu einrichtet, ersieht das aus seinen Teppichen, die schlecht entworfen, schlecht gewirkt und mit Anilinfarben billig eingefärbt sind, ja die fadenscheinig und schäbig werden mit dem Hingang eines einzigen Sommers! Die Möbel sind Maschinenware, zum Teil primitiv zusammengeleimt ohne jede Holzverbindung, so dass sie nach kaum fünf Jahren Sprünge und Risse bekommen, ja zu Stücken auseinander fallen, Es ist ein Wunder, dass wir noch nicht im Freien kampieren. Lassen wir uns doch nicht täuschen durch den Versuch, peinlich genau zwischen Schönem und Nützlichem zu unterscheiden! Die Nützlichkeit ist stets auf Seiten des schön gezierten Gegenstands, auf Seiten der geübten Erfahrung von dessen Verfertiger.

Es gibt da ein Einrichtungsstück, das mir, seit ich diesen Kontinent bereise, allüberall aufstößt, und das an erschreckender, an absoluter Hässlichkeit einfach alles übertrifft, was mir je vor Augen gekommen: es ist dies Ihr gusseiserner, amerikanischer Ofen. Hätte man ihn in seiner natürlichen Hässlichkeit belassen, so könnte man ihn ja als ein notwendiges Übel in Kauf nehmen, ganz wie man etwa einen schwachköpfigen Verwandten oder einen verregneten Tag in den Kauf nimmt. Aber nein: die Hersteller bestehen darauf, ihren Ofen untenherum mit graphit- oder rußschwarzen Girlanden und Rosen zu dekorieren, ja ihm einen makabren, graburnenhaften Kopfputz aufzusetzen oder, um solche Extravaganz noch zu überbieten, gleich zwei solcher Gebilde!

So hat denn auch die Unredlichkeit dieses Zeitalters das entsetzlichste Wort geprägt, das unser Sprachgebrauch gegenwärtig kennt - das Wort »zweiter Hand«! Und dieses Wort bedeutet ja nichts anderes, als dass ein Gegenstand, ein Möbelstück mit dem Augenblick seiner Inbetrieb-, seiner Ingebrauchnahme an Wert zu verlieren beginnt, bis es, schon nach einem halben Jahr, überhaupt nichts mehr wert ist. Und ich kann nur hoffen, dies Wort werde so vollkommen in Vergessenheit geraten, dass die Philologen künftiger Tage seine Bedeutung nicht mehr ermitteln werden können.

 

Denn eines müssen wir uns beständig vor Augen halten: alles, was solide und voll Sorgfalt gemacht worden ist von einem redlichen Handwerker und nach vernünftigen Entwürfen - all das nimmt mit den Jahren auch zu an Schönheit und an Wert, ganz wie das Mauerwerk gotischer Kathedralen, das noch immer die alten, marmornen Tafeln beherbergt, die noch immer so schön sind wie an dem Tag, da auf ihnen der alten Werkleute Meißel erklangen, und wo noch immer das alte Schnitzwerk zu sehn ist, noch heute so schön und dauerhaft wie damals, als erstmals der Hobel glättend über das Holz fuhr. Und alles das ruht heute noch fester auf seinem Grund und noch schöner, als in den Tagen seines Entstehens. Auch die alten Möbel, die aus Europa herübergebracht oder von den Pilgervätern gezimmert worden sind vor zweihundert Jahren und die ich in Neu-England zu Gesicht bekommen habe, auch sie sind noch so schön und fest gefügt wie an dem Tage, an dem sie aus ihres Verfertigers Werkstatt hervorgegangen. Einfach im Entwurf, doch von redlicher Machart, verlieren sie nicht an Wert wie unsere heutigen Möbel, sondern geben uns die beruhigende Gewissheit, dass auch noch unsere Enkelkinder den gleichen Gebrauch davon machen werden wie vordem die Großeltern. Und von solcher Gediegenheit wird gute Arbeit allezeit sein, und das soll sie ja auch. Sollte aber der Ausdruck »zweiter Hand« auch weiterhin so verständlich bleiben wie er heute ist, dann bedeutet dies tatsächlich den Zusammenbruch und das Ende Ihres Handwerkswesens.

Weshalb aber nur die Unredlichkeit und Heuchelei in unsren Erzeugungsbetrieben, die maßlose Hohlheit im heutigen Handwerk mit seinen verlogenen Möbeln, das Leere von so genannten Werken der Kunst, von Produkten, die in Wahrheit nichts anderes sind als noch nicht gesühnte Bubenstücke? - Weil das alles von Handwerkern kommt, die keine Liebe mehr zu ihrer Arbeit haben! Die alten, massiven Möbel, solid und redlich wie sie sind, stammen noch von Handwerkern her, die vertraut waren mit den Prinzipien schönen Entwerfens, und das in einer Zeit, da die Arbeit der Hände noch als edel und ehrenhaft gegolten.

So wird es um die Kunst Ihres Landes so lange nicht besser bestellt sein, als Sie nicht Ihren Arbeiter aufgesucht und ihm, nach Möglichkeit, die rechte Umgebung geschaffen haben. Bedenken Sie doch, dass eines Arbeiters echte Bewährung, dass sein wahres Verdienst nicht so sehr im Fleiß, ja nicht einmal in der Ernsthaftigkeit seiner Arbeit zu sehen ist, sondern in seiner Befähigung zu entwerfen, und dass solcher Entwurf nicht der eitlen Einbildung entspringt, sondern das wohlerwogene Ergebnis ist aus akkumulierter Beobachtung und dem Hang, etwas Schönes zu machen. Und alle Unterweisung dieser Welt wird in der Kunst zum vergeblichen Beginnen, wenn sie Ihren Arbeiter in seinem Umkreis nicht dem Einfluss schöner Dinge aussetzen. Denn man kann keinen rechten Farbsinn entwickeln, wenn man die herrlichen Farben der Natur nicht ungetrübt vor Augen hat, und man kann an Schönem nichts einbringen in all sein Tun und Lassen, wenn man dergleichen rings in der Welt nicht zu Gesicht bekommt. Um Verständnis zu kultivieren, muss man sich unter lebendigen Dingen aufhalten und über sie nachdenken. Um Bewunderung zu kultivieren, muss man zwischen schönen Dingen verweilen und sie betrachten. Dergestalt sollten Ihre Häuser und Straßen zu lebendigen Kunstschulen werden, in denen Ihr Arbeiter, wenn er morgens zur Arbeit, wenn er abends nach Hause geht, dem Schönen auf Schritt und Tritt begegnet.

Blicken Sie zurück in die Tage der Hochblüte dekorativer Kunst, und Sie werden sehen, dass es Zeiten gewesen sind, zu denen der Arbeiter vom Schönen umgeben war. Denn ihre besten Tage haben die dekorativen Künste gehabt, als man sich noch

 

echt kostümierte, als Männer wie Frauen in edler Gewandung einher schritten - in einer Schönheit, die man, so wie sie war, im Augenblick hätte umsetzen können in Stein oder Marmor, zur Bewunderung aller kommenden Epochen.

„Überlegen Sie, wie denn die Szene beschaffen gewesen, die sich auf einem Spaziergang am Nachmittag einem Begründer der Gotischen Schule von Pisa - die sich dem Nino Pisano oder einem seiner Leute dargeboten hat: Zu beiden Seiten des schimmernden Flusses erhoben noch schimmernder sich vor dem Blick die Palastfronten mit ihren Säulenarkaden, ausgelegt mit Serpentin und tiefrotem Porphyr. Vor ihren Toren, längs der gemauerten Ufer, zogen in Scharen die Ritter zu Pferde dahin, edel von Antlitz und Wuchs, mit strahlender Helmzier und blitzenden Schilden. Pferde und Reiter formten ein labyrinthisches Spiel aus Farben und Lichtreflexen - die purpurnen, silbernen, scharlachnen Fransenbehänge über den kraftvollen Gliedern und klirrenden Kettenhemden gemahnten ans Branden des Meers unter sinkender Sonne. Und weiter zu Seiten des Flusses breiteten Gärten sich, Höfe und Klöster, erstreckten sich Reihen hell schimmernder Säulen und Pfeiler zwischen den Rieden der Weinberge, sprangen Fontänen im Blühen der Granatäpfelgärten und Orangenhaine. Doch unter und zwischen dem Karmesin der schaltenden Blütenkronen promenierten die herrlichsten Frauen, die Italien jemals gesehen: die schönsten, die reinsten, gedankenvollsten, geübt in der Wissenschaft wie in der höfischen Kunst - bewegten im Tanze sich, unter Gesang, voll Grazie, Anmut und Geist, im Hochgefühl ihres Wissens noch höher gestimmt in erhabenster Liebe -, befähigt, das Herz jedes Manns zu erfreuen, zu bezaubern, ja zu erlösen.

Und hoch über solchem Schauplatz vollkommenen menschlichen Lebens ragten Kuppel und Glockenturm auf, gleißend von Gold und alabasterner Weiße. Und dahinter die Hänge der mächtigen Berge im silbrigen Grau der Oliven, und weiter noch Norden hinaus, überm Purpur der Gipfel des feiernden Apennin, hoben die scharfgezackten Carraraberge das erstarrte Geflamm ihrer marmornen Spitzen in den bernsteinfarbenen Himmel. Das gewaltige Meer aber, in all seiner mengenden Lichtflut, erstreckte zu Füßen all dessen sich weit hinaus bis an die Gorgonischen Inseln. Und hoch über allem, in Nähe wie Ferne, im Durchblick durch Weinlaub und Rebengerank, zusamt den ziehenden Wolken gemalt in die Fluten des Arno, oder als naher, tiefblauer Kontrast hinter Goldhaar und brennender Wange von Dame und Ritter, spannte der ungetrübte, geheiligte Himmel sich aus, der in den Tagen arglosen Glaubens fragloser Wohnsitz der Geistwesen war, ganz wie das Erdenrund Heimstatt der Menschen, und sich mit Wolkentoren und Schleiern aus Tau geradenwegs auftat, mitten hinein in des Ewigen Ehrfurchtsbereich: als ein Himmel, wo jedwede Wolke, die da zu Häupten dahin zog, das Schiff eines Engels sein konnte, in aller Buchstäblichkeit, und jedweder Lichtstrahl, von Abend her wie von Morgen, zur Erde gesandt war von des Allmächtigen Thron.

Nun, wär' das nicht die rechte Umgebung für eine Kunstschule?“ Und dann halten Sie diesem Bild die niederdrückende Eintönigkeit einer modernen Kommerzstadt entgegen - ihre düster gekleideten Menschen, Männer wie Frauen, die sterile, unbedeutende Architektur, die vulgären und marktschreierischen Avertissements, wie sie nicht nur Auge und Ohr, sondern auch jeden Felsen, jeden Fluss und jeden Berg beleidigen, den ich bisher in Amerika zu Gesicht bekommen habe. Damit sage ich nichts gegen die Geschäftsleute, denn es ist nicht der Kommerz, welcher der Kunst den Garaus macht. Genua wurde von seinen Handelsherren erbaut, Florenz von seinen Bankiers, und Venedig, als Schönste von allen, von seinen edlen und

 

rechtschaffenen Kaufleuten. Ich sehe im Geschäftssinn unserer Tage keine Gegnerschaft zur Entwicklung der Kunst, und ich halte Ausschau nach jenen Geschäftsleuten, die uns unterstützen könnten in unserer Bemühung, einen Wandel herbeizuführen.

Oder blicken Sie auf das schmachvoll Gewöhnliche unserer heutigen Kleidung! Ich kann mir keinen größeren Heroismus vorstellen, als sich der Konvention im Bekleidungswesen zu widersetzen. Die düstere Kleidung unserer Tage raubt ja dem Leben die Schönheit und bedeutet den Ruin für die Kunst. Keine heroische Tat dieses Jahrhunderts, auf welchem Kontinent immer sie getan wurde, ist in gebührender Form auf der Leinwand des Malers verewigt, und doch sollte die Geschichte eines Landes ebenso sehr auf Gemälden und im Marmor weiterleben, wie sie das in den langweiligen Folianten tut. Die Geschichte Italiens, der Niederlande, und eine Zeitlang auch diejenige unseres Englands, sie alle sind sehr wohl in beredtem Marmor und auf lebensvollen Gemälden erzählt worden.

Die Kunst ist dann gesund, wenn sie die Schönheit unserer Zeit zum Ausdruck bringt, und sie ist krank, sobald sie ihre Themen aus früheren, romantischen Zeitaltern heraufholen muss. Nun wohl: das Düstere, alles andre als Edle unserer Kleidung, wie es gegenwärtig in Mode ist, hat die Kunst in einen sehr ungesunden Zustand versetzt, indem es die Künstler gezwungen hat, ihre Bildvorwürfe in vergangenen Zeiten zu suchen, wiewohl sich kein Zeitalter denken lässt, das romantischer wäre als das unsere. Statt nun in aller Servilität die romantischen Zeitalter nachzumalen, sollten wir darauf bedacht sein, unsere eigene Zeit romantisch zu machen, und die Kunst sollte uns dann jene Gesichter und Gestalten vor Augen führen, die wir lieben und verehren. Aber die Kleidung von heute verhindert die Schaffung eines Gemäldes, einer Statue, darin das Element der Schönheit und jenes wahrhaften Adels von Gestalt und Antlitz verkörpert ist, welches die Augen derer erfreut, die da fähig sind, ein Kunstwerk nach Gebühr zu würdigen. Ja, diese Kleidung hat der Skulptur nahezu den Todesstoß versetzt! In England ist die Bildhauerkunst fast schon zur Gänze ausgetilgt, und wenn wir auf jene Figuren blicken, die unsere öffentlichen Parks und Gartenanlagen verschönen, so möchten wir fast wünschen, diese edle Kunst vollends erstorben zu sehen: denn die Statuen unsrer dahingegangenen Staatsmänner erblicken zu müssen, wie sie angetan sind mit marmornen und bronzenen Gehröcken über zweireihigen Prachtgilets, das gibt dem Gedanken an den Tod einen gänzlich neuen Entsetzensaspekt!

Nicht etwa, dass die makellose, heitere Glätte des Marmors nicht die Bürde modernen intellektuellen Geistes ertragen, nicht etwa, dass dieser Marmor nicht durchdrungen werden könnte vom Feuer romantischer Leidenschaftlichkeit: das Grabmal des Herzogs Lorenzo, die Kapelle der Medici weisen uns das. In den großen gotischen Kathedralen wie etwa zu Chartres, oder aus der Bauplastik und dem figuralen Schmuck jedweden europäischen Bauwerks, das zwischen dem elften und dem sechzehnten Jahrhundert errichtet worden ist, kann man die gesamte, steingewordene Geschichte vergangener Zeiten ersehen, die Darstellung alles dessen, was das Volk am meisten geliebt und woran es seine Freude gehabt hat. Wir tun einen Blick auf die Kapitelle der Säulen und auf das Maßwerk der Bögen und haben das Bild des Jahrhunderts vor uns, ja reichen der Vergangenheit die Hand quer über den Abgrund der Jahre. Man muss von seinen Augen nur den rechten Gebrauch machen, dann vermag man in einer Stunde mehr von solcher Wand abzulesen, als in einer Woche aus den Büchern. Und jetzt stellen wir solche

 

Bauwerke unseren öffentlichen Gebäuden von heute gegenüber: da legt man dem Arbeiter einen Entwurf hin, der dem griechischen Tempel abgestohlen ist, und der Arbeiter führt ihn aus, weil er für solche Ausführung bezahlt wird – und das ist der ärgste Grund, etwas auszuführen. Kein Steinmetz unserer Tage wäre imstande, seinem Werk den Stempel der Zeit so sehr aufzudrücken, wie das der Steinmetz vergangener Zeiten getan.

Es stellt sich also die Frage, wie wir dem Arbeiter von heute die werkgerechten Konditionen wieder schaffen können, ohne die ein freies und gedeihliches Arbeiten nicht möglich ist. Wollen wir der Kunst einen wahren Dienst erweisen, so müssen wir den Zuschnitt unserer Kleidung ändern. Die Kleidung der Zukunft wird, so glaube ich, sehr reich drapiert und in hellen, freundlichen Farben gehalten sein. Der Einfluss wahrer Kunst in der Mode wird unsern Anzug zum Unterweiser, ja zum Erzieher in den Fragen des guten Geschmackes machen.

Geben Sie also, wie ich gesagt habe, Ihrem amerikanischen Arbeiter jene glanzvolle und edle Umgebung, welche Sie selber zu schaffen imstande sind: vornehme, doch einfache Bauten für Ihre Städte, helle und einfache Kleidung für Männer wie Frauen - das sind die Vorbedingungen für jede echte künstlerische Bewegung. Denn der Künstler befasst sich nicht mit irgendwelcher Theorie des Lebens, sondern mit dem Leben überhaupt, mit jener Freude und Schönheit, die uns um einer schönen Außenwelt willen täglich vor Augen stehen und ans Ohr dringen sollte.

Damit aber hat es noch nicht sein Bewenden. Sie müssen Ihrem Arbeiter eine Kunstschule geben, wo er lernen kann, vernünftig zu planen und zu entwerfen. Nun gibt es zwar viele Kunstschulen in Amerika, doch sollten diese in engerem Zusammenhang stehen mit dem Handwerk, dem Handel und dem Gewerbe, und mehr Zeit als bisher dafür aufwenden, die Dinge des täglichen Gebrauches schöner zu machen. Dann würde Amerikas Kunst nicht mehr hinter der Alten Welt einher hinken, sondern alsbald zu Höherem gelangen.

Solch ein Ort ist das Londoner South Kensington Museum, auf welches wir größere Zukunftshoffnungen setzen als auf irgendetwas anderes, denn es ist ein vernünftig angelegtes Museum für dekorative Kunst. Jeden Samstagabend, wenn länger als sonst geöffnet ist, bin ich dort, um jene Arbeiter zu sehen, an die wir so gern herankommen möchten, die aber oftmals so schwer zu erreichen sind: also den Weber ' den Glasbläser ' den Holzschnitzer, den Sticker und so weiter und so fort, wie sie da stehen, das offene Notizbuch in der Hand. Und ich habe dann die Gewissheit, dass solche Aufmerksamkeit sich schon eine Woche nach dem Museumsbesuch günstig auf die Arbeit auswirken wird. Auch ist hier der Ort, wo der feinsinnige, der kultivierte Mensch sich Aug' in Aug' mit jenem Arbeiter findet, der ihm seine Freude erst verschaffen kann. Er nimmt etwas wahr von des Arbeiters innerer Vornehmheit, und dieser hinwiederum spürt solche Wahrnehmung und verlässt den Ort mit dem erhebenden Gefühl der Vornehmheit seines Berufes.

Und überdies müssten Ihre Künstler sich mit der Zier der einfacheren, nützlichen Dinge befassen. Ich habe in den Kunstschulen dieses Landes keinen Versuch gesehen, einen so verbreiteten Gegenstand wie etwa den Wassereimer mit Zierrat zu versehen. Die hässlichen Wasserkrüge und Schöpfeimer unserer Tage sind eine Unverzeihlichkeit, denn wir könnten ja unschwer viel geschmackvollere, schönere

 

Formen haben. Ein ganzes Museum könnte man füllen mit all den verschiedenen, in den heißen Zonen gebräuchlichen Arten. Nirgendwo in den Ländern des Ostens, wo in vergangenen Zeiten das Wasser kostbar war und wo die Töchter der höchsten Würdenträger an den Brunnen kamen, um Wasser zu schöpfen - nirgendwo war da so viel Schönheit in Form und in Zier wie bei den Wassergefäßen. Wir jedoch lassen's uns genug sein an den tristen, einhenkeligen Krügen.

Nur eines ist ärger noch als gar keine Kunst - und das ist schlechte Kunst. In vielen Kunstgewerbeschulen hält man sich nur zu oft an falsche Prinzipien, an unangemessne Entwürfe, weil der Unterschied zwischen imaginativer und dekorativer Kunst nicht zur Genüge erläutert wird. Ich habe junge Damen Mondscheinlandschaften auf Speiseteller, Sonnenuntergänge auf Suppenteller malen sehen. Ich glaube ja nicht, dass es etwa einer Bratente viel Freude macht, solch glorioser Umgebung ausgesetzt zu sein. Man sollte derlei Szenerien dorthin hängen, wohin sie gehören, nämlich an die Wände, und dem Maler die Kunst überlassen, jener Schönheit, die da stirbt und vergeht, Unsterblichkeit zu verleihen. Und überdies wollen wir ja gar keinen Suppenteller, dessen Boden sich auftut vor uns bis in die Dunstperspektiven ferner Berge: man fühlt sich nicht ganz geheuer, nicht recht behaglich unter derlei Konditionen.

Sie müssen die Kunst ermutigen und unterstützen in der Stadt, in der Sie wohnen, anstatt nach New York oder anderswohin zu schreiben und hohe Frachtspesen für das Gewünschte zu bezahlen. Das kunstvoll Schöne, das Sie und Ihre Mitbürger erfreut, sollte von der Hand Ihrer ortsansässigen Arbeiter kommen: weben Sie also Ihre Teppiche selber, entwerfen Sie selber Ihre Wohnungseinrichtung, erzeugen Sie mit eigener Hand Ihre Töpferware und auch andere Dinge, und tun Sie das nach bewährten Entwürfen! Setzen Sie sich nicht dem schweren Vorwurf aus, Unpassendes hervorgebracht zu haben - etwas, das Ihrem Empfinden, das Ihrem Geschmack nicht entspricht, denn dies sind die grundlegenden Elemente jeder künstlerischen Bewegung.

Glauben Sie mir, die Konditionen der Kunst sind viel einfacher, als die Leute gemeinhin annehmen: für die edelste Kunst bedarf man einer klaren, gesunden Atmosphäre, die nicht wie die Luft unserer englischen Städte verschmutzt ist vom Rauch und vom Ruß und von all der Scheußlichkeit, die aus den offenen Feuerstellen und aus den Fabrikschloten hervorquillt. Auch müssen Ihre Männer und Frauen von robuster physischer Gesundheit sein. Kränkliche, untätige oder schwermütige Menschen vermögen nicht viel in der Kunst, glauben Sie mir das, und schließlich sollten Mann wie Frau über einen gewissen Individualismus verfügen, weil dieser, als der eigentliche Grundton des Lebens, auch der Wesenskern aller Kunst ist

- nämlich des Menschen Wunsch, der edelsten Seite seines Wesens auf edelste Weise Ausdruck zu verleihen und so der Welt vor Augen zu führen, was alles er verehren, lieben und verstehen kann.

Nämlich, die Motive für die Kunst liegen rings für Sie bereit, ganz wie bei den Menschen der Antike auch. Würde der Bildhauer unserer Tage mich fragen, woher er denn sein Modell nehmen solle, so würde' ich ihm antworten, er könne nach Belieben im Alltagsleben, in der Arbeitswelt genug Edles finden, das seiner Beachtung durchaus wert ist - er könne den Menschen bei der täglichen Arbeit darstellen. Denn es gibt keinen Arbeiter, ob im Bergwerk oder beim Erdaushub, ob im Laden oder vorm Hochofen, der nicht irgendwann in seinem Leben eine schöne Haltung

 

einnähme. Solche Momente des Schönen liegen der Ästhetik ja beinahe wissenschaftlich zugrunde, ihr, die nicht bloß elegantes Ornament und Luxus ist, sondern auch Ausdruck der Stärke, der Nützlichkeit, der Gesundheit. Wer hätte je am Amboss einen ungelenken Schmied, wer an der Hobelbank einen plumpen Zimmermann gesehen? Und das Geschmeidigste, was mir jemals vor Augen gekommen, war ein Mineur in einer Silbermine von Colorado, der mit Hammerschlägen einen neuen Schacht in den Berg trieb. In jedem beliebigen Augenblick hätte er in Marmor gehauen oder in Bronze gegossen und damit für immer zum edlen Kunstwerk gemacht werden können, denn die Arbeit ist das große Vorrecht des Menschen und der wahre Wesenszug aller Kunst. Einzig der Müßiggänger, der Herumtreiber - sie sind für den Künstler so unerheblich, so wertlos, wie sie für sich selber ohne allen Wert sind.

Und weiter würde ich den Bildhauer bitten, mit mir eine Ihrer Schulen oder Universitäten zu besuchen, mitzukommen auf die Sportplätze, um dort die jungen Männer am Start zu sehen oder beim Schleudern der Wurfscheibe, beim Handhaben der Schläger, beim Festziehen der Schuhe vor dem Sprung, beim Anlandspringen aus dem Boot, oder zuzusehen, wie sie sich über die Ruder beugen. Und ich würde ihn bitten, all das in seiner Kunst zu gestalten. Den griechischen Bildhauer verlangte es nach keinem vornehmeren Objekt seiner Kunst, als es auf dem Sportplatz zu finden war, und ich kann nur empfehlen, dass man auf allen Sportplätzen Gipsabgüsse der besten griechischen Statuenkunst aufstelle, um der törichten Ansicht zu begegnen, Geisteskultur und athletische Übung hätten nichts miteinander zu schaffen.

Noch heute gibt es in Europa eine Richtung in Malerei und Bildhauerkunst, deren Lieblingsobjekte Könige und Königinnen sind, und eine andere, die Begabung und Genie daran wendet, die Gesichter und Gestalten von Heiligen und dergleichen auf die Leinwand zu bannen oder in Marmor wiederzugeben, sei das nun im realistischen oder im idealistischen Sinn. Nun wohl, die Griechen haben ihre Götter verewigt in Marmor oder in Bronze, weil sie ihnen in Liebe angehangen, und das Mittelalter hat ein gleiches mit den Heiligen und Königen getan, weil es an sie geglaubt hat. Heutzutage aber ist der Heilige kaum noch geeignet, zum Gegenstand der Hohen Kunst zu werden, und auch die Tage der Könige und Königinnen sind dahin. Deshalb sollte die Kunst sich nunmehr jener Männer annehmen, die da ein Netz aus eisernen Schienen über die Erde ziehen und die Meere mit Schiffen bevölkern. Solch universelle Hochachtung vor der neuen Königswürde industriellen Arbeitsfleißes könnte viel dazu beitragen, den Arbeiter mit seinem Los zu versöhnen, dem Hader ein Ende zu setzen und die immer breiter werdende Kluft zwischen Kapital und Arbeitskraft zu überbrücken.

Suchen Sie also, wie schon gesagt, Ihre Themen im Leben des Alltags: es sind ja Ihre Männer und Frauen, Ihre Blumen und Felder, Ihre Hügel und Berge! Das alles sollte Ihre Kunst darstellen, denn jede Nation kann sich mit Erfolg nur an die Darstellung jener Dinge wagen, die ihr Freude bereiten. Denn einzig jene Dinge, die Sie täglich um sich und vor Augen haben, die dem Auge wie dem Herzen am teuersten sind, können Sie kraft der Magie Ihrer Hand, der Musik Ihrer Lippen, aufs Schönste für andere zum Ausdruck bringen. Dies alles empfiehlt sich dem gedankenvollen Liebhaber und Künstler.

 

Und nicht nur die edelsten Motive für eine neue Schule des Kunstgewerbes hat die Natur Ihnen beschert, sondern, und Ihnen vor allen anderen Ländern, auch die Werkstoffe dafür. Die edlen, titanischen Wälder, aus deren Holz Sie Ihre Häuser zimmern, sollten Ihnen Ansporn für gute Schnitz-Arbeit sein, denn das kunstvoll Schöne kann nur aus schön geschnitztem Holz erstehen. Ich will ja nicht viele Worte verlieren über Ihre Holzhäuser, die in den bedrückendsten Farben gehalten sind, welche ich je gesehen habe: aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Vorherrschen von Weiß in ihren Hausanstrichen ein großer Fehler ist. Ihre geweihten Hausfassaden werden unter der Mittagssonne zur blendenden Flammenwand. Dabei wäre der Kahlheit Ihrer Häuser so leicht abzuhelfen mit jenem Schnitzwerk, das in der dekorativen Kunst die einfachste Arbeit ist, bei welcher der Künstler überdies am wenigsten Gefahr läuft, auf Irrwege zu geraten. In der Schweiz kommt der barfüßige Hüterjunge, der tagsüber in den Bergen auf der Suche nach seinen verirrten Ziegen ins Horn geblasen hat - in der Schweiz kommt dieser Hirtenjunge abends nach Hause, schnitzt als Zier über das Tor seines Vaters die Formen jener Vögel und Blumen, die er draußen gesehen hat, und verschönert so mit seiner Kunstfertigkeit das Haus. Was aber ein Schweizer Junge so gut fertig bringt, das müsste ein amerikanischer zweimal so gut können, wenn er die rechte Unterweisung hätte.

Es gibt für meinen Geschmack nichts Plumperes von Konzeption, nichts Vulgäreres an Ausführung wie das, was man hier in den Juweliergeschäften anbietet. Wie leicht wäre es für Sie, diesen Umstand zu ändern und in Hinkunft nur gute Goldschmiedearbeit zu produzieren, eine Arbeit, die Freude bereitet! Wir in Europa verfügen nicht über die Gold- und Silbervorräte, welche bei Ihnen in den Gebirgsschlünden liegen oder in den Flussbetten abgelagert sind, und so haben unsere Juweliere auch nicht so viel Gelegenheit, diese Metalle kunstvoll zu bearbeiten. Und doch als ich Leadville besucht habe, diese reichste Silberstadt der Welt, und als ich von den unglaublichen Silbermengen vernahm, die man dort aus den Bergen schürft, musste ich daran denken, wie traurig es ist, dass aus all diesem Silber nur platte, hässliche Dollars geschlagen werden, die zwar auch dem Künstler nützlich sein können - Dollars sind ja auf ihre Weise recht empfehlenswert -, dass aber darin nicht der Endzweck dieses Lebens bestehen sollte. Vielmehr müssten in Ihrer Geschichte ganz andere Berichte davon überdauern, andere als diejenigen von kommerzieller Panik und ruinierten Häusern. Oft genug sehen wir ja, wie dauerhaft die Geschichte eines großen Volkes in und durch dessen Kunst bewahrt werden kann: nur wenige Armreifen aus getriebenem Gold sind geblieben, um uns von dem großen Reich der Etrusker zu erzählen, und mögen auch aus den Straßen und Gassen von Florenz die edlen Ritter und die stolzen Herzöge seit langem verschwunden sein, so bewachen doch jene Torflügel, die der einfache Goldschmied Lorenzo Ghiberti zur Freude dieser Stadt geschaffen hat, noch immer den herrlichen Bau des Baptisteriums und sind noch immer würdig des Lobes von Michelangelo, der sie für wert befunden, die Pforte des Paradieses zu verschließen.

Einer Sache können Sie gewiss sein: wir werden so lange keine guten Arbeiten zu verzeichnen haben, als wir uns nicht Aug in Aug mit dem Entwerfer, dem Hervorbringer befinden und uns aller Zwischenhändler entledigt haben! Denn wir sollten uns nicht einfach abfinden mit der vermittelnden Rolle des Verkäufers, der nichts weiß über die Ware, die er uns da verkauft, außer, dass er zuviel dafür verlangt. Die Arbeiter, die Verfertiger sollten wir kennen, ganz wie diese uns kennen sollten - dann erst würden sie unsere Bedürfnisse richtig verstehen. Und ist es erst

 

so weit gekommen, dann werden auch wir die wahre Vornehmheit aller vernünftigen Arbeit erkennen und uns mit schönen Dingen umgeben. Denn das Gute empfangen wir von der Kunst nicht auf direktem Wege, sondern auf dem Umweg über die Gewöhnung an jene Anmut und Schönheit, mit der sie uns umgibt.

Und noch mehr wird die Kunst bewirken, als unser Leben nur freudvoll und schön zu gestalten: sie wird Teil sein einer neuen Weltgeschichte und einer neuen Brüderlichkeit unter den Menschen. Denn ob sie auch durch Schaffung einer allgemeinen, geistigen Gestimmtheit zwischen den Ländern dieser Erde nicht vermag, des Friedens silberne Schwingen über der Welt zur Entfaltung zu bringen, so wird sie doch die Menschen solche Brüderlichkeit lehren, dass diese nicht länger ausziehen, einander zu erschlagen um der törichten Launen von Königen und Ministern willen, wie das in Europa geschieht. Denn der nationale Hass ist immer dort am stärksten, wo's um die Kultur am schwächsten bestellt ist.

Während ich dies bedenke, stellt sich mir die Frage, welchen Platz ich der Kunst innerhalb unsres Erziehungswesens einräumen kann? Bedenken Sie doch, wie empfänglich Kinder dem Einfluss des Schönen gegenüberstehen, leicht zu beeindrucken und formbar durch ihre Umgebung wie sie sind! Aber können Sie von diesen Kindern Wahrheit erwarten, wenn alles und jedes rundum so voll der Lüge ist wie die Tapete in der Vorhalle, die ihr Papier für edlen Marmor ausgibt? Ach, ich habe Tapeten gesehen, die einen Knaben, der unter ihrem Einfluss aufwüchse, auf die schiefe Bahn bringen, ihn zum Kriminellen machen müssten! Derlei Verführungen zur Sünde sollten Sie nicht in Ihren Wohnräumen dulden!

Und eben daher kommt auch die enorme Bedeutung, die wir in unserer englischen Renaissance den dekorativen Künsten beimessen. Wir wollen, dass die Kinder in England aufwachsen im schlichten Umkreis alles Schönen, so dass sie lieben werden, was schön ist und gut, aber verabscheuen, was böse ist und hässlich, noch lange bevor sie die Ursache wissen. Wenn Sie ein Haus betreten, wo alles und jedes plump ist und grob, wo die Ränder der ordinären Trinktassen ausgebrochen und die Untertassen angeschlagen sind, so kommt das häufig aus der tiefen Verachtung, welche die Kinder dafür hegen. Ist aber alles voll Anmut, gepflegt und in Ordnung, so lernen diese Kinder schon in der Praxis, was Schönheit ist, und ihr Benehmen wird, für sie ganz unbewusst, verfeinert.

Sie werden mir jetzt entgegenhalten, dass derlei Dinge zu zerbrechlich sind. Nun, als ich in San Francisco war, habe ich um der reichen Kostüme willen die chinesischen Theater frequentiert, und ebenso die chinesischen Speisehäuser wegen ihres herrlichen Tees. Und ich habe dort rohe chinesische Erdarbeiter gesehen, die eine Kuliarbeit verrichten, die auch der gewöhnlichste Kalifornier mit Recht und voll Entrüsturig zurückweisen würde. Diese Taglöhner aber saßen da und nippten ihren Tee aus winzigen Porzellantassen, die so hauchdünn waren, dass man sie für weiße Rosenblätter hätte halten können. Und die Leute taten es behutsam und im vollen Bewusstsein des Einflusses solcher Schönheit. Demgegenüber hat man mir in all den großen Hotels dieses Landes, wo man Tausende von Dollars verschwendet hat an vergoldete Spiegel und glitzernde Säulen, meine Trinkschokolade am Morgen und meinen Kaffee am Abend in ordinärem Steingutgeschirr serviert, das wohl an die anderthalb Zoll dick gewesen ist. Ich glaube doch, Besseres verdient zu haben! Könnten aber solche Menschen ihre Tassen mit der gebührenden Zartheit handhaben, dann würden auch die Kinder durch den Einfluss des Schönen und am

 

vorgelebten Beispiel erlernen, auf die gleiche Weise zu handeln. Amerikas größter Bedarf ist ja einer nach guter Dekoration. Nicht durch teure ausländische Gemälde, die in Privatgalerien herumhängen, vermittelt man den Leuten die Kunst: bei weitem mehr lässt sich lernen von den schön geformten Gefäßen unseres Alltagsgebrauchs.

Die meisten von Ihnen werden mir beipflichten, wenn ich sage, dass es eine Erziehung gibt, die ohne Bücher auskommt und überdies dem Leben ein Gutteil dienlicher ist. Die Erziehungssysteme vergangener Zeiten sind von weisen Männern entworfen worden, die im Menschen ein Hemmnis gesehen und die versucht haben, den Geist des Knaben zu erziehen, noch ehe dieser Geist überhaupt vorhanden war. Sehr viele von uns entsinnen sich noch der Ödigkeit jener Stunden, die wir über unseren Büchern verbracht, und auch dessen, was wir in den Wäldern gelernt haben oder beim Zusehen in jener Werkstatt, an deren Tür unser Weg uns vorbeigeführt hat.

In dem falschen Erziehungssystem unserer Tage werden Geist und Gemüt, noch ehe sie fähig sind, sich mit solchen Themen recht auseinander zusetzen, belastet mit den blutigen Gemetzeln des Hundertjährigen Kriegs wie überhaupt mit jenem Kalendarium der Niedertracht, das da Europäische Geschichte sich benennt. Um wie viel besser wäre es nicht, die Kinder während dieser frühen Lebensjahre in den nützlichen Zweigen der Kunst zu unterweisen, im Gebrauch ihrer Hände zu vernünftigem Dienst an der Menschheit! Man ziehe den Knaben in künstlerischer Umgebung auf, man vermittle ihm Geist, noch ehe man mit der Belehrung beginnt, und seine Seele fördere man, bevor man den Versuch macht, sie zu retten!

Ich würde ja in jeder Schule eine Werkstätte einrichten, und pro Tag eine Stunde festsetzen, in der die Buben etwas Praktisches in Bezug auf die Kunst erlernen könnten: die Töpferscheibe zu betätigen, Schnitzereien auszuführen, in Metall zu arbeiten und dergleichen mehr, so dass die Kinder Einblick bekämen in die verschiedenen Arten des Kunstgewerbes. Das wäre für sie eine Stunde voller Glück, ja ihre Lieblingsstunde, und sie würden auf diese Weise mehr über das Leben und die ethische Seite der Kunst erfahren, als in jahrelangem Bücherstudium. Und alsbald wär' da ein Geschlecht von Kunsthandwerkern herangebildet, die das Gesicht dieses Landes von Grund auf verändern könnten.

Es ist ein großer Fehler unseres Zeitalters, seine arbeitenden Menschen und ihre Bestrebungen nicht in dem Maße zu würdigen, als das zu geschehen hätte. Solche Männer sind ja ausgebildet worden, ihre Hände zu gebrauchen, und sind deshalb nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft. Sie bilden eine Klasse, die beständig Güter für uns alle hervorbringt, ganz im Gegensatz zu jenem Heer unnützer Müßiggänger, deren kostspielige Erziehung einzig darauf abzielt, eine Zeitlang das Gedächtnis zu üben, aber nunmehr, auf den stürmischen Wogen des praktischen Lebens, nahezu vollständig wertlos geworden ist. Ich habe ein Beispiel solcher Nutzlosigkeit moderner Erziehung unter wohlerzogenen Leuten gesehen, in Colorado, es waren auch Eton-Studenten dabei, alles Leute von bester physischer Konstitution und hoher geistiger Kultiviertheit, denen die Kenntnis der sämtlichen Königsnamen aus der angelsächsischen Heptarchie sowie das Herunterleiern aller Ereignisse des Zweiten punischen Krieges - denen das alles in Leadville und in Denver von keinerlei Nutzen war.

 

Um wie viel besser wäre es für diese jungen Männer gewesen, hätte man sie gelehrt, ihre Hände zu gebrauchen, Möbel zu bauen und Dinge zu verfertigen, die den dortigen Bergleuten hätten von Nutzen sein können! Man sollte die Besten aus allen Bevölkerungsschichten für das Kunstgewerbe ausersehen, man sollte jedermann lehren, von seinen Händen den rechten Gebrauch zu machen. Die menschliche Hand ist ja der schönste und auch empfindlichste Mechanismus auf dieser Welt, wenn auch so viele Leute keine bessere Verwendung dafür zu haben scheinen, als diese Hände in viel zu enge Handschuhe zu quetschen.

Wahre Kunst ist das beste Praktikum für Moral und Ethik auf dieser Welt, sie ist auch der beste Erzieher: niemals belügt sie uns, niemals verführt sie uns, niemals korrumpiert sie uns, weil ja alle gute, alle Hohe Kunst auf der Redlichkeit, der Aufrichtigkeit und der Wahrheit beruht. Unter ihrem Einfluss lernen die Kinder, den Lügner, den Täuscher in der Kunst zu verabscheuen - ihn, der da Holz bemalt, um Marmor vorzutäuschen, ihn, der dem Eisen den Anstrich von Stein verleiht, ihn, den die Strafe auf dem Fuß ereilt, weil er niemals zum Erfolg gelangt. Und wenn Sie einen Knaben in den Dingen der Kunst unterweisen, so wird die Schönheit von Form und Farbe sich einfinden in sein Herz, und er wird eben darum die Natur umso mehr lieben. Denn es gibt keinen besseren Weg zur Naturliebe, als den über das Kunstverständnis, das jede Blume auf dem Felde zu würdigen weiß. Und dieser Knabe wird noch mehr Vergnügen, noch mehr Freude an der Natur empfinden, sobald er sieht, dass keine Blume am Wegrain zu unscheinbar, dass kein Grashalm zu gering ist, als dass nicht ein großer Künstler ihn liebevoll ansehn und edlen Gebrauch von ihm machen könnte in der Kunst des Dekors.

Und die Kunst wird auch stärker dazu beitragen, unsere Kinder die Liebe zum Tier und zu allen lebendigen Dingen zu lehren, als dies unsre sämtlichen moralinsauren Geschichtchen vermögen: sobald der Knabe nämlich sieht, wie schön das kleine, flinke Eichhörnchen sich in Messing getrieben ausnimmt, oder auch der auf Marmor im Fluge festgehaltne Vogel, so wird er den üblichen Stein nicht mehr danach werfen. Auch wird er lernen, Gottes Werke besser zu bewundern und zu verehren, denn alle Kunst ist das vollkommene Lob Gottes in ihrer Verdoppelung des Werkes Seiner Hände. Und so wird dieser Knabe die Kunst mit den Augen des Handwerkers sehen, der auf das Bildwerk einer gotischen Kathedrale blickt mit all ihren Wundern der Tier- und Pflanzenwelt, die da zur Ehre Gottes ein Te Deum anstimmen, das ebenso schön ist, aber von viel längerer Dauer, wie jenes andere, das innerhalb der weihevollen Wände mit dem Ende der Vesper erstirbt. Denn die Kunst ist das einzige, welchem der Tod nichts anhaben kann.

Die Siege in der Kunst geben uns mehr, als die Helden versprechen oder das Schwert erheischt, denn was uns Not tut, ist eine geistige Bereicherung unseres Lebens. Und wenn Sie in sich den Wunsch nach Kunst verspüren, dann müssen Sie aufstehen gegen den Luxus der Reichen und die Tyrannis des Materialismus. Sie können zwar Schätze aufhäufen mithilfe Ihrer Eisenbahnen, Sie können Ihre Hafenstädte auftun den Galeeren der Welt, aber Sie werden erkennen, dass künstlerische Unabhängigkeit der vollkommenste Ausdruck aller Freiheit ist. Der Stahl von Toledo und die Seidengewebe aus Genua haben nichts weiter bewirkt, als der Unterdrückung noch mehr Macht, dem Hochmut noch mehr Glanz zu verleihen. Lassen Sie sich darum angelegen sein, eine Kunst zu schaffen, die hervorgeht aus den Händen des Volkes zur Freude eben dieses Volkes, eine Kunst auch, die Ausdruck sein wird Ihrer Freude am Leben. Nichts im täglichen Dasein ist zu gering,

 

nichts von den Dingen unseres täglichen Umgangs zu trivial, als dass es nicht veredelt werden könnte durch Ihre Hand: denn es gibt nichts im Leben, das nicht geheiligt würde durch die Kunst.

Sind aber erst Kunsthandwerker unter Ihnen, so setzen Sie diese nicht herab und lassen Sie sie nicht allein! Ich glaube kaum, dass die Leute wissen, wie viel ein aufmunterndes, zustimmendes Wort der Sympathie für die jungen Künstler bedeutet, welche ja oftmals darin Unterstützung, wenn nicht sogar Anregung finden. Suchen Sie also Ihre jungen Künstler auf, ermuntern Sie sie in dem Wettlauf durch die Asphodelenwiesen der Jugend, machen Sie damit zum andern mal ihre Gesichter erröten, doch diesmal vor Stolz, und Sie werden sehen, auch in Ihrem Lande ist es dann nicht anders: keine Blume wird blühen auf seinen Wiesen, deren Ranken sich nicht um die Kissen schlängen, kein noch so geringes Blatt wird grünen in den mächtigen Wäldern, das seine Form nicht einem Muster liehe, kein Reis der Heckenrose wird es geben, das nicht in Marmor weiterlebte auf Bogenschwung und Fensterbrüstung, ja kein Vogel wird den Himmel durchpfeilen, der da mit dem Glanz und der Farbe seines Gefieders, der da mit dem exquisiten Zuschnitt seiner Flügel das Kostbare einfachen Dekors nicht noch kostbarer machte! Die Stimmen nämlich, die ihren Wohnsitz haben an Seen und in den Bergen, sind nicht die einzigen der Freiheit: andere Botschaften sind für uns bereit, im Wunderbaren Wind gepeitschter Höhen so gut wie in der Majestät der stummen Tiefen - Botschaften, die Ihnen, sobald Sie nur zu lauschen willens sind, den Glanz völlig neuer Imaginationen erschließen werden und das Wunder einer gänzlich neuen Schönheit!