2000 Kunst hängt am Haken

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Georg Baselitz

(1938)

 


Bildhauer, Schriftsteller und Zeichner (Deutschland)

 

 


Kunst hängt am Haken

Bilder beißen nicht, nicht in die Wade wie der Hund. Aber etwas tun sie schon: sie können einem den Kopf verdrehen. Dagegen beißt das Motiv schon eher, ob die Sonne scheint oder Regen fällt. Bilder mit dem Motiv auf dem Kopf zwingen zum Purzelbaum, zum doppelten Salto, wenn sie besonders gelungen sind. Die Bilder hängen fest am Haken, was herunterhängt zeugt von Schwerkraft. Was drauf ist auf dem Bild, das an der Wand hängt, und wenn es noch dazu verkehrt herum drauf ist, fällt nicht runter, es fällt nur mehr auf und springt mehr ins Auge. Auch wenn in der Mitte etwas auf der Leinwand ist, wie zum Beispiel ein Klavier spielender Russe, so ist das kein Drehpunkt für Schwindelgefühle. Was man sieht, sieht man so und so in sich hinein, nicht wie im Spiegel, da ist es anders. Was auf diese Weise eingesehen drin ist, wirkt beim leer gegessenen Teller angenehm, von Chaos und Geometrie befreit, nur ernährt man mit Bildern mehr den Kopf als den Magen. Im Übrigen essen Bilder am liebsten Bilder.


Imperia, 25. Juli 2000