1902 Ebe, Gustav - Architektur 19. u. 19.Jhd.

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GUSTAV EBE (1834–1916):

Das Verhältnis der Kunstgeschichte zur Architektur des XVIII. und XIX. Jahrhunderts (1902)

 

Wir stehen allem Anscheine nach am Abschlusse einer wichtigen Epoche, in welcher das Architekturschaffen wesentlich unter der Herrschaft der Kunstgeschichte zu stehen schien, und es dürfte deshalb der richtige Zeitpunkt für einen Rückblick auf die von dieser Unterordnung ausgehender Wirkungen gekommen sein. Erst seit der Mitte des XVIII. Jahrhunderts, mit Winckelmanns Schriften beginnend, gibt es eine wirkliche Kunst- und Architekturgeschichte, die aus der quellenmäßigen Erforschung der Denkmäler aller Epochen, ihren zeichnerischen Aufnahmen und Veröffentlichungen hervor wächst. Denn die Auslassungen der alten Schriftsteller über Werke der bildenden Kunst sind nur beiläufig und sprungweise erfolgt, auch teilweise verloren gegangen und streifen im Besonderen kaum das Spezialgebiet der Architektur. Der neueren Kunstgeschichte war es vorbehalten, das überreiche Bild der künstlerischen Taten aller vergangenen Jahrtausende zu entrollen und zum Gemeingut zu machen, aber zugleich durch diese früher nicht bekannte Ausdehnung unseres Wissens eine wesentlich eklektische Strömung im Kunstschaffen zu entfesseln, welche stark genug war, das bis dahin übliche, einfache Fortschreiten auf dem gesunden Wege der durch Anschauung des Nächstliegenden vermittelten Tradition unmöglich zu machen. Ein Einlenken in neue, selbstständigere Bahnen des Schaffens scheint indes in letzter Zeit durch die mehr und mehr hervortretende Schätzung der aus individueller künstlerischer Tatkraft fließenden Leistungen bewirkt zu werden und müsste, falls dieses freimachende Element Boden und Dauer gewänne, nicht am wenigsten als ein Verdienst der neuen Richtung gepriesen werden.

Zur Erklärung der führenden Rolle, welche die in der Neuzeit entstehende Kunstgeschichte in dem Entwicklungsgange der bildenden Kunst nachweisbar gespielt hat, dürfte eine kurze Betrachtung über ihren Inhalt und ihre Ziele am Platze sein. Die Kunstgeschichte ist nur ein Teil der allgemeinen Weltgeschichte, und wie diese gehört sie nicht zu den exakten, sondern zu den Erfahrungswissenschaften; denn sie hat es nicht allein mit der Erforschung allgemein gültiger Gesetze zu tun, vielmehr ist sie von dem unberechenbaren Eingreifen persönlicher, individueller Tatkraft abhängig, deren Richtung nicht im voraus zu bestimmen und deren Nachwirkung nicht zu übersehen ist. Indes hat die Kunstgeschichte einige Vorzüge vor der geschriebenen Geschichte voraus, da ihre Dokumente, die Schöpfungen der bildenden Kunst, weit über das geschriebene Wort in die Vergangenheit hinausreichen und das Zeugnis derselben sicherer ist als alle schriftlichen Aufzeichnungen. Wenn die geschriebene Geschichte oft weniger den Geist der Zeiten als den eigenen Geist des Verfassers widerspiegelt, so fällt ein solcher Mangel bei den Denkmälern der bildenden Kunst fort; sie geben uns, soweit sie erhalten sind, rein und unverfälscht das Bild ihres Ursprungszeitalters wieder. - Wenn der gelehrte Professor Wolt in Halle seinerzeit die einzige Zuverlässigkeit der alten Schriftsteller gegen Goethe, der aus den Merkmalen der Denkmäler selbst seine Schlüsse über Urheberschaft und Zeitstellung zog, behaupten wollte, so wäre ein solches Unterfangen heute wohl kaum noch denkbar. Der große Philologe verließ sich einzig auf die Schriftsteller und war nicht zu überzeugen, wenn Goethe auf den Augenschein als untrüglichste Quelle der Forschung verwies.

 

Obgleich für die politische wie für die Kunstgeschichte die Möglichkeit zugegeben werden muss, dass der Gang der Ereignisse in jener und des Kunstschaffens in der anderen durch zufällige Entscheidungen in andere Bahnen als die wirklich durchlaufenen gelenkt werden können, so ist es doch ebenso sicher, dass sowohl der allgemeine Verlauf der Weltgeschichte als die großen Züge in der Ausbildung der nationalen Stilperioden dennoch im Ganzen dieselben geblieben sein würden, wie wir sie tatsächlich finden. Es gibt für die Geschichte in allen ihren Abzweigungen einen gesetzlichen Faden, der sich in der stetigen Herausbildung einer höheren Kulturstufe - unbeschadet zeitweiliger Rückläufe - auf der Grundlage des Vergangenen bemerkbar macht: dieser Vorgang bezeichnet der fortdauernden allgemeinen Fortschritt der Menschheit!

In der bildenden Kunst finden wir die Ausprägung dieses gesetzlichen Fortschreitens in der formellen und inhaltlichen Vermannigfaltigung der typischen Bildungen, welches unzweifelhaft an den Denkmälern nachzuweisen ist - selbst gegen die hergebrachte Verhimmelung der griechischen Architektur und Plastik. Das Individuelle der großen Künstlernaturen bleibt zwar ein beachtenswertes Element in diesem notwendigen Entwicklungsgange, aber es ordnet sich unbewusst dem treibendem Geiste seines Jahrhunderts ein. Die kunstgeschichtliche Darstellung muss nun ihre Hauptaufgabe in dem Bestreben finden, das subjektiv Launenhafte und Schwankende des persönlichen Urteils über den Werth der Kunsterscheinung ganz beiseite zu lassen und an Stelle desselben die Einordnung der Einzelleistungen in den gesetzmäßigen Gang des Ganzen zu setzen. Eine dieser Art abgefasste Kunstgeschichte wird am besten geeignet sein, Klarheit über das Wirrsal der sich bekämpfenden Bestrebungen des XIX. Jahrhunderts zu verbreiten und zugleich die Empfindung des Verdrusses zu beseitigen, die uns oft beschleichen will, wenn wir so manche moderne Leistungen als flüchtige Tagesmoden und Ausflüsse einer krankhaften Originalitätssucht aus dem geheiligten Bereiche wahrer Monumentalkunst verweisen müssen. Und in diesem Sinne ist auch eine fortdauernde Einwirkung der Kunstgeschichte auf das Kunstschaffen zu billigen, umso mehr als jene darauf verzichtet, anmaßliche Direktiven zu erteilen.

Lehrbücher der Architektur hatte es schon vor dem XVIII. Jahrhundert in Hülle und Fülle gegeben: aber alle diese Schrift- und Tafelwerke gehen nicht über den Kreis der jeweils herrschenden Stilauffassung hinaus und sind deshalb nur geeignet, im Sinne der Zeit fördernd einzugreifen, nicht aber durch die Heranziehung fremdartiger Elemente zu stören. Das älteste uns überlieferte Lehrbuch ist das von Vitruv, zur Zeit des Kaisers Augustus verfasst, welches wesentlich aus verloren gegangenen griechischen Schriftquellen schöpft, aber in der systematischen, den Modul als allgemeines Grundmaß der Verhältnisse einführenden Behandlung der griechischen Säulenordnungen bereits den abgeleiteten Charakter der römischen Kunst bezeichnet und zugleich eine Vorahnung von dem Geiste gibt, in dem später die Renaissance die antiken Gliederungen verwenden sollte. Die Gewölbekunst wird von Vitruv nur leicht gestreift, da ihm die Griechen in diesem Punkte kein Vorbild bieten konnten und in Rom selbst noch keine größeren gewölbten Gebäude vorhanden waren. Übrigens ist das genannte Werk das einzige über antike Architektur; dasselbe wurde in der Folge vielfach kommentiert und in mehrere Sprachen übersetzt und ist in der Zeit der Renaissance zur Hauptregel für den Säulenbau geworden.

Über die Architektur der altchristlichen Periode ist nichts vorhanden als einige Notizen der Kirchenschriftsteller Eusebius, Prudentius und Gregor von Tours, von der Anlage und Ausgestaltung der Basiliken handelnd, sowie die dichterische Beschreibung des Venantius Fortunatus über das Schloss des Erzbischofs Nucetin bei Trier; es ist dies erklärlich, da noch keine abschließende Ausbildung des Stils erreicht war. Auffälliger, bei der Schreibkunst der Griechen, ist der Mangel an Allem, was einem Lehrbuche ähnlich sähe, über die Architektur der byzantinischen Periode; in der Tat kommen auch für diese nur einzelne Stellen des Procop und die dichterische Beschreibung der Hagia Sophia in Konstantinopel durch Silentiarius Paulus in Betracht. Kaum weniger spärlich als in den früheren Zeiten fließen im Mittelalter die Quellen schriftlicher oder zeichnerischer Überlieferung. Aus dem frühen Mittelalter stammt der wichtige Bauriss von St. Gallen, und um die Wende des XI. Jahrhunderts schrieb Theophilus presbiter seine Schedula diversarum artium, welche jedoch das Gebiet der Architektur nur nebensächlich in dekorativen Einzelheiten berührt. Aus gotischer Zeit ist der Bericht über den Bau der Stiftskirche zu Wimpffen im Tal mit dem zweifelhaften Ausdrucke „Opere Francigeno“ nur zu erwähnen. Aus der ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts stammt das Skizzenbuch des Villars de Honnecourt, das wohl auch für den Gebrauch Anderer bestimmt war. Ein gedrucktes Büchlein des Matthäus Boritzer „Von der Fialen Gerechtigkeit“, um 1486 erschienen, hat uns ein kleines Bruchstück der jedenfalls in reichem Masse vorhandenen, aber verloren gegangenen Aufzeichnungen der gotischen Bauhütten erhalten. Außerdem besitzen wir eine Anzahl Originalpläne zu gotischen Domen, von denen die aus der Kölner Bauhütte stammenden wohl die wichtigsten sind.

Nach dem vollen Aufblühen des Buchdrucks, der Kupferstichkunst und des Holzschnittes im Zeitalter der Renaissance nimmt die Anzahl der architektonischen Lehrbücher, zu denen auch größtenteils die Werke der Ornamentstecher zu rechnen sind, in rasch steigendem Masse zu. Um nur einige deutsche Werke zu nennen, denn eine vollständige Aufzählung würde außerhalb unseres Zweckes liegen, so erscheinen die Schriften Albrecht Dürers, unter denen besonders das Buch über die Befestigungen dem architektonischen Gebiet angehört, u. A. Eine zweite Periode der Kunstliteratur, von 1600 bis etwa 1750, von K. O. Müller als die „antiquarische“ bezeichnet, hat ihren Mittelpunkt in Rom und liefert eine Anzahl noch heute wichtiger Kupferstichwerke. Von deutschen Werken gehören dieser Periode unter anderen Menäus „Städteansichten“ und Sandrarts „Deutsche Akademien“ an.

Erst mit der neuen „wissenschaftlichen“ Periode, seit der Mitte des XVIII. Jahrhunderts, bemächtigt sich die literarische Arbeit des ganzen Gebietes der Denkmälerkunde und schafft die wirkliche Kunstgeschichte, deren bestimmende Einwirkung auf den Charakter des Kunstschaffens in der zweiten Hälfte des XVIII. sowie im ganzen Verlaufe des XIX. Jahrhunderts in dem vorliegenden Aufsatze geschildert werden soll. Die Periode wird durch die Ausgrabungen der Vesuvstädte, die genaueren Untersuchungen und Aufnahmen der griechischen Baudenkmäler und die großen Funde etruskischer Gräber eingeleitet und ruft ein Kunstschaffen im Sinne einer hellenistischen Renaissance ins Leben. Literarisch stehen Winckelmann, Graf Caylus, Lessing, Heine, Christ und die englische Society of Dilettanti an der Spitze dieser Bewegung. Den Architekturschöpfungen dieser Zeit, unter denen die Schinkel'schen hervorleuchten, haftet allerdings ein von ihrem archäologischen Ursprung bedingter Mangel an Volkstümlichkeit an, sie setzen zu ihrer Würdigung ein bedeutendes Maß klassischer Gelehrsamkeit voraus und wenden sich deshalb vorzugsweise an das Verständnis einer geringen Zahl Hochgebildeter. Es ist indes unmöglich, die erhabene rein architektonische Wirkung zu verkennen, welche von den besten dieser Bauwerke, z. B. der Vorhalle des alten Museums in Berlin und dem Schauspielhause daselbst aus geht und sich durch kein Bedenken wegen der fremdartigen Herkunft der Formen verwischen lässt. Übrigens müssen diese gräzisierenden Anleihen heute wohl als bis zu einem gewissen Grade eingebürgert und als ein Zuwachs unseres nationalen Bestandes gelten, umso mehr als sie in der Hauptanordnung der Massen und Gliederungen manchen Keim des Neuen enthalten.

Dem Ansturm der Antike setzte sich bald die Nationalitätsidee, und zwar zunächst in der durch die Romantik hervorgerufenen einseitigen Bevorzugung der mittelalterlichen Kunstweise entgegen, ohne gerade im Stande zu sein, die antikisierende Richtung zu verdrängen, vielmehr gingen beide in einem etwas feindseligen Gegensatze nebeneinander her, wie dies auch noch heute größtenteils der Fall ist. Auch die romantische Richtung hatte ihre literarischen Vorkämpfer, welche in Tendenzschriften, wie Wackenroders „Herzensergiessungen eines kunstliebenden Klosterbruders“, Kotzebues „Souvenirs de Paris“, sowie in den von Friedrich Schlegel, Görres u. A. ausgehenden Anregungen zum Wort kamen. In rascher Folge wurde das Bedürfnis nach Kenntnis der mittelalterlichen Bauformen durch zahlreiche Veröffentlichungen befriedigt. Die Denkmäler dieser Periode brauchten nicht erst ausgegraben zu werden, sie standen vor aller Augen, freilich zum Teil verfallen oder unvollendet; auch waren es in erster Linie die Wiederherstellungsbauten einiger großer Dome, an denen sich das Verständnis für die alten Formen stärkte. Diesem Zwecke diente mit besonderer Auszeichnung die von Boisserée veranstaltete, von Goethe hoch gewürdigte Herausgabe der Baurisse des Kölner Doms; und wieder war es derselbe Dom, dessen Wiederherstellung und Weiterbau den Reigen eröffnete, in den bald eine Anzahl Unternehmungen von ähnlicher Wichtigkeit eintraten. Ohne Zweifel übte das Eingreifen der Kunstgeschichte in die neu erwachte Bewegung zu Gunsten der mittelalterlichen Stilperiode wie sie durch Aufnahmen und Veröffentlichungen der alten Bauwerke zutage trat, einen fördernden Einfluss auf die Versuche zu Neuschöpfungen in der gothischen Bauweise. Wir erinnern nur an Moller „Denkmäler der deutschen Baukunst“, Popp und Bülau „Architektur des Mittelalters in Regensburg“, Sulpice Boisserée „Mittelalterliche Denkmale am Niederrhein“, Heideloff „Nürnbergs Baudenkmale“, Pattrick „Für Sachsen“, Kallenbach „Chronologie“, Grueber u. a. Etwas später gerieten die deutschen Neugothiker einigermassen unter die Nachfolge des von Viollet-le-Duc verfassten „Dictionnaire raisonne“, welcher zwar das Verdienst hatte, die wesentlich nur in Frankreich zur vollen Ausbildung gelangte Frühgotik bei uns allgemeiner bekannt zu machen, aber zugleich etwas von dem Verfolgen deutscher Eigenart ablenkte, und namentlich dazu beitrug, unsere Spätgotik, die sich vor der aller anderen Länder durch kühne Raumbildungen auszeichnet, in unverdienten Misskredit zu bringen.

Unterdessen hatten die Vertreter der antikisierenden Richtung fast in allen Stücken das Feld behauptet, mit Ausnahme des Kirchenbaues, der als eine unbestrittene Domäne der Gotik galt; aber die hellenistische Renaissance war etwa seit der Mitte des XIX. Jahrhunderts von der italienischen Früh- und Hochrenaissance abgelöst worden. Mit dieser stilistischen Schwenkung blieb man wieder im fremdländischen Fahrwasser, obgleich die italienischen Muster aus dem XV. und XVI. Jahrhundert doch nicht so ganz fern standen als die altgriechischen und bereits mit modernem Geiste durchtränkt waren. Überdies war Italien damals fast noch mehr als in früheren Jahrzehnten das Land der künstlerischen Sehnsucht, in dem glaubte man vor Allem die echte Monumentalität studieren zu müssen. Burckhardts um 1855 erschienener Cicerone trug gewiss nicht wenig zur Bestärkung dieses günstigen Vorurteils bei.

 

Außerdem hatten die von Schnaase und Kugler verfassten Werke über Allgemeine Architekturgeschichte für deutsche Leser den Ausblick über alle Kunstepochen eröffnet, allerdings mit Ausnahme der Zeit des Barockstils, der seit Winckelmann als Popanz galt, dem man alles mögliche Böse andichtete und der gewissermaßen der Verfemung verfallen war.

Ein erneuter kräftiger Antrieb zur Pflege nationaler Geisteserrungenschaften, der wohl von der politischen Neuerrichtung des Deutschen Reiches ausging, liess endlich den erweiterten Blick auf die bisher übersehenen Perioden fallen, in welchen eine Umbildung und Anpassung fremder Stilformen im deutschen Sinne durch deutsche Meister stattgefunden hatte. Von diesen Perioden mussten die der Deutschrenaissance und des deutschen Barocks geradezu erst wieder entdeckt werden, und konnten nicht ohne Widerstreit von Neuem belebt und für das zeitgenössische Schaffen nutzbar gemacht werden. Auch in diesem Falle erfüllte die Kunstliteratur die ihr üblicherweise zufallende Rolle des die Stilbewegung unterstützenden Faktors, wie dies in Lübkes „Geschichte der Deutschrenaissance“ und in Gurlitts und des Verfassers Arbeiten über den Barockstil u. A. zum Ausdrucke kommt. Vor Allem war es die Deutschrenaissance, welche durch ihren malerischen, anheimelnden Charakter sich einen weiten Kreis der Verwendung wieder eroberte; aber auch im Barock, besonders in der süddeutschen Ausprägung desselben, erkannte man den großartigen Zug in der monumentalen Ausgestaltung der Bauten und wusste diesen Vorzug für Neuschöpfungen zu verwerten. Endlich fand auch das Rokoko wegen der Anmut seiner Innenformen eine der deutschen Auffassung entsprechende Wiederbelebung. So folgerichtig die gleichmäßige Beachtung aller auf deutschem Boden und von deutschen Meistern, wenn nicht immer ursprünglich erfundenen, aber doch wesentlich im nationalen Sinne umgebildeten Bautypen auch sein mochte, so hatte sie doch in ihrer praktischen Anwendung die üble Folge, dass nun nicht mehr wie früher zwei Stilrichtungen, sondern, mit Einbeziehung der ebenfalls gepflegten landschaftlichen und lokalen Besonderheiten, eine ziemliche Anzahl derselben nebeneinander hergingen. Man kann aber nicht umhin, dieses oft beklagte Wirrsal der Stile zum großen Teile auf die nacheinander zur Geltung gekommenen kunstgeschichtlichen Einwirkungen zurückzuführen.

Nun hat zwar in letzter Zeit die Erforschung der alten Denkmäler keineswegs nachgelassen und wird eifriger als jemals durch kostspielige Ausgrabungen unterstützt, welche das archäologische Wissen in früher ungeahntem Masse erweitern; ebenso wenig fehlt es an den die neuen Entdeckungen verwertenden Bearbeitungen der Kunstgeschichte; aber dennoch wird kein noch so wichtiges Ereignis dieser Art im Stande sein, eine bemerkenswerte Wandlung im heutigen Kunstschaffen hervorzurufen. Der zu kolossalem Umfange angewachsene, noch immer vermehrte Stoff der Denkmalskunde hat den Reiz der Neuheit verloren und damit zugleich die Fähigkeit, im Augenblick auf die ausübende Kunst zu wirken. Wenn wirklich jene oben geschilderte, über ein und ein halbes Jahrhundert sich erstreckende Periode zu Ende sein sollte, in welcher die wechselnden wissenschaftlichen Strömungen die Macht hatten, in der Künstlerschaft Parteiungen von feindlich gegeneinander gerichteter Tendenz hervorzurufen, so könnte diese Wendung zum Besseren nur durch den Zusammenschluss aller Geister zum Verfolgen einer neuen selbständigen Richtung bewirkt worden sein. Allerdings erinnert die übertriebene Nachahmung japanischer Muster, wie sie in den letzten Jahrzehnten in den europäischen Ländern und in Nordamerika Platz gegriffen hat, in bedenklicher Weise an ähnliche frühere Vorgänge. Immerhin macht sich ein wesentlicher Unterschied gegen jene bemerkbar, indem das japanisierende Element sich nur auf das ornamentale Gebiet ausdehnt und das eigentliche Baugerüst ganz unberührt lässt. Vermutlich wird bald von dem ostasiatischen Import nicht mehr übrig sein als eine erwünschte Erweiterung des Kreises der für die Bauornamentik benützten pflanzlichen und tierischen Naturvorbilder.

Die bei uns neu aufgekommene Richtung, welche vielleicht bestimmt ist, der Architektur des XX. Jahrhunderts ein eigenes Gepräge zu verleihen, will den durch die Kunstgeschichte vermittelten Einfluss der überlieferten Formen soweit ablehnen, als sie das Schaffen des Künstlers auf den Formenkreis einer bestimmt abgegrenzten Stilperiode einschließen, dagegen sieht sie das zu erstrebende Ziel in einer freien Weiterbildung des historisch Gegebenen im Sinne der Jetztzeit.