Über eine Seelandschaft von C.D.Friedrich

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Clemens Brentano (1778 –1842)

Verschiedene Empfindungen vor einer Seelandschaft von Friedrich, worauf ein Kapuziner.

 

Es ist herrlich, in unendlicher Einsamkeit am Meeresufer unter trübem Himmel auf eine unbegrenzte Wasserwüste hinzuschauen, und dazu gehört, daß man dahin gegangen, daß man zurück muß, daß man hinüber möchte, daß man es nicht kann, daß man alles zum Leben vermißt, und seine Stimme doch im Rauschen der Flut, im Wehen der Luft, im Ziehen der Wolken, in dem einsamen Geschrei der Vögel vernimmt; dazu gehört ein Anspruch, den das Herz macht, und ein Abbruch, den einem die Natur tut. Dieses aber ist vor dem Bild unmöglich, und das, was ich in dem Bilde selbst finden sollte, fand ich erst zwischen mir und dem Bilde, nämlich einen Anspruch, den mir das Bild tat, indem es denselben nicht erfüllte; und so wurde ich selbst der Kapuziner, das Bild ward die Düne, das aber, wo hinaus ich mit Sehnsucht blickte, die See, fehlte ganz. Dieser wunderbaren Empfindung nun zu begegnen, lauschte ich auf die Äußerungen der Verschiedenheit der Beschauer um mich her, und teile sie als zu diesem Gemälde gehörig mit, das durchaus Dekoration ist, vor welchem eine Handlung vorgehen muß, indem es keine Ruhe gewährt.

Eine Dame und ein Herr, welcher vielleicht sehr geistreich war, traten auf; die Dame sah in ihr Verzeichnis und sprach:

„Nummer zwei: Landschaft in Öl. Wie gefällt sie Ihnen?“

HERR:

Unendlich tief und erhaben.

DAME:

Sie meinen die See, ja die muß erstaunlich tief sein, und der Kapuziner ist auch sehr erhaben.

HERR:

Nein, Frau Kriegsrat, ich meine die Empfindung des einzigen Friedrichs bei diesem Bilde.

DAME:

Ist es schon so alt, daß er es auch gesehen?

HERR:

Ach, Sie mißverstehen mich, ich rede von dem Maler Friedrich; Ossian schlägt vor diesem Bilde in die Harfe.

(Ab)

 

ERSTE DAME:

Hast du gehört, Louise? das ist Ossian.

ZWEITE DAME:

Ach nein, du mißverstehst ihn, es ist der Ozean.

ERSTE DAME:

Er sagte aber, er schlüge in die Harfe.

ZWEITE DAME:

Ich sehe aber keine Harfe. Es ist doch recht graulich anzusehen. (Ab)

 

Zwei Kunstverständige.

ERSTER:

Ja wohl, graulich, es ist alles ganz grau; wie der nur solche trockene Dinge malen will!

ZWEITER:

Sie wollen lieber sagen, wie er so nasse Dinge so trocken malen will.

ERSTER:

Er wird es wohl so gut malen, als er kann.

(Ab)

 

Eine Erzieherin mit zwei Demoiselles.

ERZIEHERIN:

Dies ist die See bei Rügen.

ERSTE DEMOISELLE:

Wo Kosegarten wohnt.

ZWEITE DEMOISELLE:

Wo die Kolonialwaren herkommen.

ERZIEHERIN:

Warum er nur so trübe Luft gemalt. Wie schön, wenn er im Vordergrund einige

Bernsteinfischer gemalt hätte.

ERSTE DEMOISELLE:

Ach ja, ich möchte mir selbst einmal eine schöne Schnur Bernstein zusammenfischen.

(Ab)

 

HERR:

Herrlich, herrlich, dieser Mann ist doch der einzige, der in seinen Landschaften ein Gemüt ausdrückt, es ist eine große Individualität in diesem Bilde, die hohe Wahrheit, die Einsamkeit, der trübe schwermutsvolle Himmel, er weiß doch, was er malt.

ZWEITER HERR:

Und malt auch, was er weiß, und fühlt es, und denkt es, und malt es.

ERSTES KIND:

Was ist denn das?

ERSTER HERR:

Das ist die See, mein Kind, und ein Kapuziner, der daran spazieren geht und traurig ist, daß er keinen so artigen Jungen hat wie du.

ZWEITES KIND:

Warum tanzt denn der Kapuziner nicht vorn herum, warum wackelt er nicht mit dem

Kopfe, wie im Schattenspiel? Das wäre doch schöner.

ERSTES KIND:

Es ist wohl so ein Kapuziner, der das Wetter anzeigt, wie der vor unserm Fenster?

ZWEITER HERR:

Nicht ein solcher, mein Kind, aber auch er zeigt das Wetter an, er ist die Einheit in der Allheit, der einsame Mittelpunkt in dem einsamen Kreis.

ERSTER HERR:

Ja, er ist das Gemüt, das Herz, die Reflexion des ganzen Bildes in sich und über sich.

ZWEITER HERR:

Wie göttlich ist diese Staffage gewählt, sie ist nicht wie bei den ordinären Herrn Malern ein bloßer Maßstab für die Höhe der Gegenstände, er ist die Sache selbst, er ist das Bild, und indem er in diese Gegend wie in einen traurigen Spiegel seiner eigenen Abgeschlossenheit hinein zu träumen scheint, scheint das schifflose einschließende Meer, das ihn wie sein Gelübde beschränkt, und das öde Sandufer, das freudenlos wie sein Leben ist, ihn wieder wie eine einsame, von sich selbst weissagende Uferpflanze symbolisch hervorzutreiben.

ERSTER HERR:

Herrlich, gewiß, Sie haben recht; (zur Dame:) aber, meine Liebe, Sie sagen ja gar nichts.

DAME:

Ach, es war mir vor dem Bilde wie zu Haus, es rührt mich recht, es ist doch recht natürlich, und als Sie so sprachen, war es mir gerade so undeutlich wie sonst, wenn ich mit unseren philosophischen Freunden am Meere spazieren ging; nur wünschte ich, daß eine frische Seeluft wehte und ein Segel herantriebe, und daß ein Sonnenblick niederglänzte und das Wasser rauschte; so ist mirs als wie Alpdrücken und Sehnsucht nach dem Vaterland im Traum; kommt weiter, es macht mich traurig.

(Ab)

 

Eine Dame und ein Führer.

DAME (steht lange stumm):

Groß, unbegreiflich groß! Es ist, als wenn das Meer Youngs Nachtgedanken hätte.

HERR:

Sie meinen, als wenn sie dem Kapuziner hineingefallen wären?

DAME:

Wenn Sie nur nicht immer spaßten und einem die Empfindung störten. Sie empfinden heimlich doch dasselbe, aber Sie wollen im Andern belachen, was Sie in sich verehren. Ich sage, es ist als wenn das Meer Youngs Nachtgedanken hätte.

HERR:

Und ich sage Ja, und zwar den Karlsruher Nachdruck und das Bonnet de Nuit von Mercier dazu, und Schuberts Ansicht der Natur von der Nachtseite obenein.

DAME:

Ich kann Ihnen nicht besser antworten, als mit einer parallelen Anekdote: Da der unsterbliche Klopstock zum ersten Male in seinen Gedichten gesagt hatte: „Die Morgenröte lächelt“, sagte Madame Gottsched, indem sie es las: „Was macht sie denn für ein Mäulchen?“

HERR:

Gewiß kein so schönes wie das Ihre, indem Sie dies sagen.

DAME:

Nun fallen Sie ins Fatale.

HERR:

Und Gottsched gab seiner Frau ein Mäulchen für das Bonmot.

DAME:

Ich soll Ihnen wohl gar eine Nachtmütze für das Ihrige geben, aber Sie sind selbst eine.

HERR:

Nein, lieber eine Ansicht Ihrer Natur von der Nachtseite.

DAME:

Sie sind unartig.

HERR:

Ach, wenn wir da miteinander ständen, wie der Kapuziner steht.

DAME:

Ich ließe Sie und ging zum Kapuziner.

 

HERR:

Und bäten ihn, mich mit Ihnen zu kopulieren.

DAME:

Nein, Sie ins Wasser zu werfen.

HERR:

Und blieben mit dem Pater allein und verführten ihn, und verdürben das ganze Bild und seine Nachtgedanken; seht, so seid ihr Weiber, ihr vernichtet am Ende doch, was ihr empfindet, ihr saget vor lauter Lügen die Wahrheit. O, ich wollte, ich wäre der Kapuziner, der so ewig einsam hinüberschaut in das dunkle verheißende Meer, das wie die Apokalypse vor ihm liegt, so wollte ich mich ewig sehnen nach Ihnen, liebe Julie, und Sie ewig vermissen, denn diese Sehnsucht ist doch die einzige herrliche Empfindung in der Liebe.

DAME:

Nein, nein, mein Lieber, auch in diesem Bilde; wenn Sie so reden, springe ich Ihnen nach ins Wasser und lasse den Kapuziner stehen.

(Ab)

 

Während der ganzen Zeit hatte ein glimpflicher langer Mann mit einigen Zeichen von Ungeduld zugehört; ich trat ihm etwas auf den Fuß und er antwortete mir, als ob ich ihn dadurch um seine Meinung befragt hätte. „Es ist gut, daß die Bilder nicht hören können, sie hätten sich sonst schon längst verschleiert; die Leute gehen gar zu unzüchtig mit ihnen um und sind fest überzeugt, sie ständen hier wegen eines geheimen Verbrechens am Pranger, das die Zuschauer durchauß  entdecken müssen.“ – „Aber was meinen Sie denn eigentlich von dem Bilde?“ fragte ich. – „Es freut mich,“ sagte er, „daß es noch einen Landschaftsmaler gibt, der auf die wunderbaren Konjunkturen des Jahres und Himmels achtet, die auch in der ärmsten Gegend die ergreifendste Wirkung hervorbringen; es wäre mir aber freilich lieber, wenn dieser Künstler außer dem Gefühle dafür auch die Gabe und das Studium hätte, es in der Darstellung wahr wiederzugeben, und in dieser Hinsicht steht er ebensoweit hinter einigen Holländern zurück, die ähnliche Gegenstände gemalt haben, als er sie in der ganzen Gesinnung, worin er aufgefaßt, übertrifft; es würde nicht schwer sein, ein Dutzend Bilder zu nennen, wo Meer und Ufer und Kapuziner besser gemalt sind. Der Kapuziner erscheint in einer gewissen Entfernung wie ein brauner Fleck; und wenn ich durchaus einen Kapuziner hätte malen wollen, so hätte ich ihn lieber schlafend hingestreckt, oder betend oder schauend in aller Bescheidenheit niedergelegt, damit er den Zuschauern, denen das weite Meer doch offenbar mehr Eindruck macht als der kleine Kapuziner, nicht die Aussicht verdürbe. Wer später sich nach den Küstenbewohnern umsähe, fände immer noch in dem Kapuziner alle Veranlassung, das auszusprechen, was mehrere der Zuschauer in einer überschwenglich allgemeinen Vertraulichkeit allen laut mitgeteilt haben.“

Diese Rede gefiel mir so wohl, daß ich mich mit demselben Herrn sogleich nach Hause begab, wo ich mich noch befinde und in Zukunft anzutreffen sein werde.