Hugo Ball - Das erste dadaistische Manifest
1916
Das Manifest wurde beim ersten öffentlichen Dada-Abend am 14.7.1916 im Zunfthaus an der Waag in Zürich vorgetragen. Erstdruck mit abweichenden Lesarten in: Paul Pörtner: Literatur-Revolution. Neuwied (Luchterhand) 1960/61.
Dada ist eine neue Kunstrichtung. Das kann man daran erkennen, daß bisher
niemand etwas davon wußte und morgen ganz Zürich davon reden wird. Dada stammt
aus dem Lexikon. Es
ist furchtbar einfach. Im Französischen bedeutet's Steckenpferd. Im Deutschen
heißt's Addio, steigts mir den Rücken runter. Auf Wiedersehen ein andermal! Im
Rumänischen: »Ja
wahrhaftig, Sie haben recht, so ist's. Jawohl, wirklich, machen wir.« Und so
weiter.
Ein internationales Wort. Nur ein Wort und das Wort als Bewegung. Sehr leicht zu
verstehen. Es ist ganz furchtbar einfach. Wenn man eine Kunstrichtung daraus
macht, muß das bedeuten, man will Komplikationen wegnehmen. Dada
Psychologie, Dada Deutschland samt Indigestionen und Nebelkrämpfen, Dada
Literatur, Dada Bourgeoisie, und ihr, verehrteste Dichter, die ihr immer mit
Worten, aber nie das Wort selber gedichtet habt, die ihr um den nackten Punkt
herumdichtet. Dada Weltkrieg und kein Ende, Dada Revolution und kein Anfang,
Dada ihr Freunde und Auchdichter, allerwerteste, Manufakturisten und
Evangelisten Dada Tzara, Dada Huelsenbeck, Dada m'dada, Dada m'dada Dada mhm,
dada dera dada Dada Hue, Dada Tza.
Wie erlangt man die ewige Seligkeit? Indem man Dada sagt. Wie wird man berühmt?
Indem man Dada sagt. Mit edlem Gestus und mit feinem Anstand. Bis zum Irrsinn.
Bis zur Bewußtlosigkeit. Wie kann man alles Journalige, Aalige, alles Nette und
Adrette, Bornierte, Vermoralisierte, Europäisierte, Enervierte, abtun? Indem man
Dada sagt. Dada ist die Weltseele, Dada ist der Clou. Dada ist die beste
Lilienmilchseife der Welt. Dada Herr Rubiner, Dada Herr Korrodi. Dada Herr
Anastasius Lilienstein.
Das heißt auf Deutsch: Die Gastfreundschaft der Schweiz ist über alles zu
schätzen. Und im Ästhetischen kommt es auf die Qualität an.
Ich lese Verse, die nichts weniger vorhaben als: auf die konventionelle Sprache
zu verzichten, ad acta zu legen. Dada Johann Fuchsgang Goethe. Dada Stendhal.
Dada Dalai
Lama, Buddha, Bibel und Nietzsche. Dada m'dada. Dada mhm dada da. Auf die
Verbindung kommt es an, und daß sie vorher ein bißchen unterbrochen wird. Ich
will keine Worte,
die andere erfunden haben. Alle Worte haben andre erfunden. Ich will meinen
eigenen Unfug, meinen eigenen Rhythmus und Vokale und Konsonanten dazu, die ihm
entsprechen,
die von mir selbst sind. Wenn diese Schwingung sieben Ellen lang ist, will ich
füglich Worte dazu, die sieben Ellen lang sind. Die Worte des Herrn Schulze
haben nur
zweieinhalb Zentimeter.
Da kann man nun so recht sehen, wie die artikulierte Sprache entsteht. Ich lasse
die Vokale kobolzen. Ich lasse die Laute ganz einfach fallen, etwa wie eine
Katze miaut... Worte tauchen auf, Schultern von Worten, Beine, Arme, Hände von
Worten. Au, oi, uh. Man soll nicht zu viel Worte aufkommen lassen. Ein Vers ist
die Gelegenheit, allen Schmutz abzutun. Ich wollte die Sprache hier selber
fallen lassen. Diese vermaledeite Sprache, an der Schmutz klebt, wie von
Maklerhänden, die die Münzen abgegriffen haben. Das Wort will ich haben, wo es
aufhört und wo es anfängt. Dada ist das Herz der Worte.
Jede Sache hat ihr Wort, aber das Wort ist eine Sache für sich geworden. Warum
soll ich es nicht finden? Warum kann der Baum nicht »Pluplusch« heißen? und
»Pluplubasch«, wenn
es geregnet hat? Das Wort, das Wort, das Wort außerhalb eurer Sphäre, eurer
Stickluft, dieser lächerlichen Impotenz, eurer stupenden Selbstzufriedenheit,
außerhalb dieser Nachrednerschaft, eurer offensichtlichen Beschränktheit. Das
Wort, meine Herren, das Wort ist eine öffentliche Angelegenheit ersten Ranges.
Manifest 1916